TE Vwgh Erkenntnis 1998/3/19 95/15/0064

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Veröffentlicht am 19.03.1998
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
23/01 Konkursordnung;
23/02 Anfechtungsordnung Ausgleichsordnung;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

AusgleichsO §48;
AusgleichsO §53;
BAO §289;
BAO §4;
BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;
KO §151;
KO §156;
KO §224 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny sowie Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs und Dr. Zorn als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hajicek, über die Beschwerde des I in N, vertreten durch Mag. Helmut Gruber und Dr. Bernhard Wörgötter, Rechtsanwälte in St. Johann in Tirol, Kaiserstraße 7, gegen den Bescheid (inhaltlich: Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 8. Februar 1995, Zl. GA 7-1471/93, betreffend Haftung für Abgabenschuldigkeiten, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.950,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Haftungsbescheid vom 21. September 1993 nahm das Finanzamt Amstetten den Beschwerdeführer als Haftungspflichtigen gemäß §§ 9 und 80 BAO für die im Ausmaß von S 177.915,-- (darunter Umsatzsteuer für 9-12/1992 von S 106.622,50, Umsatzsteuer für 1991 von S 19.989,--, Lohnsteuer für 10-12/1992 von S 26.012,-- und Dienstgeberbeitrag für 10-12/1992 von S 15.688,--) aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der B.E.B. Gastronomie u. Handels GesmbH (in der Folge: GmbH) in Anpruch.

Der gegen diesen Bescheid vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid insoweit statt, als sie die Haftungsinanspruchnahme auf den Betrag von S 110.307,-- einschränkte. Begründend führte die belangte Behörde im wesentlichen folgendes aus:

Die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten bei der GmbH stehe auf Grund der Aufhebung des Konkurses über deren Vermögen nach rechtskräftiger Bestätigung des am 8. März 1994 abgeschlossenen Zwangsausgleiches mit Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten vom 21. Juli 1994 fest. Dem Beschwerdeführer, der "entsprechend den Eintragungen im Handelsregister vom 27. Juli 1988 und 17. November 1992" Geschäftsführer der GmbH gewesen sei, hätte es oblegen, die Gründe anzuführen, die ihn ohne sein Verschulden daran gehindert hätten, die ihn treffende Verpflichtung (zur Entrichtung der haftungsgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten) zu erfüllen, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden dürfe. Da es sich bei der Umsatzsteuer um eine mit den Preisen bereits vereinnahmte Abgabe handle, müsse der Beschwerdeführer bei korrekter Geschäftsführung ungeachtet wirtschaftlicher Schwierigkeiten der GmbH zur gänzlichen Abfuhr der Umsatzsteuer jedenfalls in der Lage gewesen sein. Hinsichtlich der haftungsgegenständlichen Lohnsteuer ergebe sich die schuldhafte Verletzung der Vertreterpflichten des Beschwerdeführers aus der Bestimmung des § 78 Abs. 3 EStG, wonach jede Zahlung voll vereinbarter Arbeitslöhne, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht auch für die darauf entfallende und einzubehaltende Lohnsteuer ausreichten, eine schuldhafte Verletzung der abgabenrechtlichen Vertreterpflichten darstelle. Daß für die Entrichtung der haftungsgegenständlichen Dienstgeberbeiträge zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen, Zuschläge zum Dienstgeberbeitrag, Vermögensteuer und Nebengebühren keine Mittel vorhanden gewesen wären, habe der Beschwerdeführer nicht behauptet. Aus näher angeführten Anhaltspunkten sei zu schließen, daß die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der GmbH möglich gewesen wäre. Aus der erfolgreichen Anfechtung einer Zahlung der GmbH an eine Kreditunternehmung durch den Masseverwalter ergebe sich, daß der Beschwerdeführer die Abgabenforderungen bei der Verfügung über die vorhandenen Mittel benachteiligt habe. Der Berufung sei jedoch insoweit stattzugeben gewesen, als von der GmbH zur Erfüllung des Zwangsausgleiches eine Quote von 38 % an die Gläubiger bezahlt worden sei. Auf Grund der schuldhaften Verletzung der Zahlungspflicht bezüglich der haftungsgegenständlichen Abgaben durch den Beschwerdeführer könne auch davon ausgegangen werden, daß die Pflichtverletzung Ursache für die Uneinbringlichkeit dieser Abgaben gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Die Beschwerde bringt unter anderem vor, daß der angefochtene Bescheid erst nach Erfüllung des die GmbH betreffenden Zwangsausgleiches erlassen worden sei, sodaß die haftungsgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten in dem mit diesem Bescheid aufrechterhaltenen Ausmaß untergegangen seien.

Dem hält die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift unter anderem entgegen, der Beschwerdeführer könne nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (zitiert wird das hg. zur WAO ergangene Erkenntnis vom 25. Juni 1990, Zl. 89/15/0106) auch nicht die durch den Zwangsausgleich bewirkte Befreiung des Primärschuldners von den haftungsgegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten für sich in Anspruch nehmen, weil er bereits durch die vor Annahme und Bestätigung des Zwangsausgleiches erfolgte Erlassung des Haftungsbescheides vom 21. September 1993 zum Gesamtschuldner geworden sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch in ständiger Rechtsprechung (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 20. November 1996, Zl. 93/15/0006, und vom 26. Juni 1996, Zl. 95/16/0077) zur BAO die Rechtsansicht vertreten, daß die Geltendmachung der Vertreterhaftung nach § 9 BAO nach rechtskräftiger Bestätigung des Ausgleiches bzw. Zwangsausgleiches und Entrichtung der Ausgleichsquote durch den Schuldner in dem die Quote übersteigenden Ausmaß beim Haftungspflichtigen unzulässig ist. Gemäß § 156 Abs. 1 KO wird durch den rechtskräftig bestätigten Ausgleich der Gemeinschuldner von der Verbindlichkeit befreit, seinen Gläubigern den Ausfall, den sie erleiden, nachträglich zu ersetzen oder für die sonst gewährte Begünstigung nachträglich aufzukommen, gleichviel ob sie am Konkursverfahren oder an der Abstimmung über den Ausgleich teilgenommen oder gegen den Ausgleich gestimmt haben oder ob ihnen ein Stimmrecht überhaupt nicht gewährt worden ist. Der rechtskräftig bestätigte Ausgleich führt zu einem teilweisen Erlöschen der Verbindlichkeit, der Schuldner braucht seinen Gläubigern den Ausfall, den sie erleiden, nachträglich nicht zu ersetzen. Auch im Falle einer Berufung gegen einen erstinstanzlichen Haftungsbescheid, bei dessen Erlassung diese Voraussetzung noch nicht gegeben war, hat die Berufungsbehörde die in der Zwischenzeit eingetretene Befreiung des Erstschuldners von den Verpflichtungen zu berücksichtigen; dies ergibt sich einerseits aus dem Umstand, daß die Abgabenbehörde zweiter Instanz bei einer meritorischen Entscheidung gemäß § 289 Abs. 2 BAO berechtigt (und verpflichtet) ist, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde erster Instanz zu setzen, wobei jedenfalls im gegebenen Zusammenhang kein Neuerungsverbot besteht, und andererseits die meritorische Berufungsentscheidung die Wirkung hat, daß der mit Berufung bekämpfte Bescheid voll und ganz in der Berufungserledigung aufgeht (s. hiezu bspw. Stoll, BAO-Kommentar 1289 und 2790 f mwN). Ob der Erstschuldner von seinen Verpflichtungen gemäß § 156 Abs. 1 KO teilweise befreit wurde, hängt auch nicht von der Erlassung des erstinstanzlichen Haftungsbescheides bzw. von der damit verbundenen Rechtsfolge der Einbeziehung des Haftungspflichtigen in das Gesamtschuldverhältnis ab, wird doch über seine Stellung als Gesamtschuldner im Streitfall vor den Verwaltungsinstanzen erst von der Abgabenbehörde zweiter Instanz endgültig entschieden. Daß die in Rede stehende Befreiung von Verpflichtungen auch dem abgabenrechtlich persönlich Haftungspflichtigen zugute kommt, folgt aus der Akzessorietät der Haftung, die verlangt, daß die Abgabenschuld entstanden ist, also ein Abgabentatbestand hinsichtlich seiner persönlichen (steuersubjektbezogenen) und sachlichen (steuergegenstandbezogenen) Komponente verwirklicht und der Abgabenanspruch aufrecht ist, unabhängig davon, ob beim Erstschuldner die Möglichkeit der Geltendmachung oder der Einbringung besteht oder mangelt. Ist jedoch der Steuergegenstand sachlich oder sind die Abgabenschuldner persönlich befreit und ist eine Abgabenschuld erst gar nicht entstanden, so kann auch ein prinzipiell Haftender nicht zur Haftung herangezogen werden.

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsansicht haftet aber dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit des Inhaltes schon deswegen an, weil die belangte Behörde die durch die von ihr selbst erwähnte Entrichtung der Ausgleichsquote entsprechend dem rechtskräftig bestätigten Zwangsausgleich eingetretene Befreiung der GmbH, die infolge der Akzessorietät der Haftung gemäß § 9 BAO auch dem Beschwerdeführer zugute kommt, im später erlassenen angefochtenen Bescheid nicht berücksichtigt hat.

Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob der angefochtene Bescheid auch noch aus weiteren Gründen rechtswidrig ist (etwa im Hinblick auf das Argument der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, daß die Umsatzsteuer mit den Preisen vereinnahmt wurde und damit für die Entrichtung zur Verfügung stand, der Verwaltungsgerichtshof aber von seiner damit übereinstimmenden Auffassung mit dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 18. Oktober 1995, Zlen. 91/13/0037, 0038, abgegangen ist).

Auf Grund des Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Stempelgebührenersatz war nur hinsichtlich der zur Beschwerdeführung notwendigen Unterlagen zuzuerkennen.

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1995150064.X00

Im RIS seit

12.02.2002

Zuletzt aktualisiert am

09.06.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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