TE Vwgh Erkenntnis 2020/5/18 Ra 2018/15/0090

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Veröffentlicht am 18.05.2020
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

BAO §21
EStG 1988 §19
EStG 1988 §27 Abs1 Z4

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):Ra 2018/15/0095 E 18.05.2020

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des M T in S, vertreten durch Dr. Michael Kotschnigg, Steuerberater in 1220 Wien, Stadlauer Straße 39/1/Top 12, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 4. April 2017, Zl. RV/2100778/2014, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2006 bis 2008 sowie Einkommensteuer 2006 bis 2008, zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Anlässlich einer Außenprüfung wurde festgestellt, dass der Revisionswerber im Rahmen der so genannten "Barschiene" Geld bei X veranlagt habe, wofür ihm ein monatlicher Ertrag von rund 1% versprochen worden sei. Die genaue Höhe des Ertrags habe sich am Index der börsennotierten M-Wertpapiere orientiert. Mit der Geldhingabe sei dem Revisionswerber zunächst eine Übernahmebestätigung, ab dem Jahr 2008 jeweils ein Treuhandvertrag ausgehändigt worden. Darin sei dem Revisionswerber zugesichert worden, dass X den vom Revisionswerber hingegebenen Betrag in Substanzgenussscheinen der M AG veranlagen werde. X habe angegeben, über 12.000 Genussscheine der M AG zu verfügen und die Anleger an diesen partizipieren zu lassen, wobei er ihnen eine Kapitalgarantie zugesichert habe.

2 Dieses "Veranlagungsmodell" habe von 1995 bis Oktober 2008 funktioniert, weil von den Neuanlegern stets so viel Geld eingezahlt worden sei, dass die Auszahlung an bestehende Kunden erfolgen und X darüber hinaus Lebenshaltungskosten in erheblicher Höhe habe finanzieren können. Über die Entwicklung der Kapitalstände sowie über die Höhe der Erträge seien die Anleger durch monatliche Mitteilungen informiert worden. Die Vorteile dieser Direktveranlagung bei X hätten für die Anleger darin bestanden, dass sie jederzeit Geld in beliebiger Höhe hätten einzahlen bzw. sich auszahlen lassen können, ohne an den Tageskurs der M-Zertifikate gebunden zu sein, dass die Bezahlung des Ausgabeagios von 7% entfallen sei und dass die Anleger jederzeit hätten wählen können, ob sie sich die monatlichen Erträge von rund 1% auszahlen lassen oder diese weiter veranlagen. 3 Am 12. Mai 2010 sei über das Vermögen des X ein Konkursverfahren eröffnet worden, in dem der Revisionswerber und seine Ehefrau Forderungen von jeweils 266.559,07 EUR angemeldet hätten, welche vom Masseverwalter auch anerkannt worden seien. Diese Forderungen beinhalteten die bei X zuletzt veranlagten Beträge aus zwei Treuhandaufträgen sowie die in der Zeit von 1. August 2008 bis 11. Mai 2010 entstandenen Zinsen und Spesen iHv 33.298,14 EUR.

4 Nach Auskunft einer Angestellten des X hätten sich die Anleger Teilbeträge in beliebiger Höhe auszahlen lassen können. Die Auszahlungen seien von den eingezahlten Beträgen inklusive der Wertsteigerung abgezogen worden und in der Folge sei ein neuer Treuhandauftrag mit dem Datum der Auszahlung und dem neuen Betrag ausgestellt worden. Diese Auszahlungen seien bis Mitte Oktober 2008 erfolgt. Ob auch der Revisionswerber und dessen Ehefrau Auszahlungen erhalten hätten, sei der Angestellten nicht bekannt. Der Revisionswerber habe angegeben, nur einmal im Frühjahr 2008 anlässlich eines Autokaufs eine Auszahlung von rund 20.000 EUR von X verlangt zu haben. Darüber hinaus gebe es aber Hinweise darauf, dass ein weiterer Betrag iHv 29.987,60 EUR an die Ehegatten anlässlich des Autokaufs ausbezahlt worden sei. 5 Bei der Veranlagung der vom Revisionswerber und seiner Ehefrau übergebenen Geldbeträge habe es sich um ein darlehensähnliches Geschäft gehandelt, bei dem die Anleger jederzeit frei wählbare Beträge hätten einzahlen oder sich auszahlen lassen können. Für die Anleger seien keine Genussscheine erworben worden, sondern es sei vereinbart worden, dass sie an den Erträgen der sich (angeblich) im Privatbesitz des X befindlichen Genussscheine der M AG partizipieren sollen. Bei den den Anlegern ausbezahlten oder gutgeschriebenen Erträgen habe es sich daher nicht um Wertsteigerungen irgendwelcher Wertpapiere gehandelt, sondern um Zinsen für die Hingabe der Geldbeträge. Der Zufluss der Zinsen sei im Zeitpunkt der Auszahlung bzw. im Zeitpunkt des freiwilligen Verzichts auf deren sofortige Auszahlung erfolgt. Da der Revisionswerber und seine Ehefrau weder Aufzeichnungen über die Einzahlungen noch über die erhaltenen bzw. gutgeschriebenen Erträge hätten vorlegen können, seien die Zinsen gemäß § 184 BAO zu schätzen. Der Schätzung werde nur die im Jahr 2005 geleistete Einmalzahlung von 200.000 EUR zu Grunde gelegt. Für die Berechnung der Höhe der monatlichen Zinsen sei - wie vereinbart - der veröffentlichte M Index heranzuziehen. Daraus errechneten sich Zinsen iHv 33.393,01 EUR (2006), 36.466,08 EUR (2007) und 30.650,17 EUR (2008).

6 Das Finanzamt folgte den Feststellungen der Prüferin und erließ nach Wiederaufnahme der Verfahren geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2006 bis 2008, in denen die Einkünfte aus Kapitalvermögen in der genannten Höhe angesetzt wurden.

7 In den dagegen erhobenen Berufungen wurde den Prüfungsfeststellungen im Wesentlichen mit der Begründung entgegengetreten, der Revisionswerber habe bei X Geld in M Genussscheinen veranlagt. Die Veranlagung sei treuhändig erfolgt und darüber Treuhandaufträge ausgestellt worden, die wie folgt gelautet hätten:

"Herr (...) und Frau (...) im folgenden ‚Treugeber' genannt, erteilen hiemit einen Treuhandauftrag an (X) in unserem Namen den Betrag von EUR 336.820, den wir (X) treuhändig überlassen haben bei der (M AG) zur Veranlagung von Substanzgenussscheinen entgegen zu nehmen.

(X) erhält den Auftrag die Veranlagung durchzuführen und im Sinne des Treuhandauftrages über die Veranlagung regelmäßig zu berichten und alles zu tun und nichts zu unterlassen um die bestmögliche Veranlagung bei der genannten Aktiengesellschaft zu erwirken. Im Falle des Wunsches des Kunden verpflichtet sich (X) binnen 10 Tagen den Substanzgenussschein einzulösen und das Realisat zum jeweiligen Tageskurs dem Treugeber auszuzahlen."

8 Die Abgabenbehörde ignoriere diese Treuhandverträge und den darin formulierten Willen der Vertragsparteien und erblicke in der Veranlagung ein darlehensähnliches Geschäft. Ein im Wirtschaftsleben übliches Rechtsgeschäft (Treuhandschaft) werde in ein unter Fremden völlig unübliches Privatdarlehen umgedeutet. So wäre es unüblich, dass der Darlehensnehmer den Zinssatz festlege, der Kredit endfällig mit jederzeitiger Kündigungsmöglichkeit durch den Darlehensgeber sei, während der Darlehensnehmer keine Kündigungsmöglichkeit, ja nicht einmal eine Rückzahlungsmöglichkeit habe, die Tagesverfassung des Darlehensgebers entscheide, ob Zinsen, über deren Höhe ausschließlich der Darlehensnehmer entscheide, auszuzahlen seien oder den Darlehensbetrag erhöhen sollten, eine Laufzeit fehle etc. Derartige Kredite würden von der Finanzverwaltung im Verhältnis Gesellschaft zu Gesellschafter-Geschäftsführer zu Recht nicht anerkannt.

9 In seiner abweisenden Beschwerdevorentscheidung hielt das Finanzamt fest, es gehe davon aus, dass X eine Wertsteigerung der Genussscheine von rund 1% pro Monat garantiert und einen Rückkauf zugesichert habe. Die Kunden der "Barschiene" hätten "ihre Genussscheinanteile" nur an X persönlich zurückverkaufen können. Eingehende Zahlungen habe X dafür verwendet, andere Kunden durch Rückzahlungen bzw. Zinsauszahlungen zu befriedigen. Der Revisionswerber habe nie einen Genussschein ausgehändigt bekommen. Der Wille des Revisionswerbers sei immer nur auf eine äußerst lukrative, sonst am Finanzmarkt nicht zu erreichende Verzinsung seines Investments ausgerichtet gewesen. Es habe daher zwischen X und dem Revisionswerber von Anfang an Konsens bestanden, die Gelder mit einem besonders lukrativen Zinssatz zu veranlagen. Jedenfalls habe es einem verständigen Anleger klar sein müssen, dass diese Veranlagung von Barbeträgen nichts mit dem Erwerb von Genussscheinen zu tun habe, weil diese immer mit ihrem aktuellen Wert gehandelt würden, weshalb der Einsatz eines beliebigen Geldbetrages undenkbar sei. Dieselben Überlegungen würden auch für deren Verkauf gelten. Ebenso sei eine monatliche Auszahlung von Wertsteigerungen undenkbar. Basis für die Nichtanerkennung der Treuhandverträge sei die tatsächlich gelebte Praxis sowie der wahre wirtschaftliche Gehalt der Veranlagung.

10 In seinem Vorlageantrag widersprach der Revisionswerber dieser Beurteilung. Die Unterstellung eines Darlehensvertrages widerspreche der allgemeinen Lebenserfahrung. In (näher bezeichneten) zivilgerichtlichen Verfahren anderer Anleger, habe das Gericht festgestellt, dass der Anleger überzeugt gewesen sei, bei der als überaus erfolgreich dargestellten M AG und nicht bei X direkt zu investieren. X habe den Anleger getäuscht und vorgegeben, für ihn M Genussscheine zu erwerben bzw. ihn an seinen Genussscheinen zu beteiligen. Auch der Revisionswerber habe davon ausgehen können, M Genussscheine zu erwerben. Es habe sich nicht um eine Direktveranlagung bei X und schon gar nicht um ein darlehensähnliches Geschäft gehandelt. Weiters wies der Revisionswerber darauf hin, dass zwischenzeitig auch der OGH über den "M Index" entschieden habe. Im Urteil vom 30. Oktober 2014, 8 Ob 28/14x, habe der OGH diesen Index als reines Fantasieprodukt bezeichnet, das zum Wesenselement des Betrugssystems gehört habe. Das Versprechen des Verkäufers, die Anlage zu einem - in Wahrheit -

irrealen Preis zurückzukaufen, sei ein unverzichtbares Element der Täuschungshandlung gewesen, welches der Beschaffung weiterer Geldmittel für die "Loch auf Loch zu Strategie" gedient habe. Die von der Abgabenbehörde angenommene Verzinsung eines Darlehens werde vom OGH somit verneint. Auch das Landesgericht Klagenfurt habe zu 29 Cg 1/10f festgestellt, dass es für den (klagenden) Anleger klar gewesen sei, dass er nicht bei X, sondern bei der M AG veranlage. X habe sich verpflichtet, den übergebenen Investitionsbetrag in Substanzgenussscheinen der M AG zu veranlagen. Auf Grund dieses (nicht den Revisionswerber betreffenden) Urteils sei die zunächst bestrittene Forderung des Revisionswerbers im Insolvenzverfahren der M AG anerkannt worden. Die Anerkennung der Forderungsanmeldung erteile dem "Darlehenskonstrukt" der Behörde eine deutliche Absage. 11 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht (BFG) die Beschwerde ab.

12 Das BFG nahm es als erwiesen an, dass die Kunden des Finanzberaters zwischen zwei Arten von Kapitalanlagen hätten wählen können, einerseits dem Erwerb von börsennotierten Substanzgenussscheinen der M AG, bei dem den Anlegern M-Zertifikate übergeben worden seien, andererseits der Veranlagung in der so genannten "Barschiene", bei der die Anleger Bargeld an X übergeben und im Gegenzug dafür in den ersten Jahren Übernahmebestätigungen und ab dem Jahr 2008 Treuhandverträge erhalten hätten. Die Veranlagung im Rahmen der "Barschiene" sei nur ausgewählten Kunden des X (Verwandten, Freunden, sehr guten Bekannten) angeboten worden. Bei dieser Form der Veranlagung hätten jederzeit Gelder in beliebiger Höhe eingezahlt, aber auch wieder herausgenommen werden können. Die Erträge hätten sich an den Erträgen orientiert, die die Substanzgenussscheine der M AG erbracht hätten, was einem durchschnittlichen Ertrag von 1% (monatlich) entsprochen hätte. Hinsichtlich dieser Erträge hätten die Anleger jederzeit wählen können, ob sie sich diese in bar auszahlen lassen oder sie weiter veranlagen. Über die Höhe ihrer Erträge hätten die Anleger von X monatliche Mitteilungen erhalten. Dieses Veranlagungskonzept hätte vom Jahr 1995 bis Oktober 2008 funktioniert, weil von Neuanlegern stets so viel Geld eingezahlt worden sei, dass die Auszahlung an bestehende Kunden habe erfolgen können.

13 Der Revisionswerber und seine Ehefrau hätten Geld im Rahmen der "Barschiene" veranlagt, wobei sie sich die Erträge nicht hätten auszahlen lassen. X habe - entgegen dem vom Revisionswerber vorgelegten Treuhandvertrag - keine Substanzgenussscheine erworben. Er habe auch nicht die behaupteten 12.000 Genussscheine besessen, an denen er die Anleger zu beteiligen versprochen habe. Dem Revisionswerber bzw. seiner Ehefrau seien daher weder auf ihren Namen noch auf den Namen des X lautende Genussscheine jemals ausgehändigt worden. Die Eheleute hätten im Jahr 2008 zuletzt zwei "Treuhandaufträge besessen", deren "Guthaben" ihnen je zur Hälfte zuzurechnen sei. Bei jeder Ein- oder Auszahlung sei ein neuer Treuhandauftrag ausgestellt worden. Der Revisionswerber habe jeweils nur die zuletzt ausgestellte Übernahmebestätigung bzw. den zuletzt ausgestellten Treuhandauftrag aufbewahrt. Über die Höhe des Kapitalstandes und des jeweils erzielten Ertrages, der sich am Ertrag der Substanzgenussscheine der M AG orientiert habe, habe der Revisionswerber monatliche Mitteilungen erhalten. Diese Erträge hätten in den Einkommensteuererklärungen der Jahre 2006 bis 2008 keinen Niederschlag gefunden, weil der Revisionswerber die Ansicht vertrete, dass diesbezüglich keine Steuerpflicht bestehe.

14 Im Mai 2010 sei das Konkursverfahren über das Vermögen des X eröffnet worden. In diesem Verfahren seien die angemeldeten Forderungen der Eheleute vom Masseverwalter anerkannt worden. Bereits ab Oktober 2008 seien von X keine Zahlungen an die Anleger geleistet worden. X sei mittlerweile zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden.

15 In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das BFG die Ansicht, nach § 21 Abs. 1 BAO sei nicht entscheidend, was in den Treuhandverträgen vereinbart worden sei, sondern welcher Sachverhalt tatsächlich verwirklicht worden sei. Unstrittig sei, dass der Revisionswerber nie Substanzgenussscheine ausgehändigt erhalten habe. Wie das Landesgericht Leoben festgestellt habe, habe X nicht einmal die behaupteten rund 12.000 Genussscheine selbst besessen, an deren Ertrag er die Anleger der "Barschiene" zu beteiligen vorgegeben habe. Ob die Anleger der "Barschiene", wie im Verfahren vor dem Landesgericht Klagenfurt ausgeführt worden sei, geglaubt hätten, nicht bei X direkt, sondern bei der M AG zu veranlagen und damit werthaltige Genussscheine zu erwerben, sei für das vorliegende Abgabenverfahren nicht relevant, weil in Abgabensachen nur der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt der Besteuerung zu Grunde zu legen sei. 16 Da die Abgabenbehörde erst nach Erlassung der Einkommensteuerbescheide für 2006 bis 2008 festgestellt habe, dass bzw. in welcher Höhe der Revisionswerber Geld bei X im Rahmen der so genannten "Barschiene" veranlagt habe, würden zweifelsfrei neue Tatsachen iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO vorliegen.

17 Die ordentliche Revision ließ das BFG mit der Begründung nicht zu, dass der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde eines anderen Anlegers der so genannten "Barschiene" mit Beschluss vom 22. Mai 2014, 2012/15/0079, abgelehnt habe. 18 Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss vom 26. Juni 2018, E 811-1912/2017-12, hat der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und sie zur Entscheidung dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

19 In der sodann erhobenen außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit u.a. vorgebracht, das angefochtene Erkenntnis leide zumindest an einem sekundären Feststellungsmangel. Es sei grundlegend verfehlt, dem Parteiwillen jegliche Bedeutung im Bereich des Abgabenrechts abzusprechen (Hinweis auf VwGH 31.1.2018, Ra 2016/15/0014). Das Steuerrecht knüpfe sehr wohl an das Zivilrecht an. Zunächst sei der zivilrechtliche Zustand zu erforschen, um sodann die "Übersetzung" ins "wirtschaftlichsteuerliche" vorzunehmen (§ 21 BAO). Selbst wenn man dem BFG zugestehen könnte, dass es sich bei der (behaupteten) Wertsteigerung in Wirklichkeit um eine verkappte Verzinsung gehandelt hätte, hätte es zumindest einer Beschäftigung mit dem Genussscheinmodell bedurft, die aber nicht vorgenommen worden sei, weil es sich nach Ansicht des BFG um ein Privatdarlehen des X gehandelt hätte, dessen Verzinsung sich an der Wertsteigerung der Genussscheine orientiert habe, was völlig wirklichkeitsfremd sei.

20 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen:

21 Die Revision ist zulässig, zumal die Frage der möglichen Besteuerung der Einkünfte gar nicht Streitpunkt jener Beschwerde war, dessen Behandlung vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 22. Mai 2014, 2012/15/0079, abgelehnt wurde. Sie ist im Ergebnis auch begründet.

22 Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören nach § 27 Abs. 1 Z 4 EStG 1988 Zinsen und andere Erträgnisse aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art. Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen zählen somit alle Vermögensvermehrungen, die bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelt für eine Kapitalnutzung darstellen. Unerheblich ist es, ob der Überlassung von Kapital ein Darlehensvertrag oder ein anderer Titel zu Grunde liegt (vgl. zu Verzugszinsen VwGH 15.9.2016, Ra 2014/15/0018).

23 Einnahmen sind dann als zugeflossen anzusehen, wenn der Empfänger rechtlich und wirtschaftlich über sie verfügen kann. Der Gläubiger verfügt (auch dann) über einen Geldbetrag, wenn die Auszahlung des Geldbetrages auf Wunsch des Gläubigers verschoben wird, obwohl der Schuldner zahlungswillig und zahlungsfähig ist. Der Zufluss ist damit bereits in diesem Zeitpunkt (Fälligkeitstag) erfolgt. Ist eine Auszahlung grundsätzlich möglich, entscheidet sich der Gläubiger aber - wenn auch nach Überredung durch den Schuldner - die fälligen Erträge wieder zu veranlagen, so ist der Zufluss im Sinne des § 19 EStG 1988 durch die Verfügung der Wiederveranlagung in diesem Zeitpunkt erfolgt. Der wiederveranlagte Ertrag bildet eine neue Einkunftsquelle (oder einen Teil einer Einkunftsquelle), deren Untergang auf die Steuerpflicht früher zugeflossener Erträge steuerlich keine Auswirkung hat. Ein nachfolgender Verlust auch des neuerlich eingesetzten Kapitals ist steuerlich unbeachtlich (vgl. VwGH 6.7.2006, 2003/15/0128, mwN).

24 Der Revisionswerber macht geltend, das Bundesfinanzgericht habe es unterlassen, den Parteiwillen zu erforschen und in Verkennung der Rechtslage wesentliche Sachverhaltsfeststellungen unterlassen. Der Revisionswerber habe keine Zinsen erzielt. Der Auftrag zu einer bestimmten Veranlagung werde in ein Rechtsgeschäft umgedeutet, für dessen Vorliegen es keine Beweise gebe.

25 Dieser Vorwurf erweist sich im Ergebnis als berechtigt.

26 Das BFG hat zu den zwischen den Parteien getroffenen

Vereinbarungen und deren tatsächlicher Durchführung festgestellt, dass sich der Revisionswerber "die Erträge" nicht habe auszahlen lassen und die Treuhandaufträge nicht erfüllt worden seien. X habe weder die versprochenen Genussscheine für den Revisionswerber (seine Ehefrau) erworben noch selbst welche besessen. 27 Weiters wird auf den Prüfungsbericht verwiesen und dieser auszugsweise wiedergegeben. "Hinsichtlich der Erträge konnten die Anleger jederzeit wählen, ob sie sich diese in bar auszahlen lassen oder sie weiter veranlagen wollten. Über die Höhe der Erträge" hätten die Anleger monatliche Mitteilungen erhalten. Sodann wird auf ein zivilgerichtliches Urteil verwiesen und daraus die Feststellung zitiert, dass X eine "Wertsteigerung von rund 1% pro Monat garantiert" und eine Rückkaufgarantie zugesichert habe. 28 In seiner rechtlichen Beurteilung führt das BFG nach allgemeinen Rechtshinweisen aus, es sei nicht entscheidend, was in den vorgelegten Treuhandverträgen vereinbart worden sei, sondern welcher Sachverhalt tatsächlich verwirklicht worden sei. Es sei unbestritten, dass die Anleger im Rahmen der "Barschiene" monatliche Mitteilungen erhalten hätten, in denen "die von ihnen erzielten Erträge, die sich an den Wertsteigerungen der M Zertifikate von durchschnittlich rund 1% monatlich orientierten, ausgewiesen wurden". Da "diesen Erträgen" keine Genussscheine zu Grunde gelegen seien, hätte es sich bei den ausgewiesenen Wertsteigerungen nur um Einkünfte aus Kapitalvermögen iSd § 27 Abs. 1 Z 4 EStG 1988 handeln können.

29 Welche tragfähigen Feststellungen dafür sprächen, dass sich der Revisionswerber monatlich fällige "Wertsteigerungen" habe zusagen lassen, die er "wiederveranlagt" habe, ist dem angefochtenen Erkenntnis allerdings nicht zu entnehmen. Im Prüfungsbericht findet sich die Ablichtung einer jener monatlichen Mitteilungen, mit welcher der Revisionswerber und seine Ehefrau über die "Wertsteigerung" ihres Treuhandauftrages informiert wurden. Darin sind das Kaufdatum, die Kaufsumme, die Wertsteigerung (die "monatlichen Wertsteigerungen" offenbar summiert ab dem jeweiligen Kaufdatum, wobei in der Überschrift die aktuelle monatliche Wertsteigerung aufscheint), der Depotgewinn und der Depotwert ausgewiesen. Weiters wird im Prüfungsbericht die Aussage einer Mitarbeiterin des X wiedergegeben, wonach "sofern der Kunde nur einen Teilbetrag wollte, wurde dieser Betrag vom eingezahlten Betrag inkl. Wertsteigerungen abgezogen und ein neuer Trauhandauftrag mit dem Datum der Auszahlung mit dem nun neuen Betrag ausgefertigt". Eine monatlich fällige Verzinsung über die der Anleger durch Wiederveranlagung verfügt habe, ist daraus nicht ableitbar.

30 Lediglich für das Jahr 2008 wurden vom Prüfer Feststellungen über erfolgte Auszahlungen verbunden mit der Erteilung eines neuen Treuhandauftrages getroffen, die im Sinne der angeführten Vorjudikatur als Zufluss iSd des § 19 EStG 1988 beurteilt werden durften. Doch liegt auch der Schätzung der Einkünfte aus Kapitalvermögen für das Jahr 2008 offenkundig die Ansicht zu Grunde, dass bereits die bloße Mitteilung von "Depotgewinnen" zu einem Zufluss führt und - zu Gunsten des Revisionswerbers - "ohnehin" nur von einem Kapitaleinsatz von 200.000 EUR ausgegangen worden sei.

31 Somit geht auch die Schätzung der Einkünfte für das Jahr 2008 von einer unrichtigen Rechtsansicht aus, wobei nach der Lage des Falles nicht ohne Weiteres gesagt werden kann, dass sich dieser Umstand nur zu Gunsten des Revisionswerbers auswirken konnte. Das angefochtene Erkenntnis war daher zur Gänze wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

32 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14.

Wien, am 18. Mai 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018150090.L00

Im RIS seit

01.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

01.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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