TE Vwgh Beschluss 2020/4/6 Ra 2019/01/0169

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Veröffentlicht am 06.04.2020
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §45 Abs2
AVG §69 Abs1 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des T S in W, vertreten durch Dr. Günther Sulan, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Biberstraße 10/9, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 6. Februar 2019, Zl. VGW-152/071/12739/2018-11, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis nahm das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) der Sache nach das mit (Verleihungs-)Bescheid der belangten Behörde vom 19. Juni 2008 abgeschlossene Staatsbürgerschaftsverfahren gemäß § 69 Abs. 3 iVm Abs. 1 Z 1 AVG zum Zeitpunkt vor Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft wieder auf und wies den Antrag des Revisionswerbers, ein zu diesem Zeitpunkt ägyptischer Staatsangehöriger, auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft vom 23. Dezember 2005 gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) ab.

2 Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung nachfolgende wesentliche Sachverhaltsfeststellungen zugrunde:

Anlässlich der Ausfolgung des Bescheids vom 16. Mai 2008 über die Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft am 5. Juni 2008 habe der Revisionswerber niederschriftlich mit seiner Unterschrift bestätigt, dass er nicht gerichtlich verurteilt sei, gegen ihn kein Strafverfahren und auch keine polizeiliche Untersuchung anhängig sei. Eine gleichlautende Erklärung habe er anlässlich der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft am 19. Juni 2008 unterschrieben. Der belangten Behörde sei damals eine Auskunft der Sicherheitsdirektion Wien vom 26. Februar 2008 vorgelegen.

Der Revisionswerber sei mit Urteil des Bezirksgerichtes M vom 28. November 2008 wegen des Vergehens der vorsätzlichen Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt worden. Er habe am 7. Februar 2008 seine Ehegattin durch Versetzen eines Stoßes, wodurch diese einen Bluterguss unter dem linken Auge und auf der Außenseite des rechten Oberarms sowie einen massiven Bluterguss auf dem linken Auge erlitten habe, vorsätzlich leicht am Körper verletzt. Noch am selben Tag sei über den Revisionswerber von den einschreitenden Polizeibeamten ein Betretungsverbot gemäß § 38a SPG betreffend die Ehewohnung ausgesprochen und der Revisionswerber über die Anzeigeerstattung in Kenntnis gesetzt worden. Am 13. Februar 2008 sei dem Revisionswerber vom Bezirksgericht M mit einstweiliger Verfügung die Rückkehr in die Ehewohnung verboten worden.

Mit Urteil des Landesgerichtes W N vom 22. Februar 2011 sei der Revisionswerber wegen des Verbrechens der Untreue als Beteiligter nach §§ 12, 153 Abs. 1 und 2 StGB zu einer bedingten Zusatzstrafe in der Höhe von 14 Monaten verurteilt worden. Der Revisionswerber habe im Mai 2007 ein Lichtbild und einen Meldezettel zur Herstellung eines gefälschten Führerscheins und Meldezettels an eine näher genannte Mittäterin übergeben und in Kenntnis des Tatplans einen Kreditvertrag mit dem Schriftzug eines Falschnamens unterfertigt, wodurch ihm ein Darlehensbetrag in der Höhe von EUR 35.500,-- in bar ausbezahlt und das Kreditinstitut mit einem jedenfalls EUR 3.000,-- übersteigenden Wert am Vermögen geschädigt worden sei. Der Revisionswerber sei am 24. Juni 2008 zur Beschuldigtenvernehmung am 4. Juli 2008 geladen worden. Bereits Anfang 2008 sei er von der Mittäterin vom "Auffliegen des Schwindels" informiert worden. Am 17. April 2008 habe der Revisionswerber in einem schriftlichen Protokoll gegenüber dem geschädigten Kreditinstitut die Straftat eingestanden, ein umfassendes Schuldanerkenntnis abgelegt und bestätigt, dass er sich der strafbaren Relevanz seines Verhaltens bewusst sei.

Dem Revisionswerber habe zum Zeitpunkt der Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft am 5. Juni 2008 bekannt sein müssen, dass gegen ihn sowohl wegen des Vergehens der vorsätzlichen Körperverletzung als auch wegen "Betruges" polizeiliche Ermittlungen laufen.

Schließlich sei der Revisionswerber mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen W vom 22. Jänner 2013 hinsichtlich der ihm zur Last gelegten Tat, am 3. August 2012 eine näher genannte Frau mit Bereicherungsvorsatz mit Gewalt und durch Drohung mit dem Tod bzw. einer erheblichen Verstümmelung zur Übergabe von EUR 4.000,-- und nach deren Ablehnung durch Versetzen einer Ohrfeige und Drohung unter Vorhalt eines Küchenmessers, sie zu zerstückeln, sowie durch Zusammendrücken des Kehlkopfs der Frau, bis diese keine Luft mehr bekommen habe, zu einem Telefonat mit dem Arbeitgeber, um von diesen Geld zu verlangen, zu nötigen versucht zu haben, wegen des Verbrechens der versuchten schweren Erpressung nach §§ 15, 144 Abs. 1 und 145 Abs. 1 Z 1 StGB zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden.

Der Revisionswerber habe zwischenzeitig die ägyptische Staatsangehörigkeit nicht wieder erworben. Seine beiden Kinder im Alter von 15 und 16 Jahren seien kraft Abstammung nach der bereits verstorbenen Mutter und Ehegattin des Revisionswerbers österreichische Staatsbürger.

3 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, der Revisionswerber habe durch die Verschweigung der Straftaten der Körperverletzung und "des Betruges" im Zeitpunkt der Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft im Bewusstsein, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren laufe, objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung für die Beurteilung eines möglichen Verleihungshindernisses iSd § 10 Abs. 1 Z 2 bzw. 6 StbG gemacht.

Der belangten Behörde sei zu diesem Zeitpunkt nicht möglich gewesen, selbst Kenntnis von diesen Übertretungen zu erlangen bzw. könne ihr angesichts der Bearbeitungsdauer einer Anfrage an die Sicherheitsdirektion (konkret von mehr als zwei Monaten bezogen auf die damals am 14. Dezember 2007 eingeholte Anfrage) sowie im Hinblick auf die vor der Bescheiderlassung vorgelegene Auskunft der Sicherheitsdirektion Wien vom 26. Februar 2008 nicht angelastet werden, keine weitere Auskunft eingeholt zu haben.

Im Weiteren begründete das Verwaltungsgericht unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom 2. März 2010 in der Rechtssache C-135/08, Rottmann, seine Ermessensübung nach § 69 Abs. 3 AVG. Angesichts der Schwere der vom Revisionswerber begangenen Straftaten begründe ein mehr als zehnjähriger Zeitraum zwischen der Verleihung und Rücknahme der Staatsbürgerschaft keine Unverhältnismäßigkeit. Die Staatenlosigkeit des Revisionswerbers stehe der Wiederaufnahme nicht entgegen. Die beiden Kinder des Revisionswerbers würden ihre österreichische Staatsbürgerschaft kraft Abstammung von der Mutter ableiten. Die Wiederverleihung der ägyptischen Staatsangehörigkeit sei nach ägyptischer Rechtslage grundsätzlich möglich. Durch die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft sei der dem Revisionswerber am 31. Dezember 2003 bis 30. Dezember 2013 erteilte Aufenthaltstitel "Niederlassungsnachweis" gemäß § 10 Abs. 3 Z 2 NAG gegenstandslos geworden. Die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens bewirke jedoch das Wiederaufleben des zuletzt erteilten unbefristeten Aufenthaltstitels und beseitige seine Gegenstandslosigkeit. Der Revisionswerber sei daher weiterhin im Bundesgebiet rechtmäßig niedergelassen und habe freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens sei daher nicht unverhältnismäßig.

Dem Antrag des Revisionswerbers auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft stehe angesichts seiner rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen das Verleihungshindernis des § 10 Abs. 1 Z 2 StbG entgegen. 4 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist. 9 Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt das "Erschleichen" eines Bescheides vor, wenn dieser in der Art zustande gekommen ist, dass bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht wurden und diese Angaben dann dem Bescheid zu Grunde gelegt worden sind, wobei die Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist. Dabei muss die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen sein und eine solche Lage bestehen, dass ihr nicht zugemutet werden kann, von Amts wegen noch weitere, der Feststellung der Richtigkeit der Angaben dienliche Erhebungen zu pflegen. Wenn es die Behörde verabsäumt, von den ihr im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten offen stehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen, schließt dieser Mangel es aus, auch objektiv unrichtige Parteiangaben als ein Erschleichen des Bescheides im Sinn des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG zu werten (vgl. VwGH 20.9.2011, 2008/01/0777, mwN).

10 Soweit die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen ausführt, die Aussage des Revisionswerbers sei für eine für ihn positive Verfahrensbeendigung nicht entscheidungswesentlich gewesen, weil es aus näher bezeichneten Umständen einer Verfahrensergänzung bedurft hätte, in deren Zuge auch eine neuerliche Abfrage des Vorstrafenregisters hätte erfolgen müssen, ist ihr die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof entgegen zu halten, wonach es sich bei § 69 Abs. 1 Z 1 AVG um einen absoluten Wiederaufnahmegrund handelt. Es ist somit nicht zu prüfen, ob sein Fehlen allein oder in Verbindung mit den sonstigen Ergebnissen des Verfahrens voraussichtlich eine im Hauptinhalt des Spruches anders lautende Entscheidung herbeigeführt hätte. Ermittlungen zur Frage der Relevanz des als Wiederaufnahmegrund herangezogenen Verhaltens sind daher grundsätzlich entbehrlich (vgl. etwa VwGH 28.5.2019, Ra 2019/22/0080, Rn. 5, mwN). 11 Entgegen der pauschalen Behauptung im Zulässigkeitsvorbringen, eine Irreführungsabsicht des Revisionswerbers sei keinesfalls gegeben, wird keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt.

12 Die für die Erschleichung eines Bescheides notwendige Irreführungsabsicht setzt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes voraus, dass die Partei wider besseren Wissens gehandelt hat, um einen vielleicht sonst nicht erreichbaren Vorteil zu erlangen. Ob Irreführungsabsicht vorliegt, kann nur aus den das rechtswidrige Verhalten der Partei begleitenden Umständen geschlossen werden, die von der Behörde in freier Beweiswürdigung festzustellen sind (vgl. VwGH 23.9.2014, 2013/01/0035, mwN).

13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes soll sich das Revisionsmodell nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren (vgl. RV 1618 BlgNR 24. GP, 16). Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 28.2.2020, Ra 2020/01/0058, Rn. 9). Eine derart krasse Fehlbeurteilung der Beweiswürdigung des BVwG wird in der Revision nicht dargetan.

14 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 6. April 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019010169.L00

Im RIS seit

08.06.2020

Zuletzt aktualisiert am

08.06.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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