Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §60;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des Bajram Dervishaj in Unterrohr, geboren am 1. Mai 1967, vertreten durch Dr. Hannes Gruber, Rechtsanwalt in Hartberg, Ressavarstraße 52, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. September 1996, Zl. 4.336.705/7-III/13/96, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der "Jugosl. Föderation", der am 1. April 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist, beantragte am 3. April 1992 die Gewährung von Asyl. Er wurde am 6. April 1992 niederschriftlich einvernommen.
Er gab zu seinen Fluchtgründen an:
"Ich besitze keine Barmittel. In meiner Heimat war ich seit dem Jahre 1991 Mitglied der LDK-Partei. Bei der Ausübung der Religion hatte ich keine Schwierigkeiten. Ich bin Angehöriger der albanischen Minderheit. Als aktives Mitglied der LDK kämpfte ich auch in der Öffentlichkeit für die Rechte der albanischen Minderheit. Da ich auch an mehreren Demonstrationen teilgenommen habe, wurde ich bereits von der Polizei gesucht. Weil mir in der jetzigen Situation für den Fall, daß mich die Polizei erwischt hätte, eine lange Haftstrafe zu erwarten gehabt. Ich konnte mich vorerst bei einem Onkel verstecken und wartete ab, ob sich die Lage bessern würde. Als dies nicht geschah, bereitete ich meine Flucht vor. Mein jug. RP. wurde mir einmal nach einer Demo v.d. Polizei abgenommen."
Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark stellte mit Bescheid vom 30. Mai 1992 fest, daß die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention auf den Beschwerdeführer nicht zuträfen.
In der dagegen erhobenen Berufung bringt der Beschwerdeführer folgenden Sachverhalt vor:
"Ich bin Albaner aus dem Dorf Zablace, Gemeinde Istok, Provinz Kosovo, in Jugoslawien.
Ich war im September 1991 besuchsweise nach Frankreich unterwegs und in Titograd bin ich am 14.09.1991 verhaftet und im Gefängnis festgehalten worden, unter der Beschuldigung, daß ich bis zum 19.09.1991 in die kroatische Nationalgarde will.
Nach der Entlassung ist es mir angeordnet worden, mich bei der mir zuständigen Polizei zu melden. Ich habe der Anordnung keine Folge geleistet, weil ich wußte, daß ich wieder ins Gefängnis hätte gehen müssen. Von dieser Zeit habe ich mich bis zum 1.1.1992 zu Hause versteckt gehalten. Ab dem 1.1.92 bin ich zu meinem Onkel nach Titova Mitrovica geflohen. Dort habe ich mich bis 26.3.1992 aufgehalten. Dann bin ich aufgebrochen und über Kroatien und Slowenien am 01.04.1992 nach Österreich gekommen. Solange es bei uns keinen Frieden gibt, kann ich unmöglich nach Hause, da auf mich Gefängnis wartet."
Die belangte Behörde wies die Berufung mit dem Bescheid vom 3. Februar 1994 ab. Aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21. September 1994, Zl. 94/01/0282, diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf, weil die belangte Behörde in unrichtiger Anwendung des Asylgesetzes 1991 den Bescheid ausschließlich darauf gestützt hatte, daß beim Beschwerdeführer der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 gegeben sei. Aufgrund des im gegenständlichen Fall anzuwendenden Asylgesetzes (1968) hätte sie von diesem Ausschließungsgrund zu Ungunsten des Beschwerdeführers nicht Gebrauch machen dürfen.
Die der genannten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zugrundeliegende Beschwerde war der belangten Behörde zugestellt worden und bildet daher für das fortgesetzte Verfahren einen zu berücksichtigenden Aktenbestandteil. In dieser Beschwerde hatte der Beschwerdeführer folgenden Sachverhalt vorgebracht:
"Ich bin Staatsangehöriger der jugoslawischen Föderation und gehöre der albanischen Minderheit an. Mein Heimatdorf Zabllag, Gemeinde Istog, liegt in der Provinz Kosovo. Ich bin seit 1991 Mitglied der LDK-Partei und habe mich in der Öffentlichkeit für die Rechte der albanischen Minderheit eingesetzt. Wie allgemein bekannt ist, wird die albanische Minderheit im Kosovo von der serbisch dominierten Verwaltung unterdrückt. Diese Unterdrückung muß auch im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen in Kroatien und Slowenien sowie in Bosnien-Herzegowina gesehen werden. Das von den Serben geführte Militär und die serbisch dominierte Polizei vertreten ausschließlich die Interessen der serbischen Volksgruppe. In den Jahren 1990 und 1991 ist es vermehrt zu Übergriffen auf die albanische Minderheit gekommen, weil die serbisch dominierte Oberschicht befürchtet hat, daß es auch im Kosovo zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen könnte. Bei diesen Übergriffen sind vor allem offiziell auftretende Mitglieder und Führungspersonen der LDK-Partei massiven Druck seitens der Behörden ausgesetzt worden.
Ich habe mich 1991 der LDK-Partei angeschlossen, weil ich überzeugt war, daß sich die Lage der albanischen Minderheit nur durch die Vereinigung der Interessen aller Albaner in einer Partei sowie das gemeinsame Auftreten der Albaner durch eine Partei die Situation verbessert hätte werden können. Jedenfalls ist es seitens der serbischen Machthaber zu massiven, präventiven Eingriffen in die Rechte der albanischen Minderheit, insbesondere deren Interessensvertreter gekommen. Ich war als solcher bereits vorgemerkt bzw. gesucht worden, weshalb ich am 15.9.1991 im Zuge einer Demonstration in Titograd, Provinz Montenegro, verhaftet und bis 19.9.1991 angehalten wurde. Während dieser Haft wurde ich von den mich verhörenden Organen sowohl physisch als auch psychisch massiv unter Druck gesetzt. Bei meiner Entlassung wurde mir die geplante Weiterreise nach Frankreich untersagt, der Reisepaß wurde mir abgenommen und es wurde mir befohlen, daß ich mich bei der Polizei in Istog zu melden habe. Ich habe dieser Anordnung nicht Folge geleistet, weil ich von anderen LDK-Parteimitgliedern wußte, daß ich aufgrund meiner Mitgliedschaft bei der LDK-Partei weiteren Verfolgungen bzw. Repressalien ausgesetzt sein würde. Unmittelbar nach der Haft habe ich mich wegen der im Zuge der Verhöre eingetretenen Verletzungen, insbesondere Prellungen und Blutergüsse im Bereich des Kopfes und des Oberkörpers, ins Spital in Titograd begeben. Ich wurde ambulant behandelt und bekam trotz Nachfrage keine Behandlungs- bzw. Diagnoseunterlagen.
Ich bin vorerst nach Zabllag zurückgekehrt, wo ich auch meinen Hausarzt Dr. Enver Sadiraj, 38335 Istog, wegen meiner Verletzungen aufgesucht habe. Während meiner Zeit im Untergrund hat die Polizei von Istog mehrmals nach mir gesucht und im Haus meiner Eltern eine Durchsuchung durchgeführt. Mir war bekannt, daß gegen mich wegen der Teilnahme an Demonstrationen gegen die serbische Regierung ein Strafverfahren wegen des Verdachtes der Volksverhetzung eingeleitet worden ist und ich im Falle einer Verurteilung, an der nicht zu zweifeln ist, mit einer Kerkerstrafe von zumindest 10 Jahren rechnen mußte.
Am 26.3.1992 habe ich die Flucht, die von meinem Onkel organisiert und großteils auch finanziert wurde, begonnen.
Nach meiner Flucht wurde an meine alte Anschrift in Kosovo tatsächlich dann die Ladung zur Hauptverhandlung vor dem Kreisgericht von Istog für den 21.6.1992 wegen des strafbaren Deliktes der Volksverhetzung zugestellt. Ich habe erst jetzt über Mittelsmänner diese Vorladung zur Hauptverhandlung erhalten können und lege sie zum Nachweis für die Richtigkeit meines Vorbringens im Original sowie in beglaubigter Übersetzung vor."
Mit dieser Beschwerde legte der Beschwerdeführer auch eine beglaubigte Übersetzung einer Ladung zur Hauptverhandlung als Angeklagter wegen antistaatlicher politischer Aktivität, für den 21. Juni 1992, vor das Kreisgericht von Istog, vor. Es werde über die Bestrafung der Teilnehmer an antistaatlichen Aktivitäten und Organisatoren der Demonstrationen unter der Führung der LDK verhandelt. Die Vorverurteilung vom 15. September 1991 bis 19. September 1991 in Titograd werde in die Verhandlung einbezogen.
Mit dem Bescheid vom 18. September 1996 wies die belangte Behörde die Berufung neuerlich ab. Sie begründete den Bescheid damit, daß die behauptete Mitgliedschaft sowie die Aktivitäten des Beschwerdeführers für die LDK einer lediglich untergeordneten Rolle in der Partei zuzurechnen seien, weshalb kein schlüssiges Motiv für den potentiellen Verfolgerstaat erkennbar und daraus resultierend eine künftige Verfolgung der Person des Beschwerdeführers nicht zu erwarten sei.
Der Beschwerdeführer habe nicht einmal angedeutet, daß den Behörden seines Heimatstaates diese Mitgliedschaft überhaupt bekanntgeworden bzw. von diesen mißbilligt worden sei. Beschränkungen des Demonstrationsrechtes stellten keinen Grund für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dar, ebenso seien damit im Zusammenhang stehende polizeiliche Maßnahmen keine Verfolgungshandlungen. Die Berufungsausführungen des Beschwerdeführers stellten eine Steigerung seines Vorbringens dar, welche er durch nichts begründen habe können. Der Asylwerber müsse Behauptungen auch "glaubhaft machen". Dem Beschwerdeführer sei diese "Glaubhaftmachung" aufgrund der unterschiedlichen Darstellung seiner Fluchtgründe nicht gelungen. Hinsichtlich des Vorbringens, daß sich der Beschwerdeführer von Mitte September 1991 bis zum 1. Jänner 1992 zu Hause "versteckt gehalten" habe, anschließend zu seinem Onkel gereist sei und sich dort bis zum 26. März aufgehalten habe, führte die belangte Behörde aus, daß die wohlbegründete Furcht bis zur Ausreise andauern müsse, was beim Beschwerdeführer nach seinen eigenen Angaben nicht der Fall sein könne. Denn er habe sich noch ca. ein halbes Jahr in seiner Heimat aufgehalten, ohne für diesen Zeitraum Umstände glaubhaft zu machen, welche die Annahme rechtfertigten, daß seine behauptete Furcht vor Verfolgung bis zum Verlassen des Heimatlandes angedauert habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 leg. cit. sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muß in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrundegelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, daß gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 30. Mai 1985, Zl. 84/08/0047, vom 28. Juni 1988, Zl. 87/ll/0066, und vom 26. Juli 1995, Zl. 94/20/0722). Diesen Erfordernissen wird der angefochtene Bescheid insoweit nicht gerecht, als dieser auf das Sachverhaltsvorbringen anläßlich der ersten Beschwerde vom 22. März 1994 nicht eingeht. Abgesehen davon, daß der Beschwerdeführer schon in seiner ersten Einvernahme angedeutet hat, daß zwischen seiner Tätigkeit für die LDK, Teilnahme an Demonstrationen und der befürchteten Verfolgung durch die Behörden seines Heimatstaates ein Zusammenhang bestehe, und damit auch zum Ausdruck gebracht hat, daß den Behörden seines Heimatstaates seine politische Tätigkeit bekannt war, legte er in dem Sachverhaltsvorbringen vom 22. März 1994 samt Vorlage der Ladung zum Kreisgericht Istog diesen Zusammenhang unmißverständlich dar. Die behauptete Inhaftierung des Beschwerdeführers zwischen 14. September 1991 bis 19. September 1991 samt dabei behaupteten Mißhandlungen und Verletzungen ist im Zusammenhang mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend seine politische Betätigung und dem allgemein bekannten Umstand der Benachteiligung der albanischen Volksgruppe im Kosovo durch die Behörden der "Jugoslawischen Föderation" grundsätzlich geeignet, die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention zu begründen. Die belangte Behörde hat diesen Ausführungen die Glaubwürdigkeit nicht abgesprochen. Sie hat sich lediglich mit den Berufungsausführungen befaßt und diesen - trotz Verwendung des Wortes "Glaubhaftmachung" - offensichtlich die Glaubwürdigkeit abgesprochen.
Auch die Ausführungen der belangten Behörde zum weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers nach seiner Haftentlassung bis zur Ausreise halten einer Überprüfung nicht stand.
Der belangten Behörde ist zwar zuzustimmen, daß die im Asylverfahren glaubhaft zu machende Gefahr einer Verfolgung aus einem der in Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen bis zur Ausreise andauern muß und Vorgänge, die bereits längere Zeit zurückliegen, in der Regel keine ausreichende Asylrelevanz mehr aufweisen, wenn aus ihnen nicht eine bis zur Ausreise andauernde Furcht vor Verfolgung ableitbar ist. Daher ist zu prüfen, inwieweit die begründete Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung auch im Zeitpunkt der Flucht vorlag. Bereits in seiner ersten Vernehmung behauptete der Beschwerdeführer in einer nicht offensichtlich unschlüssigen Weise, daß er sich versteckt gehalten habe, um abzuwarten, ob sich die Lage bessern würde. Erst als dies nicht geschehen sei, habe er seine Flucht vorbereitet. Ohne Nachfragen durch die Behörde kann daher nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, die Furcht des Beschwerdeführers habe nicht bis zur Ausreise angedauert.
Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996010987.X00Im RIS seit
20.11.2000