TE Lvwg Erkenntnis 2020/2/20 LVwG-2019/30/2254-5

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Veröffentlicht am 20.02.2020
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Entscheidungsdatum

20.02.2020

Index

41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht
40/01 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

FrPolG 2005 §57
FrPolG 2005 §121 Abs1a
AVG §57 Abs3
VStG §45 Abs1 Z2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Mag. Dr. Rieser über die Beschwerde nigerianischen Staatsangehörigen AA, geb am XX.XX.XXXX, vertreten durch Rechtsanwalt BB, Adresse 1, **** Z, gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Tirol vom 24.09.2019, Zl *****, betreffend eine Verwaltungsübertretung nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung,

zu Recht:

1.       Der Beschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren gegen die Beschwerdeführerin gem § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.

2.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Sachverhalt und rechtliche Erwägungen:

Der Beschwerdeführerin wurde von der Landespolizeidirektion Tirol als belangte Behörde angelastet, dass sie am 09.04.2019 bis zumindest 07.08.2019 die gem § 57 FPG gegen die Beschwerdeführerin erlassene Wohnsitzauflage vom 02.04.2019 missachtet habe, indem sie nicht binnen drei Tagen Unterkunft in der ihr vorgeschriebenen Einrichtung in ***** Y, Adresse 2, genommen habe. Der Beschwerdeführerin wurde eine Verwaltungsübertretung nach § 121 Abs 1a iVm § 57 FPG vorgeworfen und gegen sie gem § 121 Abs 1a FPG eine Geldstrafe in der Höhe von Euro 300,00 bzw eine Ersatzfreiheitsstrafe von vier Tagen und vier Stunden zuzüglich Euro 30,00 Verfahrenskosten verhängt.

In der rechtzeitig eingebrachten Beschwerde wurde Folgendes ausgeführt:

„Von:            RA BB <*****>

Gesendet:  Donnerstag, 24. Oktober 2019 11:09

An:              *LPD T *****

Betreff:        WG: AA, geb XX.XX.XXXX - ***** - Beschwerde gegen SE

Sehr geehrte Damen und Herren !

Frau AA erhebt gegen das Straferkenntnis vom 24.9.2019, zugestellt am 27.9.2019, mit welcher sie gemäß der unten beeinspruchten Strafverfügung bestraft wurde, Beschwerde an das Verwaltungsgericht mit dem Antrag das Verfahren nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung einzustellen.

Dies mit der Begründung, dass das BFA ein ordentliches Verfahren nicht nach Außen sichtbar eingeleitet hat, sodass der Mandatsbescheid zur Wohnsitzauflage außer Kraft getreten ist. Sicherheitshalber hat Frau AA in diesem Verfahren heute eine Säumnisbeschwerde erhoben um hier eine Bestätigung zu erhalten. Die der Behörde offenbar zugekommene Bestätigung vom 2.9.2019 ist Frau AA unbekannt, das Strafverfahren wurde daher nicht ordentlich geführt, weil kein Parteiengehör zu wesentlichen Umständen gewährt wurde.

Selbst wenn das BFA nach Eingang der Vorstellung ein ordentliches Verfahren eingeleitet hätte - und nur ihrer Entscheidungspflicht nicht nachgekommen wäre - ist mangels bisheriger Entscheidung des BFA in erster Instanz seitens der Strafbehörde die Frage der Rechtmäßigkeit der Wohnsitzauflage zu klären. Hier kann nicht lapidar darauf hingewiesen werden, dass ein Aufenthalt in einer staatlichen Betreuungseinrichtung zumutbar sei, weil ein zwangsweiser Aufenthalt auf einem hohen Berg ohne zur Verfügungstellung ausreichender warmer Kleidung offenkundig nicht zumutbar ist. Nicht zumutbar ist auch, dass Frau AA in Y keinen freikirchlichen Gottesdienst - und mangels Transportmöglichkeit auch keinen Gottesdienste einer anderen christlichen Kirche - besuchen könnte.

Schließlich trifft auch nicht zu, dass der Aufenthalt in Österreich nicht geduldet wäre. Er ist geduldet, weil die nigerianische Vertretungsbehörde für Frau AA bislang kein Reisedokument ausgestellt hat. Auch würde sich daran durch einen Aufenthalt ,am Berg' nichts ändern, sondern würde Frau AA nur sinnlos aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen. Insoferne scheint die Wohnsitzauflage auch dem aus dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art 18 Abs 1 B-VG abzuleitenden Schikaneverbot zu widersprechen, sodass auch deshalb eine Bestrafung nicht erfolgen darf.

Mit freundlichen Grüßen

BB“

Zur Sachverhaltsfeststellung wurde in den vorgelegten Verwaltungsstrafakt der belangten Behörde Einsicht genommen. Weiters wurden beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – Regionaldirektion Z, Erhebungen durchgeführt und der Verfahrensstand im Verfahren betreffend die Vorschreibung einer Wohnsitzauflage nach § 57 FPG wegen der gegen den Mandatsbescheid eingebrachten Vorstellung nachgefragt. Weiters wurde zur Sachverhaltsfeststellung eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 17.02.2020 anberaumt und durchgeführt. Weder die Beschwerdeführerin noch ein Vertreter der belangten Behörde sind zur Beschwerdeverhandlung erschienen. In der Beschwerdeverhandlung wurden der vorgelegte Verwaltungsstrafakt der belangten Behörde und das Ergebnis der durchgeführten Erhebungen dargetan.

Aufgrund des durchgeführten Verfahrens vor der belangten Behörde und beim Landesverwaltungsgericht Tirol ergibt sich folgender verfahrenswesentliche Sachverhalt:

Gegen die Beschwerdeführerin wurde mit Bescheid des BFA vom 29.03.2019 eine Wohnsitzauflage nach § 57 FPG erlassen. Dieser Bescheid wurde in Anwendung des § 57 AVG als Mandatsbescheid der Beschwerdeführerin persönlich am 02.04.2019 zugestellt und war vorerst auch durchsetzbar. Die Frist zum Einfinden in die Betreuungsstelle Tirol am 05.04.2019 hat die Beschwerdeführerin ungenutzt verstreichen lassen und sich dort in weiterer Folge bis dato nicht eingefunden. Diesbezüglich wurde seitens des BFA am 08.04.2019 Anzeige nach § 121 Abs 1a FPG an die zuständige Verwaltungsstrafbehörde erstattet. Am 02.04.2019 langte beim BFA eine per Fax eingebrachte Vorstellung gegen die angeordnete Wohnsitzauflage ein. Laut telefonischer Nachfrage wurde mit dem nachfolgenden Aktenvermerk vom 08.04.2019 seitens des BFA das ordentliche Ermittlungsverfahren eingeleitet und war eine Bescheiderlassung innerhalb der sechsmonatigen Entscheidungsfrist angedacht.

„bild im pdf ersichtlich“

„Zahl:   *****
                                                        BUNDESAMT FÜR FREMDENWESEN UND ASYL

                                                                FACHGRUPPE FÜR AUSSERLANDESBRINGUNG RDW

Hernalser Gürtel 6-12

1080 Wien

Tel +43-059133/98 - ****

Fax +43-059133/98 - ****

E-Mail ****@bmi.gv.at

Betreff: AA

geb. XX.XX.XXXX

StA.: Nigeria

Vertreten durch:

CC, RA

**** Z, Adresse 3

A K T E N V E R M E R K

Gegen og. Person wurde am 29.03.2019 eine Wohnsitzauflage erlassen. Dieser Bescheid wurde Og. am 02.04.2019 persönlich zugestellt und somit durchsetzbar.

Die Frist zum Einfinden in der Betreuungsstelle Tirol am 05.04.2019 hat Genannte ungenutzt verstreichen lassen und hat sich dort nicht eingefunden. Og. wurde nach Nichteintreffen nach § 121 Abs 1a FPG zur Anzeige gebracht.

Am 02.04.2019 langte bei der ha. Behörde eine Vorstellung per Fax ein.

Als Bevollmächtigte wurde Fr. CC, RA ausgewiesen.

Für den Leiter der Regionaldirektion Z

Rv. DD“

Das BFA teilte dem Landesverwaltungsgericht Tirol mit E-Mail vom 10.01.2020 mit, dass die betreffende Wohnsitzauflage seit dem 29.08.2019 ex lege außer Kraft getreten sei. Die Genannte habe laut Ausführungen des BFA zu diesem Zeitpunkt einen Asylfolgeantrag gestellt und wurde dieser Folgeantrag zum Verfahren zugelassen. Zwischen dem am 08.04.2019 angefertigten Aktenvermerk und der laut BFA ex lege Außerkrafttretung des Mandatsbescheides am 29.08.2019 erfolgten keine weiteren Verfahrensschritte im gegenständlichen Verfahren zur Erlassung einer Wohnsitzauflage.

Gem § 57 Abs 3 AVG hat die Behörde binnen zwei Wochen nach Einlagen der Vorstellung das Ermittlungsverfahren einzuleiten, widrigenfalls der angefochtene Bescheid von Gesetzes wegen außer Kraft tritt. Laut Rechtsprechung des VwGH ist für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens im Sinne des § 57 Abs 3 AVG eine bestimmte Art von Ermittlungen oder eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben. Es kommt danach vielmehr darauf an, dass die Behörde eindeutig zu erkennen gibt, dass sie sich nach der Erhebung der Vorstellung durch die Anordnung von Ermittlungen mit der dem Gegenstand des Mandatsbescheides bildenden Angelegenheit befasst. Dies kann auch durch einen rein innerbehördlichen Vorgang erfüllt werden (siehe zB VwGH Ro 2014/16/0075, 16.12.2014).

Mit dem nach der Vorstellungserhebung vom 02.04.2019 angelegten Aktenvermerk vom 08.04.2019 wurde der in § 57 Abs 3 geforderten Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nicht entsprochen. Es wurden mit dem Aktenvermerk keinerlei Anordnungen oder Ermittlungen, die den Gegenstand des Mandatsbescheides betreffen, getätigt. Es wurden lediglich der sich aus der Aktenlage ergebende Sachverhalt im Aktenvermerk kurz zusammengefasst und festgestellt, dass die Beschwerdeführerin nach § 121 Abs 1a FPG zur Anzeige gebracht worden sei. Etwaige Erhebungen, auch interne Erhebungen, wurde nicht angeordnet und durchgeführt. Aufgrund der Tatsache, dass das BFA kein Ermittlungsverfahren binnen zwei Wochen nach Einlangen der Vorstellung eingeleitet hat, trat der dem Verfahren zugrundeliegende Mandatsbescheid gem § 57 Abs 3 AVG von Gesetzes wegen außer Kraft. Ein Ermittlungsverfahren zur (neuerlichen) Anordnung einer Wohnsitzauflage wurde vom BFA gegen die Beschwerdeführerin nicht mehr eingeleitet. Mit dem Außerkrafttreten des Mandatsbescheides ist somit rückwirkend die Anordnung einer Wohnsitzauflage, die dem gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren zugrunde liegt, außer Kraft getreten. Es ist somit auch die rechtliche Grundlage für das eingeleitete gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren und für die nach dem Außerkrafttreten der angeordneten Wohnsitzauflage erfolgten Bestrafung entzogen worden.

Aufgrund des vorliegenden Sachverhalts war daher der Beschwerde stattzugeben, das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

II.      Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.

Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.

Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

Für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist im Fall der Zulassung der ordentlichen Revision beim Verwaltungsgericht einzubringen. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision ist der Antrag auf Verfahrenshilfe beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen; dabei ist im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Mag. Dr. Rieser

(Richter)

Schlagworte

Wohnsitzauflage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2020:LVwG.2019.30.2254.5

Zuletzt aktualisiert am

13.05.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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