TE Vfgh Erkenntnis 1996/6/27 G1394/95

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Veröffentlicht am 27.06.1996
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Index

L9 Sozial- und Gesundheitsrecht
L9440 Krankenanstalt, Spital

Norm

StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
Krnt KAO 1992 §8 Abs2 lita
Krnt KAO 1992 §10 Abs2

Leitsatz

Feststellung der Verfassungswidrigkeit der eine Bedarfsprüfung für die Bewilligung zur Errichtung einer Krankenanstalt bzw eines selbständigen Ambulatoriums vorsehenden Bestimmungen der Krnt KAO 1992 wegen Verstoßes gegen das Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung

Spruch

Die §§8 Abs2 lita und 10 Abs2 der Krankenanstaltenordnung 1992 - KAO 1992, Anlage zur Kundmachung der Kärntner Landesregierung vom 15. Dezember 1992, Zl. Verf-1468/1/92, über die Wiederverlautbarung der Krankenanstaltenordnung 1978 (KAO), LGBl. für Kärnten Nr. 2/1993, waren verfassungswidrig.

Der Landeshauptmann von Kärnten ist verpflichtet, diesen Ausspruch unverzüglich im Landesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1478/95 eine Beschwerde gegen einen Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 6. April 1995 anhängig, mit welchem der Antrag der "H" Betriebsgesellschaft mbH auf Erteilung der sanitätsbehördlichen Bewilligung für die Errichtung einer Ganzheitsmedizinischen Diagnose- und Therapiestation in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums mit Standort in Velden am Wörthersee gemäß §8 Abs2 lita der Krankenanstaltenordnung 1992 (im folgenden: KAO 1992) mangels Vorliegens eines Bedarfes abgewiesen wurde.

1.2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die genannte, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Erwerbsausübung sowie die Anwendung rechtswidriger genereller Normen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

1.3. Die Kärntner Landesregierung hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

2. Aus Anlaß der Beratung über die genannte Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am 27. November 1995 den Beschluß gefaßt, von Amts wegen gemäß Art140 Abs1 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der §§8 Abs2 lita und 10 Abs2 der KAO 1992, LGBl. für Kärnten Nr. 2/1993, einzuleiten.

3.1. Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen der KAO 1992 - sie sind hervorgehoben - lauten im Zusammenhang wie folgt:

"§8

Sachliche Voraussetzungen

(1) Die Bewilligung zur Errichtung einer Krankenanstalt darf nur erteilt werden, wenn die Voraussetzungen nach Abs2 und die Mindestanforderungen nach Abs3 erfüllt werden.

(2) Die Bewilligung zur Errichtung einer Krankenanstalt darf nur erteilt werden, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:

a) es muß der Bedarf nach einer Krankenanstalt der vom Bewerber angegebenen Art unter Beachtung der Höchstzahl an systemisierten Betten nach dem Landes-Krankenanstaltenplan (§4) gegeben sein; der Bedarf ist nach der Anzahl und der Betriebsgröße der in Kärnten gelegenen gleichartigen und verwandten Krankenanstalten und nach der Verkehrslage zu beurteilen, bei Ambulatorien (§2 Z. 7) auch unter Bedachtnahme auf die im politischen Bezirk, in dem das Ambulatorium errichtet werden soll, niedergelassenen praktischen Ärzte und Fachärzte des oder der betreffenden Fachgebiete, bei Zahnambulatorien auch unter Bedachtnahme auf die im politischen Bezirk niedergelassenen Dentisten;

b) ...

c) ...

(3) Die Landesregierung kann unter Bedachtnahme auf die Erkenntnisse der medizinischen und technischen Wissenschaften nach Anhörung des Landessanitätsrates durch Verordnung Mindestanforderungen festlegen, die von Krankenanstalten hinsichtlich der allgemeinen Raumerfordernisse, der Größe und Ausstattung der Behandlungs- und Pflegeräume, der sanitären Anlagen, der innerbetrieblichen Krankentransporteinrichtungen sowie hinsichtlich der notwendigen Vorkehrungen für einen ordnungsgemäßen Betriebsablauf in den Krankenanstalten erfüllt werden müssen."

"§10

Einholung von Stellungnahmen

(1) Im Bewilligungsverfahren ist ein Gutachten des Landeshauptmannes einzuholen, ob gegen die Bewilligung vom Standpunkt der sanitären Aufsicht Bedenken bestehen. Außerdem ist der Landessanitätsrat anzuhören.

(2) Zur Frage des Bedarfs nach §8 ist bei Bewilligung der Errichtung eines selbständigen Ambulatoriums (§2 Z. 7), sofern nicht §14 anzuwenden ist, auch die zuständige Ärztekammer und bei Bewilligung der Errichtung eines selbständigen Zahnambulatoriums auch die Österreichische Dentistenkammer zu hören."

3.2. Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen der KAO 1992 standen zu den nachfolgend wiedergegebenen Bestimmungen des Krankenanstaltengesetzes - KAG, BGBl. Nr. 1/1957 idF BGBl. Nr. 282/1988, im Verhältnis landesgesetzlicher Ausführungsbestimmungen zu bundesgesetzlichen Grundsatzbestimmungen:

"§3. (1) Krankenanstalten bedürfen sowohl zu ihrer Errichtung wie auch zu ihrem Betriebe einer Bewilligung der Landesregierung.

(2) Die Bewilligung zur Errichtung einer Krankenanstalt im Sinne des Abs1 darf nur erteilt werden, wenn insbesondere

a) der Bedarf im Hinblick auf den angegebenen Anstaltszweck (§2 Abs1) unter Beachtung der Höchstzahl an systemisierten Betten nach dem jeweiligen Landes-Krankenanstaltenplan (§10 a) gegeben ist;

b) ...

(3) Im Bewilligungsverfahren nach Abs2 ist ein Gutachten des Landeshauptmannes einzuholen, das zu dem Antrag vom Standpunkt der sanitären Aufsicht Stellung nimmt. Außerdem ist im Bewilligungsverfahren bei Prüfung des Bedarfes nach Abs2 lita die gesetzliche Interessenvertretung der privaten Krankenanstalten, bei Bewilligung der Errichtung eines selbständigen Ambulatoriums (§2 Abs1 Z7), sofern nicht Abs6 anzuwenden ist, auch die zuständige Ärztekammer und bei Bewilligung der Errichtung eines selbständigen Zahnambulatoriums auch die Österreichische Dentistenkammer zu hören."

3.3. Mit Erkenntnis VfSlg. 13023/1992 hob der Verfassungsgerichtshof u.a. §3 Abs2 lita KAG sowie die Wortfolge "die gesetzliche Interessenvertretung der privaten Krankenanstalten, bei Bewilligung der Errichtung eines selbständigen Ambulatoriums (§2 Abs1 Z7), sofern nicht Abs6 anzuwenden ist, auch die zuständige Ärztekammer und" im §3 Abs3 leg.cit. wegen Verstoßes gegen das durch Art6 StGG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung auf. Diese Aufhebung trat mit Ablauf des 31. Jänner 1993 in Kraft.

3.4. Mit dem Bundesgesetz, mit dem das Krankenanstaltengesetz geändert wird, BGBl. Nr. 801/1993, wurden dessen §3 Abs2 lita und Abs3 neu gefaßt (ArtI Z7 u. 8 leg.cit.). Diese - eine Bedarfsprüfung für private, gewinnorientierte Krankenanstalten untereinander nicht mehr vorsehenden - Bestimmungen lauten wie folgt:

"a) nach dem angegebenen Anstaltszweck und dem in Aussicht genommenen Leistungsangebot im Hinblick auf das bereits bestehende Versorgungsangebot öffentlicher, privater gemeinnütziger und sonstiger Krankenanstalten mit Kassenverträgen sowie bei Errichtung einer Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums auch im Hinblick auf das Versorgungsangebot durch niedergelassene Kassenvertragsärzte, kasseneigene Einrichtungen und Vertragseinrichtungen der Kassen, bei Zahnambulatorien auch im Hinblick auf niedergelassene Dentisten mit Kassenvertrag, ein Bedarf gegeben ist;"

"(3) Im Bewilligungsverfahren nach Abs2 ist ein Gutachten des Landeshauptmannes einzuholen, das zu dem Antrag vom Standpunkt der sanitären Aufsicht Stellung nimmt."

Diese Novelle, die am 27. November 1993 in Kraft trat, ordnet in ihrem ArtIII Abs1 an, daß die Länder "die Ausführungsgesetze zu ArtI innerhalb eines Jahres zu erlassen" haben.

3.5. Mit LGBl. für Kärnten Nr. 86/1995 wurden der §8 Abs2 lita und der §10 der KAO 1992 novelliert. Sie lauten nunmehr wie folgt:

"a) es muß nach dem angegebenen Anstaltszweck und dem in Aussicht genommenen Leistungsangebot im Hinblick auf das bereits bestehende Versorgungsangebot öffentlicher, privater, gemeinnütziger und sonstiger Krankenanstalten mit Kassenverträgen sowie bei Errichtung einer Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums auch im Hinblick auf das Versorgungsangebot durch niedergelassene Kassenvertragsärzte, kasseneigene Einrichtungen und Vertragseinrichtungen der Kassen, bei Zahnambulatorien auch im Hinblick auf niedergelassene Dentisten mit Kassenvertrag ein Bedarf gegeben sein;"

"§10

Einholung von Stellungnahmen

(1) Im Verfahren zur Erteilung der Bewilligung zur Errichtung einer Krankenanstalt ist ein Gutachten des Landeshauptmannes einzuholen, das zum Antrag vom Standpunkt der sanitären Aufsicht Stellung nimmt. Hiebei ist der Landessanitätsrat zu hören.

(2) Im Verfahren gemäß Abs1 haben die gesetzlichen Interessenvertretungen privater Krankenanstalten und betroffene Sozialversicherungsträger, bei selbständigen Ambulatorien auch die Ärztekammer für Kärnten, sowie bei Zahnambulatorien auch die Österreichische Dentistenkammer hinsichtlich des zu prüfenden Bedarfes (§8 Abs2 lita) Parteistellung im Sinne des §8 AVG und das Recht gemäß Art131 Abs2 B-VG Beschwerde zu erheben."

Diese Vorschriften sind gemäß ArtII des zitierten Gesetzes am 1. Oktober 1995 in Kraft getreten.

4. Der Verfassungsgerichtshof ging bei der Fassung seines Einleitungsbeschlusses vorläufig davon aus, daß die - wohl eine sprachlich untrennbare, in sich zusammenhängende Regelung bildenden - in Prüfung gezogenen Bestimmungen der KAO 1992 bei Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendet wurden und daß er sie bei der Beurteilung der an ihn gerichteten Beschwerde anzuwenden hätte.

Seine Bedenken gegen diese Vorschriften umschrieb der Verfassungsgerichtshof im wesentlichen wie folgt:

"In seinem Erkenntnis VfSlg. 13023/1992 hat der Verfassungsgerichtshof mehrere den hier in Prüfung gezogenen vergleichbare Bestimmungen mit der Begründung als verfassungswidrig aufgehoben, daß die Bedarfsprüfung in Fällen, bei denen es um das Verhältnis von privaten erwerbswirtschaftlich geführten Krankenanstalten zueinander geht, keine sachliche Rechtfertigung finde. Vor dem Hintergrund dieses Erkenntnisses scheint dem Verfassungsgerichtshof auch der Konkurrenzschutz, der durch die Bedarfsprüfung gemäß den zu prüfenden Bestimmungen bewirkt wird, für bestehende private, erwerbswirtschaftlich geführte Krankenanstalten einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Erwerbsfreiheit darzustellen. Die Bedarfsprüfung dürfte bei derartigen privaten Ambulatorien auch im Hinblick auf den Bestandsschutz öffentlicher Krankenanstalten nicht zu rechtfertigen sein, weil diese ärztliche Behandlungen und Untersuchungen grundsätzlich in anderer Form durchführen als die - etwa in Form von Tageskliniken betriebenen - privaten Ambulatorien.

... Darüber hinaus hegt der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, daß die von ihm in Prüfung gezogenen Bestimmungen zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides mit Grundsatzgesetzwidrigkeit belastet waren: ArtIII Abs1 der Novelle des KAG, mit welcher die Bedarfsprüfung für private, gewinnorientierte Krankenanstalten im Rahmen des Bewilligungsverfahrens beseitigt wurde, BGBl. Nr. 801/1993, verpflichtete die Länder dazu, Ausführungsgesetze zu dieser Neuregelung innerhalb eines Jahres zu erlassen. Diese Novelle trat am 27. November 1993 in Kraft. Die Neufassung der entsprechenden Vorschriften der KAO 1992 erfolgte jedoch erst mit dem am 25. September 1995 herausgegebenen Landesgesetz LGBl. für Kärnten Nr. 86/1995. Zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides am 6. April 1995 war die Einjahresfrist damit schon längst ungenützt verstrichen (siehe bspw. VfSlg. 12280/1990)."

5. Die Kärntner Landesregierung hat in ihrer Sitzung vom 27. Februar 1996 beschlossen, im Gesetzesprüfungsverfahren auf die Abgabe einer inhaltlichen Gegenäußerung zu verzichten.

6. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

6.1. Die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes in seinem Einleitungsbeschluß, daß die in Prüfung gezogenen Vorschriften bei der Erlassung des bekämpften Bescheides angewendet wurden und daß er sie bei der Entscheidung im Beschwerdeverfahren anzuwenden hätte, trifft zu. Der angefochtene Bescheid stützt sich ausdrücklich auf §8 Abs2 lita KAO 1992. Außerdem wurde, wie sich aus der Begründung des Bescheides ergibt, im Rahmen der Bedarfsprüfung gemäß §10 Abs2 leg.cit. die zuständige Ärztekammer gehört. Auch die Annahme des Gerichtshofes, daß die in Prüfung gezogenen Vorschriften eine sprachlich untrennbare, in sich zusammenhängende Regelung bilden, trifft offenkundig zu, wie die Textierung dieser Bestimmungen zeigt. Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen sind somit präjudiziell iSd Art140 Abs1 B-VG.

Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

6.2. Die Kärntner Landesregierung ist den im Einleitungsbeschluß dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes nicht entgegengetreten. Auch im Verfahren ist nichts sie Entkräftendes hervorgekommen.

Die in Prüfung gezogenen Vorschriften sehen eine Bedarfsprüfung vor, die einen Konkurrenzschutz bewirkt, der für bestehende private, erwerbswirtschaftlich geführte Krankenanstalten untereinander einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Erwerbsfreiheit darstellt. Eine Rechtfertigung dafür ist nicht ersichtlich.

Es war daher allein schon deshalb auszusprechen, daß die in Prüfung gezogenen Vorschriften wegen Verstoßes gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung - sie stehen seit 1. Oktober 1995 nicht mehr in Geltung (siehe oben Punkt 3.5.) - verfassungswidrig waren, ohne daß auf das zweite, im Prüfungsbeschluß angeführte Bedenken eingegangen werden mußte.

7. Die Kundmachungsverpflichtung des Landeshauptmannes von Kärnten erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG.

8. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Krankenanstalten, Erwerbsausübungsfreiheit, Bedarfsprüfung, Ambulatorien

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:G1394.1995

Dokumentnummer

JFT_10039373_95G01394_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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