TE Vwgh Erkenntnis 1998/4/22 97/01/0772

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Veröffentlicht am 22.04.1998
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;
StbG 1985 §24;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des D in Graz, vertreten durch Dr. Julius Brändle, Rechtsanwalt in Dornbirn, Dr. Waibelstraße 10, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 16. Juni 1997, Zl. Ia 370-372/92, betreffend Wiederaufnahme eines Staatsbürgerschaftsverleihungsverfahrens und Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Dem am 30. August 1971 geborenen Beschwerdeführer, einem bosnischen Staatsangehörigen, wurde mit Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 22. Dezember 1993 gemäß § 10 Abs. 3 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311 (StbG), die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.

Bei der zuvor am selben Tag durchgeführten niederschriftlichen Vernehmung hatte der Beschwerdeführer u.a. angegeben, daß gegen ihn weder im Inland noch im Ausland "eine polizeiliche Untersuchung oder ein gerichtliches Strafverfahren" anhängig sei.

Mit Bescheid vom 16. Juni 1997 hat die Vorarlberger Landesregierung

1. gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 iVm Abs. 3 AVG die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens verfügt und

2. den Antrag auf Verleihung der Staatsbürgerschaft "gemäß § 10, 11a, 12, 13 und 14" StbG abgewiesen.

In der Begründung führte die belangte Behörde dazu aus, daß der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Feldkirch vom 30. September 1994 wegen des Verbrechens des schweren Raubes als Beitragstäter nach den §§ 12 dritter Fall, 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall StGB, des Verbrechens des schweren Einbruchsdiebstahles als Beitragstäter nach den §§ 12, 127, 128 Abs. 1 Z. 4, 129 Z. 1 StGB und des Vergehens des Ansammelns von Kampfmitteln nach § 280 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt worden sei. Die Raub- und Einbruchsfakten seien in der Zeit zwischen 25. Oktober 1993 und 17. Dezember 1993 begangen worden. Dennoch habe der Beschwerdeführer bei seiner niederschriftlichen Vernehmung am 22. Dezember 1993 ausgesagt, es seien keine "polizeilichen Untersuchungen" anhängig. Dem Beschwerdeführer habe bewußt sein müssen, daß im Falle des Wissens der belangten Behörde von den Straftaten sein Verleihungsantrag abgewiesen worden wäre. Das Verleihungsverfahren sei daher gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 3 AVG wieder aufzunehmen gewesen. Da der Beschwerdeführer auf Grund der festgestellten Straftaten keine Gewähr dafür biete, keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit zu bieten, sei der Verleihungsantrag gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG abzuweisen gewesen.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen diesen Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist. Gemäß dem Abs. 3 erster Satz dieser Bestimmung kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden.

Das Tatbild des Erschleichens setzt voraus, daß der Bescheid in einer Art zustandegekommen ist, daß die Partei vor der Behörde objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht hat und diese unrichtigen Angaben dann dem Bescheid zugrundegelegt worden sind, wobei die Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist (vgl. etwa die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsverfahrens5 S. 652 f, E 9 ff, zitierte

hg. Judikatur).

Soweit dem angefochtenen Bescheid die Ansicht der belangten Behörde zu entnehmen ist, der Beschwerdeführer habe am 22. Dezember 1993 objektiv unrichtig und in Irreführungsabsicht ausgesagt, es seien keine polizeilichen Erhebungen gegen ihn anhängig, ist ihr zu entgegnen, daß zur Frage des Zeitpunktes der Anhängigkeit von Erhebungen über die Straftaten des Beschwerdeführers kein Beweisverfahren durchgeführt und kein Parteiengehör eingeräumt wurde und daher das Beschwerdevorbringen, der Beschwerdeführer habe am 22. Dezember 1993 von polizeilichen Erhebungen jedenfalls noch nichts gewußt, nicht dem Neuerungsverbot unterliegt. Die belangte Behörde tritt im übrigen diesem Vorbringen in der Gegenschrift nicht entgegen.

Die belangte Behörde vertrat jedoch (auch) die Auffassung, daß der Tatbestand des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG jedenfalls deshalb verwirklicht sei, weil der Beschwerdeführer bei der Vernehmung vom 22. Dezember 1993 seine Straftaten bewußt verschwiegen habe. Diese Ansicht geht schon deshalb fehl, weil der Beschwerdeführer bei dieser Vernehmung diesbezüglich gar nicht befragt wurde.

Der Ansicht der belangten Behörde, daß das Staatsbürgerschaftsverleihungsverfahren wiederaufzunehmen und der Antrag auf Verleihung der Staatsbürgerschaft abzuweisen sei, liegt daher eine unrichtige Rechtsansicht zugrunde. Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Beschwerde nur in zweifacher und der angefochtene Bescheid nur in einfacher Ausfertigung vorzulegen war.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997010772.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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