TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/11 I409 2149645-1

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Veröffentlicht am 11.12.2019
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Entscheidungsdatum

11.12.2019

Norm

BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §52 Abs4
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I409 2149645-1/28E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Florian Schiffkorn als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20. Februar 2017, Zl. "1025489701/161151902", zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Die belangte Behörde führt unter dem Punkt "A) Verfahrensgang" im angefochtenen Bescheid Folgendes aus:

"Sie reisten aufgrund Ihrer Eheschließung mit Frau S. B. S. im Oktober 2014 in das österreichische Bundesgebiet ein.

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Sie haben sich am 20.10.2014 erstmals in Österreich mit Hauptwohnsitz angemeldet.

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Am 31.10.2014 wurde Ihnen der erste Aufenthaltstitel in Österreich ausgehändigt.

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Seit 11.01.2016 sind Sie in XXXX B., XXX polizeilich gemeldet.

-

Am 25.07.2016 haben Sie bei der Bezirkshauptmannschaft B. einen Antrag auf Verlängerung Ihres bis 02.09.2016 gültigen Aufenthaltstitels eingebracht.

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Am 18.08.2016 teilte die Bezirkshauptmannschaft B. dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels fehlen.

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Am 22.08.2016 hat das BFA mittels Parteiengehör gegen Sie ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet. Es wurde Ihnen mitgeteilt, dass die Voraussetzungen für einen weiteren Aufenthalt nicht mehr vorliegen. Gleichzeitig wurde Ihnen eine Frist von 2 Wochen, für die Einreichung einer Stellungnahme, eingeräumt.

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Am 06.09.2016 reichten Sie eine Stellungnahme ein, welche im Wesentlichen beinhaltet:

Ihre persönlichen Daten wären D. R., geb. am XX.XX.XXXX in K./Tunesien. Wohnhaft: XXX, XXXX B.

In Österreich seit 15.10.2014. Am 17.04.2014 hätten Sie in Tunesien eine österreichische Frau Namens S. B. S. geheiratet. Daher wären Sie am 15.10.2014 zu dieser nach H. gezogen.

Seit 15.10.2016 würden Sie sich durchgehend in Österreich aufhalten.

Sie hätten keine Familienangehörige außer Ihrer Frau.

Sie hätten bis September 2015 im Mc Donalds in H. gearbeitet, dann allerdings wären eine Herzerkrankung festgestellt worden und Sie wären am Herzen operiert worden.

Bis 18.08.2016 wären Sie beim AMS gemeldet gewesen. Jetzt hätten Sie keine Beschäftigung mehr bekommen, da Ihr Visum abgelaufen wäre.

Derzeit würden Sie im Kolpinghaus in B. wohnen. Sie hätten Freunde und Bekannte in Vorarlberg. Sie hätten Familie in Tunesien, seit zwei bis drei Jahren ganz wenig Kontakt.

Aufgrund Ihrer Herzoperation würden Sie merken, dass Sie noch nicht voll belastbar wären.

Da Sie immer noch Medikamente und alle 14 Tage ärztliche Kontrolle benötigen würden, wäre Sie nicht bereit das Bundesgebiet freiwillig zu verlassen.

Sie würden nicht auf fremde Hilfe angewiesen sein wollen, daher wäre Ihr Ziel schnellstmöglich gesund zu werden und einer geregelten Arbeit nachzugehen. Derzeit wären Sie intensiv auf Arbeitsplatzsuche und auf Wohnungssuch. Ihnen wäre bewusst, dass auch das Kolpinghaus nur als Übergangslösung gedacht wäre und auch Sie würden selbst nicht länger von der Mindestsicherung abhängig sein wollen.

-

Am 14.12.2016 reichten Sie weitere ärztliche Berichte ein."

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 20. Februar 2017 wurde gemäß "§ 52 Absatz 4 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF" eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I). Weiters wurde gemäß "§ 52 Absatz 9 FPG" festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß "§ 46 FPG" nach Tunesien zulässig ist (Spruchpunkt II), und die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß "§ 55 Absatz 1 bis 3 FPG" mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt III).

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 7. März 2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Entscheidung über die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid

A) 1. Feststellungen

A) 1.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der unbescholtene Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Tunesien, geschieden und kinderlos. Er ist zumindest mit gewissen Einschränkungen erwerbsfähig. Er leidet an keiner lebensbedrohlichen bzw. an keiner schwerwiegenden Krankheit.

Seine Identität steht fest. Er reiste im Oktober 2014 als Ehegatte einer österreichischen Staatsangehörigen in das österreichische Bundesgebiet ein; mit Beschluss des Bezirksgerichtes B. vom 17. Dezember 2017 wurde die Ehe wieder geschieden. Er war hier berufstätig, jedoch teilte die Bezirkshauptmannschaft B. mit Schreiben vom 11. Oktober 2018 mit, dass der Beschwerdeführer (wieder) um die Gewährung von Mindestsicherung angesucht habe. Insgesamt bezog der Beschwerdeführer bislang 46.942,78 Euro an Leistungen aus der Mindestsicherung.

Er erwarb am 21. August 2017 das "ÖSD Zertifikat Deutsch Österreich B1". Am 27. Jänner 2018 wurde er römisch-katholisch getauft, wobei nicht festgestellt werden kann, dass er tatsächlich seinen moslemischen Glauben aufgegeben hat.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich bis auf Bekannte und Freunde keine maßgeblichen privaten und vor allem keine familiären Anknüpfungspunkte. Seine Familie lebt in Tunesien.

Aufgrund der allgemeinen Lage im Land wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Tunesien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird.

A) 1.2. Zu den Feststellungen zur Lage in Tunesien:

Zur Lage in Tunesien werden folgende Feststellungen getroffen:

"Politische Lage

Tunesien ist gemäß der Verfassung von 2014 ein freier, unabhängiger und souveräner Staat, dessen Religion der Islam, dessen Sprache das Arabische und dessen Regierungsform die Republik ist. Die Revolution vom 14.1.2011 mit der Flucht des bisherigen Präsidenten Ben Ali hatte zu einer Phase des politischen Übergangs geführt. Ferner betont die Verfassung den zivilen und rechtsstaatlichen Charakter des Regierungssystems. Die Verfassung sieht ein gemischtes Regierungssystem vor, in dem sowohl der Präsident der Republik als auch das Parlament direkt vom Volk gewählt werden. Die Mitglieder der Regierung werden vom Präsidenten ernannt und benötigen darüber hinaus das Vertrauen des Parlaments. Der Premierminister bestimmt die Richtlinien der Politik, mit Ausnahme der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die in der Zuständigkeit des Staatspräsidenten liegen (AA 10.2017a). Die Verfassung garantiert durch eine stärkere Gewaltenteilung und die Einrichtung eines Verfassungsgerichtshofs eine bessere Kontrolle der verschiedenen Gewalten. Außerdem wurde die Gleichstellung von Frauen festgeschrieben. Bezüglich der Rolle der Religion einigten sich die Abgeordneten auf einen zwiespältigen Text, der sowohl den zivilen Charakter des Staates sowie Glaubens- und Gewissensfreiheit garantiert, als auch den Schutz des Sakralen festschreibt (GIZ 6.2018a).

Die Parlamentswahlen am 26.10.2014 konnte die säkulare Partei Nidaa Tounes mit 86 Sitzen vor der islamisch-konservativen Ennahdha mit 69 Sitzen (von insgesamt 217) für sich entscheiden (AA 10.2017a; vgl. GIZ 6.2018a). Bei den Präsidentschaftswahlen setzte sich am 21.12.2014 (Stichwahl) der Gründer der Nidaa Tounes und Übergangspremierminister von 2011 Beji Caid Essebsi gegen Übergangspräsident Moncef Marzouki durch (GIZ 6.2018a).

Aus den freien und fairen Parlamentswahlen 2014 ging eine seit 2015 regierende große Koalition unter Führung der säkular-konservativen Partei Nidaa Tounes sowie der islamischen Partei Ennahdha hervor. Seit 2016 ist eine "Regierung der nationalen Einheit" unter Premierminister Youssef Chahed (Nidaa Tounes) im Amt, die 2017 einer durchgreifenden Umbildung unterzogen wurde. Ihr Regierungsprogramm ist im sogenannten "Pakt von Karthago" niedergelegt, der von neun Parteien sowie dem Arbeitgeberverband (UTICA), dem Gewerkschaftsbund (UGTT) und dem Verband der Bauern und Fischer (UTAP) unterzeichnet wurde (AA 10.2017a).

Nach zähen Verhandlungen bildete Nidaa Tounes im Februar 2015 eine Koalitionsregierung mit Vertretern der wirtschaftsliberalen Partei Afek Tounes, der populistischen UPL und Ennahdha. Regierungschef war bis Juli 2016 der parteilose Habib Essid. Nach Druck durch Staatspräsident Essebsi, der kritisierte, dass die Regierung nicht effizient arbeite, stellte er die Vertrauensfrage, die er am 30.6.2016 verlor (GIZ 6.2018a). Seit 2016 ist eine "Regierung der nationalen Einheit" unter Premierminister Youssef Chahed (Nidaa Tounes) im Amt, die 2017 einer durchgreifenden Umbildung unterzogen wurde (AA 10.2017a).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (10.2017a): Tunesien - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tunesien-node/-/219068, Zugriff 9.10.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018a): Tunesien - Geschichte & Staat, http://liportal.giz.de/tunesien/geschichte-staat/, Zugriff 9.10.2018

Sicherheitslage

Die von der Regierung Essid als auch der Regierung Chahed angestrebte Verbesserung der Sicherheitslage im Inneren und der Anti-Terrorkampf bleiben trotz vermehrter Anstrengungen und zahlreichen Verhaftungs- und Durchsuchungsaktionen weiter eine Herausforderung. Nach den tragischen Anschlägen im Jahr 2015 auf das Bardo Museum, eine Hotelanlage in Sousse sowie einen Bus der Präsidialgarde, blieben der Großraum Tunis sowie touristische Anlagen von gezielten Terroranschlägen verschont. Dies mag auch an dem intensiven und konsequenten Vorgehen der Sicherheitskräfte liegen. Dennoch wurde durch den schweren Angriff von IS-Milizen auf die tunesisch-libysche Grenzstadt Ben Guerdane im März 2016 ein neues Kapitel der Gefährdung aufgeschlagen. Hier konnten die Sicherheitskräfte, insbesondere das Militär, den Angriff durch vermutlich ca. 100 vermeintliche IS-Kämpfer binnen kurzer Zeit niederschlagen. Dies zeigt, dass die Sicherheitskräfte sehr entschlossen gegen die latente und weiterhin präsente Gefährdung vorgehen (AA 23.4.2018).

Laut österreichischem Außenministerium gilt eine partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5) für die Saharagebiete, das Grenzgebiet zu Algerien und die westlichen Landesteile (BMEIA 9.10.2018). Reisewarnungen bestehen für die Region südlich der Orte Tozeur - Douz - Ksar Ghilane - Tataouine - Zarzis . Die militärische Sperrzone im Süden ist unbedingt zu beachten und darf außer mit Sondergenehmigung der Sicherheitsbehörden nicht bereist werden (BMEIA 9.10.2018; vgl. AA 9.10.2018). Mit gewaltsamen Aktionen von Terrororganisationen ist zu rechnen. Das militärische Sperrgebiet an der Grenze zu Algerien in der Nähe des Berges Chaambi ist teilweise vermint und kann von den Sicherheitskräften kurzfristig ausgedehnt werden. Im Westen des Landes ist mit verstärkter Militär- und Polizeipräsenz zu rechnen; es finden bewaffnete Auseinandersetzungen mit Terroristengruppen statt. Hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3) im Rest des Landes - bis auf die Touristenzonen (BMEIA 9.10.2018).

Der seit Ende 2015 verhängte Ausnahmezustand wurde erneut bis zum 6.11.2018 verlängert. Begründet wird dies mit den Erfordernissen der Terrorismusbekämpfung und der organisierten Kriminalität. Dazu ist anzumerken, dass der Ausnahmezustand - auch wenn er den Sicherheitskräften weitreichendere Prärogative einräumt - auf das tägliche Leben keine bemerkbaren Auswirkungen hat und im öffentlichen Leben kaum wahrgenommen wird (ÖB 16.10.2018). Das deutsche Auswärtige Amt rät von Reisen in die Gebirgsregionen nahe der algerischen Grenze, im Bereich von El Aioun bis Kasserine aufgrund von möglichen bewaffneten Auseinandersetzungen mit dort operierenden Terrorgruppen ab. Im Westen des Landes ist jenseits der Hauptverkehrsrouten generell besondere Vorsicht anzuraten. Aufgrund der weiterhin angespannten Lage, wird bei Reisen in die Stadt und die Region um Ben Guerdane zu besonderer Vorsicht geraten (AA 9.10.2018).

Aufgrund sozial-ökonomisch bedingter Protestbewegungen war es 2017 schon in den Regionen um Tataouine und Kebili im Süden des Landes zu spontanen Straßenblockaden und gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften gekommen (AA 9.10.2018).

Die Sicherheitslage ist nach wie vor prekär, geprägt von täglichen Sicherheitsoperationen von Militär und Polizei und Meldungen über vereitelte Anschläge. Die Sorge der Infiltration aus Libyen und anderen Konfliktzonen zurückkehrenden Islamisten tunesischen Ursprungs ist groß. Auch mithilfe ausländischer logistischer Unterstützung wurde die Grenzkontrolle drastisch erhöht (ÖB 10.2017). Neben dem IS sind weiterhin Gruppen aktiv, die Al Qaida, oder anderen extremistisch-islamistischen Ideologien angehören. Beim mit Algerien seit Jahren geführten gemeinsamen Kampf gegen terroristische Gruppierungen im Grenzbereich besteht ein Pattverhältnis, das die Bewegungsfreiheit der Terrorzellen weitgehend einschränkt, aber nicht verhindert. Dennoch sind die Sicherheitskräfte auch hier bemüht, die Situation zunehmend unter Kontrolle zu bringen, wobei das Gelände den Terrorzellen gute Rückzugsmöglichkeiten bietet. Die Sicherheitslage in Libyen verfolgt die tunesische Regierung mit großer Sorge. Die Sicherheitskräfte an der Grenze zu Libyen, einschließlich Militär, wurden daher erheblich verstärkt (AA 23.4.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (23.4.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1432981/4598_1526980268_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-republik-tunesien-stand-dezember-2017-23-04-2018.pdf.

Zugriff 28.9.2018

-AA - Auswärtiges Amt (28.9.2018): Tunesien - Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tunesien-node/tunesiensicherheit/219024, Zugriff 28.9.2018

-BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (9.10.2018): Tunesien - Reiseinformationen, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tunesien/, Zugriff 9.10.2018

-ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (10.2017): Asylländerbericht Tunesien

-ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (16.10.2018): Auskunft via Mail vom 16.10.2018

Rechtsschutz / Justizwesen

Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor (USDOS 20.4.2018; vgl. FH 1.2018, AA 23.4.2018). Im Allgemeinen respektiert die Regierung die richterliche Unabhängigkeit auch in der Praxis (USDOS 20.4.2018). Allerdings schreitet die Justizreform seit der Revolution nur langsam voran (FH 1.2018; vgl. AA 23.4.2018). Der Oberste Justizrat konnte seine Arbeit als neues Selbstverwaltungsorgan der Justiz erst aufnehmen, nachdem eine Gesetzesänderung die internen Konflikte der Richterschaft neutralisiert hatte. Als nächster Schritt soll die Konstituierung eines ordentlichen Verfassungsgerichts erfolgen; bislang wacht eine provisorische Instanz über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen vor ihrem Inkrafttreten (AA 23.4.2018).

Auch weiterhin finden sich zahlreiche Richter aus der Ben-Ali-Ära auf der Richterbank, und aufeinander folgende Regierungen versuchen regelmäßig, die Gerichte zu manipulieren. Mit den 2016 verabschiedeten Rechtsvorschriften wurde der Oberste Justizrat eingesetzt, der für die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Justiz und die Ernennung der Richter des Verfassungsgerichts zuständig ist. Die Ratsmitglieder wurden im Oktober 2016 von Tausenden von Juristen gewählt. Das Gericht, das die Verfassungsmäßigkeit von Dekreten und Gesetzen bewerten soll, wurde jedoch weder eingerichtet noch formell ernannt (FH 1.2018).

Gesetzlich ist ein faires Verfahren vorgesehen, und die unabhängige Justiz gewährleistet dieses üblicherweise auch in der Praxis. Gemäß Angeklagten sind die gesetzlich garantierten Rechte nicht immer gewährleistet. Es gilt die Unschuldsvermutung. Angeklagte haben das Recht auf einen öffentlichen Prozess sowie auf einen Anwalt, der nötigenfalls aus öffentlichen Mitteln bereitgestellt werden muss. Sie haben das Recht, zu Zeugenaussagen Stellung zu nehmen und eigene Zeugen aufzurufen. Sie müssen in Beweismittel Einsicht nehmen können und müssen über die gegen sie erhobenen Anklagepunkte informiert werden. Des Weiteren muss ihnen ausreichend Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung gewährt werden (USDOS 20.4.2018).

Der bereits mehrfach verlängerte Ausnahmezustand, der im Jahr 2015 verhängt worden war, gibt der Polizei ein breites Mandat für Verhaftungen und Inhaftierungen bei sicherheits- oder terrorismusbezogenen Verdachtsfällen (FH 1.2018; vgl. ÖB 10.2017).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (23.4.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1432981/4598_1526980268_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-republik-tunesien-stand-dezember-2017-23-04-2018.pdf.

Zugriff 9.10.2018

-FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1426446.html, Zugriff 9.10.2018

-ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (10.2017): Asylländerbericht Tunesien

-USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/1430358.html, Zugriff 9.10.2018

Sicherheitsbehörden

Dem Innenministerium untersteht die Polizei (Exekutivfunktion in Städten) und die Nationalgarde bzw. Gendarmerie (Exekutivfunktion in ländlichen Gebieten und Grenzsicherung). Zivile Behörden kontrollieren den Sicherheitsapparat, wiewohl es gemäß NGOs vereinzelt zu Misshandlungen von Häftlingen kommt (USDOS 20.4.2018; vgl. GIZ 6.2018a). Es mangelt an effektiven Strafverfolgungs- und Strafmechanismen bei Vergehen seitens der Sicherheitskräfte, und diesbezügliche interne Untersuchungen sind von einem Mangel an Transparenz geprägt (USDOS 20.4.2018).

Der Sicherheitsapparat war unter dem Ben Ali-Regime allgegenwärtig und sicherte dessen Machterhalt. Die Rolle der Sicherheitskräfte während des Umsturzes, aber teilweise auch bei gewaltsam aufgelösten Demonstrationen gegen die ersten beiden Interimsregierungen im Frühjahr 2011, vertieften den Vertrauensverlust der Bevölkerung gegenüber den Sicherheitsorganen, insbesondere der Polizei und den Sondereinheiten des Innenministeriums. Die Kluft zwischen Innenbehörden und Bevölkerung konnte auch durch die Auflösung der Geheimpolizei ("police politique"), die Symbol der staatlichen Repression war, nicht wieder geschlossen werden. Die Demonstranten forderten u.a. den Austausch von führenden Mitarbeitern im Innenministerium. Diese Forderung wurde zunächst nicht im erhofften Maße umgesetzt. Erst mit einiger Verspätung zog das Innenministerium personelle Konsequenzen und Verantwortliche auf verschiedenen Ebenen wurden umgesetzt, entlassen oder in den Vorruhestand versetzt. Eine von allen internationalen Partnern für notwendig erachtete umfassende Reorganisation des tunesischen Innenministeriums einschließlich der nachgeordneten Behörden wurde bislang noch nicht angegangen, es wurde aber im Sommer 2015 ein internationaler Kooperationsmechanismus etabliert, der zu mehr Transparenz und Koordination der Unterstützung führte (AA 23.4.2018).

Das Militär genießt aufgrund seiner zurückhaltenden Rolle während der Revolution 2011 ein sehr hohes Ansehen in der Bevölkerung, welches bis dato anhält. So besagen Umfragen aus September 2016, dass 98,5% der Bevölkerung Vertrauen in die Armee haben. Durch die derzeit starke Einbindung des Militärs in den Antiterrorkampf als auch bei der Sicherung der Grenzen (so ist z.B. der Süden Tunesiens militärische Sperrzone) ist das Militär nach wie vor wichtiger Stützpfeiler der äußeren aber auch der inneren Sicherheit (AA 23.4.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (23.4.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1432981/4598_1526980268_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-republik-tunesien-stand-dezember-2017-23-04-2018.pdf.

Zugriff 9.10.2018

-GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018a):

Tunesien, Geschichte & Staat,

https://www.liportal.de/tunesien/geschichte-staat/, Zugriff 9.10.2018

-USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/1430358.html, Zugriff 9.10.2018

Folter und unmenschliche Behandlung

Artikel 23 der tunesischen Verfassung vom 26.1.2014 garantiert den Schutz der Menschenwürde und der körperlichen Unversehrtheit, verbietet seelische oder körperliche Folter und schließt eine Verjährung des Verbrechens der Folter aus. Mit der Ratifizierung des Zusatzprotokolls zur Konvention der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe am 29.6.2011 hat sich Tunesien zur Einrichtung eines nationalen Präventionsmechanismus verpflichtet. Eine innerstaatliche gesetzliche Grundlage wurde 2013 geschaffen. 2016 schließlich wählte das Parlament die Mitglieder der neuen "Nationalen Instanz zur Verhütung von Folter". Zu ihren Hauptaufgaben gehören unangemeldete Besuche an allen Orten des Freiheitsentzugs (AA 23.4.2018).

Auch wenn NGOs in den vergangenen Jahren einen Rückgang an Folterfällen festgestellt haben, so gibt es weiterhin glaubwürdige Berichte über Misshandlungen von Inhaftierten durch die Sicherheitskräfte (USDOS 20.4.2018). Es gab Berichte über Folter und andere Misshandlungen, ohne dass die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurden (AI 22.2.2018). Tunesische und internationale Medien sowie spezialisierte NGOs, wie die Organisation Mondiale contre la Torture (OMCT) oder die Organisation contra la Torture en Tunisie (OCTT), berichten kontinuierlich über entsprechende Einzelfälle sowie Bestrebungen, rechtliche Schritte gegen die Verantwortlichen einzuleiten. Bislang sei es jedoch in keinem einzigen Fall gelungen, eine Verurteilung von Amtspersonen oder ehemaligen Amtspersonen wegen Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung zu erreichen. Abstrakte Befürchtungen, dass diese Delikte wieder zunehmen könnten, werden vor allem im Zusammenhang mit Terrorabwehrmaßnahmen geäußert (AA 23.4.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (23.4.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1432981/4598_1526980268_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-republik-tunesien-stand-dezember-2017-23-04-2018.pdf.

Zugriff 3.10.2018

-AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Tunisia„ http://www.ecoi.net/local_link/336537/479211_de.html, Zugriff 3.10.2018

-USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/1430358.html, Zugriff 3.10.2018

Korruption

Tunesien nimmt auf dem Corruption Perceptions Index von Transparency International (2017) Platz 74 von 180 ein (TI 21.2.2018). Das Land schneidet nach dem Umbruch 2011 schlechter ab als noch unter Ben Ali. Vor allem die sogenannte kleine Korruption hat seitdem zugenommen. Im Alltag sind insbesondere Verkehrsdelikte und Verwaltungsangelegenheiten von Korruption betroffen, wo oft bestochen wird, um Verfahren zu beschleunigen oder Strafzetteln zu entgehen (GIZ 6.2018a). Die Korruption bestimmt den sozialen Alltag von der banalen Bestechung eines Polizisten, bis zur Einschulung der Kinder in eine gut beleumundete Schule oder der Vergabe schlechter Schulnoten durch Lehrer/innen, die sich durch Nachhilfestunden ihr Gehalt aufbessern (ÖB 10.2017).

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Beamte vor, und die Regierung hat einige Vorkehrungen getroffen, um diese Gesetze umzusetzen, obwohl sie nicht immer wirksam sind. So hat die Regierung unter der Leitung des Premierministers z.B. eine Antikorruptionskampagne gestartet (USDOS 20.4.2018). Die Instanz zur Korruptionsbekämpfung sensibilisiert für das Thema und übergibt regelmäßig mutmaßliche Korruptionsfälle an die Justiz, wo diese jedoch nicht prioritär behandelt werden. Ende Mai 2017 hat die Regierung eine Kampagne gegen korrupte Geschäftsleute gestartet (GIZ 6.2018a). Eine Reihe von Verhaftungen und Ermittlungen richteten sich auch gegen Politiker, Journalisten, Polizisten und Zollbeamte. Zu den Vorwürfen gehörten Veruntreuung, Betrug und die Annahme von Bestechungsgeldern (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018a):

Tunesien, Geschichte & Staat,

https://www.liportal.de/tunesien/geschichte-staat/, Zugriff 28.9.2018

-ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (10.2017): Asylländerbericht Tunesien

-TI - Transparency International (21.2.2018): Corruption Perceptions Index 2017,

https://www.transparency.org/news/feature/corruption_perceptions_index_2017, Zugriff 28.9.2018

-USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/1430358.html, Zugriff 28.9.2018

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Eine Vielzahl nationaler und internationaler NGOs untersucht Menschenrechtsfälle und publiziert ihre Ergebnisse ohne Restriktionen durch die Regierung. Regierungsbeamte sind üblicherweise kooperativ und reagieren auf ihre Ansichten (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 23.4.2018). Die seit der Revolution sehr aktiv gewordene Zivilgesellschaft trägt ihren Beitrag zur Anprangerung und Bekämpfung von Missständen bei, hat jedoch noch nicht genügend Einfluss auch tatsächlich spürbare Änderungen in Richtung mehr Respekt von bürgerlichen Rechten und Freiheiten herbeizuführen (ÖB 10.2017).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (23.4.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1432981/4598_1526980268_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-republik-tunesien-stand-dezember-2017-23-04-2018.pdf.

Zugriff 3.10.2018

-ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (10.2017): Asylländerbericht Tunesien

-USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/1430358.html, Zugriff 3.10.2018

Wehrdienst und Rekrutierungen

Die tunesische Armee (Forces Armees Tunisiens, FAT) besteht aus den Landstreitkräften, der Marine und der Luftwaffe. Der verpflichtende Wehrdienst dauert ein Jahr und muss von männlichen Staatsbürgern im Alter von 20-23 Jahren abgeleistet werden. Freiwillig kann man sich bereits ab 18 Jahren zum Militärdienst melden. Die tunesische Staatsbürgerschaft ist Voraussetzung (CIA 26.9.2018; vgl. ÖB 10.2017, AA 23.4.2018).

Die einjährige Wehrpflicht kann auch in den Arbeitsverbänden des "Service National" abgeleistet werden. Einberufene können aufgrund von Freistellungsregelungen Teile der Wehrpflichtzeit durch Zahlung von entsprechenden Beiträgen verkürzen (AA 23.4.2018). Tunesien verfügt über eine "selektive" Wehrpflicht, was de facto bedeutet, dass die Mehrheit der Wehrpflichtigen nur einen einmonatigen Wehrdienst leisten und sich mittels Sondersteuer von den übrigen 11 Monaten befreien. Das Gesetz sieht zahlreiche Ausnahmen vor: so sind junge Männer in Ausbildung, Familienerhalter, über 30jährige, rechtmäßig sich im Ausland Aufhaltende, u.a. vom Wehrdienst befreit. Gehaltsbezieher können sich vom Wehrdienst befreien indem sie einen Teil Ihres Bezugs zugunsten der Sozialkassen der Armee abführen. Die aktuelle Sicherheitslage hat zu einer grundlegenden Änderung des verpflichtenden Wehrdienstes geführt: de facto werden nur noch sich freiwillig Stellende und diese nur nach einer genauen Sicherheitsüberprüfung eingezogen. (ÖB 10.2017).

Zum 1.7.2011 ist ein Wehrsold eingeführt worden. Seit März 2003 gibt es auch für junge Frauen die Möglichkeit zur Ableistung des Wehrdienstes. Kriegsdienstverweigerung und Fahnenflucht sind strafbar, entsprechende Verurteilungen aber nicht bekannt (AA 23.4.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (23.4.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1432981/4598_1526980268_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-republik-tunesien-stand-dezember-2017-23-04-2018.pdf, Zugriff 2.10.2018

-CIA - Central Intelligence Agency (26.9.2018): The World Factbook - Tunisia,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ts.html, Zugriff 2.10.2018

-ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (10.2017): Asylländerbericht Tunesien

Allgemeine Menschenrechtslage

Seit dem Volksaufstand und dem Beginn der Demokratisierung 2010/11 hat Tunesien deutliche Fortschritte beim Schutz der Menschenrechte gemacht (AA 10.2017a; vgl. GIZ 9.2018a). Die tunesische Verfassung vom 26.1.2014 enthält umfangreiche Garantien bürgerlicher und politischer sowie wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Grundrechte. Tunesien hat die meisten Konventionen der Vereinten Nationen zum Schutz der Menschenrechte einschließlich der entsprechenden Zusatzprotokolle ratifiziert. Vereinzelt noch bestehende Vorbehalte wurden 2011 größtenteils zurückgezogen (AA 23.4.2018; vgl. AA 10.2017a). Eine ständige Herausforderung bleibt die Anpassung der nationalen Rechtsordnung an die neue Verfassung sowie internationale Standards. Wesentliche Problemfelder bleiben Defizite beim Schutz vor Folter und unmenschlicher Behandlung - vor allem im Kontext der Terrorabwehr sowie immer wieder aufflammender sozialer Unruhen (AA 10.2017a).

Tunesien verfügt über eine Reihe an Institutionen, die sich mit Menschenrechten befassen. Das Land schneidet allerdings auch nach dem Umbruch in den Berichten internationaler Menschenrechtsorganisationen regelmäßig schlecht ab. Eingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit, Folter von Häftlingen und Attacken gegen Oppositionelle listet der aktuelle Jahresbericht von Amnesty International auf. Auch laut der Internationalen Menschenrechtsliga (FIDH) kommt es nach wie vor zu Menschenrechtsverletzungen (GIZ 9.2018a).

Im Vergleich zu den weitreichenden Einschränkungen von Meinungs- und Pressefreiheit vor der Revolution 2011 haben sich die Bedingungen für unabhängige Medienberichterstattung in den letzten Jahren grundlegend verbessert. Sowohl wurden wichtige rechtliche Grundlagen zum Schutz der freien Presse geschaffen, als auch die offiziellen und informellen Strukturen, die zur Unterdrückung freier Meinungsäußerung eingesetzt wurden, größtenteils abgeschafft. Die Meinungs- und Pressefreiheit, sowie auch das Recht auf Zugang zu Informationen und Kommunikationsnetzwerken wurden in den Artikeln 31 und 32 der Verfassung von 2014 ausdrücklich gestärkt. Die Medien berichten frei und offen in unterschiedlicher Qualität. Auch die Regierung kommuniziert besser. Lediglich im Bereich Zugang zu Information und Kenntnis darüber gibt es Verbesserungsbedarf (AA 23.4.2018). Allerdings verlängerten die Behörden 2017 den Ausnahmezustand erneut und legitimierten damit willkürliche Einschränkungen (AI 22.2.2018).

Die Öffnung der Medienszene hat in den letzten Jahren zum Entstehen einer lebendigen, teilweise wildwüchsigen Medienlandschaft geführt, die Missstände offen thematisiert (AA 23.4.2018). Gesetzlich sind Meinungs- und Pressefreiheit somit gewährleistet und die Regierung respektierte diese Rechte im Allgemeinen, wiewohl es weiterhin Restriktionen gibt (USDOS 20.4.2018). Diese Restriktionen finden sich z. B. in Bezug auf sicherheitsrelevante Themen. Seit den Ausweitungen der Antiterrormaßnahmen hat sich diese Tendenz verstärkt. Journalisten und Blogger, die Kritik an Sicherheitskräften üben, müssen weiterhin mit Strafen rechnen. Ebenso existieren weiterhin Einschränkungen bei der Kritik an der Religion. Rechtlich verankert ist dies u.a. in Artikel 6 der Verfassung, der den "Schutz des Sakralen" garantiert. Blogger und Journalisten erhalten weiterhin Morddrohungen aus dem radikal-islamistischen Lager, wenn sie sich kritisch zur Religion positionieren (AA 23.4.2018). Während Online- und Printmedien häufig regierungskritische Artikel veröffentlichen, üben Journalisten und Aktivisten dennoch zeitweise Selbstzensur als Resultat von Gewaltakten gegen Journalisten. Meinungsäußerungen, die "die öffentliche Ordnung oder Moral verletzen" oder "absichtlich Personen stören, auf eine Art und Weise, die den öffentlichen Anstand beleidigen" stehen weiterhin unter Strafe (USDOS 20.4.2018).

Die staatliche "Agence Tunisienne d'Internet" (ATI) hat sich zur Gewährleistung eines freien Internetzugangs verpflichtet. Internetseiten mit kritischer Berichterstattung zu Tunesien sind ohne Einschränkungen zugänglich (AA 23.4.2018).

Die Verfassung garantiert das Recht auf friedliche Versammlungen und Demonstrationen (AA 23.4.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Zu Einschränkungen kam es mehrfach während des Ausnahmezustands, der seit November 2015 immer wieder verlängert wurde. Zeitweise war dies mit einer nächtlichen Ausgangssperre im Großraum Tunis verbunden. Die Sicherheitsbehörden verhielten sich in der Vergangenheit während des Ausnahmezustands zum Teil widersprüchlich. De jure wurden öffentliche Versammlungen und Demonstrationen wiederholt verboten. De facto verzichtete man jedoch darauf, trotz Verbots anberaumte Veranstaltungen gewaltsam aufzulösen (AA 23.4.2018).

Vereinigungsfreiheit ist gesetzlich gewährleistet (AA 23.4.2018; vgl. USDOS 20.4.2018) und in der Praxis üblicherweise nicht eingeschränkt. Nach dem neuen Vereinsrecht können alle Arten von Vereinigungen gegründet und zugelassen werden (AA 23.4.2018).

Die primäre Behörde der Regierung zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen und zum Kampf gegen Bedrohungen der Menschenrechte ist das Justizministerium. Das Ministerium versagt allerdings dabei, Fälle von Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen. Innerhalb des Präsidentenbüros ist der Hohe Ausschuss für Menschenrechte und Grundfreiheiten eine von der Regierung finanzierte Agentur, die mit der Überwachung der Menschenrechte und der Beratung des Präsidenten betraut ist. Das Ministerium für die Beziehungen zu den Verfassungsorganen, der Zivilgesellschaft und den Menschenrechten ist für die Koordinierung der Regierungsaktivitäten im Zusammenhang mit den Menschenrechten zuständig. Die Wahrheits- und Würdekommission (IVD) wurde 2014 gegründet, um schwere Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen (USDOS 23.4.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (23.4.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1432981/4598_1526980268_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-republik-tunesien-stand-dezember-2017-23-04-2018.pdf, Zugriff 3.10.2018

-AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/1425115.html, Zugriff 3.10.2018

-GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2018a):

Tunesien, Geschichte & Staat,

https://www.liportal.de/tunesien/geschichte-staat/, Zugriff 28.9.2018, Zugriff 3.10.2018

-USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/1430358.html, Zugriff 3.10.2018

Haftbedingungen

Die Haftbedingungen in den Haftanstalten, bzw. Justizvollzugsanstalten entsprechen zumeist nicht internationalen Standards, primär aufgrund von Überbelegung und mangelhafter Infrastruktur (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 23.4.2018). Die 27 tunesischen Haftanstalten (plus 6 Zentren für Minderjährige) sind chronisch überbelegt (AA 23.4.2018; vgl. ÖB 10.2017). Laut Generaldirektor für Gefängnisse und Rehabilitation (DGPR) sank die Rate der Gefängnisüberfüllung von 155 Prozent im Jahr 2016 auf 114 Prozent im September 2017 (USDOS 20.4.2018). Laut einer in der Presse zitierten Äußerung des Justizministers im November 2016 befanden sich damals ca. 22.000 Häftlinge in tunesischen Gefängnissen, davon ca. 10.000 rechtskräftig verurteilt. Laut inoffizieller Mitteilung der zentralen Gefängnisverwaltung stehen für die 22.000 Häftlinge allerdings nur 11.000 Betten zur Verfügung. Die hygienischen Verhältnisse entsprechen nicht internationalen Standards (AA 23.4.2018). Die den Häftlingen zur Verfügung stehende Gesundheitsversorgung bleibt unzureichend. Allerdings wurden viele Gefängnisse renoviert und um ein neues Gesundheitszentrum erweitert. (USDOS 20.4.2018).

Seit 2005 besteht eine Vereinbarung zwischen der Regierung und dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (IKRK), die es dem IKRK ermöglicht, die Haftanstalten zu besuchen und der Regierung periodisch zu berichten; diese Möglichkeit wird seither auch regelmäßig genutzt (AA 23.4.2018). Weiters gewährt die Regierung unabhängigen nichtstaatlichen Beobachtern, darunter lokalen und internationalen Menschenrechtsgruppen, NGO, lokalen Medien und dem Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte Zugang zu den Gefängnissen (USDOS 20.4.2018).

Das Gesetz verlangt, dass Untersuchungshäftlinge getrennt von verurteilten Häftlingen festgehalten werden, aber das Justizministerium berichtete, dass dies wegen Überbelegung nicht möglich ist (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (23.4.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1432981/4598_1526980268_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-republik-tunesien-stand-dezember-2017-23-04-2018.pdf, Zugriff 3.10.2018

-ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (10.2017): Asylländerbericht Tunesien

-USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/1430358.html, Zugriff 3.10.2018

Todesstrafe

Das tunesische Strafgesetzbuch von 1913 sieht in seiner geltenden Fassung die Todesstrafe für Mord, Vergewaltigung mit Todesfolge sowie Landesverrat vor. Neue Straftatbestände, für die eine Sanktionierung mit der Todesstrafe vorgesehen ist, wurden durch das am 7.8.2015 in Kraft getretene Gesetz gegen Terrorismus und Geldwäsche geschaffen. Eine verfassungsrechtliche oder gesetzliche Aufhebung der Todesstrafe wurde in der Phase des demokratischen Übergangs seit 2011 diskutiert, fand jedoch in der Verfassungsgebenden Versammlung keine Mehrheit (AA 23.4.2018). Die Todesstrafe wird weiterhin verhängt, jedoch nicht mehr vollstreckt. Die letzte Vollstreckung fand 1991 statt. Seitdem befolgt Tunesien ein Moratorium über die Vollstreckung der Todesstrafe. Jede verhängte Todesstrafe wird in eine lebenslange oder zeitige Freiheitsstrafe umgewandelt (AA 23.4.2018; vgl. AI 22.2.2018, ÖB 10.2017).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (23.4.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1432981/4598_1526980268_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-republik-tunesien-stand-dezember-2017-23-04-2018.pdf, Zugriff 2.10.2018

-AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/1425115.html, Zugriff 2.10.2018

-ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (10.2017): Asylländerbericht Tunesien

Religionsfreiheit

Tunesien ist zu weiten Teilen muslimisch. 98-99% der Bevölkerung sind Muslime - mehr oder weniger praktizierend. Die meisten sind Sunniten. Neben Muslimen leben in Tunesien rund 25.000 Christen (zum Großteil Katholiken), wobei die Gemeinden zum Großteil aus ausländischen Bürgern bestehen. 1.500 Juden leben in Tunesien, die meisten im Großraum Tunis und auf der Insel Djerba, wo sich auch mit der La Ghriba-Synagoge eine wichtige Pilgerstätte für Juden aus aller Welt befindet. Sie gilt als die älteste erhaltene Synagoge in Nordafrika (GIZ 9.2018b; vgl. AA 23.4.2018). Des Weiteren gibt es noch Schiiten und Baha'is (USDOS 29.5.2018).

Der Islam ist offizielle Religion Tunesiens und der Staatspräsident muss laut Verfassung Muslim sein (GIZ 9.2018b; vgl. USDOS 29.5.2018). Allerdings ist die freie Religionsausübung in der Verfassung garantiert (GIZ 9.2018b; vgl. AA 23.4.2018); Religions- und Weltanschauungsfreiheit wird in Tunesien mit gewissen Einschränkungen gewährt (AA 23.4.2018). Die Verfassung reflektiert das herrschende Gleichgewicht zwischen religiösem und säkularem Lager in der Gesellschaft und Politik: Der Islam ist als Religion des Landes anerkannt, aber die islamische Scharia wurde nicht in der Verfassung verankert. Ein ziviler Staat ist die Grundlage der Verfassung, in der ausdrücklich auf die universellen Menschenrechte Bezug genommen wird (AA 23.4.2018; vgl. USDOS 29.5.2018).

Die verschiedenen religiösen Gemeinschaften leben in der Regel friedlich zusammen (GIZ 9.2018b). Tunesien ist gegenüber religiösen Minderheiten grundsätzlich tolerant, auch wenn Nichtmuslime in der Praxis durch das islamisch beeinflusste Personenstandsrecht Diskriminierungen erfahren können (z.B. de facto Benachteiligung bei Sorgerechtsentscheidungen) (AA 23.4.2018).

Bis zur Revolution vom Januar 2011 konnte der Islam über die Befolgung der grundlegenden muslimischen Riten hinaus kaum gesellschaftliche und politische Aktivitäten entfalten. Außerhalb der Gebetszeiten blieben die Moscheen geschlossen. Zudem wurden die Freitagspredigten sowie alle religiösen Gemeinschaften vom Staat überwacht. Mit der Revolution ist der Islam im gesellschaftlichen und politischen Leben des Landes allmählich immer sichtbarer geworden. Nach dem 14.1.2011 war die Kontrolle über viele Moscheen zunächst verloren gegangen, viele staatlich eingesetzte Imame wurden spontan durch neue, in einigen Fällen dem Salafismus nahestehende Imame von ihren Posten verdrängt. Zahlreiche Moscheen wurden zu Zentren, in denen dschihadistische Ziele gepredigt wurden. Strenggläubige Salafisten versuchten, das öffentliche Leben in ihrem Sinne zu beeinflussen, etwa durch striktes Fasten im Ramadan oder Angriffe auf als blasphemisch angesehene Kunstausstellungen. Inzwischen hat das Religionsministerium nach eigenen Angaben die Kontrolle über annähernd alle Moscheen des Landes zurückgewonnen und radikalen Imamen Predigtverbot erteilt bzw. diese Prediger abgesetzt. Allerdings hat lediglich eine geringe Anzahl der derzeit an tunesischen Moscheen eingesetzten Imame eine theologische Ausbildung (5%). Die Regierung plant daher nach der Rückgewinnung der Moscheen nun den Fokus auf die Förderung der Imam-Ausbildung zu legen, um sicherzustellen, dass ein zeitgemäßes, umfassendes Islambild in den Moscheen vermittelt wird (AA 23.4.2018).

Es ist rechtlich möglich, vom Islam zum Christentum zu konvertieren. Missionierung und das Verteilen religiösen Materials sind der katholischen Kirche jedoch verboten (AA 23.4.2018). Es gibt erheblichen gesellschaftlichen Druck gegen die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion (USDOS 29.5.2018). Tunesische Konvertiten (einige Hundert im Land) werden innerhalb ihres sozialen und familiären Umfelds zwar zunächst häufig geächtet, mittelfristig aber gesellschaftlich wieder akzeptiert und integriert (AA 23.4.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (23.4.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1432981/4598_1526980268_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-republik-tunesien-stand-dezember-2017-23-04-2018.pdf, Zugriff 2.10.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (9.2018b): Tunesien - Gesellschaft, http://liportal.giz.de/tunesien/gesellschaft/, Zugriff 2.10.2018

-USDOS - U.S. Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom - Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/1436869.html, Zugriff 2.10.2018

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz gewährleistet Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes (USDOS 20.4.2018; vgl. FH 1.2018), Auslandsreisen, Emigration sowie Wiedereinbürgerung, und die Regierung respektiert diese Rechte in der Praxis im Allgemeinen (USDOS 20.4.2018). Die Situation bezüglich Bewegungsfreiheit hat sich seit 2011 substantiell verbessert. Allerdings können die Behörden unter dem breiten Mandat des Ausnahmezustands die Bewegungsfreiheit einzelner Personen beschränken. Davon waren tausende Menschen betroffen (FH 1.2018).

Einer Flucht innerhalb Tunesiens werden durch die geringe Größe des Landes enge Grenzen gesetzt. Ein Verlassen besonders gefährdeter Gebiete in den Grenzregionen ist grundsätzlich möglich (AA 23.4.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (23.4.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1432981/4598_1526980268_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-republik-tunesien-stand-dezember-2017-23-04-2018.pdf, Zugriff 2.10.2018

-FH - Freedom House(1.2018): Freedom in the World 2018 - Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/1426446.html, Zugriff 2.10.2018

-USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Tunisia, https://www.ecoi.net/en/document/1430358.html, Zugriff 2.10.2018

Grundversorgung

Die Grundversorgung der Bevölkerung gilt als gut (AA 23.4.2018). Tunesien verfügt über eine moderne Wirtschaftsstruktur auf marktwirtschaftlicher Basis sowie wichtige Standortvorteile: Ein hoher Industrialisierungsgrad, gute Infrastruktur, Nähe zu Europa sowie qualifizierte Arbeitskräfte und Steuervorteile für Exportbetriebe ("Offshore-Sektor"). Den größten Anteil am Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet der Dienstleistungssektor (ca. 50% aller Erwerbstätigen), gefolgt von der Industrie (32%) und der Landwirtschaft (ca. 25%) (AA 10.2017b; vgl. GIZ 9.2018c). Neben dem Bergbau, der einer der wichtigsten Sektoren der tunesischen Wirtschaft ist, spielen Landwirtschaft, Textilfabrikation und Tourismus eine wichtige Rolle für die tunesische Wirtschaft. Im Service spielen vor allem nach Tunesien ausgelagerte Callcenter französischer Firmen und IT-Unternehmen eine große Rolle. Außerdem gründen sich seit 2011 immer mehr Start-Ups (GIZ 9.2018c).

Der Förderung der Wirtschaft und der Schaffung von Arbeitsplätzen kommt nach der Revolution große Bedeutung bei, da die politischen Ereignisse für einen deutlichen Einbruch der Wirtschaft gesorgt haben. Die Arbeitslosigkeit bleibt eines der dringendsten Probleme des Landes. Die tunesische Wirtschaft ist auch mehr als sieben Jahre nach dem Umbruch nicht besonders konkurrenzfähig. Das Finanzgesetz 2018 hatte zu Beginn des Jahres massive Proteste ausgelöst. Der sogenannte Start Up Act, der im April 2018 verabschiedet wurde, soll junge Unternehmen v.a. im IT-Bereich stärken (GIZ 9.2018c).

Die größten Herausforderungen liegen in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Beschäftigungsförderung, der Verbesserung der arbeitsmarktorientierten Aus- und Fortbildung, sowie der Erhöhung des Investitionsniveaus im privaten und öffentlichen Sektor (AA 10.2017b). Die Arbeitslosigkeit bewegt sich zwischen 15 und 16 Prozent, wobei junge Menschen, Frauen, Akademiker (ca. 300.000) und die benachteiligten Regionen im Binnenland überproportional betroffen sind (AA 10.2017b; vgl. GIZ 9.2018c, ÖB 10.2017). Um regionalen Ungleichheiten zu begegnen, hat Tunesien ein ambitioniertes Programm zur Regionalentwicklung vorgelegt (AA 10.2017b). Der staatliche Mindestlohn wurde nach der Revolution von 225 auf 380 Dinar monatlich (umgerechnet knapp 125 Euro) angehoben. Dies genügt kaum, um den Lebensunterhalt einer Person zu decken, geschweige denn davon eine Familie zu ernähren. Laut einer aktuellen Untersuchung des Sozialministeriums leben rund 24% der Bevölkerung in Armut, d.h. sie leben von weniger als dem staatlichen Mindestlohn (GIZ 9.2018c). Tunesien ist ein Niedriglohnland. Die durchschnittlichen Monatslöhne im produzierenden Gewerbe liegen zwischen 500 und 800 Dinar. Arbeiter im öffentlichen Sektor verdienen rund 900 Dinar, Beamte 1.000-1.600 Dinar (ÖB 10.2017).

Fast ein Viertel der Bevölkerung, vor allem auf dem Land, lebt in Armut. Nichtsdestotrotz verfügt das Land über eine relativ breite, weit definierte Mittelschicht aus selbständigen Kleinunternehmern, Angestellten und Beamten (deren Einkommen vergleichsweise niedrig ist) und einer schmalen Oberschicht. Diese spaltet sich in alteingesessenes Bildungsbürgertum und ökonomische Elite (GIZ 9.2017b).

In Tunesien gibt es ein gewisses strukturiertes Sozialsystem. Es bietet zwar keine großzügigen Leistungen, stellt aber dennoch einen gewissen Basis-Schutz für Bedürftige, Alte und Kranke dar. Der Deckungsgrad beträgt 95%. Folgende staatlichen Hilfen werden angeboten: Rente, Arbeitslosengeld, Kindergeld, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Sterbegeld, Witwenrente, Waisenrente, Invalidenrente, Hilfen für arme Familien, Erstattung der Sach- und Personalkosten bei Krankenbehandlung, Kredite für Familien. Eine Arbeitslosenunterstützung wird für max. ein Jahr ausbezahlt - allerdings unter der Voraussetzung, dass man vorab sozialversichert war. Es gibt folgende Arbeitsvermittlungsinstitutionen: Nationale Arbeitsagentur (ANETI), Berufsbildungsagentur (ATFP), Zentrum für die Ausbildung der Ausbilder und die Entwicklung von Lehrplänen (CENAFFIF), Zentrum für die Weiterbildung und Förderung der beruflichen Bildung (CNFCPP) (ÖB 10.2017).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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