TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/3 I422 2189882-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.03.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

03.03.2020

Norm

AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs10
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §53
FPG §55
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I422 2189880-4/8E

I422 2189882-4/9E

I422 2189876-4/8E

I422 2189869-4/8E

Schriftliche Ausfertigung des am 18.02.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA Irak; der XXXX, geb. XXXX, StA Irak; des XXXX, geb. XXXX, StA Irak und des XXXX, geb. XXXX, StA Irak, vertreten durch We move together - Beratung und Hilfe für MigrantInnen, Schönbrunner Straße 213/508, 1120 Wien und RA Mag. Matej ZENZ von der Kanzlei grilc vouk skof gegen die Bescheide des Bundesamtes vom 06.12.2019, Zl. 15-1092503608/190903380/BMI-BFA_KNT_AST_01, Zl. 15-1092513103/190903355/BMI-BFA_KNT_AST_01, Zl. 15-1092514209/190903325 und Zl. 16-1138445804/190903096, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.02.2020, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und die angefochtenen Bescheide behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer beantragten mit Formularvordruck vom 28.08.2019 die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK "Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens".

2. Mit Bescheid vom 06.12.2019, Zl. 15-1092503608/190903380/BMI-BFA_KNT_AST_01, Zl. 15-1092513103/190903355/BMI-BFA_KNT_AST_01, Zl. 15-1092514209/190903325 und Zl. 16-1138445804/190903096 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: belangte Behörde) die Anträge der Beschwerdeführer auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK zurück (Spruchpunkt I.), erließ über sie eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II.) und erklärte sie ihre Abschiebung in den Irak für zulässig (Spruchpunkt III.). Des Weiteren erließ die belangte Behörde über den Erstbeschwerdeführer ein fünfjähriges und über die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer ein zweijähriges Einreiseverbot (Spruchpunkt IV.). Eine Frist für eine freiwillige Ausreise wurde den Beschwerdeführer nicht gewährt (Spruchpunkt V.) und erkannte die belangte Behörde ihrer Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI.).

3. Gegen die Entscheidung der belangten Behörde erhoben die Beschwerdeführer mit Schriftsatz 02.01.2020, eingelangt bei der belangten Behörde am 07.01.2020, fristgerecht Beschwerde.

4. In der Angelegenheit fand am 18.02.2020 in Anwesenheit der Beschwerdeführer und ihrer Rechtsvertretung eine mündliche Verhandlung am Bundesverwaltungsgericht statt. Die belangte Behörde blieb trotz ordnungsgemäßer Ladung der Verhandlung fern. Unter Darlegung der wesentlichen Entscheidungsgründe erfolgte am Ende der Verhandlung eine mündliche Verkündung des Erkentnisses.

5. Mit Schriftsatz vom 26.02.2020 beantragte die belangte Behörde die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die volljährigen Erst- und Zweitbeschwerdeführer und die minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer sind Staatsangehörige des Iraks. Die Beschwerdeführer sind gesund.

Die Identität der Beschwerdeführer steht fest.

Die Erst-, Zweit- und Drittbeschwerdeführer reisten unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellten am 28.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am XXXX wurde der Viertbeschwerdeführer geboren und beantragten die Erst- und Zweitbeschwerdeführer für ihn im Rahmen des Familienverfahrens einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Antrag der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz wurde bereits rechtskräftig negativ entschieden.

Die Beschwerdeführer sind trotz der aufrechten rechtskräftigen Rückkehrentscheidung ihrer Ausreiseverpflichtung aus Österreich nicht nachgekommen. Sie verfügen über keinen sonstigen Aufenthaltstitel.

Abgesehen voneinander, verfügen die Beschwerdeführer in Österreich über familiäre Anknüpfungspunkte in Form der Mutter, des Bruders und der Schwester des Erstbeschwerdeführers. Der Erstbeschwerdeführer betreibt seit 31.08.2018 ein Friseurunternehmen. Über das Unternehmen wurde am 03.06.2019 Konkurs eröffnet. Nach rechtskräftiger Bestätigung eines Zahlungsplanes wurde der Konkurs am 12.09.2019 wieder aufgehoben. Die Zweitbeschwerdeführerin geht keiner Erwerbstätigkeit nach. Sie kümmert sich um den Haushalt und betreut die minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer. Der Viertbeschwerdeführer begann im September 2019 mit der Volksschule. Die Beschwerdeführer beziehen keine Leistungen aus den Grundversorgungen.

Der Beschwerdeführer sind strafgerichtlich unbescholten. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführer leisteten einer behördlich angeordneten Unterkunftnahme keine Folge und resultieren daraus zwei Verwaltungsübertretungen. Darüber hinaus war der Erstbeschwerdeführer vom 27.08.2018 bis zum 29.08.2018 ohne arbeitsmarktrechtliche Bewilligung als Friseur beschäftigt und wurde er bei der Begehung von Schwarzarbeit betreten. Ebenso wurde der Erstbeschwerdeführer aufgrund einer Verletzung der Meldepflicht nach dem ASVG ein weiteres Mal verwaltungsrechtlich belangt und rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt. Zudem beschäftigte der Erstbeschwerdeführer einen Drittstaatsangehörigen ohne entsprechende Beschäftigungsbewilligung nach dem AuslBG und wurde er diesbezüglich ebenfalls rechtskräftig wegen einer Verwaltungsübertretung belangt und rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Erstbeschwerdeführer ist trotzt rechtkräftig negativer Entscheidung seines Antrages auf internationalen Schutz in Österreich weiterhin selbständig tätig und erfolgte bislang noch keine Entziehung seiner Gewerbeberechtigung.

Aus den begründeten Antragsvorbringen der Beschwerdeführer gemäß § 55 AsylG 2005 geht im Vergleich zur rechtskräftigen Rückkehrentscheidung vom 22.11.2017 ein derart geänderter Sachverhalt hervor, der eine ergänzende Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht.

2. Beweiswürdigung:

Der umseits unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes zum vorangegangen, bereits rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren (GZ: G302 2189880-1 bis -3, G302 2189882-1 bis -3, G302 2189876-1 bis -3 und G302 2189869-1 bis -3) und Gerichtsakt zum gegenständlichen Verfahren. Des Weiteren erfolgte am 18.02.2020 eine mündliche Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht bei die Erst- bis Drittbeschwerdeführer insbesondere zu Ihrer Situation in Österreich und Verfestigung befragt wurden. Ergänzend wurden noch eine Abfrage des Zentralen Melderegisters (ZMR), ein Auszug des Betreuungsinformationssystems des Bundes über die Gewährung von Grundversorgung (GVS), ein Auszug des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister (IZR), ein Strafregisterauszug sowie Abfrage des Gewerbeinformationssystems (GISA), des Firmenbuches sowie eine Abfrage der Sozialversicherungsträger eingeholt.

Die Identität der Beschwerdeführer steht aufgrund der im vorangegangenen Asylverfahren vorgelegten identitätsbezeugenden Dokumente der Erst- bis Drittbeschwerdeführer und der österreichischen Geburtsurkunde des Viertbeschwerdeführers fest.

Dass die Beschwerdeführer gesund sind, ergibt sich aus den Angaben der Erst- und der Zweitbeschwerdeführer vor der belangten Behörde vom 01.10.2019. Dies blieb dies auch in der Beschwerde sowie in der mündlichen Verhandlung unbestritten.

Die Feststellungen zur Einreise der Erst- bis Drittbeschwerdeführer und der Geburt des Viertbeschwerdeführers in Österreich, deren Antragsstellung auf internationalen Schutz ergeben sich ebenso wie Feststellung zum bereits rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren aus der Einsichtnahme in das IZR und die Gerichtsakten zu GZ: G302 2189880-1 bis -3, G302 2189882-1 bis -3, G302 2189876-1 bis -3 und G302 2189869-1 bis -3. Aus diesem leitet sich ab, dass mit Bescheid der belangten Behörde vom 17.11.2017, Zl. 1092503608-151640205, Zl. 15-1092513103-151641435, Zl. 15-1092514209-151641554 und Zl. 16-1138445804-161702712, die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) abgewiesen wurden. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Zudem wurde über gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde des Weiteren festgestellt, dass ihre Abschiebungen in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt V.) und ihnen für ihre freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Eine dagegen am 16.03.2018 erhobene Beschwerde wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.01.2019 zu GZ: G302 2189880-1/5E, G302 2189882-1/4E, G302 2189876-1/4E und G302 2189869-1/4E als verspätet zurückgewiesen. Eine mit der Beschwerde zugleich beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde gemäß § 6 AVG zur Erledigung an die zuständige Behörde weitergeleitet.

Mit dem im Verwaltungsakt einliegenden Bescheid der belangten Behörde vom 04.04.2019, Zl. 1092503608-151640205, Zl. 15-1092513103-151641435, Zl. 15-1092514209-151641554 und Zl. 16-1138445804-161702712 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 16.03.2018 gemäß § 71 Abs. 1 AVG abgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 13.08.2019, G302 2189880-3/8E, G302 2189882-3/6E, G302 2189876-3/6E und G302 2189869-3/6E als unbegründet ab.

In ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde vom 01.10.2019 bestätigten die Erst- und Zweitbeschwerdeführer, dass sie Österreich seit ihrer Einreise im Jahr 2015 nicht mehr verlassen haben. In Zusammenschau mit der rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren leitet sich daraus deren unrechtmäßiger Verbleib in Österreich ab. Dass die Beschwerdeführer über einen sonstigen Aufenthaltstitel verfügen, wurde von ihnen nicht behauptet und ergeben sich weder aus dem Verwaltungsakt noch aus dem IZR Anzeichen dafür.

Die Feststellungen zu den familiären Anknüpfungspunkten in Österreich gründen sich ebenfalls auf den zuletzt getätigten Angaben der Erst- und Zweitbeschwerdeführer im Rahmen der Beschwerdeverhandlung. Durch die Einsichtnahme in das Firmenbuch ist belegt, dass der Erstbeschwerdeführer seit 31.08.2018 ein Friseurunternehmen betreibt. Aus diesem leitet sich ebenso die Feststellung über den zwischenzeitigen Konkurs des Unternehmens ab. In ihrer Einvernahme durch die belangte Behörde vom 01.10.2019 bestätigte die Zweitbeschwerdeführerin glaubhaft, dass sie in Österreich keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, sie sich um den Haushalt kümmert, soziale Kontakte pflegt und die minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer betreut. Aus einer sich im Verwaltungsakt befindlichen Schulbesuchsbestätigung der Volksschule K[...] ist belegt, dass der Viertbeschwerdeführer im September 2019 mit der Volksschule begonnen hat. Aus einem aktuellen Auszug der GVS ist belegt, dass die Beschwerdeführer keine Leistungen aus den Grundversorgungen beziehen und bestätigten sie dies zuletzt auch glaubhaft im Rahmen der mündlichen Verhandlung.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführer gründet auf der Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.

Die Feststellung, dass der Erst- und die Zweitbeschwerdeführer eine Verwaltungsübertretung begangen haben, indem sie einer behördlich angeordneten Unterkunftnahme keine Folge leisteten, ergibt sich aus dem sich im Verwaltungsakt einliegenden Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 13.05.2019, GZ: LVwG-S-1075/001-2018 und GZ: LVwG-S-1074/001-2018. Aus dem ebenfalls im Verwaltungsakt einliegenden Straferkenntnis des Magistrat Klagenfurt vom 17.10.2018 ist belegt, dass der Erstbeschwerdeführer zudem bei Schwarzarbeit betreten wurde und er ohne arbeitsmarktrechtliche Bewilligung in der Zeit von 27.08.2018 bis 29.08.2018 eine Tätigkeit als Friseur ausgeübt hat. Zudem resultiert aus dem sich im Verwaltungsakt befindlichen Strafantrag der Finanzpolizei vom 20.03.2019 und den Erkenntnissen des Landesverwaltungsgerichtes Klagenfurt vom jeweils 21.10.2019, Zl. KLVwG-1418-1429/8/2019 und Zl. KLVwG-1034-1035/8/2019, dass der Erstbeschwerdeführer einen Drittstaatsangehörigen ohne entsprechende Beschäftigungsbewilligung nach dem AuslBG beschäftigte und er diesbezüglich rechtskräftig zu Geldstrafen verurteilt wurde.

Dass dem begründeten Antragsvorbringen der Beschwerdeführer im Vergleich zur rechtskräftigen Rückkehrentscheidung vom 22.11.2017 ein im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG geänderter Sachverhalt vorliegt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, ergibt sich zunächst aus der zeitlichen Komponente. So ist seit der ersten rechtskräftig erlassenen Rückkehrentscheidung vom 17.11.2017 und dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 06.12.2019 ein Zeitraum von rund zwei Jahren vergangen sind. Hinzu kommt, dass der Erstbeschwerdeführer zwischenzeitig eine berufliche Tätigkeit ausübt, daraus seine Selbsterhaltungsfähigkeit resultiert und diesbezüglich allerdings auch mehrfache Verwaltungsübertretung angefallen sind. Aber auch die gegenständliche Entwicklung der beiden minderjährigen Kinder bedarf - wiederum unter Berücksichtigung der zeitlichen Komponente und des Kindeswohls - einer ergänzenden Abwägung.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

3.1. Zur Rechtlage:

Gemäß § 58 Abs. 10 AsylG hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

3.2. Zur Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Nach der zu § 44b Abs. 1 Z 1 NAG 2005, der Vorgängerregelung des § 58 Abs. 10 AsylG 2005, ergangenen Judikatur, liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste. Vielmehr läge ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nur dann nicht vor, wenn die geltend gemachten Umstände von vornherein keine solche Bedeutung aufgewiesen hätten, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 MRK geboten hätte. Nur in einem solchen Fall ist eine - der Sache nach der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildete - Zurückweisung (nunmehr) gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zulässig (vgl. VwGH 19.09.2019, Ra 2019/21/0173; 22.08.2019, Ra 2019/21/0102).

Da nach der Rechtsprechung des VwGH zur Vorgängerbestimmung letztlich auch bei einer Zurückweisungsnorm wie vorliegend inhaltliche Aspekte eine wesentliche Rolle spielen, ist die Abgrenzung zwischen einer Abweisung und einer Zurückweisung wohl nur eine graduelle. Hinsichtlich des Nicht-Bestehens eines Aufenthaltsrechts nur aufgrund eines Antrags nach § 55 (Abs. 19) besteht kein Unterschied, ob eine abweisende oder eine zurückweisende Entscheidung vorliegt (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, [2016], § 58, K14).

Im gegenständlichen Fall kamen seit der ersten rechtkräftigen Entscheidung vom 17.11.2017 mehrere Komponenten - wie beispielsweise die zeitliche Differenz von mehr als zwei Jahren seit der ersten rechtskräftigen Entscheidung, die Beschäftigung bzw. die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit des Erstbeschwerdeführers und eine allenfalls darauf basierende Selbsterhaltungsfähigkeit bzw. auch die daraus resultierenden Verwaltungsübertretungen sowie die Entwicklung der minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer bzw. der Schuleintritt des Viertbeschwerdeführers und eine daraus allenfalls geänderte Situation im Hinblick auf das Kindeswohl - neu hervor. Diese Indizien eines maßgeblich geänderten Sachverhaltes schließen eine rein formelle Entscheidung des Antrags aus und machen eine inhaltliche Auseinandersetzung erforderlich.

Hat die belangte Behörde (wie hier) einen Antrag zurückgewiesen, so ist Sache des Beschwerdeverfahrens lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Eine erstmalige inhaltliche Entscheidung über den zugrundeliegenden Antrag würde demgegenüber den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschreiten (vgl. VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115).

Auf Grundlage der vorangegangenen Ausführungen erwies sich eine Zurückweisung nach § 58 Abs 10 AsylG daher als unzulässig und war deshalb in Stattgebung der Beschwerde der Bescheid zu beheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Im gegenständlichen Verfahren wurde sich eingehend mit der Thematik "Zurückweisung eines Antrages auf eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG" auseinandergesetzt. Wie die zugrundeliegende Judikatur (vgl. VwGH 19.09.2019, Ra 2019/21/0173;

22.08.2019, Ra 2019/21/0102) zeigt, weicht die gegenständliche Entscheidung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung;

weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Abschiebung, Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK,
aufschiebende Wirkung - Entfall, Behebung der Entscheidung,
Einreiseverbot, Familienverfahren, geänderte Verhältnisse,
Interessenabwägung, Kassation, mündliche Verhandlung, mündliche
Verkündung, öffentliche Interessen, Privat- und Familienleben,
private Interessen, Prozesshindernis der entschiedenen Sache,
Rückkehrentscheidung, schriftliche Ausfertigung, Schuleintritt,
Selbsterhaltungsfähigkeit, Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I422.2189882.4.01

Zuletzt aktualisiert am

11.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten