TE Vwgh Erkenntnis 2020/5/15 Ra 2019/05/0102

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Veröffentlicht am 15.05.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

VwGG §46 Abs1
VwGVG 2014 §33 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bayjones und den Hofrat Dr. Moritz sowie die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wölfl, über die Revision der B S in R, vertreten durch Dr. Roland Menschick, Rechtsanwalt in 4070 Eferding, Stadtplatz 1, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 9. Mai 2019, LVwG-151987/12/DM/KGr, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Marktgemeinde R; weitere Partei: Oberösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Marktgemeinde R hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde R. vom 4. Oktober 2018 wurde der Revisionswerberin die Beseitigung eines näher genannten Bauwerkes aufgetragen.

2        Die Rechtsmittelbelehrung dieses Bescheides lautet:

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Gegen diesen Bescheid können Sie binnen vier Wochen nach Zustellung Beschwerde an das Verwaltungsgericht erheben. Falls Sie innerhalb der Beschwerdefrist einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe stellen, beginnt die Beschwerdefrist erst mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Beschluss über die Bestellung der Rechtsanwältin bzw des Rechtsanwalts zur Vertreterin bzw. zum Vertreter und der anzufechtende Bescheid dieser bzw diesem zugestellt sind. Wird der rechtzeitig gestellte Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen, beginnt die Beschwerdefrist erst mit der Zustellung des abweisenden Beschlusses an Sie zu laufen.

Die Beschwerde ist schriftlich beim Gemeindeamt einzubringen und hat zu enthalten:

1.   die Bezeichnung des angefochtenen Bescheides,

2.   die Bezeichnung der belangten Behörde (bescheiderlassende Behörde)

3.   die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt,

4.   das Begehren und

5.   die Angaben, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob die Beschwerde rechtzeitig eingebracht ist.

Sie haben das Recht, im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung zu beantragen.“

3        Mit Eingabe vom 5. November 2018 brachte die Revisionswerberin einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe für die Erhebung einer Beschwerde gegen den vorgenannten Bescheid beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) ein, welches diesen mit Beschluss vom 7. Dezember 2018 abwies.

4        Dieser Beschluss weist die folgende Belehrung auf:

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diese Entscheidung besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabengebühr von je 240 Euro zu entrichten. Sie haben die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden kann. Ein Verzicht ist schriftlich bekanntzugeben oder zu Protokoll zu erklären. Wurde der Verzicht nicht von einem berufsmäßigen Parteienvertreter oder im Beisein eines solchen abgegeben, so kann er binnen drei Tagen schriftlich oder zur Niederschrift widerrufen werden.“

5        Gegen den Beschluss vom 7. Dezember 2018 stellte die Revisionswerberin sowohl beim Verfassungsgerichtshof als auch beim Verwaltungsgerichtshof Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe, welche sowohl vom Verfassungsgerichtshof (Beschluss vom 13.2.2019, E 306/2019-4) als auch vom Verwaltungsgerichtshof (Beschluss vom 1.2.2019, Ra 2019/05/0035-2) abgewiesen wurden.

6        Mit Schriftsatz vom 8. März 2019 erhob die Revisionswerberin gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde R. vom 4. Oktober 2018 Beschwerde beim Verwaltungsgericht. Darin führte sie unter anderem aus, dass ihr der Beschluss vom 7. Dezember 2018 am 17. Dezember 2018 zugestellt worden sei.

7        In einer auf einen Verspätungsvorhalt vom 3. April 2019 erstatteten Stellungnahme vom 19. April 2019 brachte die Revisionswerberin im Wesentlichen vor, der Beseitigungsbescheid enthalte die „Rechtmittelbelehrung der Möglichkeit binnen 4 Wochen ab Zustellung beim Verwaltungsgericht Beschwerde einzubringen“. Ihres Wissens wäre die „nächste Instanz des Bürgermeisters der Gemeinderat mittels Berufung“. Am 18. Dezember 2018 sei um 11:11 Uhr ein Telefonat zwischen Mag. M. (Anmerkung: der bearbeitenden Richterin des Verwaltungsgerichtes) und dem Vater der Revisionswerberin erfolgt, in dem die Rechtsmitteleinbringung, die Fristsetzung und die möglichen Verfahrenshilfeanträge angesprochen worden seien. Nach dem Gespräch sei klar gewesen, dass die Revisionswerberin und ihr Vater die Rechtsmittelbelehrung des Bescheides des Bürgermeisters befolgen sollten und Verfahrenshilfeanträge, sowohl bezüglich der Bescheidbeschwerde, als auch gegen die Abweisung der Verfahrenshilfe bei den jeweiligen Gerichten gestellt werden könnten. Die vierwöchige Frist beginne mit der Abweisung der Verfahrenshilfe zu laufen. Die Revisionswerberin habe den Fristbeginn auf die Abweisung der Verfahrenshilfeanträge durch die Höchstgerichte und nicht auf jene durch das Verwaltungsgericht bezogen. Dies sei beim Telefonat missverstanden worden und gründe in der Verwirrung stiftenden Rechtsmittelbelehrung des Beseitigungsbescheides.

8        Unter einem brachte die Revisionswerberin mit Schriftsatz vom 19. April 2019 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein, in welchem sie unter anderem ausführte, die irrtümliche Annahme des falschen Datums als Fristbeginn ergebe sich aus der nicht korrekten Rechtsmittelbelehrung des Beseitigungsbescheides des Bürgermeisters der Gemeinde R. vom 4. Oktober 2018, zugestellt am 8. Oktober 2018, sowie aus dem darauffolgenden Telefonat am 18. Dezember 2018 zwischenMag. M. und dem Vater der Revisionswerberin. Laut Rechtsprechung liege ein minderer Grad des Versehens (§ 1332 ABGB) nur dann vor, wenn ein Fehler begangen werde, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch mache. Die Revisionswerberin weise auf die detaillierten Ausführungen der Stellungnahme zum Verspätungsvorhalt hin. Beim Telefonat am 18. Dezember 2018 seien mehrere Verfahrenshilfeanträge angesprochen und aufgeklärt worden, dass die vierwöchige Frist für die Einbringung der Bescheidbeschwerde mit Abweisung der Verfahrenshilfe zu laufen beginne. Dass sich dieser „Termin“ auf die Abweisung der Verfahrenshilfe des Verwaltungsgerichtes beziehe und nicht auf die auch besprochenen Abweisungen der Verfahrenshilfe durch den Verwaltungsgerichtshof und den Verfassungsgerichtshof, sei ein Fehler ihrerseits, der jedem rasch passieren könne. Auch einem sorgfältigen Durchschnittsmenschen hätte eine solche fehlerhafte Verwechslung im gegenständlichen Fall unterlaufen können.

9        Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde der Revisionswerberin als verspätet zurück (Spruchpunkt I.) und deren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab (Spruchpunkt II.). Die Revision erklärte es für unzulässig (Spruchpunkt III.).

10       Begründend führte das Verwaltungsgericht zur Zurückweisung der Beschwerde im Wesentlichen aus, die Beschwerdefrist habe gemäß § 8a Abs. 7 VwGVG mit der Zustellung des die Verfahrenshilfe abweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtes an die Revisionswerberin am Montag, dem 17. Dezember 2018, zu laufen begonnen. Die vierwöchige Beschwerdefrist habe daher am Montag, dem 14. Jänner 2019, geendet. Die erst am 8. März 2019 bei der belangten Behörde und beim Verwaltungsgericht eingelangte Beschwerde der Revisionswerberin sei somit offenkundig verspätet gewesen.

11       Der Umstand, dass die Revisionswerberin Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und einer außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes vom 7. Dezember 2018 gestellt habe, habe auf den Lauf der Beschwerdefrist keinen Einfluss gehabt. Dies ergebe sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 8a Abs. 7 zweiter Satz VwGVG. Darüber hinaus seien Entscheidungen der Verwaltungsgerichte mit ihrer Erlassung formell und materiell rechtskräftig. Dass noch die Frist zur Erhebung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof offen sei, ändere daran nichts. Auch vor diesem Hintergrund sei für die Revisionswerberin im Hinblick auf den Beginn der Beschwerdefrist § 8a Abs. 7 VwGVG maßgeblich. Die Zustellungen der Beschlüsse der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts würden nur Auswirkungen auf den Beginn der Fristen zur Ausführung der Rechtsmittel an diese haben. Jedenfalls sei durch die Zustellungen dieser Beschlüsse die Beschwerdefrist gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde R. vom 4. Oktober 2018 nicht neuerlich in Lauf gesetzt worden.

12       Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, die Revisionswerberin habe diesen rechtzeitig eingebracht und damit begründet, dass die Rechtsmittelbelehrung des Bescheides vom 4. Oktober 2018 nicht korrekt sei. Die Rechtsmittelbelehrung habe aber § 61 Abs. 1 AVG entsprochen, weshalb sie jedenfalls kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis für die Revisionswerberin im Sinne des § 33 Abs. 1 VwGVG darstelle.

13       Die Revisionswerberin habe in ihrem Wiedereinsetzungsantrag eingeräumt, dass die irrtümliche Annahme des falschen Datums als Fristbeginn auf einem Fehler ihrerseits beruhe, der auch einem sorgfältigen Durchschnittsmenschen unterlaufen könne.

14       Die Revisionswerberin treffe allerdings ein Verschulden, das den minderen Grad des Versehens übersteige. Um Termine und Fristen im Verkehr mit Gerichten und Behörden einhalten zu können, müsse einer einschreitenden (rechtsmittelwerbenden) Partei auch bekannt sein, welche Fristen einzuhalten seien. Der Verwaltungsgerichtshof habe bereits wiederholt ausgesprochen, dass es der Wiedereinsetzungswerberin im Rahmen der sie als „ordentliche Prozesspartei“ treffenden Sorgfaltspflicht obliege, sich bei geeigneten Stellen diesbezüglich zu erkundigen und Gewissheit zu verschaffen. Darüber hinaus habe der Verwaltungsgerichtshof eine der Wiedereinsetzung entgegen stehende auffallende Sorglosigkeit angenommen, wenn die Rechtsunkenntnis beziehungsweise der Rechtsirrtum durch die aufmerksame Lektüre des Bescheides, und zwar nicht nur des Spruches, sondern insbesondere auch seiner Rechtsmittelbelehrung, hätte vermieden werden können.

15       Dem Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde R. vom 4. Oktober 2018 sei der Beginn des Fristenlaufes zur Einbringung einer Beschwerde an das Verwaltungsgericht unzweifelhaft zu entnehmen. Dies insbesondere auch für den Fall, dass der Rechtsmittelwerber einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe stelle. Es könne somit nicht mehr von einem bloß minderen Grad des Versehens der Revisionswerberin gesprochen werden.

16       Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

17       Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

18       Die Revision erweist sich in Anbetracht der Frage des Vorliegens eines Begründungsmangels als zulässig.

19       In der Revision wird im Wesentlichen ausgeführt, das Verwaltungsgericht sei nicht auf die Begründung der Revisionswerberin in ihrem Wiedereinsetzungsantrag eingegangen. Darin werde ausdrücklich ein Telefonat am 18. Dezember 2018 zwischen dem Vater der Revisionswerberin und der mit der Rechtssache betrauten Richterin am Verwaltungsgericht thematisiert. Dabei seien mehrere Verfahrenshilfeanträge erörtert worden, wobei der Vater der Revisionswerberin aufgeklärt worden sei, dass die vierwöchige Frist für die Einbringung der Bescheidbeschwerde „mit Abweisung der Verfahrenshilfe“ zu laufen beginne. Dass sich dies auf die Abweisung der Verfahrenshilfe durch das Verwaltungsgericht beziehe und nicht auf die ebenso besprochenen Abweisungen der Verfahrenshilfeanträge durch den Verwaltungsgerichtshof und den Verfassungsgerichtshof - diese seien bei der Revisionswerberin am 12. Februar 2019 beziehungsweise am 19. Februar 2019 eingelangt -, habe die Revisionswerberin als Fehler ihrerseits anerkannt, der aber jedem passieren könne, auch einem sorgfältigen Durchschnittsmenschen könne eine solche fehlerhafte Verwechslung unterlaufen. Aufgrund dieses Versehens habe die Revisionswerberin die Bescheidbeschwerde erst am 8. März 2019 eingebracht. Darauf habe sie ihren Wiedereinsetzungsantrag vom 19. April 2019 gestützt.

20       Die Unterlassung der Einholung von Informationen bei einer Behörde habe der Verwaltungsgerichtshof als auffallende Sorglosigkeit angesehen. Gerade dies sei hier aber nicht der Fall gewesen, weil die Revisionswerberin Erkundigungen bei der zuständigen Richterin eingeholt habe. Auch sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der Revisionswerberin um eine nicht rechtskundige Partei handle, bei der ein nicht so strenger Maßstab anzulegen sei wie bei rechtkundigen Parteien.

21       Weiters sei die Rechtsmittelbelehrung im Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde R. vom 4. Oktober 2018 nicht korrekt beziehungsweise vollständig, weil sie nicht konkretisiere, was mit „Zustellung des abweisenden Beschlusses“ gemeint sei. Die Rechtsmittelbelehrung hätte differenzieren müssen zwischen dem abweisenden Beschluss des Verwaltungsgerichtes im Falle eines Antrages auf Zuerkennung der Verfahrenshilfe einerseits und einem abweisenden Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes für den Fall der Abweisung einer Revision (gemeint wohl: eines Verfahrenshilfeantrages zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision) gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichtes. Eine solche Differenzierung sei aber in der Rechtsmittelbelehrung des Bescheides vom 4. Oktober 2018 nicht enthalten. Damit habe man die Revisionswerberin im Unklaren gelassen. Die Rechtsmittelbelehrung sei zumindest irreführend und missverständlich.

22       Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand maßgeblich, ob sich die Rechtsmittelbelehrung für einen juristischen Laien beziehungsweise eine mit den Verwaltungsvorschriften nicht so vertraute Person als irreführend darstelle. Für die Revisionswerberin als Laiin in rechtlichen Angelegenheiten habe diese Rechtsmittelbelehrung sehr wohl so verstanden werden können, dass maßgeblich für den Beginn des Fristenlaufes der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes sei, den sie im Zusammenhang mit der Abweisung des Verfahrenshilfeantrages angerufen habe. Die Bescheidbeschwerde wäre, würde man von einem Fristbeginn am Tag der Zustellung des negativen Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes ausgehen, rechtzeitig gewesen.

23       Auch die Rechtsmittelbelehrung des abweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtes vom 7. Dezember 2018 sei unvollständig, weil die Revisionswerberin im Rahmen dieser Rechtsmittelbelehrung darauf hinzuweisen gewesen wäre, dass mit der Zustellung dieses abweisenden Beschlusses der Fristenlauf beginne. Derlei Hinweise beziehungsweise Rechtsbelehrungen fänden sich aber darin nicht.

24       § 61 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:

§ 61. (1) Die Rechtsmittelbelehrung hat anzugeben, ob gegen den Bescheid ein Rechtsmittel erhoben werden kann, bejahendenfalls welchen Inhalt und welche Form dieses Rechtsmittel haben muss und bei welcher Behörde und innerhalb welcher Frist es einzubringen ist.

...“

25       § 8a Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2017, lautet auszugsweise:

Verfahrenshilfe

§ 8a. ...

(7) Hat die Partei innerhalb der Beschwerdefrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt, so beginnt für sie die Beschwerdefrist mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Beschluss über die Bestellung des Rechtsanwalts zum Vertreter und der anzufechtende Bescheid diesem zugestellt sind. Wird der rechtzeitig gestellte Antrag abgewiesen, so beginnt die Beschwerdefrist mit der Zustellung des abweisenden Beschlusses an die Partei zu laufen. ...

...“

26       § 30 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2017, lautet:

Belehrung über die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und die Revision beim Verwaltungsgerichtshof

§ 30. Jedes Erkenntnis hat eine Belehrung über die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und einer ordentlichen oder außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof zu enthalten. Das Verwaltungsgericht hat ferner hinzuweisen:

1.   auf die bei der Einbringung einer solchen Beschwerde bzw. Revision einzuhaltenden Fristen;

2.   auf die gesetzlichen Erfordernisse der Einbringung einer solchen Beschwerde bzw. Revision durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt;

3.   auf die für eine solche Beschwerde bzw. Revision zu entrichtenden Eingabengebühren;

4.   auf die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten, und die Folgen des Verzichts.“

Gemäß § 31 Abs. 3 VwGVG gilt u.a. § 30 VwGVG sinngemäß auch für Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes.

27       § 33 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2017, lautet auszugsweise:

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

§ 33. (1) Wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

...“

28       Vorab ist festzuhalten, dass die Rechtsmittelbelehrung des Bescheides vom 4. Oktober 2018 den Anforderungen des § 61 Abs. 1 AVG entspricht und einen inhaltlich richtigen Hinweis auf die Regelung des § 8a Abs. 7 VwGVG enthalten hat. Eine Konkretisierung, wie sie von der Revisionswerberin vermisst wird, ist gesetzlich nicht vorgesehen. Ein tauglicher Wiedereinsetzungsgrund wird damit nicht dargelegt.

29       Weiters entspricht die „Rechtsmittelbelehrung“ des Beschlusses des Verwaltungsgerichtes vom 7. Dezember 2018 den Anforderungen des § 30 VwGVG (vgl. zu dessen alleiniger Maßgeblichkeit für die Belehrung durch das Verwaltungsgericht VwGH 26.6.2014, Ro 2014/10/0068). Ein ausdrücklicher Hinweis auf die fristauslösende Wirkung der Zustellung dieses Beschlusses gemäß § 8a Abs. 7 VwGVG ist nach dem Wortlaut des § 30 VwGVG nicht erforderlich. Ein tauglicher Wiedereinsetzungsgrund wird damit - abgesehen davon, dass ein Nachbringen von Wiedereinsetzungsgründen nach Ablauf der gesetzlichen Frist nicht in Betracht kommt (vgl. VwGH 17.3.2015, Ra 2014/01/0134, mwN) - nicht dargelegt.

30       Im vorliegenden Fall ist das „Ereignis“, welches die Revisionswerberin nach ihrem Vorbringen an der Einhaltung der Beschwerdefrist hinderte, in dem Irrtum gelegen, die Bescheidbeschwerdefrist beginne erst mit Zustellung des die Verfahrenshilfe abweisenden Beschlusses durch den Verwaltungs- beziehungsweise Verfassungsgerichtshof zu laufen.

31       Mangelnde Rechtskenntnis oder ein Rechtsirrtum kann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellen, welches eine Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen kann. Wird ein solcher Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht, ist im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob die Partei an der Unkenntnis der Rechtslage bzw. am Rechtsirrtum ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden trifft (vgl. VwGH 25.9.2019, Ra 2019/19/0199, mwN). Hierbei darf der Wiedereinsetzungswerber nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben (vgl. VwGH 11.9.2013, 2013/02/0152, mwN).

32       Die eine „ordentliche Prozesspartei“ treffende Sorgfaltspflicht schließt eine Informationspflicht über die Einbringungsfristen generell mit ein; dies gilt auch für unvertretene, rechtsunkundige Parteien (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2017/05/0296, mwN).

33       Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass zwar ein Rechtsirrtum über den Beginn des Fristenlaufes der Bescheidbeschwerdefrist vorliege, die Revisionswerberin jedoch ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden treffe. Bei der Beurteilung des Verschuldensgrades hat es sich darauf gestützt, dass aufgrund der rechtsrichtigen und den Beginn des Fristenlaufes unzweifelhaft enthaltenden Rechtsmittelbelehrung des Bescheides des Bürgermeisters der Marktgemeinde R. vom 4. Oktober 2018 eine der Wiedereinsetzung entgegenstehende auffallende Sorglosigkeit der Revisionswerberin gegeben sei.

34       Die Revisionswerberin hat allerdings in ihrer Stellungnahme vom 19. April 2019, auf die sie in ihrem Wiedereinsetzungsantrag ausdrücklich verwiesen hat, darauf hingewiesen, dass sich ihr Irrtum auch aus dem Telefonat vom 18. Dezember 2018 ergeben habe; weiters hat sie in ihrem Wiedereinsetzungsantrag vom 19. April 2019 vorgebracht, dass sie sich um die Einholung von Informationen hinsichtlich der Frist zur Erhebung einer Bescheidbeschwerde, nämlich mittels (vom Vater der Revisionswerberin geführten) Telefonates mit der zuständigen Richterin des Verwaltungsgerichtes, bemüht habe (vgl. zum Verwaltungsgericht als eine für Rechtsauskünfte zuständige Stelle VwGH 20.10.2015, Ra 2015/18/0190).

35       Eine für die Beurteilung des Verschuldens notwendige Auseinandersetzung mit dem Vorbringen hinsichtlich des Telefonates fehlt in der Begründung des angefochtenen Beschlusses. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Verwaltungsgericht bei Berücksichtigung dieses Vorbringens zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können.

36       Der angefochtene Beschluss war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

37       Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013, in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer in den Pauschalbeträgen der genannten Verordnung bereits berücksichtigt ist.

Wien, am 15. Mai 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019050102.L01

Im RIS seit

08.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

14.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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