TE Vfgh Erkenntnis 2020/2/27 E4327/2019

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Veröffentlicht am 27.02.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AVG §68
AsylG 2005 §10, §15b, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §53, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung eines Antrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen von Pakistan mangels Länderfeststellungen zur Lage von Homosexuellen

Spruch

I. Dem Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe im Umfang der Befreiung von der Eingabengebühr wird stattgegeben.

II. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels, gegen die erlassene Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Pakistan ohne Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise, gegen die Verhängung eines auf zwei Jahre befristeten Einreiseverbots und gegen die Anordnung der Unterkunftnahme abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 des BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Pakistans, stellte am 23. Oktober 2012 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er wegen der Unterstützung einer Familie, die dem Christentum angehört habe, verfolgt worden sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31. Mai 2017 wurde der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§57 und 55 AsylG 2005 wurde ihm nicht erteilt. Gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG iVm §9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Pakistan gemäß §46 FPG zulässig sei. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 1. September 2017 abgewiesen. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. März 2018 hat dieser die angefochtene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes wegen mangelnder Durchführung einer mündlichen Verhandlung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Im zweiten Rechtsgang wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 23. Jänner 2019 die Beschwerde als unbegründet ab.

2.       Am 30. September 2019 stellte der Beschwerdeführer einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, wobei er seine bisherigen Gründe aufrecht erhielt und ergänzend vorbrachte, dass er homosexuell sei. Von seiner Homosexualität habe er bisher wegen starker Schamgefühle nichts gesagt. Das Bundesamt wies den Antrag mit Bescheid vom 30. September 2019 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §68 Abs1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG wurde nicht erteilt sowie gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen, und festgestellt, dass die Abschiebung gemäß §46 FPG nach Pakistan zulässig sei, keine Frist für die freiwillige Ausreise gesetzt und gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Schließlich wurde dem Beschwerdeführer gemäß §15b Abs1 AsylG 2005 aufgetragen, ab 7. Oktober 2019 durchgehend in einem bestimmten bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen.

3.       Die dagegen erhobene Beschwerde hat das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 13. November 2019 als unbegründet abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht führt in seiner Begründung an, dass seit dem rechtskräftigen Abschluss des ersten Asylverfahrens keine Sachverhaltsänderungen eingetreten seien, die vor dem Hintergrund der individuellen Situation des Beschwerdeführers die Erlassung einer inhaltlich anderslautenden Entscheidung ermögliche. Es sei die Annahme des BFA folgerichtig, dass der Beschwerdeführer im Erstverfahren ausreichend Möglichkeiten gehabt hätte, sein nunmehriges Vorbringen zu erstatten. Da das vom Beschwerdeführer im Verfahren zum Zweitantrag erstattete Vorbringen jedoch ebenso als nicht glaubhaft zu beurteilen sei, müsse der angeführte Sachverhalt als unverändert zu dem im Erstverfahren vorgebrachten gewertet werden. Selbst wenn man aber das im Verfahren zum Zweitantrag geltend gemachte Vorbringen als glaubhaft beurteilen möchte, sei festzuhalten, dass der Sachverhalt im Erstverfahren bereits vorgelegen sei und nicht erst neu entstanden sei. Der Beschwerdeführer selbst habe angegeben, dass er seine homosexuelle Neigung bereits in Pakistan gehabt und auch gelebt habe, weswegen er Schwierigkeiten mit den Behörden bekommen habe.

4.       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewähr-leisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Unter einem beantragt der Beschwerdeführer die Gewährung der Verfahrenshilfe im Umfang der Befreiung von der Eingabengebühr.

5.       Das Bundesverwaltungsgericht wurde zur Vorlage der Verwaltungs- und Gerichtsakten aufgefordert, kam dem jedoch nicht nach und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.      Erwägungen

1.       Soweit sich die – zulässige – Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels, gegen die erlassene Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Pakistan ohne Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise, gegen die Verhängung eines auf zwei Jahre befristeten Einreiseverbots und gegen die Anordnung der Unterkunftnahme richtet, ist sie begründet:

2.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Inter-nationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unter-scheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsbestimmung enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

2.1.    Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg. cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Bundesverwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicher-weise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

2.2.    Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivor-bringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt ins-besondere dann vor, wenn die Behörde die Entscheidung mit Ausführungen be-gründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s etwa VfSlg 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Schließlich ist von einem willkürlichen Verhalten auch auszugehen, wenn die Behörde die Rechts-lage gröblich bzw in besonderem Maße verkennt (zB VfSlg 18.091/2007, 19.283/2010 mwN, 19.475/2011).

3.       Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht hier unterlaufen:

3.1.    Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind angesichts eines Folgeantrages im Asylverfahren Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sondern auch in Bezug auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einer Prüfung zu unterziehen (zB VfSlg 19.466/2011, 19.642/2012). Das Bundesverwaltungsgericht begründet die angefochtene Entscheidung – auf Grund des ausdrücklichen Eingeständnisses des Beschwerdeführers, dass ihm seine Homosexualität schon lange vor seiner Antragstellung bekannt gewesen sei – denkmöglich damit, dass es sich beim Fluchtvorbringen zur Homosexualität um kein neues, nach Abschluss des ersten Asylverfahrens entstandenes Vorbringen handle; jedoch geht es offenkundig implizit davon aus, dass der Beschwerdeführer tatsächlich homosexuell sei und erkennt sogar an, dass es sich beim Eingeständnis der eigenen Homosexualität um einen graduellen Prozess handle, der es verunmöglichen könne, diesen Umstand früher vorzubringen.

3.2.    Das Bundesverwaltungsgericht trifft in der angefochtenen Entscheidung jedoch keinerlei eigene Länderfeststellungen zur Lage Homosexueller in Pakistan, sondern führt bloß beweiswürdigend aus, dass dem Beschwerdeführer umfangreiche Länderberichte, insbesondere hinsichtlich Personen mit homosexueller Orientierung, zur Kenntnis gebracht worden seien. Diesen im Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wiedergegebenen Berichten ist zu entnehmen, dass in Pakistan Strafen bis hin zu lebenslanger Haft für homosexuellen Geschlechtsverkehr vorgesehen sind und es zu Erpressung seitens der Sicherheitsbehörden sowie massiver gesellschaftlicher Diskriminierung kommt.

3.3.    Vor dem Hintergrund dieser Berichte und des in der Beschwerde erstatteten Vorbringens, dass es für den Beschwerdeführer sehr gefährlich wäre, seine sexuelle Orientierung in Pakistan zu leben, wäre eine Überprüfung, ob dem Beschwerdeführer in seiner konkreten Situation im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat eine Verletzung seiner gemäß Art2 und 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte droht, jedenfalls geboten gewesen.

3.4.    Es liegt demnach hinsichtlich der bei jedem Antrag auf internationalen Schutz (erneut) vorzunehmenden Refoulementprüfung kein unveränderter Sachverhalt vor, der die Zurückweisung des Antrags wegen entschiedener Sache rechtfertigen könnte. Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht den konkreten Sachverhalt außer Acht gelassen und dadurch sein Erkenntnis mit Willkür belastet.

4.       Im Übrigen (hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten) wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt: Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind. Die Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

III.    Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels, gegen die erlassene Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Pakistan ohne Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise, gegen die Verhängung eines auf zwei Jahre befristeten Einreiseverbots und gegen die Anordnung der Unterkunftnahme abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 des BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher insoweit aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2.       Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, da der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO Umfang genießt.

Schlagworte

Asylrecht, res iudicata, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E4327.2019

Zuletzt aktualisiert am

26.05.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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