TE Vfgh Erkenntnis 2020/3/10 E3755/2019

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Veröffentlicht am 10.03.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen afghanischen Staatsangehörigen wegen mangelhafter Auseinandersetzung mit dem Vorbringen

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Sadat, einer Untergruppe der Hazara, an und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islams. Er wurde in der Provinz Ghazni geboren, wuchs aber gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern im Iran auf. Im Jahr 2014 zog er mit seiner Familie wieder zurück nach Afghanistan. Nach Einreise in das Bundesgebiet stellte er am 4. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Mit Bescheid vom 31. Oktober 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab (Spruchpunkte I. und II.). Es erteilte einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Weiters sprach es aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

3.       Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 28. August 2019 als unbegründet ab.

Zur Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten führt das Bundesverwaltungsgericht begründend unter anderem aus, dass dem Beschwerdeführer auf Grund einer "allenfalls stattgefundenen Vergewaltigung durch seinen Mitbewohner in der Unterkunft in Österreich weder eine staatliche noch gesellschaftliche Verfolgung in Afghanistan" drohe. Familienmitgliedern des Beschwerdeführers oder anderen Personen in Afghanistan sei nicht bekannt, dass der Beschwerdeführer in Österreich allenfalls vergewaltigt worden sei.

4.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

5.       Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

II.      Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.       Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1.    Aus dem Akt des Bundesverwaltungsgerichtes geht hervor, dass am 21. März 2019 Anzeige wegen Vergewaltigung unter gemeinsam in einem Zimmer in einer Asylunterkunft untergebrachten Asylwerbern erstattet wurde. Ein näher bezeichneter Beschuldigter stehe im Verdacht, im Zeitraum vom 4. bis zum 20. März 2019 den Beschwerdeführer insgesamt dreimal vergewaltigt zu haben. Der Beschuldigte habe das Opfer durch Drohung mit Gewalt eingeschüchtert; er sei nicht geständig.

2.2.    Das Bundesverwaltungsgericht führte dazu eine weitere mündliche Verhandlung durch, in der es den Beschwerdeführer unter anderem zu den angezeigten Vorfällen befragte.

In der angefochtenen Entscheidung geht das Bundesverwaltungsgericht schließlich davon aus, dass dem Beschwerdeführer auf Grund der allenfalls stattgefundenen Vergewaltigung durch seinen Mitbewohner in der Unterkunft in Österreich weder eine staatliche noch gesellschaftliche Verfolgung in Afghanistan drohe, weil die Vergewaltigung weder den Familienmitgliedern des Beschwerdeführers noch anderen Personen in Afghanistan bekannt sei. Zu diesem Schluss kommt das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Beweiswürdigung auf Grund folgender Ausführungen:

"Der Beschwerdeführer gab zwar in der Beschwerdeverhandlung an, dass er fünf Freunden und seinem Chef in der Küche von den Vorfällen erzählt habe [...]. Dass der Beschwerdeführer abgesehen von seinem Chef in der Küche noch weiteren fünf Freunden von den Vorfällen erzählt habe, ist vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer Angst gehabt habe, dass ein Mitbewohner in der Flüchtlingsunterkunft davon erfahre, weil dieser sein Nachbar im Iran gewesen sei und seiner Familie davon erzählen könnte [...], nicht glaubhaft. Zudem hat der Beschwerdeführer seinem Chef auch nicht von sich aus von den Vorfällen erzählt, sondern hat er diesem erst nach dem dritten Vorfall auf dessen Nachfrage, weil dieser Spuren im Halsbereich des Beschwerdeführers bemerkt habe, und wegen dessen Unterstützungsangebot, die Vorfälle geschildert. Der Beschwerdeführer ist auch gemeinsam mit seinem Chef zur Polizei gegangen und hat die Vorfälle angezeigt [...]. Dass der Beschwerdeführer zunächst drei Vorfälle über sich ergehen lässt und sich dann jedoch - abgesehen von seinem Chef, der ihn unterstützt hat - noch fünf Freunden anvertraut, scheint nicht plausibel, zumal der Beschwerdeführer auch ein psychotherapeutisches Erstgespräch in Anspruch genommen hat und dort gegenüber einer weiteren Vertrauensperson die Vorfälle schildern konnte. Hätte der Beschwerdeführer das Bedürfnis gehabt über das Geschehene zu sprechen, ist davon auszugehen, dass er sich gleich nach dem ersten Vorfall an seine Freunde gewandt hätte. Da der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung jedoch angegeben hat, dass er die Vorfälle erst nach dem dritten Mal gegenüber seinem Chef auf dessen Nachfrage und Hilfestellung angegeben hat, ist es nicht glaubhaft, dass er danach fünf Freunden davon erzählte, zumal er dies in der Beschwerdeverhandlung zunächst auch gar nicht erwähnte [...]. Dass der Mitbewohner des Beschwerdeführers, der zugleich sein Nachbar im Iran gewesen sei, von den Vorfällen erfahren habe, hat der Beschwerdeführer auch gar nicht behauptet. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass Personen in Afghanistan bekannt ist oder bekannt wird, dass der Beschwerdeführer in Österreich vergewaltigt wurde."

2.3.    Diese Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes sind jedoch nicht nachvollziehbar bzw aktenwidrig:

2.3.1.  Warum es nicht plausibel erscheine, dass der Beschwerdeführer zunächst drei Vergewaltigungen über sich ergehen habe lassen und sich erst dann (fünf) Freunden anvertraut habe, ist für den Verfassungsgerichtshof nicht nachvollziehbar. Das Bundesverwaltungsgericht übersieht allein schon den Umstand, dass ausweislich der im Akt einliegenden Information über die Anzeige der Beschuldigte den Beschwerdeführer durch Drohung mit Gewalt eingeschüchtert habe. Weiters lässt das Bundesverwaltungsgericht die psychische Situation des Beschwerdeführers nach den behaupteten Vergewaltigungen gänzlich außer Acht, obwohl dieser in der mündlichen Verhandlung entsprechende Probleme schilderte und einen Nachweis über die Inanspruchnahme eines psychotherapeutischen Erstgespräches vorlegte. Aus welchen nachvollziehbaren Gründen das Bundesverwaltungsgericht aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer nach den Vergewaltigungen ein psychotherapeutisches Gespräch in Anspruch genommen habe, abzuleiten vermag, dass bei dem Beschwerdeführer kein Bedarf bestehe, sich weiteren Personen, wie etwa Freunden, anzuvertrauen, bleibt in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses unerfindlich.

2.3.2.  Aus der Niederschrift geht weiters folgender Gang der mündlichen Verhandlung vom 9. Juli 2019 hervor:

"[Richter]: Wem haben Sie von diesen Vorfällen erzählt?

[Beschwerdeführer]: Fünf Freunden und dem Chef in der Küche."

Unmittelbar anschließend an diese Frage und die entsprechende Antwort bringt der Richter gemäß der Niederschrift näher bezeichnete Länderinformationen ein, erläutert deren Bedeutung und räumt eine Frist für die schriftliche Stellungnahme ein. Abschließend fragt der Richter den Beschwerdeführer allgemein, ob er noch etwas Ergänzendes vorbringen wolle, was dieser verneint.

Der Beschwerdeführer hat somit die einzige Frage des Richters, wem er von den Vorfällen erzählt habe, beantwortet, ohne dass dieses Thema im Folgenden in der mündlichen Verhandlung weiter behandelt oder bereits zuvor erörtert worden wäre. Wenn das Bundesverwaltungsgericht daher im Rahmen seiner Beweiswürdigung dem Beschwerdeführer entgegenhält, dass er "in der Beschwerdeverhandlung zunächst auch gar nicht erwähnte", dass er fünf Freunden von den Vergewaltigungen erzählt habe, ist dies aktenwidrig.

2.4.    Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes genügt somit den Anforderungen des ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 an eine willkürfreie Begründung nicht.

III.    Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E3755.2019

Zuletzt aktualisiert am

19.05.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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