TE Vwgh Erkenntnis 2020/5/7 Ra 2019/19/0256

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Veröffentlicht am 07.05.2020
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §37
VwGVG 2014 §28
VwGVG 2014 §28 Abs2
VwGVG 2014 §28 Abs3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 6. Mai 2019, G306 2205615-1/16E (Spruchpunkt A.II.), betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: M K, vertreten durch Dr. Reinhard Schwarzkogler, Rechtsanwalt in 4650 Lambach, Marktplatz 2), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss (Spruchpunkt A.II. der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes) wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Der Revisionswerber ist ein Staatsangehöriger des Kosovo, der am 7. April 2009 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. Mai 2009 wurde ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

2        Mit Bescheid vom 7. August 2018 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Mitbeteiligten den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ab und stellte fest, dass ihm gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Unter einem wurde dem Mitbeteiligten der Status eines subsidiär Schutzberechtigten und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht gewährt (Spruchpunkte II. und III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), die Zulässigkeit der Abschiebung des Mitbeteiligten in den Kosovo festgestellt (Spruchpunkt V.), eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 14 Tagen eingeräumt (Spruchpunkt VI.) und ein Einreiseverbot in der Dauer von drei Jahren erlassen (Spruchpunkt VII.).

3        Mit Erkenntnis vom 4. März 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen gerichtete Beschwerde des Mitbeteiligten, soweit sie sich gegen Spruchpunkt I. des Bescheides richtete, als unbegründet ab (Spruchpunkt A.I.). Mit dem - damit verbundenen - Beschluss hob das BVwG die Spruchpunkte II. bis VII. des genannten Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück (Spruchpunkt A.II.). Die Revision erklärte das BVwG nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4        Zur Begründung des in Revision gezogenen Beschlusses (Spruchpunkt A.II.) führte das BVwG aus, das BFA habe es unterlassen, den für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten entscheidungswesentlichen Sachverhalt ausreichend zu ermitteln. Es wäre erforderlich gewesen, sich mit den vom Mitbeteiligten für den Fall einer Rückkehr in den Kosovo geäußerten Befürchtungen auseinanderzusetzen. Der Mitbeteiligte habe auch angegeben, Familienangehörige hätten im Verfahren vor dem „Haager Tribunal“ (Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien) gegen den nunmehrigen Ministerpräsidenten des Kosovo ausgesagt. Auch habe es das BFA unterlassen, Ermittlungen zum Familienleben des Mitbeteiligten in Österreich anzustellen und dazu seine Eltern zu befragen.

5        Gegen den mit dem Spruchpunkt A.II. der Entscheidung des BVwG ergangenen Beschluss (Aufhebung und Zurückverweisung hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis VII. des Bescheides vom 7. August 2018) richtet sich die Revision des BFA. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er die Zurückweisung bzw. Abweisung der Revision beantragte.

6        Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7        Das BFA macht zur Zulässigkeit und Begründung seiner Revision im Wesentlichen geltend, das BVwG sei von der (näher genannten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für Behebungen und Zurückverweisungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG abgewichen. Es treffe nicht zu, dass das BFA zu dem entscheidungswesentlichen Sachverhalt keine Ermittlungen durchgeführt habe.

8        Die Revision ist zulässig und berechtigt.

9        Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (vgl. grundlegend VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063; sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 26.3.2019, Ra 2018/19/0556).

10       Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 2.9.2019, Ra 2019/01/0086, mwN).

11       Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. etwa VwGH 26.2.2020, Ra 2019/20/0409, mwN).

12       Im vorliegenden Fall brachte der Mitbeteiligte in seiner Einvernahme vor dem BFA vor, er befürchte bei der Rückkehr in den Kosovo, Opfer von Blutrache zu werden. Er kenne den Grund der Blutrache, durch den seine Familie bedroht sei, nicht. Familienmitglieder seien jedoch ermordet worden. Mit diesem Vorbringen setzte sich des BFA in seinem Bescheid vom 7. August 2018 auseinander, verneinte jedoch das Bestehen einer Gefahr für den Mitbeteiligten. Dazu stützte es sich auf eine im Akt befindliche Anfrage an die Staatendokumentation, die in einem Verfahren betreffend einen Bruder des Mitbeteiligten eingeholt worden war und konkret die Familie des Mitbeteiligten, die Gefahr durch Blutrache, die Identität der Mörder der im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen im Kosovo im Jahr 1998 getöteten Großeltern des Mitbeteiligten und die Hintergründe der Morde betraf.

13       Es trifft daher nicht zu, dass das BFA zum Vorbringen des Mitbeteiligten jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hätte. Der Umstand, dass das BVwG allenfalls der Beweiswürdigung des BFA nicht beitritt, rechtfertigt für sich nicht die Annahme, es lägen gravierende Ermittlungslücken im behördlichen Verfahren vor, die eine Entscheidung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu tragen vermöchten. Allenfalls aus Sicht des BVwG ausstehende ergänzende Ermittlungen zu diesem Vorbringen sind durch dieses selbst vorzunehmen (vgl. VwGH 11.1.2019, Ra 2018/18/0363, mwN).

14       Erst in seiner Beschwerde brachte der Mitbeteiligte ergänzend vor, der Täter des Mordes an seinen Familienangehörigen sei der Premierminister des Kosovo gewesen. Der Premierminister sei vor dem „Haager Tribunal“ angeklagt, aber freigesprochen worden, wobei ein Onkel des Mitbeteiligten als Zeuge gegen ihn aufgetreten sei. Das Unterbleiben von Erhebungen zu diesem erst im Beschwerdeverfahren erstatteten Vorbringen kann dem BFA nicht vorgeworfen werden und kann - im Sinn der dargestellten Rechtsprechung - nicht zu einer Aufhebung und Zurückweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG führen (vgl. idS VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314).

15       In Hinblick auf die bei der Prüfung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG hat das BFA in seinem Bescheid - neben Feststellungen zu strafgerichtlichen Verurteilungen des Mitbeteiligten und dem Fehlen eines aus legaler Erwerbstätigkeit erzielten Einkommens - auch Feststellungen zu den Wohnverhältnissen des Mitbeteiligten und seinen in Österreich und dem Kosovo aufhältigen Familienangehörigen getroffen. Mit den Ausführungen des BVwG, wonach weitere Ermittlungen zum Bestehen eines Familienlebens des Mitbeteiligten in Österreich durchzuführen gewesen seien, werden gravierende Ermittlungslücken, die im dargestellten Sinn eine Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG tragen könnten, nicht dargestellt.

16       Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 7. Mai 2020

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190256.L00

Im RIS seit

13.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

13.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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