TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/6 G309 2176710-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.02.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

06.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G309 2176715-1/14E

G309 2176717-1/10E

G309 2176710-1/10E

G309 2176706-1/10E

G309 2176713-1/10E

G309 2176703-1/10E

G309 2213347-1/09E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Ing. Mag. Franz SANDRIESSER als Einzelrichter über die Beschwerden 1.) des XXXX, geboren am XXXX, 2.) der XXXX, geboren am XXXX alias XXXX, 3.) des minderjährigen XXXX, geboren am XXXX, 4.) der minderjährigen XXXX, geboren am XXXX, 5.) der minderjährigen XXXX, geboren am XXXX,

6.) des minderjährigen XXXX, geboren am XXXX und 7.) des minderjährigen XXXX, geboren am XXXX, alle Staatsangehörigkeit:

Irak, die Minderjährigen vertreten durch die Eltern, alle vertreten durch den Rechtsanwalt Mag.Thomas KLEIN, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.10.2017 und 20.12.2018, Zahlen: zu 1.) XXXX, zu 2.) XXXX, zu 3.) XXXX und zu 4.) XXXX, zu

5.) XXXX, zu 6.) XXXX und zu 7.) XXXX, betreffend die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.07.2019, zu Recht:

A) Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Bei den BeschwerdeführerInnen (im Folgenden: BF) handelt es sich um eine siebenköpfige Familie; bestehend aus den miteinander verheirateten Eltern und ihren fünf minderjährigen Kindern. Die BF verließen ihren Herkunftsstaat Irak im Oktober 2015 und stellten nach ihrer Einreise ins Bundesgebiet am 16.12.2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Siebtbeschwerdeführer (im Folgenden: BF7) wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren.

Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung gaben der Erstbeschwerdeführer (im Folgenden: BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2) vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 16.12.2015 an, die im Spruch genannten Namen zu führen, am XXXX (BF1) und am XXXX (BF2) in XXXX geboren zu sein, Staatsangehörige des Irak zu sein, der arabischen Volksgruppe anzugehören und Moslems der sunnitischen Glaubensrichtung zu sein. Ferner gaben der BF1 und die BF2 übereinstimmend an, traditionell und standesamtlich miteinander verheiratet zu sein und gemeinsame Eltern des Drittbeschwerdeführers (im Folgenden: BF3), der Viertbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF4), der Fünftbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF5) und des Sechstbeschwerdeführers (im Folgenden: BF6) zu sein und zuletzt in Bagdad, XXXX, Irak, in einem Eigenheim gelebt zu haben.

Zu den Gründen der Ausreise befragt, gaben der BF1 und die BF2 gleichlautend an, dass sie als Sunniten in einem schiitischen Gebiet gewohnt hätten. Am 10.10.2015 seien schiitische Milizen in ihre Wohnung gekommen, hätten dem BF1 einen Zahn ausgeschlagen und ihm mit einer Pistole auf den Hinterkopf geschlagen. Gleichzeitig hätten sie den BF1 und die BF2 aufgefordert, mit ihrer Familie das Gebiet zu verlassen, da sie diese sonst töten würden. Bis zum Verlassen des Hauses bzw. des Gebietes seien sie beobachtet und bedroht worden. Die BF2 ergänzte noch, dass die terroristische schiitische Miliz tun und machen könne was sie wolle. Es gebe keine Sicherheit für die Sunniten. Bis zu ihrer Flucht haben sie in ständiger Angst gelebt.

2. Die niederschriftliche Einvernahme des BF1 und der BF2 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion Steiermark, fand jeweils am 12.09.2017 statt. Die minderjährigen BF3-BF6 wurden nicht einvernommen.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der BF1 zusammengefasst an, er sei Anfang Oktober 2015 von schiitischen Milizen in seinem Geschäft und am nächsten Tag zu Hause bedroht und verletzt worden, weil er Sunnit sei, einen sunnitischen Vornamen habe, in seinem Geschäft Alkohol getrunken und keine religiösen Schriften aufgehängt habe. Nach dem Vorfall sei er so schwer verletzt gewesen, dass ihn ein Arzt habe verarzten müssen. Einen Monat später hätten seine Ehefrau und er beschlossen mit der Familie auszureisen. Mit den staatlichen Stellen oder der Polizei habe er keine Probleme gehabt, sondern nur mit den schiitischen Milizen. Im Falle einer Rückkehr fürchte er um sein und das Leben seiner Familie. Für seine Gattin und die Kinder würden dieselben Fluchtgründe gelten.

Die BF2 führte aus, dass sie den Irak aufgrund der Probleme ihres Ehemannes verlassen habe. Sie bestätigte dabei im Wesentlichen zusammengefasst die Angaben des BF1 und ergänzte noch, dass es keine Freiheiten gebe. Sie wisse nicht, ob es auch Übergriffe auf andere Sunniten in ihrem Bezirk gegeben habe. Im Bereich ihrer Familie habe es keine Vorfälle gegeben, da diese angepasst seien.

3. Mit den im Spruch angeführten Bescheiden des BFA, den BF zugestellt am 16.10.2017 wurden die Anträge der BF1-BF6 auf internationalen Schutz vom 16.12.2015 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die BF Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung der BF in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der BF 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das BFA nach Wiedergabe der Einvernahme des BF1 und der BF2 aus, dass ein Fluchtvorbringen nicht glaubhaft gemacht werden konnte. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die BF aus in der GFK genannten Gründen, insbesondere aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der Sunniten, im Irak verfolgt würden oder aktuell einer relevanten Bedrohungssituation für Leib und Leben ausgesetzt wären. Im Falle einer Rückkehr würden die BF über ein familiäres Netzwerk verfügen, welches diese unterstütze. Die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung würden die persönlichen Interessen der Beschwerdeführer an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen. Zudem traf die belangte Behörde umfangreiche Länderfeststellungen zur allgemeinen Lage im Irak.

4. Mit dem am 10.11.2017 beim BFA eingebrachten Schriftsatz vom selben Tag erhoben die BF1-BF6 durch ihre damalige bevollmächtigte Rechtsvertretung gemeinsam Beschwerde gegen die oben angeführten Bescheide. Darin wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den BF den Status von Asylberechtigten zuerkennen und ihre Flüchtlingseigenschaft feststellen; in eventu den BF den Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen; die angefochtenen Bescheide zur Gänze beheben und zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt zurückverweisen sowie eine mündliche Verhandlung durchführen.

In der Sache brachten die BF unter Beanstandung der Ermittlungen der Länderfeststellungen, sonstiger Verfahrensmängel, einer mangelhaften Beweiswürdigung und inhaltlicher Rechtswidrigkeit vor, dass BFA habe sich nicht ausreichend mit der individuellen Situation der BF auseinandergesetzt. Dem BF1 drohe sowohl eine politisch als auch religiös motivierte Verfolgung im Irak. Er werde einerseits wegen seines sunnitischen Namens und seiner Zugehörigkeit zum sunnitischen Islam als auch wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt. Der BF1 brachte dazu vor, er habe regelmäßig Kundgebungen bzw. Proteste gegen die Bevorzugung der schiitischen Bevölkerung besucht. Aufgrund seiner regelmäßigen Teilnahme sei er in den sechsköpfigen Führungsstab berufen worden und sei für den Bezirk XXXX in Bagdad zuständig gewesen. Der BF sei daher bei einer Rückkehr in den Irak unter Berücksichtigung der politischen Situation im Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung durch zum Teil (nicht)staatliche Organe ausgesetzt. Aus den Länderberichten ergebe sich außerdem, dass in Bagdad eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 2 und Art. 3 EMRK infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts gegeben sei.

5. Die gegenständlichen Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom BFA vorgelegt und sind am 16.11.2017 beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) eingelangt.

6. Mit der Anzeige der Geburt des BF7 stellten der BF1 und die BF2 für diesen am 28.11.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz, zu dem der BF1 am 19.12.2018 vom BFA vernommen wurde und über den mit Bescheid des BFA vom 20.12.2018, Zl. XXXX, gleichlautend zu jenen der BF1-BF6, negativ entschieden wurde. Dagegen richtet sich die wegen unschlüssiger Beweiswürdigung und mangelhaften Ermittlungsverfahren erhobene Beschwerde mit den Anträgen, das Bundesverwaltungsgericht möge dem BF den Status eines Asylberechtigten zuerkennen; je in eventu dem BF den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen; die Rückkehrentscheidung aufheben; den Spruchpunkt über die Abschiebung aufheben; dem BF einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG erteilen und den angefochtenen Bescheid zur Gänze beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückverweisen. Die Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem BVwG vom BFA vorgelegt und langten am 21.01.2019 bei diesem ein.

7. Mit Eingabe vom 17.05.2019 erstatteten die BF durch ihre Rechtsvertretung Urkundenvorlage (Schulnachrichten der BF5, Teilnahmebestätigung A2 Kurs BF3, Zertifikat SOMM Bildungskurs und Teilnahme am Projekt "Elterngruppe" der BF2) zu ihren Integrationsbemühungen.

8. Am 25.06.2019 erstatteten die BF erneut eine Urkundenvorlage zu ihren Integrationsbemühungen (Schulnachricht BF6, Teilnahmebestätigung verschiedene Projekte der BF2, Lernförderung und Jungschar BF5 und BF6, Teilnahmebestätigung A2 Kurs BF3).

10. Das BVwG verband die gegenständlichen Rechtssachen zur gemeinsamen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 AVG iVm § 17 VwGVG und führte am 11.07.2019 in der Außenstelle Graz eine öffentliche mündliche Verhandlung, unter Beiziehung eines Dolmetschers für die arabische Sprache und im Beisein eines Vertreters des BFA durch. Der BF1 und die BF2 nahmen im Beisein ihres nunmehrigen Rechtsvertreters teil. Von der Befragung der inzwischen mündigen mj. BF3 und BF4 und der Teilnahme der unmündigen mj. BF5- BF7 an der Verhandlung wurde abgesehen. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde den BF Gelegenheit gegeben ihre Ausreisemotivation neuerlich umfassend darzulegen.

Zu Beginn der Verhandlung legte ein Vertreter der ehemalig bevollmächtigten Rechtsvertretung (Verein Menschenrechte) die bestehende Vollmacht der BF nieder und wurde die Vollmacht der nunmehrigen bevollmächtigten Rechtsvertretung (RA Mag. Klein) bekannt gegeben und zum Akt genommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der BF:

Der BF1 und die BF2 verließen gemeinsam mit ihren minderjährigen Kindern BF3-BF6 ihren Herkunftsstaat im Herbst 2015 legal auf dem Luftweg von Bagdad nach Kurdistan und weiter mit einem Bus nach Izmir/Türkei, von wo aus sie schlepperunterstützt über die Balkanroute nach Österreich reisten, wo sie am 16.12.2015 die verfahrensgegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten. Sie reisten rechtswidrig ins Bundesgebiet ein, sind seither Asylwerber und verfügen über keinen anderen Aufenthaltstitel.

Die BF führen die im Spruch genannten Identitäten (Namen und Geburtsdatum) und sind Staatsangehörige der Republik Irak. Sie sind Angehörige der arabischen Volksgruppe und sind Muslime sunnitischer Glaubensrichtung. Der BF1 und die BF2 sind verheiratet und die Eltern der minderjährigen BF3-BF7. Vor ihrer Ausreise lebten die BF zuletzt gemeinsam in einem Eigenheim in XXXX, Bagdad. Im Akt liegen Kopien der Staatsbürgerschaftsnachweise der BF1-BF6 auf, die Reisepässe und Identitätsausweise gingen auf der Überfahrt im Meer verloren.

Im Bundesgebiet leben ein Bruder, ein Neffe und eine Nichte des BF1. Ein besonderes Nahe- und/Abhängigkeitsverhältnis zu diesen in Österreich lebenden Verwandten wurde weder vorgebracht noch ist ein solches sonst hervorgekommen.

Die BF verfügen im Irak über ein familiäres Auffangnetz. Der BF1 steht in regelmäßigen Kontakt mit seiner älteren Schwester, die BF2 mit ihren beiden Schwestern, ihren beiden Brüdern und ihrer Mutter. Die Familie der BF2 lebt in einer staatlichen Wohnung, ein Bruder arbeitet als Fleischer. Die BF sind zudem noch im Besitz einer Liegenschaft mit Haus, in dem sie bis kurz vor ihrer Ausreise gemeinsam wohnten.

Die Muttersprache der BF ist arabisch und verfügen die BF über Grundkenntnisse der deutschen Sprache. Der BF1 und die BF2 besuchten Deutschkurse, legten jedoch keine Prüfung über ein bestimmtes Niveau ab. Deutschsprachkenntnisse der BF3-BF6 ergeben sich aus den vorgelegten Schulnachrichten, Zeugnissen und Teilnahmebestätigungen.

Die BF besuchen öfters die örtliche Kirche, wo sie auch am Deutschunterricht teilnahmen und sich der BF1 und die BF2 ehrenamtlich engagieren. Dort haben sie auch Bekanntschaften mit Einheimischen geschlossen. Der BF1 unterstützt über die örtliche Kirchengemeinde ehrenamtlich andere Menschen im Asylverfahren. Die BF2 ist Mitglied des Vereines "SOMM- Selbstorganisation von und für Migrantinnen und Musliminnen" und hat dabei regelmäßig an Projekten wie einem Schwimmkurs, der Elternbetreuung, einem Basisbildungskurs ua teilgenommen. Der BF3 besucht derzeit einen Deutschsprachkurs Niveau A2, die BF4 besucht die Neue Mittelschule, die BF5 und der BF6 die Volksschule. Die BF5 und der BF6 sind zudem in der Lernförderung und Jungschar.

Der BF1 ist ein körperlich gesunder, arbeitsfähiger Mann mit grundlegender Schulbildung und Berufserfahrung als Selbstständiger XXXX. Die BF2 ist eine körperlich gesunde, arbeitsfähige Frau mit grundlegender Schulbildung. Keiner der BF leidet an einer schweren oder unmittelbar lebensbedrohlichen Erkrankung, jedoch ist der BF1 in medikamentöser Behandlung wegen seiner zu hohen Zucker-, Blutdruck- und Cholesterinwerte.

Sowohl der BF1, als auch die BF2 sind im Bundesgebiet ohne geregelte Beschäftigung und befinden sich alle BF in der Grundversorgung des Bundes. Die BF sind in Österreich strafrechtlich unbescholten und halten sich seit ihrer Einreise im Dezember 2015 durchgehend im Bundesgebiet auf und weisen durchgehende Wohnsitzmeldungen in XXXX auf.

1.2. Zu den Fluchtmotiven der BF:

Das Vorbringen der BF vor dem BFA, in der Beschwerde und der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht zu den Gründen für das Verlassen ihres Herkunftsstaates wonach sie im Wesentlichen zusammengefasst den Irak verlassen hätten, weil der BF1 aufgrund seines sunnitischen Namens, seiner sunnitischen Religionszugehörigkeit, dem Konsum von Alkohol in seinem Geschäft und seiner politischen Gesinnung von schiitischen Milizen verfolgt werde, wird dieser Entscheidung nicht als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt. Weitere Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates wurden nicht vorgebracht. Die BF hatten keine Probleme mit der Polizei oder anderen staatlichen Stellen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF vor ihrer Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt waren oder er im Falle einer Rückkehr in ihrem Herkunftsstaat einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären.

Ein konkreter Anlass oder Vorfall für das (fluchtartige) Verlassen des Herkunftsstaates konnte nicht festgestellt werden. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass die BF im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer generellen Verfolgungsgefahr oder Bedrohung aufgrund ihrer Religion, durch schiitische Milizen oder von staatlicher Seite ausgesetzt sind.

1.3. Zur Situation im Herkunftsstaat:

Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der gegenüber dem BF offengelegten Quellen (Länderberichte Stand 09.04.2019 und Stand 30.10.2019) getroffen:

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 30.10.2019, Sicherheitsupdate 3. Quartal 2019 und jüngste Ereignisse (relevant für Abschnitt 3. Sicherheitslage)

Die folgende Karte von liveuamap zeigt die Einteilung des Irak in offiziell von der irakischen Zentralregierung kontrollierte Gouvernements (in rosa), die autonome Region Kurdistan (KRI) (in gelb) und Gebiete unter der weitgehenden Kontrolle von Gruppen des Islamischen Staates (IS) (in grau). Die Symbole kennzeichnen dabei Orte und Arten von sicherheitsrelevanten Vorfällen, wie Luftschläge, Schusswechsel/-attentate, Sprengstoffanschläge/Explosionen, Granatbeschuss, u.v.m.

Bild kann nicht dargestellt werden

Quelle: Liveuamap - Live Universal Awareness Map (1.10.2019): Map of Iraq, https://iraq.liveuamap.com/en/time/01.10.2019, Zugriff 1.10.2019

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (The Portal 9.10.2019).

Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 7.8.2019). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019). Der IS setzt nach wie vor auf Gewaltakte gegen Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter sowie beispielsweise auf Brandstiftung, um Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften zu entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung zu untergraben und soziale Spannungen zu verschärfen (ACLED 7.8.2019).

Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 7.8.2019). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungseinheiten (PMF/PMU/Hashd al Shabi) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Am 7.7.2019 begann die "Operation Will of Victory", an der irakische Streitkräfte (ISF), Popular Mobilization Forces (PMF), Tribal Mobilization Forces (TMF) und Kampfflugzeuge der US-geführten Koalition teilnahmen (ACLED 7.8.2019; vgl. Military Times 7.7.2019). Die mehrphasige Operation hat die Beseitigung von IS-Zellen zum Ziel (Diyaruna 7.10.2019; vgl. The Portal 9.10.2019). Die am 7. Juli begonnene erste Phase umfasste Anbar, Salah ad-Din und Ninewa (Military Times 7.7.2019). Phase zwei begann am 20. Juli und betraf die nördlichen Gebiete von Bagdad sowie die benachbarten Gebiete der Gouvernements Diyala, Salah ad-Din und Anbar (Rudaw 20.7.2019). Phase drei begann am 5. August und konzentrierte sich auf Gebiete in Diyala und Ninewa (Rudaw 11.8.2019). Phase vier begann am 24. August und betraf die Wüstenregionen von Anbar (Rudaw 24.8.2019). Phase fünf begann am 21.9.2019 und konzentrierte sich auf abgelegene Wüstenregionen zwischen den Gouvernements Kerbala, Najaf und Anbar, bis hin zur Grenze zu Saudi-Arabien (PressTV 21.9.2019). Eine sechste Phase wurde am 6. Oktober ausgerufen und umfasste Gebiete zwischen dem südwestlichen Salah ad-Din bis zum nördlichen Anbar und Ninewa (Diyaruna 7.10.2019).

Bild kann nicht dargestellt werden

Die folgende Grafik von Iraq Body Count (IBC) stellt die von IBC im Irak dokumentierten zivilen

Todesopfer seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken). Seit Februar 2017 sind nur vorläufige

Zahlen (in grau) verfügbar (IBC 9.2019).

Quelle: Iraq Bodycount (9.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 15.10.2019

Die folgende Tabelle des IBC gibt die Zahlen der Todesopfer an. Für Juli 2019 sind 145 zivile Todesopfer im Irak ausgewiesen. Im August 2019 wurden von IBC 93 getötete Zivilisten im Irak dokumentiert und für September 151 (IBC 9.2019).

Bild kann nicht dargestellt werden

Quelle: Iraq Bodycount (9.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 15.10.2019

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den Gesamtirak im Lauf des Monats Juli 2019 82 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 83 Tote und 119 Verletzten verzeichnet. 18 Tote gingen auf Leichenfunde von Opfern des IS im Distrikt Sinjar im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der tatsächlichen gewaltsamen Todesfälle im Juli auf 65 reduziert werden kann. Es war der zweite Monat in Folge, in dem die Vorfallzahlen wieder zurückgingen. Dieser Rückgang wird einerseits auf eine großangelegte Militäraktion der Regierung in vier Gouvernements zurückgeführt [Anm.: "Operation Will of Victory"; Anbar, Salah ad Din, Ninewa und Diyala, siehe oben], wobei die Vorfallzahlen auch in Gouvernements zurückgingen, die nicht von der Offensive betroffen waren. Der Rückgang an sicherheitsrelevanten Vorfällen wird auch mit einem neuerlichen verstärkten Fokus des IS auf Syrien erklärt (Joel Wing 5.8.2019).

Im August 2019 verzeichnete Joel Wing 104 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 103 Toten und 141 Verletzten. Zehn Tote gingen auf Leichenfunde von Jesiden im Distrikt Sinjar im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der Todesfälle im August auf 93 angepasst werden kann. Bei einem der Vorfälle handelte es sich um einen Angriff einer pro-iranischen PMF auf eine Sicherheitseinheit von British Petroleum (BP) im Rumaila Ölfeld bei Basra (Joel Wing 9.9.2019).

Im September 2019 wurden von Joel Wing für den Gesamtirak 123 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 122 Toten und 131 Verletzten registriert (Joel Wing 16.10.2019). Seit 1. Oktober kam es in mehreren Gouvernements (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigenDemonstrationen (ISW 22.10.2019, vgl. Joel Wing 3.10.2019). Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung (Al Mada 2.10.2019; vgl. BBC 4.10.2019; Standard 4.10.2019), aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak (ISW 22.10.2019). Im Zuge dieser Demonstrationen wurden mehrere Regierungsgebäude sowie Sitze von Milizen und Parteien in Brand gesetzt (Al Mada 2.10.2019). Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gingen unter anderem mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. Außerdem gibt es Berichte über nicht identifizierte Scharfschützen, die sowohl Demonstranten als auch Sicherheitskräfte ins Visier genommen haben sollen (ISW 22.10.2019). Premierminister Mahdi kündigte eine Aufklärung der gezielten Tötungen an (Rudaw 13.10.2019). Zeitweilig, vom 2. bis zum 5. Oktober, wurde eine Ausgangssperre ausgerufen (Al Jazeera 5.10.2019; vgl. ISW 22.10.2019; Rudaw 13.10.2019) und eine Internetblockade vom 4. bis 7. Oktober implementiert (Net Blocks 3.10.2019; FAZ 3.10.2019; vgl. Rudaw 13.10.2019).

Nach einer kurzen Ruhephase gingen die gewaltsamen Proteste am 25. Oktober weiter und forderten bis zum 30. Oktober weitere 74 Menschenleben und 3.500 Verletzte (BBC News 30.10.2019). Insbesondere betroffen waren bzw. sind die Städte Bagdad, Nasiriyah, Hillah, Basra und Kerbala (BBC News 30.10.2019; vgl. Guardian 27.10.2019; Guardian 29.10.2019). Am 28. Oktober wurde eine neue Ausgangssperre über Bagdad verhängt, der sich jedoch tausende Demonstranten widersetzen (BBC 30.10.2019; vgl. Guardian 29.10.2019). Über 250 Personen wurden seit Ausbruch der Proteste am 1. Oktober bis zum 29. Oktober getötet (Guardian 29.10.2019) und mehr als 8.000 Personen verletzt (France24 28.10.2019).

BAGDAD

Der IS versucht weiterhin seine Aktivitäten in Bagdad zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Fast alle Aktivitäten des IS im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019). Im Juli gelang es dem IS zwei Selbstmordattentate im Gouvernement auszuführen, weswegen Bagdad die Opferstatistik des Irak in diesem Monat anführte (Joel Wing 5.8.2019). Sowohl am 7. als auch am 16. September wurden jeweils fünf Vorfälle mit "Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen" (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Während der Proteste im Südirak im Oktober 2019 , von denen auch Bagdad betroffen war, stoppte der IS seine Angriffe im Gouvernement (Joel Wing 16.10.2019).

Im Juli 2019 wurden vom Irak-Experten Joel Wing im Gouvernement Bagdad 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 15 Toten und 27 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden 14 Vorfälle erfasst, mit neun Toten und elf Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verwundeten (Joel Wing 16.10.2019).

AUTONOME REGION KURDISTAN / KURDISCHE REGION IM IRAK

Im Juli 2019 führte der IS seine seit langem erste Attacke auf kurdischem Boden durch. Im Gouvernement Sulaimaniya attackierte er einen Checkpoint an der Grenze zu Diyala, der von Asayish [Anm.:

Inlandsgeheimdienst der Autonomen Region Kurdistan] bemannt war. Der Angriff erfolgte in drei Phasen: Auf einen Schussangriff folgte ein IED-Angriff gegen eintreffende Verstärkung, gefolgt von Mörserbeschuss. Bei diesem Angriff wurden fünf Tote und elf Verletzte registriert (Joel Wing 5.8.2019). Im August wurde in Sulaimaniya ein Vorfall mit einer IED verzeichnet, wobei es keine Opfer gab (Joel Wing 9.9.2019).

Die am 27. Mai initiierte türkische "Operation Claw" gegen Stellungen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im Nordirak hält an. Die erste Phase richtete sich gegen Stellungen in der Hakurk/Khakurk-Region im Gouvernement Erbil (Anadolu Agency 13.7.2019; vgl. Rudaw 13.7.2019). Die zweite Phase begann am 12. Juli und zielt auf die Zerstörung von Höhlen und Zufluchtsorten der PKK (Anadolu Agency 13.7.2019). Die türkischen Luftangriffe konzentrierten sich auf die Region Amadiya im Gouvernement Dohuk, von wo aus die PKK häufig operiert (ACLED 17.7.2019). Aktuell befindet sich die Operation in der dritten Phase (ACLED 4.9.2019)

Im Kreuzfeuer wurden in den vergangenen Wochen mehrere kurdische Dörfer evakuiert, da manchmal auch Zivilisten und deren Eigentum bei türkischen Luftangriffen getroffen wurden (ACLED 4.9.2019; vgl. ACLED 7.8.2019).

Am 10. und 11. Juli bombardierte iranische Artillerie mutmaßliche PKK-Ziele im Subdistrikt Sidakan/Bradost im Gouvernement Sulaimaniya, wobei ein Kind getötet wurde (Al Monitor 12.7.2019). In dem Gebiet gibt es häufige Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und iranisch-kurdischen Aufständischen, die ihren Sitz im Irak haben, wie die "Partei für ein Freies Leben in Kurdistan'' (PJAK), die von Teheran beschuldigt wird, mit der PKK in Verbindungen zu stehen (Reuters 12.7.2019).

NORD- UND ZENTRALIRAK

In den sogenannten "umstrittenen Gebieten", die sowohl von Bagdad als auch von der kurdischen Autonomieregion beansprucht werden, und wo es zu erhebliche Sicherheitslücken zwischen den zentralstaatlichen und kurdischen Einheiten kommt, verfügt der IS nach wie vor über operative Kapazitäten, um Angriffe, Bombenanschläge, Morde und Entführungen, durchzuführen (Kurdistan24 7.8.2019). Trotz der Zunahme der Sicherheitsvorfälle im gesamten Irak waren die Zahlen im Laufe des Monats August 2019 für den Zentral-Irak jedoch rückläufig (Joel Wing 9.9.2019).

Im Gouvernement Ninewa wurden im Juli 2019 sechs Vorfälle mit 24 Toten verzeichnet, wobei hier der Fund von 18 Leichen älteren Datums eingerechnet ist (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden neun Vorfälle mit 24 Toten und drei Verwundeten registriert (Joel Wing 9.9.2019). Im September wurden 22 Vorfälle mit 35 Toten und 27 Verletzten registriert, wobei bei fast allen diesen Vorfällen IEDs involviert waren. Außerdem wurde ein Mukhtar ermordet und Mossul mit Mörsergranaten beschossen (Joel Wing 16.10.2019).

Das Gouvernement Diyala zählt regelmäßig zu den Regionen mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen und als die gewalttätigste Region des Irak (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 9.9.2019). Der IS ist stark in der Region vertreten und konnte seine operativen Fähigkeiten erhalten (Joel Wing 5.8.2019). Trotz wiederholter Militäroperationen in Diyala kann sich der IS noch immer in den ausgedehnten Gebieten, die sich vom westlichen Teil Diyalas bis zu den Hamreen Bergen im Norden des Gouvernements erstrecken, sowie in den rauen Gebieten nahe der Grenze zum Iran halten (Xinhua 22.8.2019). Es kommt in Diyala regelmäßig zu Konfrontationen des IS mit Sicherheitskräften und zu Übergriffen auf Städte (Joel Wing 5.8.2019). Einerseits vertreibt der IS Zivilisten aus ländlichen Gebieten, um dort Basen zu errichten, anderseits greift er wiederholt die lokale Verwaltung und Sicherheitskräfte an (Joel Wing 9.9.2019). Ein Hauptproblem Diyalas ist die mangelhafte Kommunikation zwischen den vielen unterschiedlichen Sicherheitsakteuren in der Region (Joel Wing 9.9.2019), andererseits gibt es generell zu wenige Sicherheitskräfte in Diyala, was der IS auszunutzen versteht (Joel Wing 5.8.2019). Der IS hat Zugang zu allen ländlichen Gebieten in Diyala, konzentriert sich aber besonders auf die Bezirke Khanaqin und Jalawla im Nordosten, welche die Zentralregierung nach dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum von 2017 übernommen hat (Joel Wing 5.8.2019). Die übrigen Vorfälle betreffen hauptsächlich den Norden und das Zentrum von Diyala. Im Süden und Westen gibt es hingegen kaum sicherheitsrelevante Vorfälle (Joel Wing 9.9.2019).

Für Juli 2019 verzeichnete Joel Wing im Gouvernement Diyala 28 sicherheitsrelevante Vorfälle mit elf Toten und 30 Verletzten (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden 41 Vorfälle - die höchste Anzahl seit August 2018, mit 21 Toten und 46 Verwundeten registriert (Joel Wing 9.9.2019) und im September 37 Vorfälle mit 21 Toten und 30 Verletzten (Joel Wing 16.10.2019). Im September schlug der IS in fast allen Distrikten des Gouvernements zu (Joel Wing 16.10.2019).

Im Gouvernement Kirkuk gehen die Zahlen der sicherheitsrelevanten Vorfälle, bis auf wenige Spitzen, kontinuierlich zurück. Im Juli gab es eine Reihe von Raketen- und Mörserangriffen auf Städte und Sicherheitskräfte, ansonsten handelte es ich bei den Vorfällen meist um Schießereien und den Einsatz von IEDs (Joel Wing 5.8.2019). Wie im benachbarten Diyala handelte es sich bei Vorfällen in Kirkuk meist um Schießereien, Angriffe auf Kontrollpunkte, Überfälle auf Städte und Vertreibungen aus ländlichen Gebieten, wobei sich der IS auf den Süden des Gouvernements konzentrierte. Unter anderem wurden eine Polizeistation und ein Armeestützpunkt angegriffen, sowie ein Polizeihauptquartier mit Mörsern beschossen (Joel Wing 16.10.2019).

Im Gouvernement Kirkuk wurden im Juli 2019 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit sechs Toten und 13 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019), im August 2019 19 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 34 Toten und 19 Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September 22 Vorfälle mit elf Toten und 19 Verletzten (Joel Wing 16.10.2019).

Im Gouvernement Salah ad-Din wurden im Juli 2019 acht Vorfälle mit zehn Toten und acht Verletzten registriert. Zu den Vorfällen zählten zwei Feuergefechte und ein Angriff auf einen Checkpoint (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden sieben Vorfälle mit vier Toten und fünf Verwundeten verzeichnet (Joel Wing 9.9.2019) und im September zehn Vorfälle mit 13 Toten und zehn Verletzten (Joel Wing 16.10.2019).

Das Gouvernement Anbar, früher ein IS-Zentrum, wird nun hauptsächlich für den Transit von IS-Kämpfern zwischen dem Irak und Syrien genutzt (Joel Wing 16.10.2019). Die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Anbar hat in den vergangenen Monaten stark fluktuiert (Joel Wing 5.8.2019).

Im Gouvernement Anbar wurden im Juli 2019 fünf sicherheitsrelevante Vorfälle mit neun Toten und 14 Verletzten registriert (Joel Wing 5.8.2019), im August 2019 waren es vier Vorfälle mit sechs Toten und neun Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September vier Vorfälle mit 19 Toten (Joel Wing 16.10.2019).

SÜDIRAK

Das Gouvernement Babil ist ein einfaches Ziel für die Aufständischen des IS, in das sie von Anbar aus leichten Zugang haben. Insbesondere der Distrikt Jurf al-Sakhr, in dem es keine Zivilisten gibt und der als PMF-Basis dient, ist ein beliebtes Ziel des IS (Joel Wing 9.9.2019).

Im Gouvernement Babil wurden im Juli 2019 drei sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und fünf Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019). Im August waren es acht Vorfälle mit fünf Toten und 48 Verletzten. Es handelt sich dabei um die höchste Zahl an Vorfällen seit Juni 2018. Darunter befand sich ein schwerer Angriff mit einer Motorradbombe (VBIED) auf einen Markt im Norden des Gouvernements (Joel Wing 9.9.2019). Im September waren es wieder drei Vorfälle mit einem Toten und fünf Verletzten (Joel Wing 16.10.2019).

Im Gouvernement Kerbala wurde im Juli ein Vorfall mit einem Toten und drei Verletzten verzeichnet. Es handelte sich dabei um den Einsatz einer Haftbombe an einem Auto (Joel Wing 5.8.2019). Im September wurde ein sicherheitsrelevanter Vorfall mit zwölf Toten und fünf Verletzten registriert (Joel Wing 16.10.2019). Hierbei wurde an einem Checkpoint im Norden von Kerbala Stadt eine Autobombe gezündet (Joel Wing 16.10.2019; vgl. VOA 21.9.2019). Von Sicherheitskräften entdeckte Waffenlager des IS weisen darauf hin, dass dieser über eine große Menge an Sprengmitteln verfügt (Joel Wing 16.10.2019).

In Basra wurde im August ein Vorfall ohne Opfer registriert. Es handelte sich dabei um eine gegen British Petroleum (BP) im Rumaila Ölfeld gerichtete IED (Joel Wing 9.9.2019). Demonstrationen gegen Korruption, Arbeitslosigkeit und mangelnde Grundversorgung halten an, wobei iranisch unterstützte PMFs beschuldigt werden, sich an der Unterdrückung der Proteste zu beteiligen und Demonstranten und Menschenrechtsaktivisten anzugreifen (Diyaruna 7.8.2019; vgl. Al Jazeera 25.10.2019).

Quellen:

-

ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019): Regional Overview - Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 7.10.2019

-

ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (4.9.2019): Regional Overview - Middle East 4 September 2019, https://www.acleddata.com/2019/09/04/regional-overview-middle-east-4-september-2019/, Zugriff 2.10.2019

-

ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (17.7.2019): Regional Overview - Middle East 17 July 2019, https://www.acleddata.com/2019/07/17/regional-overview-middle-east-17-july-2019/, Zugriff 2.10.2019

-

Al Jazeera (25.10.2019): Dozens killed as fierce anti-government protests sweep Iraq, https://

www.aljazeera.com/news/2019/10/dozens-killed-fierce-anti-government-demonstrations-sweep-iraq-191025171801458.html, Zugriff 28.10.2019

-

Al Jazeera (5.10.2019): Iraq PM lifts Baghdad curfew, https://www.aljazeera.com/news/2019/10/iraq-pm-lifts-baghdad-curfew-191005070529047.html, Zugriff 28.10.2019

-

Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone,

https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 2.10.2019

-

Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https:// www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 28.10.2019

-

Al Mada (2.10.2019): ("Proteste werden zu Kriegsgebieten"), https://almadapaper.net/view.php?cat=221822, Zugriff 4.10.2019

-

Al Monitor (12.7.2019): Iran shells Iraqi Kurdistan Region, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2019/07/iraq-iran-kurdistan-turkey.html, Zugriff 2.10.2019

-

Anadolu Agency (13.7.2019): Turkey launches counter-terror Operation Claw-2 in N.Iraq,

https://www.aa.com.tr/en/turkey/turkey-launches-counter-terror-operation-claw-2-in-niraq/ 1530592, Zugriff 2.10.2019

-

BBC News (28.10.2019): Iraq protests: Upsurge in violence despite Baghdad curfew,

https://www.bbc.com/news/world-middle-east-50225055?intlink_from_url=https:// www.bbc.com/news/topics/cvenzmgyljrt/iraq&link_location=live-reporting-story, Zugriff 28.10.2019

-

BBC News (4.10.2019): Iraq protests: 'No magic solution' to problems, PM says,

https://www.bbc.com/news/world-middle-east-49929280, Zugriff 4.10.2019

-

D&S - Difesa & Sicurezza (24.4.2019): Iraq, the ISF carry out a surprise anti-ISIS operation in Anbar, https://www.difesaesicurezza.com/en/defence-and-security/iraq-the-isf-carry-out-a-surprise-anti-isis-operation-in-anbar/, Zugriff 11.10.2019

-

Diyaruna (7.10.2019): Iraq launches phase 6 of 'Will of Victory', https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/10/07/feature-02, Zugriff 18.10.2019

-

Diyaruna (7.8.2019): Iran-backed militias suppress Iraqi protests, https://diyaruna.com/en_GB/

articles/cnmi_di/features/2019/08/07/feature-01, Zugriff 2.10.2019

-

FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (3.10.2019): Die Wut der Iraker auf die Regierung,

https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/tote-bei-protesten-die-wut-der-iraker-auf-die-regierung-16415369.html, Zugriff 4.10.2019

-

France 24 (28.10.2019): Iraq protesters defy Baghdad curfew as violence rocks Shiite holy city, https://www.france24.com/en/20191029-iraq-protesters-defy-baghdad-curfew-as-violence-rocks-shiite-holy-city, Zugriff 30.10.2019

-

IBC - Iraq Bodycount (9.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 15.10.2019

-

ISW - Institute for the Study of War (22.10.2019): Iraq's Sustained Protests and Political Crisis, https://iswresearch.blogspot.com/2019/10/iraqs-sustained-protests-and-political.html, Zugriff 24.10.2019

-

Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 17.10.2019

-

Joel Wing, Musings on Iraq (3.10.2019): Iraq's October Protests Escalate And Grow,

https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/iraqs-october-protests-escalate-and-grow.html, Zugriff 4.10.2019

-

Joel Wing, Musings on Iraq (9.9.2019): Islamic State's New Game Plan In Iraq,

https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/09/islamic-states-new-game-plan-in-iraq.html, Zugriff 1.10.2019

-

Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State's Offensive Could Be Winding Down,

https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 1.10.2019

-

Kurdistan24 (7.8.2019): ISIS increases activity in Iraq's disputed territories,

https://www.kurdistan24.net/en/news/16f3d2f2-8395-40b8-94f3-ebbd183f398d, Zugriff 2.10.2019

-

Liveuamap - Live Universal Awareness Map (1.10.2019): Map of Iraq, https://iraq.liveuamap.com/en/time/01.10.2019, Zugriff 1.10.2019

-

Military Times (7.7.2019): Iraqi forces begin operation against ISIS along Syrian border, https:// www.militarytimes.com/flashpoints/2019/07/07/iraqi-forces-begin-operation-against-isis-along-syrian-border/, Zugriff 18.10.2019

-

Net Blocks (3.10.2019, update am 7.8.2019): Heavily censored internet briefly returns to Iraq 28 hours after nationwide blackout, https://netblocks.org/reports/heavily-censored-internet-briefly-returns-to-iraq-28-hours-after-nationwide-blackout-7yNG1w8q, Zugriff 28.10.2019

-

PressTV (21.9.2019): Fifth phase of Will of Victory operation ends with cleansing areas near Saudi border, https://www.presstv.com/Detail/2019/09/21/606767/Fifth-phase-of-Will-of-

Victory-operation-ends-with-cleansing-areas-near-Saudi-border-from-Daesh, Zugriff 18.10.2019

-

Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 30.10.2019

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten