TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/13 G305 2192716-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.02.2020
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Entscheidungsdatum

13.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G305 2192712-1/11E

G305 2192714-1/12E

G305 2192715-1/14E

G305 2192706-1/14E

G305 2192709-1/12E

G305 2192716-1/12E

G305 2192717-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX (BF1), der XXXX, geb. XXXX (BF2), des XXXX, geb. XXXX (BF3), des XXXX, geb. am XXXX (BF4), des XXXX, geb. XXXX (BF5), der minderjährigen XXXX, geb. XXXX (mj. BF6), und der minderjährigen XXXX, geb. XXXX (mj. BF7); alle StA. Irak, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD Wien, vom XXXX.03.2018, Zl. XXXX (BF1), XXXX (BF2), XXXX (BF3), XXXX (BF4), XXXX (BF5), XXXX (mj. BF6), XXXX (mj. BF7), nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.12.2019, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3 und § 57 AsylG iVm. § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) sind Staatsangehörige der Republik Irak und stellten am 26.08.2015 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 17.09.2015 fand jeweils eine Erstbefragung der BF vor Organen der LPD XXXX statt.

Der BF1 brachte dabei als Fluchtgrund vor, er sei Anfang August 2015 von IS-Kämpfern entführt worden, woraufhin von seiner Familie Lösegeld für seine Freilassung verlangt worden sei [BF1; Niederschrift über die Erstbefragung vom 17.09.2015, S. 5].

2. Am 19.10.2017 wurden der BF1, die BF2 und ihre beiden zu diesem Zeitpunkt bereits volljährigen Mitbeschwerdeführer, und zwar die BF3 und die BF4, jeweils von einem Organ des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA oder belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen.

Dabei brachte der BF1 vor, dass er am XXXX.08.2015 entführt worden sei und dass in der Folge die Familie mit einer Lösegeldforderung für seine Freilassung konfrontiert worden sei.

Befragt, wer ihn entführt habe, wann dies passiert sei, und zu konkreten Angaben zur Entführung aufgefordert, gab der BF1 wörtlich an:

"Ich weiß nicht, wer die Entführer waren. Ich weiß nicht, welche Gruppierung mich entführte. Mehr kann ich nicht sagen. Deshalb habe ich mich entschlossen, das Land zu verlassen." [Niederschrift über Einvernahme vor BFA, S. 5]

Befragt nach weiteren Fluchtgründen antwortete der BF1 ausdrücklich mit "Nein". [Niederschrift über Einvernahme vor BFA, S. 5, 6]

Die übrigen beschwerdeführenden Parteien (in der Folge: so oder kurz: bfP) bezogen sich vor dem BFA auf die Fluchtgründe ihres Ehegatten bzw. Vaters.

3. Mit Bescheiden vom XXXX.03.2018 sprach die belangte Behörde aus, dass die Anträge der bfP auf Erteilung von internationalem Schutz vom 26.08.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 AsylG abgewiesen werden (Spruchpunkt II.), ihnen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG gegen die BF jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen werde (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.) und ausgesprochen worden sei, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise der BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

4. Gegen diese Bescheid erhoben die bfP im Wege ihrer ausgewiesenen Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde. Dabei wurde jeweils beantragt, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen, der Beschwerde stattzugeben und ihnen den Status des Asylberechtigten, in eventu den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären und den bfP eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen, in eventu den angefochtenen Bescheid zur Verfahrensergänzung und Erlassung einer neuen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

5. Die gegenständliche Beschwerde wurde dem BVwG samt den Verwaltungsakten am 17.04.2018 vorgelegt.

6. Am 19.12.2019 wurde vor dem BVwG eine mündliche Verhandlung durchgeführt, im Zuge deren die BF1 bis BF4, im Beisein ihres Rechtsvertreters, eines Sachverständigen und einer Dolmetscherin für die arabische Sprache einvernommen wurden.

7. Am 23.12.2019 wurde seitens des BVwG eine ACCORD-Anfrage gestellt, zusammengefasst dazu, wie die Lage für sunnitische Araber in der Provinz Diyala aussieht, und ob es im Irak bzw. in Diyala auch Behandlungsmöglichkeiten für die Diabetes-Erkrankung des BF1 gibt.

8. Die angeforderte ACCORD-Anfragebeantwortung vom 22.01.2020 langte am 23.01.2020 bei der zuständigen Gerichtsabteilung des BVwG ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Die im Spruch genannten Beschwerdeführer, und zwar XXXX, geb. XXXX (BF1), XXXX, geb. XXXX (BF2), XXXX, geb. XXXX (BF3), XXXX, geb. am XXXX (BF4), XXXX, geb. XXXX (BF5), die minderjährige XXXX, geb. XXXX (mj. BF6) und die minderjährige XXXX, geb. XXXX (mj. BF7) sind allesamt Staatsangehörige der Republik Irak.

Sie stammen XXXX und gehören der muslimisch-sunnitischen Glaubensrichtung an.

Die BF1 und BF2 sind Ehegatten und die Eltern der nunmehr volljährigen BF1 bis BF5 sowie der noch minderjährigen BF6 und BF7.

Die Muttersprache der bfP ist Arabisch.

1.2. Zur Ausreise, Einreise und Asylantragstellung der bfP:

Am 09.08.2015 reisten die beschwerdeführenden Parteien legal aus dem Irak aus, zunächst von Bagdad aus mit dem Flugzeug in die Türkei, und in der Folge von dort (schlepperunterstützt) nach Griechenland und von hier über die Balkanroute nach Österreich.

Nach ihrer zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt erfolgten Einreise ins österreichische Bundesgebiet stellten die bfP am 26.08.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.3. Zur individuellen Situation der BF:

1.3.1. Der BF1 und die BF2 haben in XXXX verbliebene Familienangehörige, der BF1 eine Schwester mit drei zur Schule gehenden minderjährigen Kindern, die zusammen mit dem geistig behinderten Bruder des BF1 in gemeinsamem Haushalt zusammenleben und ihren Lebensunterhalt mit der Witwenpension der Schwester des BF1 bestreiten können; die BF2 ihre Eltern und zwei Schwestern sowie zwei Brüder samt Familie, die jeweils alle in einem eigenen Haus wohnen, wobei die schulpflichtigen Kinder der Geschwister der BF2 zur Schule gehen und manche ihrer Geschwister bereits verheiratet sind und die Brüder der BF2 im Gegensatz zu den verheirateten Schwestern, die in einer traditionellen Familienstruktur leben, einer Erwerbstätigkeit nachgehen.

Die bfP halten den Kontakt zu ihren im Irak verbliebenen Familienangehörigen über Telefon und Internet aufrecht.

Während die bfP in ihrem Herkunftsstaat noch familiäre Anknüpfungspunkte haben, haben sie abgesehen von einem Bruder und einem Cousin der BF2, zu welchen die BF2 lediglich Telefonkontakt, jedoch keine darüber hinausgehendes (Abhängigkeits-) Verhältnis hat, in Österreich keinen weiteren familiären Anknüpfungspunkte. In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG gab die BF2 auf die Frage, ob sie von ihrem Bruder oder ihrem Cousin unterstützt werde, ausdrücklich an: "Nein; ich lebe in einer Unterkunft und dort bekomme ich Grundversorgung" [VH-Niederschrift vom 19.12.2019, S. 16]. Lediglich in Schweden lebt noch ein Bruder der BF2.

1.3.2. Die im Herkunftsstaat - in XXXX - aufhältigen Familienangehörigen der bfP können sich auf dieselbe Art und Weise versorgen, wie es diesen selbst vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat selbst möglich war. So haben die bfP vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat Lebensmittel in nahegelegenen kleinen Geschäften eingekauft und vorwiegend Wasser aus dem nahegelegenen Fluss zum Trinken und Kochen verwendet. Der BF1 hat seiner Familie zudem, wenn er in Bagdad gearbeitet hat, auch Wasser in Flaschen aus Bagdad mitgebracht.

Im Herkunftsstaat konnten die bfP den Lebensunterhalt vorwiegend vom Erwerbseinkommen des BF1 als XXXX bestreiten. Dabei ist hervorzuheben, dass die BF3 und BF4 von 2011 bis 2015 durch ihre Arbeit als XXXX selbsterhaltungsfähig waren. In Österreich lebt die Familie ausschließlich von Mitteln aus der staatlichen Unterstützung (sohin von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung). Vor ihrer Ausreise war die BF2 Hausfrau und nicht erwerbstätig.

1.3.3. Der BF1 leidet an XXXX. Er wurde wegen seiner XXXX bereits vor seiner Ausreise in seinem Herkunftsstaat behandelt und erhält auch nunmehr in Österreich Insulin und für seine Erkrankung geeignete Medikamente.

Die übrigen BF sind gesund und benötigen keine Medikamente, wie glaubhaft im Zuge der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurde [VH-Niederschrift vom 19.12.2019, S. 5].

1.4. Zu den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Parteien:

Die bfP hatten im Irak weder mit der Polizei, noch mit den Verwaltungsbehörden oder mit den Gerichten des Herkunftsstaates ein Problem [VH-Niederschrift vom 19.12.2019, S. 11.]

Keiner von ihnen war je Mitglied einer politischen Partei oder einer anderen politisch aktiven Bewegung oder bewaffneten Gruppierung bzw. hatte auch niemand von ihnen Kontakt zu Milizen oder sonstigen bewaffneten Gruppierungen [VH-Niederschrift vom 19.12.2019, S. 10f].

Keine der bfP wurde jemals aufgrund ihrer Religions-, Volksgruppenzugehörigkeit oder aus politischen Gründen bedroht [PV des BF1 in VH-Niederschrift vom 19.12.2019, S. 21].

Das Fluchtvorbringen des BF1 gründet sich auf eine angebliche Entführung seiner Person und eine daran anknüpfende Lösegeldforderung an seine Familie. Auf diesen Grund, der ausschließlich den BF1 betrifft, stützen sich auch die übrigen Familienangehörigen. Diese Angaben, die bei der stattgehabten PV vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Steigerung gegenüber dem Vorbringen vor der belangten Behörde erfuhren und hinsichtlich derer sich der BF1 zunehmend in Widersprüche verstrickte, sind insgesamt unglaubwürdig.

Festgestellt werden kann, dass die beschwerdeführenden Parteien den Herkunftsstaat ausschließlich in Erwartung besserer Lebensbedingungen im Ausland verlassen haben.

1.5. Zu den Aktivitäten der BfP im Bundesgebiet:

Die bfP konnten sich im Bundesgebiet einige Deutschkenntnisse aneignen und haben nachweislich 2016, 2017 Deutsch- bzw. Integrationskurse besucht:

-

Der BF1 besuchte nachweislich im Zeitraum von April bis Juli 2017 einen Deutschkurs "Deutsch ohne Schrift", im Mai und Juni 2017 diverse Integrationskurse und ab September 2017 einen Kurs "Alphabetisierung/Basisbildung",

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die BF2 von Juli 2016 bis August 2016 einen Deutschkurs "A1+", von Oktober 2016 bis Dezember 2016 einen Deutschkurs "A2+", von Februar 2017 bis April 2017 einen Deutschkurs "A2", von April 2017 bis Juni 2017 einen Deutschkurs "A2+", wie ihr Ehegatte im Mai und Juni 2017 diverse Integrationskurse, und ab September 2017 einen neuerlichen Deutschkurs "A2",

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der BF3 nachweislich im Zeitraum von Juli 2016 bis August 2016 einen Deutschkurs "A2", von Oktober 2016 bis Dezember 2016 einen weiteren Deutschkurs "A2+", und ab Oktober 2017 einen Integrationskurs, und

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der BF4 nachweislich im März 2016 und Februar 2017 diverse Integrationskurse.

Während der BF4 nachweislich ein ÖSD-Sprachzertifikat A2 erworben hat, hat der BF1 nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung keine Deutschprüfung abgelegt [VH-Niederschrift, S. 18], und wurden für die von der BF2 und vom BF3 nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung abgelegten Deutschprüfungen (Deutschprüfungen der BF1 "A1, A2" und des BF3 "A2, B1") keine Nachweise erbracht.

Es liegen zudem mit Oktober 2017 datierte Nachweise bzw. Dienstzeugnisse über ehrenamtliche Tätigkeiten der BF1, BF2, BF3 und BF4 in Österreich vor.

Der BF4 besuchte zudem nachweislich ab Oktober 2017 ein schulanaloges Bildungsprojekt, über welches Jugendliche und junge Erwachsene die Möglichkeit haben, bis zu 24 Monaten an einem geregelten Unterricht teilzunehmen und sich im Zuge dessen auf eine weiterführende Schule, Ausbildung oder Arbeit vorzubereiten. Laut Schreiben der Bildungseinrichtung von Oktober 2017 hat der BF4 Deutsch-Niveaustufe B1.1 erreicht. Weitere Integrationsnachweise nach diesem Schreiben von Oktober 2017 wurden jedenfalls nicht erbracht.

Der BF5 hat in Österreich nachweislich im Schuljahr 2016/2017 die achte Schulstufe einer Öffentlichen Neuen Mittelschule besucht. Nachweise für den laut seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung im Jahr 2018 absolvierten Polytechnischen Lehrgang und die Bewerbung für eine bestimmte Arbeitsstelle danach wurden nicht vorgelegt.

Die BF6 hat nachweislich im Schuljahr 2016/2017 die fünfte Schulstufe einer Öffentlichen Neuen Mittelschule besucht und besucht diese laut Angaben in der mündlichen Verhandlung immer noch, ein Nachweis für ihren aktuellen Schulbesuch liegt jedenfalls nicht vor, ebenso wie auch kein Nachweis für den in der mündlichen Verhandlung angeführten aktuellen Volksschulbesuch der BF7 vorgelegt wurde.

Vorgelegt wurde jedenfalls ein seitens der Asylunterkunft der BF im Oktober 2017 für die Familie der BF abgegebenes Unterstützungsschreiben.

1.5.1. Gegenwärtig liegen lediglich bis einschließlich Oktober 2017 datierte Nachweise für die von den bfP im Bundesgebiet gesetzten Integrationsschritte (diverse Deutsch- und Integrationskurse, ehrenamtliche Tätigkeit, Schulbesuch) aus dem behördlichen Ermittlungsverfahren vor; in der bzw. bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (und auch danach) wurden keine Nachweise erbracht, die für eine eine weitergehende Integration der bfP sprechen würden.

2. Zur Lage im Irak wird festgestellt:

2.1. Sicherheitslage Nord- und Zentralirak

In den Provinzen Ninewa und Salah al-Din muss weiterhin mit schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem IS und irakischen Sicherheitskräften gerechnet werden. Diese Gefährdungslage gilt ebenfalls für die Provinz Anbar und die Provinz Ta'mim (Kirkuk), sowie auch für die Provinz Diyala. Hinzu kommen aktuelle Spannungen zwischen irakischen Streitkräften und kurdischen Peshmerga (AA 1.11.2018).

Mit dem Zuwachs und Gewinn an Stärke von lokalen und sub-staatlichen Kräften, haben diese auch zunehmend Verantwortung für die Sicherheit, politische Steuerung und kritische Dienstleistungen übernommen. Infolgedessen ist der Nord- und Zentralirak, obgleich nicht mehr unter der Kontrolle des IS, auch nicht unter fester staatlicher Kontrolle. Die Fragmentierung der Macht und die große Anzahl an mobilisierten Kräften mit widersprüchlichen Loyalitäten und Programmen stellt eine erhebliche Herausforderung für die allgemeine Stabilität dar (GPPI 3.2018).

In der Provinz Diyala beispielsweise fiel die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle von durchschnittlich 1,7 Vorfällen pro Tag im Juni 2018 auf 1,1 Vorfälle im Oktober 2018. Auch in der Provinz Salah al-Din kam es im Juni 2018 zu durchschnittlich 1,4 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Tag, im Oktober jedoch nur noch zu 0,5. Die Provinz Kirkuk verzeichnete im Oktober 2018 einen Anstieg an sicherheitsrelevanten Vorfällen, mit durchschnittlich 1,5 Vorfällen pro Tag, die höchste Zahl seit Juni 2018. Die Anzahl der Vorfälle selbst ist jedoch nicht so maßgeblich wie die Art der Vorfälle und die Schauplätze an denen sie ausgeübt werden.

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.11.2018): Irak: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/iraksicherheit/202738, Zugriff 1.11.2018

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GPPI - Global Public Policy Institute (3.2018): Iraq after ISIL:

Sub-State Actors, Local Forces, and the Micro-Politics of Control, http://www.gppi.net/fileadmin/user_upload/media/pub/2018/Gaston_Derzsi-Horvath_Iraq_After_ISIL.pdf, Zugriff 5.11.2018

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Joel Wing - Musings on Iraq (2.11.2018): October 2018: Islamic State Expanding Operations In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/11/october-2018-islamic-state-expanding.html, Zugriff 5.11.2018

2.2. Sicherheitslage in Diyala

2.2.1. Allgemeine Sicherheitslage in Diyala

In einem im Jänner 2019 veröffentlichten Bericht zur Sicherheitslage in Diyala mit Stand November 2018 schreibt das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo zu Sunniten in der Provinz, dass diese, seitdem der IS in der Provinz Fuß gefasst habe, verdächtigt würden, mit ihm unter einer Decke zu stecken oder zu sympathisieren. Landinfo finde keine neuen Berichte zu den Bedingungen für Sunniten in Baquba, was darauf hindeute, dass sie Übergriffen von Seiten der Volksmobilisierungseinheiten ausgesetzt seien. Dies könne mehrere Gründe haben, aber vor allem könne es ein Zeichen dafür sein, dass die Volksmobilisierungseinheiten und andere Ordnungsmächte die Stadt selbst fest unter ihrer Kontrolle hätten. Dennoch würden die ländlichen Gebiete in der Nähe der Stadt zu den anfälligsten für IS-Angriffe zählen, was wahrscheinlich bedeute, dass die irakischen Sicherheitskräfte und Volksmobilisierungseinheiten in diesen Gebieten nach IS-Anhängern suchen würden, was oft nicht nur sunnitische Araber betreffe. Da die Badr-Organisation (eine vom Iran unterstützte schiitische Miliz, die zu den Volksmobilisierungseinheiten gehört, Anm. ACCORD) eine derart starke Präsenz und Kontrolle in Diyala habe, könne man vermuten, dass die Presse sich stark selbst zensiere, wenn sie über das Vorgehen der Volksmobilisierungseinheiten in der Provinz berichte. Basnews habe im April 2018 die Stellungnahme eines politischen Führers aus dem Distrikt Kifri wiedergegeben, dem zufolge die Volksmobilisierungseinheiten kurdische und arabische ZivilistInnen angreifen würden. Laut dem Politiker würden die Volksmobilisierungseinheiten auf die Häuser von ZivilistInnen schießen und sie bedrohen, damit sie die Dörfer räumen würden, weil sie anderenfalls getötet würden. Der Politiker, der die Demokratische Partei Kurdistans repräsentiere, habe angenommen, die Volksmobilisierungseinheiten hätten ein Interesse daran gehabt vor den Wahlen vom Mai 2018 die Kurden und Araber, die in dieser Gegend sunnitisch seien, aus dem Gebiet zu entfernen. Auch das USDOS habe in seinem 2018 veröffentlichten Jahresbericht zur Religionsfreiheit angegeben, dass die irakischen Streitkräfte und zu den Volksmobilisierungseinheiten gehörende Milizen in verschiedenen irakischen Provinzen mutmaßliche IS-Sympathisanten dazu gezwungen hätten, ihre Häuser zu verlassen. In diesem Bericht werde auch erwähnt, dass die Kata'ib Hizballah hinter Entführungen von Sunniten und anderen Übergriffen ihnen gegenüber in Diyala gesteckt habe. Die Miliz habe sunnitischen Arabern auch die Rückkehr in ihre Häuser verweigert. Im November 2018 habe die Quelle Kirkuk Now aber berichtet, dass sich immer mehr Familien in Diyala offiziell von ihren nahen Verwandten im IS distanzieren würden. Auf langfristige Sicht könne das das Verhältnis zwischen der sunnitischen lokalen Bevölkerung und den Sicherheitskräften verbessern (Landinfo, 8. Jänner 2019, S. 18-19).

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO), eine Agentur der Europäischen Union, führt in einem im März 2019 veröffentlichten Bericht zur Sicherheitslage im Irak die Zahlen der UN-Unterstützungsmission für den Iraq (UN Assistance Mission in Iraq, UNAMI) für die Jahre 2014 bis 2018 an. Für das Jahr 2017 gibt es von UNAMI keine Angaben zu zivilen Toten und Verletzten in der Provinz Diyala, 2018 habe es 45 zivile Tote und 97 Verletzte gegeben. Iraq Body Count (IBC), eine Datenbank, die von der in London ansässigen Firma Conflict Casualties Monitor betrieben wird und die auf Basis von Berichten verschiedener Quellen zu Vorfällen und Opfern des Konflikts im Irak Statistiken zu den einzelnen Provinzen erstellt, habe 2018 in Diyala 170 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet, die zu 265 getöteten ZivilistInnen geführt hätten. Dies sei ein leichter Rückgang gegenüber 2017, als 180 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet worden seien, die zu 276 getöteten ZivilistInnen geführt hätten. Die Distrikte mit der höchsten Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle, die zu getöteten ZivilistInnen geführt hätten, seien Al-Muqdadiya, Khanaqin und Baladrooz gewesen. Die höchste Gewaltintensität (Anzahl der Getöteten pro 100.000 EinwohnerInnen) sei in Al-Muqdadiya gemessen worden, gefolgt von Kifri und Khanaqin. Die meisten von IBC in Diyala verzeichneten Vorfälle hätten Schusswaffen beinhaltet (49,4 Prozent), gefolgt von improvisierten Spreng- und Brandvorrichtungen (25,9 Prozent) und Hinrichtungen / summarischen Tötungen (19,4 Prozent). Michael Knights vom Washington Institute for Near East Policy habe in einer Analyse zum IS vom Dezember 2018 bestätigt, dass die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Diyala 2018 zurückgegangen sei. Laut Knights habe die durchschnittliche Anzahl von IS-Angriffen im Jahr 2018 bei 26,2 pro Monat gelegen, was einen starken Rückgang gegenüber 2017 darstelle, als diese Zahl bei 79,6 gelegen habe. Knights habe 31 gezielte Tötungen von Mitgliedern von Distrikträten, Dorfvorständen, Stammesführern und sunnitischen Anführern der Volksmobilisierungseinheiten (Popular Mobilization Forces, PMF) registriert. Angriffe auf ZivilistInnen hätten Tötungen, Entführungen und die Zerstörung agrarischer Infrastruktur auf dem Land beinhaltet. Knights habe zudem angegeben, dass der Rückgang der IS-Angriffe vielleicht darauf zurückzuführen sein könne, dass seine Brutalität die vorwiegend sunnitischen Stämme dazu bringe, mit den schiitischen Volksmobilisierungseinheiten und den irakischen Sicherheitskräften zusammenzuarbeiten, was sie auch müssten, um in ihre Städte zurückkehren zu können. Die Sicherheitslage in Diyala sei im Jahr 2018 schwankend gewesen. Trotz des Rückgangs der sicherheitsrelevanten Vorfälle habe der IS weiterhin Mitglieder der irakischen Sicherheitskräfte und der Volksmobilisierungseinheiten in Diyala angegriffen. Joel Wing, Irak-Experte und Herausgeber des Internetblogs Musings on Iraq habe vermutet, dass der IS die Kontrolle über die meisten ländlichen Gebiete von Diyala übernommen habe (EASO, März 2019a, S. 90-93).

In einem weiteren Bericht von EASO vom März 2019 zum Vorgehen staatlicher und nicht-staatlicher Akteure gegen Einzelpersonen wird erwähnt, dass die meisten Übergriffe in den Jahren 2014 bis 2017 laut USDOS vom IS begangen worden seien. Es seien aber auch Teile der Volksmobilisierungseinheiten an unrechtmäßigen Tötungen, Fällen von Verschwindenlassen, Entführungen, Erpressungen und Vergeltungsangriffen im Rahmen des Kampfes gegen den IS beteiligt gewesen. 2015 habe es Berichte über Fälle gegeben, in denen Milizen und bewaffnete Gruppen, die die Regierung unterstützt hätten, beispielsweise an gezielten Tötungen, der Entführung von ZivilistInnen und anderen Übergriffen beteiligt gewesen seien. Insbesondere in der Provinz Diyala gebe es eine hohe Anzahl von Entführungen, von denen behauptet werde, dass sie von Milizen ausgeführt würden und sich auch gegen Sunniten richten würden (EASO, März 2019b, S. 20-21)

Zudem führt EASO aus, dass laut einem Bericht der dänischen Einwanderungsbehörde (DIS) und Landinfo vom November 2018 insbesondere Personen, die irgendwelcher Verbindungen zum IS verdächtigt würden, von allen irakischen Sicherheitsakteuren ins Visier genommen würden, was zu Behinderungen und Einschränkungen wie Verhaftungen, Übergriffen, einer verweigerten Rückkehr in die ursprünglichen Wohngebiete, zur Beschlagnahmung von Ausweisdokumenten, zu eingeschränkten Sozialleistungen etc. führen könne. Zudem dürften Personen, die in Gebieten unter IS-Kontrolle gelebt hätten, mehr von Diskriminierung und Übergriffen betroffen sein, als Personen, die außerhalb solcher Gebiete gelebt hätten. Zwischen 2014 und 2017 seien Racheakte wie Anhaltungen ("interceptions"), Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen und Tötungen von Sunniten durch irakische Sicherheitskräfte und mit ihnen verbündete Kräfte registriert worden. Im Jänner 2016 hätten Angreifer, die von Zeugen als Mitglieder von Milizen unter Kontrolle der Volksmobilisierungseinheiten identifiziert worden seien, mindestens sechs sunnitische Moscheen in Muqdadiya [Provinz Diyala] nordöstlich von Baquba in Brand gesteckt und mit Sprengkörpern beworfen. Es sei auch über Entführungen und Tötungen berichtet worden. Im März 2016 hätten Männer, die Behauptungen zufolge zu den Volksmobilisierungseinheiten gehört hätten, in einem Dorf westlich von Muqdadiya drei Häuser gestürmt und drei sunnitische Zivilisten getötet. Im Juli 2016 hätten bewaffnete Männer, die von Zeugen als schiitische Milizmitglieder identifiziert worden seien, im Distrikt Baquba einen schiitischen Zivilisten getötet. Im August 2016 hätten Mitglieder der Volksmobilisierungseinheiten Razzien in Dörfern im Nordosten von Baquba ausgeführt und dabei mindestens vier Sunniten entführt. Die Leichen von zwei der Entführten seien später in der Nähe aufgefunden worden. Im August 2015 hätten Peschmerga-Einheiten eine unbekannte Anzahl von Häusern und Einrichtungen in von Sunniten bewohnten Gebieten in Jalawla zerstört (EASO, März 2019b, S. 26-27; S. 38)

In der Zusammenfassung des im Jänner 2019 veröffentlichten Berichts zur Sicherheitslage in der Provinz Diyala mit Stand November 2018 schreibt Landinfo, dass der IS Ende 2015 die Kontrolle über die Dörfer und Städte in Diyala verloren habe. Dennoch habe die Gruppe weiterhin Angriffe in der Provinz ausgeführt und ZivilistInnen eingeschüchtert. Viele der Operationen des IS in den letzten Jahren seien von den ländlichen Hamrin-Bergen, die unter anderem an Diyala grenzen würden, und dem Delta des Flusses Diyala in Muqdadiya aus gelenkt worden. In diesen Gebieten verstecke sich der IS und es sei den irakischen Kräften nicht gelungen, ihn dort auszumerzen. Wie im Rest des Landes sei die Anzahl der getöteten ZivilistInnen in Diyala 2018 im Vergleich zum Jahr davor zurückgegangen, dennoch gebe es in der Provinz nach wie vor ernste sicherheitsrelevante Herausforderungen. Am prekärsten sei die Lage in den "umstrittenen Gebieten", die sich vom Nordwesten bis zum Südosten der Provinz ziehen würden. Seit dem Abzug der Peschmerga 2017 habe sich die Lage hier offenbar verschlechtert. Alle Distrikte der Provinz seien anfällig für Angriffe und Einschüchterungsversuche des IS. Allerdings seien die ländlichen Gebiete, in denen die Regierungskräfte und mit ihnen verbündete Kräfte wenig präsent seien, anfälliger für Gewalt und Einschüchterungen als die Städte, die besser beschützt würden (Landinfo, 8. Jänner 2019, S. 4)

Die Nachrichtenagentur Reuters schreibt in einem Artikel vom Juli 2018, dass es Monate, nachdem der Irak den Sieg über den IS erklärt habe, zu einem Comeback der IS-Kämpfer komme, die ungezielte Entführungen und Tötungen durchführen würden. Es sei seit den Wahlen vom Mai 2018 zu einem Anstieg der Entführungen und Tötungen im Irak gekommen, vor allem in den Provinzen Kirkuk, Diyala und Salahuddin, was darauf hindeute, dass die Regierung wieder durch den IS unter Druck gerate. Der Vorsitzende des Provinzrates von Diyala habe angegeben, dass der IS derzeit im Vorteil sei. Die Terroristen würden sich in kleinen Gruppen bewegen, die schwer aufzuspüren seien. Der IS habe sich in den Hemrin-Bergen neu formiert, die sich von Diyala über das nördliche Salahuddin bis ins südliche Kirkuk erstrecken würden. Diese Gegend werde als Dreieck des Todes bezeichnet (Reuters, 24. Juli 2018)

Die International Review, ein laut eigenen Angaben Non-Profit-Projekt von Freiwilligen mit internationalem Fokus veröffentlicht im März 2019 einen Artikel von Trent Schoenborn, der auf den Irak und den Krieg in Syrien spezialisiert ist, zur Sicherheitslage in Diyala. Laut Schoenborn sei Diyala früher eine ruhige und ziemlich sichere Provinz gewesen, seit 2017 sei es jedoch nach der Rückeroberung von Hawija und der Krise in Kirkuk zu einem beträchtlichen Anstieg an terroristischen Vorfällen in den ländlichen Gebieten gekommen. Das Gebiet sei zuvor von der kurdischen Regionalregierung verwaltet und von Sicherheitskräften der Demokratischen Partei Kurdistans beschützt worden, aber diese Personen seien alle geflohen, als die föderalen Truppen zur gleichen Zeit wie in Kirkuk einmarschiert seien. Das Weggehen der kurdischen Sicherheitskräfte habe ein Vakuum zurückgelassen, das nur langsam und teilweise von den irakischen Sicherheitskräften gefüllt worden sei. Es sei eine klare Chance für aufständische Gruppen gewesen, sich zu etablieren. Seit dem Sommer 2018 sei es zu einer Serie von Bombenanschlägen, Ermordungen und Scharmützeln mit lokalen Sicherheitskräften gekommen ("a campaign of bombings, assassinations, and skirmishes against local security forces have escalated"), da sich Zellen des IS in der Gegend zwischen Jalawla und Khanaqin sowie in den Bergen zwischen Tuz Khurma und Sulayman Bek angesiedelt hätten. Diese Serie habe sich bis in den Jänner 2019 gezogen und habe sich in Diyala, wo das Sicherheitsvakuum nach wie vor ein wichtiges Thema sei, sogar noch weiter verstärkt. Das Gebiet um Khanaqin sei ein Zufluchtsort für IS-Zellen geworden, die sich dort eingenistet hätten ("have dug in") und wegen des Mangels an Sicherheitskräften die Berge fest im Griff hätten. Die Auswirkungen dieser Angriffe seien begrenzt und sie würden nur zu wenigen Opfern führen, aber die Häufigkeit, mit der sie vorkämen, sei im Steigen begriffen. Die EinwohnerInnen von Jalawla und Khanaqin würden sich in den sozialen Medien und lokalen Nachrichtensendern über die zunehmende Regelmäßigkeit von Angriffen beklagen und fordern, dass kurdische Sicherheitskräfte unabhängig von den föderalen Kräften Maßnahmen ergreifen sollten, weil nach Ansicht der EinwohnerInnen die föderalen Kräfte nicht in der Lage seien, das Problem zu bewältigen. Es habe Behauptungen gegeben, dass mehrere Dörfer unter die physische Kontrolle des IS geraten sein, und diejenigen, die in die größeren Städte geflohen seien, hätten Angst um ihre Sicherheit und ihr Leben angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage geäußert. Ein paar lokale EinwohnerInnen, mit denen International Review gesprochen habe, die aber anonym hätten bleiben wollen, hätten mitgeteilt, dass Angriffe der Aufständischen mit leichten Waffen und Mörser üblicher geworden seien und sich die Art und Weise von Entführungen verändert habe. Während früher Entführer oft Lösegeld von den Familien der Opfer verlangt hätten, seien die Opfer bei den jüngsten Fällen häufiger tot aufgetaucht. Die Quellen hätten berichtet, dass viele derer, die exekutiert worden seien, aus prominenten lokalen Familien oder aus Familien von Sicherheitsbediensteten stammen würden, die wegen ihrer Verbindungen angreifbar seien. Angriffe auf Sicherheitskräfte seien auch immer kühner geworden, in Khanaqin selbst habe es Angriffe auf Sicherheitskräfte gegeben, die oft mit leichten Waffen und kleinen Sprengkörpern ausgeführt worden seien. Ähnlich habe sich die Situation in der Gegend von Sulayman Bek entwickelt, obwohl es in den letzten Wochen etwas weniger Angriffe durch den IS gegeben habe, was vielleicht auch darauf zurückgeführt werden könnte, dass Verstärkung aus Bagdad in die Gegend verlegt worden sei. Die irakischen Sicherheitskräfte in Diyala dürften nicht angemessen ausgestattet und vorbereitet sein für die Aufgabe, Zellen der Aufständischen auszumerzen. Lokale Einwohnerinnen hätten sich beständig über das Fehlen von Sicherheitspatrouillen beschwert, selbst auf stärker befahrenen Straßen, und hätten damit begonnen, mit eigenen improvisierten Milizen zu kämpfen. Viele würden die Rückkehr der Peschmerga fordern und seien der Ansicht, dass diesen Kräften eine Schlüsselrolle dabei zukomme, wieder Sicherheit in die Region zu bringen. Das Maß an Vertrauen zwischen den lokalen EinwohnerInnen und den irakischen Sicherheitskräften zusammen mit den sie unterstützenden Volksmobilisierungseinheiten ("Hash'd al-Shaabi") sei gering, und das fehlende Vertrauen trage fast mit Sicherheit zu der Atmosphäre der Unsicherheit bei (International Review, 22. März 2019)

iMMAP, eine internationale NGO, die mit der Erstellung von Karten und Grafiken humanitäre Partner und Entwicklungsorganisationen unterstützt, veröffentlicht im Februar 2019 eine Karte, auf der das Risiko des Vorkommens von Sicherheitsvorfällen auf Straßen und in Camps in verschiedenen Provinzen dargestellt ist, unter anderem in der Provinz Diyala. Auf der Karte ist auch eine Straße von Erbil nach Diyala zu erkennen, die keine als "Risk Road" bezeichneten Abschnitte aufweist:

[Bild entfernt] (iMMAP, 5. Februar 2019)

In dem oben bereits zitierten Bericht zur Sicherheitslage vom März 2019 schreibt EASO, dass der IS Berichten zufolge 2018 falsche Checkpoints in Diyala errichtet habe, um Personen zu entführen und Lösegeld zu fordern oder um sie hinzurichten (EASO, März 2019a, S. 96)

Reuters schreibt in dem bereits erwähnten Artikel vom Juli 2018, dass es im Irak zu einem Anstieg von Tötungen und Entführungen gekommen sei, insbesondere in den Provinzen Kirkuk, Diyala, und Salahuddin. Im Juni 2018 sei es zu 83 Fällen von Entführung, Ermordung oder beidem in den drei Provinzen gekommen, wobei sich die meisten auf einer Schnellstraße ("highway") ereignet hätten, die Bagdad mit der Provinz Kirkuk verbinde. Bei einem solchen Vorfall im Juni 2017 seien drei Schiiten von Angehörigen des IS, die sich als Polizisten verkleidet hätten, bei einem Checkpoint auf der Straße entführt worden. Zehn Tage später seien ihre verstümmelten Leichen entdeckt worden, an denen Sprengstoff befestigt gewesen sei, um jene zu töten, die sie finden (Reuters, 24. Juli 2018)

The National, eine von der Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate aufgekaufte Tageszeitung aus Abu Dhabi, schreibt in einem Artikel vom Juli 2018, dass die Unfähigkeit der Sicherheitskräfte, eine Schnellstraße ("highway") zwischen Bagdad und den nördlichen Provinzen abzusichern, verdeutliche, wie militante Schläferzellen die Sicherheit untergraben könnten, selbst wenn in großen Teilen des Landes relativer Frieden wieder einziehe. Über Monate hätten fliegende Checkpoints, Hinterhalte und Entführungen von Aufständischen auf der Straße, die Bagdad und Kirkuk verbinde, Reisende terrorisiert und zu einer größeren Militäroperation in der Woche vor Veröffentlichung des Artikels geführt. Ein Taxifahrer, der täglich von Bagdad nach Kirkuk fahre, habe angegeben, dass es immer riskanter werde, nach Bagdad zu fahren und er nur noch bei Tageslicht fahre. Man höre immer mehr von Entführungen und falschen Checkpoints des IS (The National, 7. Juli 2018)

Allgemeine Informationen zum Zugang von Provinzen und zur Straßensicherheit

In einem im Februar 2019 veröffentlichen Bericht zur Binnenmobilität schreibt EASO unter Bezug auf unterschiedliche Quellen aus den Jahren 2017 und 2018, dass das Passieren von Checkpoints Alltag im Irak sei. Man benötige dafür Ausweispapiere, um seine Identität nachweisen zu können. Checkpoints würden häufig von verschiedenen bewaffneten, der Regierung nahestehenden Akteuren betrieben, wobei die Regeln unklar seien und die "Willkür" derjenigen, die den Checkpoint betreiben würden, vorherrsche. Laut Angaben des Welternährungsprogramms vom Mai 2018 werde die Straßensicherheit vom andauernden Konflikt beeinflusst und es komme zu nicht vorhersagbaren Änderungen bezüglich der Zugänglichkeit. Bei der Review des EASO-Berichts habe Geraldine Chatelard vom Institut français du Proche-Orient angemerkt, dass es permanente Checkpoints beim Zugang zu allen Provinzen und auf allen Hauptstraßen gebe. Im Zentral- und Südirak würden diese Checkpoints von der föderalen irakischen Polizei betrieben. Zwischen den Provinzen der Autonomen Region Kurdistan würden die Checkpoints von der kurdischen Asayesh [Inlandsgeheimdienst der Autonomen Region Kurdistan, Anm. ACCORD] betrieben. Weitere permanente Checkpoints gebe es bei der Zufahrt aller größeren Städte, die von der lokalen Polizei betrieben würden. Es gebe weitere permanente oder temporäre Checkpoints an verschiedenen Durchgangsstraßen innerhalb von Städten und beim Betreten von Verwaltungsgebäuden und Komplexen (etwa Flughäfen). In Bagdad und anderen Städten werde der Zugang zu ganzen Nachbarschaften möglicherweise durch eine Reihe von Checkpoints kontrolliert, wobei manchmal nur den Inhabern spezieller Genehmigungen der Zugang gestattet werde. Identitätsüberprüfungen würden nicht systematisch durchgeführt und würden vom Sicherheitslevel abhängen. Sollten sie durchgeführt werden, müssten Reisende verschiedene Ausweispapiere vorweisen. Für Regierungsangestellte sei vielleicht ein Berufsausweis ("professional card") ausreichend, in anderen Fällen müssten Reisende möglicherweise verschiedene Ausweisdokumente vorweisen, zumindest ihren irakischen Personalausweis und ihre Staatsbürgerschaftskarte. Bei Reisen zwischen Provinzen könnte von Reisenden die Vorlage eines Rechtfertigungsschreibens ("written justification") mit der Angabe des Grundes für die Fahrt in eine bestimmte Provinz gefordert werden, etwa von ihrem Arbeitgeber, ein Bescheinigung eines Krankenhauses, oder besser noch, ein Brief der Organisation oder öffentlichen Einrichtung, die sie in der Provinz, in die sie fahren wollten, besuchen würden. Dies sei im ganzen Irak der Fall und unabhängig von ethnischer und religiöser Zugehörigkeit. Es gebe Bewegungen von Sunniten in Gebiete mit schiitischer Mehrheit und umgekehrt. Es gebe auch Bewegungen zwischen der Autonomen Region Kurdistan und dem Rest des Iraks. Allerdings sei das Reisen ohne ordnungsgemäße Papiere riskant. Wenn man der gleichen ethnisch-religiösen Gruppe angehöre wie die bewaffnete Gruppe, die den Checkpoint betreibe, sei das für das Passieren des Checkpoints ohne ordnungsgemäße Papiere förderlich. In den Provinzen, die vom IS zurückerobert worden seien, sei die Situation besonders, da verschiedene Volksmobilisierungseinheiten Checkpoints an den Haupt- und Nebenstraßen errichtet hätten, um die Kontrolle über das Gebiet und die Bewegungen darin zu erlangen. Außerdem würden zwischen der Autonomen Region Kurdistan und Ninewah, Kirkuk, Salah el-Din und Diyala Checkpoints von der Asayesh betrieben, um den Zugang zur Autonomen Region zu kontrollieren. In Sichtweite seien andere Checkpoints, die von der föderalen irakischen Polizei betrieben würden, um den Zugang zu den aufgezählten Provinzen zu kontrollieren. Hier seien die Identitätsüberprüfungen systematisch. Laut Informationen des Direktors der Minority Rights Group International (MRGI) vom April 2017 könnten Checkpoints von einer Vielzahl von verschiedenen Milizen betrieben werden, die oftmals verschiedene "konfessionelle oder ethnische Identitäten" hätten. Er habe die Meinung vertreten, dass es nicht möglich sei, sich im Land zu bewegen, außer wenn die Ausweispapiere in Ordnung seien und man in vielen Fällen der richtigen ethnischen oder religiösen Gruppe angehöre, was einem den Zugang zu einer bestimmten Region oder Provinz des Irak ermögliche und direkte Auswirkungen auf die Sicherheit der Einzelpersonen habe. Die Sicherheitskräfte an den Checkpoints würden die Namen der Menschen mit Datenbanken von Personen abgleichen, die wegen mutmaßlicher Verbindungen zum IS gesucht würden. Die Personen könnten nach Angaben von HRW festgenommen oder Opfer von Verschwindenlassen werden und würden Inhaftierung riskieren. Ein lokaler Polizist in Ninewa habe 2018 erklärt, dass eine Person, die eine Nachbarschaft besuchen wolle, nach ihrem Personalausweis gefragt werde, der von der Polizei einbehalten werde, bis die Person wieder gehe. Wenn die Person keinen Personalausweis habe, werde die Familie angerufen, um die Ausweispapiere zu bringen. Sollte dies nicht erfolgen, werde die Person als "verdächtig" angesehen, der Muchtar [ein Beamter auf lokaler Ebene, Anm. ACCORD] werde zur Rate gezogen und die Polizei könne der Person den Zutritt gewähren. Es gebe offizielle Anweisungen, diese würden aber nur selten in der Praxis umgesetzt. Ein Mitarbeiter der norwegischen Botschaft, der für einen Bericht von Landinfo 2017 interviewt worden sei, habe angegeben, dass Sunniten größere Schwierigkeiten hätten, Checkpoints zu passieren, da sie wegen des Verdachts, mit dem IS zu sympathisieren, das Ziel willkürlicher Verhaftungen werden könnten und dadurch Opfer von Übergriffen werden könnten. UNHCR habe im April 2017 die Einschätzung getroffen, dass sunnitische Araber und sunnitische Turkmenen aus vormaligen Gebieten des IS Berichten zufolge insbesondere dem Risiko ausgesetzt seien, beim Passieren von Checkpoints auf Straßen zwischen Provinzen und auf der Straße zwischen dem Flughafen von Bagdad und der Stadt selbst Opfer von diskriminierender Behandlung zu werden. Korruption und Bestechungsgelder an Grenzübergängen und größeren Checkpoints im Landesinneren seien Berichten zufolge sehr weit verbreitet. Ein paar politische Parteien und paramilitärische Gruppen seien in Menschenhandel und Drogenschmuggel involviert. Offizielle Sicherheitskräfte und private Gruppen würden Berichten zufolge häufig Deals aushandeln, um Checkpoints zu kontrollieren und damit an "informelle Steuern" zu gelangen. Das UK Foreign Office beschreibe das Fahren auf Straßen wegen Bomben am Straßenrand, Angriffen auf Fahrzeuge, falschen Checkpoints und Raubüberfällen als höchst gefährlich. Die Schnellstraße ("highway") zwischen Bagdad und Kirkuk werde von verschiedenen Quellen als besonders gefährlich beschrieben, mit falschen Checkpoints des IS und Berichten über Entführungen von ZivilistInnen und Sicherheitskräften im Jahr 2018 (EASO, Februar 2019, S. 17-19)

Rückkehr und Niederlassungsmöglichkeit

Im Rahmen ihrer Displacement Tracking Matrix (DTM) veröffentlicht die Internationale Organisation für Migration (IOM) Zahlen zu registrierten Binnenvertriebenen und Rückkehrern im Irak, aufgeschlüsselt nach Provinzen und Distrikten. Mit Stand 28. Februar 2019 gebe es in der Provinz Diyala 58.254 intern Vertriebene (IDPs), insbesondere in den Distrikten Baquba (24.084) und Khanaqin (17.406). Ca. 50.000 der IDPs stammten aus Diyala selbst, und ungefähr 20.000 der IDPs seien im Juni und Juli 2014, 8.000 im August 2014 und 23.000 im Zeitraum September 2014 bis März 2015 vertrieben worden.

Mit Stand Februar 2019 gebe es 223.326 Rückkehrer in die Provinz, insbesondere in die Distrikte Khanaqin, Al-Khalis und Al-Muqdadiya. In den Distrikten Baladrooz und Baquba habe es keinerlei Rückkehr gegeben.

Insgesamt seien noch 86.688 Personen aus Diyala als vertrieben registriert. Neben den bereits erwähnten 49.932 IDPs, die in Diyala selbst verblieben seien, gebe es auch 27.738 aus Diyala in Sulaymanniah, 4.506 in Kirkuk, 1.476 in Bagdad, 1.416 in Salah-al-Din, 504 in Wassit, 426 in Erbil, 216 in Basra, 150 in Kerbala, 96 in Missan, 66 in Qadissiya, 54 in Thi-Qar, 42 in Najaf, 30 in Muthanna, 24 Personen in Babel und 12 in Ninewa: [Bilder entfernt] (IOM, Stand 28. Februar 2019a; 2019b; 2019c)

In dem im Jänner 2019 veröffentlichten Bericht zur Sicherheitslage in Diyala mit Stand November 2018 schreibt Landinfo, dass sunnitische Araber, seitdem der IS in der Provinz Fuß gefasst habe, verdächtigt würden, mit ihm unter einer Decke zu stecken oder zu sympathisieren. Nach der Flucht Tausender ZivilistInnen vor dem IS und nach den Kampfhandlungen zwischen den irakischen Sicherheitskräften und den Volksmobilisierungseinheiten und dem IS sei vielen Sunniten die Rückkehr verweigert worden. Mit Stand 2018 sei unklar, wie viele immer noch nicht nach Baquba und Muqdadiya zurückgekehrt seien. Eine Umfrage aus dem Jahr 2018 von Reach und der Returns Working Group unter Binnenvertriebenen und Rückkehrern in Muqdadiya habe darauf hingewiesen, dass es für sunnitische Araber problematisch sei, dorthin zurückzukehren (Landinfo, 8. Jänner 2019, S. 18-19)

In dem bereits zitierten Bericht zur Sicherheitslage vom März 2019 schreibt EASO, dass das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs, UN OCHA) im November 2018 angemerkt habe, dass viele RückkehrerInnen, unter anderem in Diyala, denen Verbindungen zu Extremisten nachgesagt würden, bei ihrer Rückkehr gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben worden seien, was zu einer sekundären Vertreibung geführt habe, wobei ihre Besitztümer zerstört oder beschlagnahmt worden seien. Ein leitender Forscher für Human Rights Watch (HRW) zum Irak habe im Jänner 2019 angegeben, dass in manchen sunnitischen Gebieten von Diyala Personen mit unterstellten Verbindungen zum IS eine Rückkehr durch die schiitischen Volksmobilisierungseinheiten verweigert werde. Das sei nicht weit verbreitet, sei aber in den IS-anfälligen Gebieten ("ISIL-insecure pockets") um Muqdadiyah, Saadiyah und Jalawla vorgekommen, wo eine Rückkehr manchmal an eine zwangsweise Rekrutierung in Stammeseinheiten ("to tribal forces") geknüpft sei, die sich an Patrouillen und Nachbarschaftswachen beteiligen würden. Diejenigen, die sich an den täglichen Patrouillen beteiligen würden, würden kein Gehalt beziehen, sondern würden gezwungen, dies gratis zu tun. Vertreter von Kirkuk Now, die während einer Fact-Finding-Mission von DIS und Landinfo im April 2018 in die Autonome Region Kurdistan interviewt worden seien, hätten angegeben, dass Familien, die IS-Verwandte hätten, Probleme in den befreiten Gebieten hätten. Es habe insbesondere in Diyala und Salah al-Din Vorfälle gegeben, in denen Opfer von Verbrechen des IS Personen mit IS-Verbindungen in deren Familien ins Visier genommen hätten und Blut für Blut gefordert hätten. Sie hätten gedroht, Familienmitglieder aus Rache zu töten, da der IS Mitglieder ihrer Familien getötet habe. In anderen Fällen hätten die Familien der Opfer gefordert, dass die Familien von IS-Mitgliedern aus der Gegend ziehen müssten oder ihre Häuser zerstört würden (EASO, März 2019a, S. 95-96)

In dem bereits zitierten Bericht vom März 2019 zum Vorgehen staatlicher und nicht-staatlicher Akteure gegen Einzelpersonen schreibt EASO, dass laut einem UNHCR-Bericht vom Juli 2018 weiterhin über Fälle von Rekrutierung von Rückkehrern in regierungstreue bewaffnete Gruppen in Teilen von Diyala und Ninewa berichtet worden sei. Mehrere Berichte würden angeben, dass Gruppen, die diese Gebiete kontrollieren würden, eine Rückkehr davon abhängig machen würden, ob die Familien ein männliches Familienmitglied oder mehrere für die Gruppen abstellen würden. Im Oktober 2016 habe Amnesty International berichtet, dass sunnitische Binnenvertriebene in Teilen von Diyala und Salah al-Din durch bürokratische Verfahren und Erfordernisse sowie Einschüchterungen, darunter Entführungen, willkürliche Verhaftungen und außergerichtliche Hinrichtungen, an einer Rückkehr in ihre Städte und Dörfer gehindert worden seien (EASO, März 2019b, S. 39-40)

In dem im Februar 2019 veröffentlichen Bericht zur Binnenmobilität schreibt EASO, IOM habe dem Danish Immigration Service (DIS) und Landinfo im November 2018 gegenüber angegeben, dass es keine Rückkehr nach unter anderem Diyala empfehle. Quellen würden berichten, dass 2017 Hunderte Familien, die verdächtigt worden seien, Verbindungen zum IS zu haben, unter anderem in Diyala gewaltsam vertrieben worden seien. UNHCR habe im April 2018 über Fälle von Familien berichtet, die verdächtigt worden seien, Verbindungen zum IS zu haben und denen von lokalen oder ihren eigenen Stämmen nicht gestattet worden sei, zurückzukehren (EASO, Februar 2019, S. 48).

Die US-amerikanische Tageszeitung Washington Post schreibt in einem Artikel vom Jänner 2019, dass Iraks große und gut bewaffnete schiitische Milizen jetzt viele der sunnitischen Gebiete kontrollieren würden, bei denen sie geholfen hätten, sie vom IS zu befreien. Die Milizen würden laut Analysten auch entscheiden, welche sunnitischen Familien nach Hause zurückkehren dürften. In verschiedenen Städten hätten Milizführer die lokalen Räte dazu gebracht, die Eigentumsrechte der Sunniten für ungültig zu erklären mit der Begründung, sie hätten den IS unterstützt. Dies habe zu größeren demographischen Verschiebungen in gemischt sunnitisch-schiitischen Gebieten geführt, wie zum Beispiel in Hilla und Diyala (Washington Post, 9. Jänner 2019).

2.2.2. Übergriffe durch schiitische Milizen in Diyala

Im von ACCORD veröffentlichten ecoi.net-Themendossier zu schiitischen Milizen im Irak, zuletzt aktualisiert am 11. Dezember 2019, werden zur Situation in Diyala unter Verweis auf verschiedene Quellen folgende Angaben gemacht:

"Laut den gefundenen Quellen ist insbesondere die Badr-Miliz stark in der Provinz vertreten, übernimmt nicht nur Sicherheitsaufgaben, sondern greift auch in die Verwaltung sowie wirtschaftliche Vorgänge ein:

Laut dem EASO-Bericht sind PMF-Milizen [PMF: Popular Mobilization Forces] in der Provinz Diyala besonders präsent. Die Badr-Organisation hat die Kontrolle über den Provinzrat übernommen und gilt als der primäre Sicherheitsakteur (EASO, März 2019, S. 88).

Nachdem die Badr-Organisation im Jahr 2014 die Expansion der Gruppe IS [Islamischer Staat] in die Provinz Diyala aufhielt, wurde sie für den Erhalt der Sicherheit in der Provinz verantwortlich gemacht. Die Miliz mit ihrem Anführer Hadi Al-Amiri ist immer noch die dominierende Kraft in Diyala. Von insgesamt 16 Badr Brigaden, die als Teil der PMF operieren, sind sieben in Diyala stationiert (Landinfo, 8. Jänner 2019, S. 9).

Al Araby Al Jadeed, berichtet im April 2018, dass die in Muqdadiya in der Provinz Diyala präsenten Milizen, allen voran die Badr-Miliz und Asa'ib Ahl al-Haqq, das alltägliche Leben in der Stadt, die Märkte, die Verwaltung und die Checkpoints am Eingang der Stadt kontrollieren. Sie seien laut Angaben der Zeitung auch in den Handel mit Drogen verwickelt, die aus dem nahegelegenen Iran importiert würden (Al Araby Al Jadeed, 25. April 2018).

Laut Radio Nawa hat im Juni 2018 das Elektrizitätsministerium einen Amtsträger der Badr- Organisation beschuldigt, eine Gruppe von Personen dazu aufgestachelt zu haben, ein Kraftwerk bei Muqdadiya zu stürmen, was zur Unterbrechung der Stromversorgung geführt habe (Radio Nawa, 24. Juni 2018). [...]

Die Website Yaqein berichtet im Dezember 2018 von Demonstrationen Dutzender Einwohner des Distrikts Al Muqdadiya gegen Verstöße und Einmischungen der Milizen der PMF. Am Tag zuvor hätten PMF-Kämpfer die Häuser von Mitgliedern des Distriktrates angegriffen. Bei dem Konflikt zwischen lokalen Politikern und den PMF gehe es um die Ernennung für den Posten des Distriktvorstandes (Yaqein, 15. Dezember 2018). [...]

Ein hochrangiges Mitglied der kurdischen Peschmerga wirft im Mai 2019 Mitgliedern der PMF in der Provinz Diyala vor, die Region gezielt zu ‚arabisieren', indem Häuser von KurdInnen durchsucht, Felder kurdischer Bauern verbrannt sowie Bomben gelegt werden. Es werden Asa'ib Ahl al-Haqq, die Badr-Organisation und Hisbollah Al-Nudschaba als Milizen genannt, die außerhalb jeglicher staatlicher Kontrolle agieren. Der Bürgermeister von Khanaqin beschwert sich ebenfalls über das In-Brand-Setzen von Feldern, ohne jedoch Verantwortliche zu nennen (Rudaw, 25. Mai 2019)." (ACCORD, 11. Dezember 2019)

Im Zuge der Recherche konnten für Diyala seit Jänner 2019 keine Informationen zu gewalttätigen Übergriffen schiitischer Milizen auf die Zivilbevölkerung gefunden werden. In einem im Jänner 2019 veröffentlichten Bericht zur Sicherheitslage in Baqubah, der Hauptstadt von Diyala, mit Stand November 2018, schreibt das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo zum Fehlen aktueller Berichte zu Übergriffen der Volksmobilisierungseinheiten auf die sunnitische Bevölkerung, dass dies ein Zeichen dafür sei, dass die Volksmobilisierungseinheiten und andere Ordnungskräfte die Stadt selbst fest unter ihrer Kontrolle hätten. Dennoch würden die ländlichen Gebiete in der Nähe der Stadt zu den anfälligsten für IS-Angriffe zählen, was wahrscheinlich bedeute, dass die irakischen Sicherheitskräfte und Volksmobilisierungseinheiten in diesen Gebieten nach IS-Anhängern suchen würden, wovon häufig nicht nur sunnitische AraberInnen betroffen seien. Da die Badr-Organisation eine derart starke Präsenz und Kontrolle in Diyala habe, könne man vermuten, dass die Presse sich stark selbst zensiere, wenn sie über das Vorgehen der Volksmobilisierungseinheiten in der Provinz berichte. Basnews habe im April 2018 die Stellungnahme eines politischen Führers aus dem Distrikt Kifri wiedergegeben, dem zufolge die Volksmobilisierungseinheiten kurdische und arabische ZivilistInnen angreifen würden. Laut dem Politiker würden die Volksmobilisierungseinheiten auf die Häuser von ZivilistInnen schießen und sie bedrohen, damit sie die Dörfer räumen würden, weil sie anderenfalls getötet würden. Der Politiker, der die Demokratische Partei Kurdistans repräsentiere, habe angenommen, die Volksmobilisierungseinheiten hätten ein Interesse daran gehabt vor den Wahlen vom Mai 2018 sunnitische Kurden und Araber, die in dieser Gegend leben würden, aus dem Gebiet zu entfernen. Landinfo verweist auch auf ältere Informationen des USDOS Jahresberichtes zur Religionsfreiheit für das Jahr 2017, in dem von Vertreibungen von mutmaßlichen IS-Sympathisanten durch irakische Streitkräfte und Milizen, sowie von Entführungen von SunnitInnen, Übergriffen auf diese und der Verweigerung deren Rückkehr vonseiten der PMFMiliz Kata'ib Hizballah berichtet wird. Im November 2018 habe die Quelle Kirkuk Now allerdings berichtet, dass sich immer mehr Familien in Diyala offiziell von nahen Verwandten, die IS-Mitglieder seien, distanzieren würden. Auf langfristige Sicht könne diese Entwicklung das Verhältnis zwischen der sunnitischen lokalen Bevölkerung und den Sicherheitskräften verbessern (Landinfo, 8. Jänner 2019, S. 18-19)

Das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACL

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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