RS Vfgh 2020/3/4 E4399/2019

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 04.03.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleitsteten Rechten durch Abweisung des Status auf internationalen Schutz betreffend einen im Iran aufgewachsenen afghanischen Staatsangehörigen; hinreichende Auseinandersetzung mit dem Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif auch ohne Unterstützungsnetzwerk

Rechtssatz

Zur Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des §8 Abs1 AsylG 2005 sind vor allem hinreichend aktuelle Länderberichte heranzuziehen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang etwa auf die Richtlinien des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (United Nations High Commissioner for Refugees - UNHCR) oder auf die Berichte des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (European Asylum Support Office - EASO). Im Zusammenhang mit der Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative ordnet Art8 Abs2 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) an, dass genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des UNHCR oder des EASO, eingeholt werden; diesen misst das Unionsrecht auch sonst besonderes Gewicht bei. Nach stRsp des VfGH und des VwGH ist diesen Berichten daher besondere Beachtung zu schenken.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ist im vorliegenden Fall davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer unter Berücksichtigung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom 29.06.2018 mit Stand vom 26.03.2019, der UNHCR-Richtlinien und der "Country-Guidance: Afghanistan - guidance note and common analysis" des EASO von Juni 2018 auf eine innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative in Mazar-e Sharif verwiesen werden könne. Die "Country-Guidance: Afghanistan - guidance note and common analysis" vom Juni 2018 geht davon aus, dass alleinstehenden Männern eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Mazar-e Sharif, Herat oder Kabul zumutbar sei, auch wenn es in dem Neuansiedlungsgebiet kein Unterstützungsnetzwerk gebe.

Von dieser Beurteilung werden jene Rückkehrer ausgenommen, die lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben. Die Berichte des EASO gehen davon aus, dass für diese Personengruppe eine innerstaatliche Fluchtalternative dann nicht in Betracht komme, wenn am Zielort der aufenthaltsbeendenden Maßnahme kein Unterstützungsnetzwerk für die konkrete Person vorhanden sei, das sie bei der Befriedigung grundlegender existenzieller Bedürfnisse unterstützen könnte, und dass es einer Beurteilung im Einzelfall unter Heranziehung der folgenden Kriterien bedürfe: Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnis der betroffenen Person bzw Verbindungen zu Afghanistan, sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund (insbesondere Bildungs- und Berufserfahrung, Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans).

Das BVwG hat sich in dieser Hinsicht hinreichend mit der Situation des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Es hat hiezu auf Tatsachenebene festgestellt, dass der Beschwerdeführer jung und arbeitsfähig sei und eine sechsjährige Schulausbildung im Iran erhalten habe. Zusätzlich habe er Berufserfahrung als Installateur. In seiner rechtlichen Beurteilung führt das BVwG weiters aus, dass Umstände vorlägen, die es dem Beschwerdeführer erlauben, nach Mazar-e Sharif zurückzukehren, obwohl er kein Unterstützungsnetzwerk habe. Er gehöre keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen sei, dass er in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger sei als die übrige Bevölkerung. Der Beschwerdeführer sei auf Grund der Sozialisierung in einer afghanischen Familie mit den kulturellen und sozialen Gegebenheiten des Landes vertraut und könne zudem Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen, wodurch er bei einer Rückkehr nach Afghanistan Unterstützung für die Existenzgründung erlangen könne. Das BVwG hat sich daher mit dem sozialen und wirtschaftlichen Hintergrund des Beschwerdeführers in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise auseinandergesetzt.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E4399.2019

Zuletzt aktualisiert am

25.08.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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