TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/12 W238 2222111-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.03.2020
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Entscheidungsdatum

12.03.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §42
BBG §43
BBG §45
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W238 2222111-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Claudia MARIK als Vorsitzende und die Richterin Mag. Julia JERABEK sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX gegen Spruchteil 1 des Bescheides des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 25.06.2019, OB XXXX , betreffend Abweisung des Antrags auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG sowie gemäß §§ 41 Abs. 1, 42 Abs. 1 und 2, 45 Abs. 1 und 2 BBG stattgegeben und Spruchteil 1 des angefochtenen Bescheides wie folgt abgeändert:

"Dem Antrag von XXXX vom 23.01.2019 auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung wird Folge gegeben. Der Grad der Behinderung beträgt neunzig von Hundert (90 v.H.)."

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Dem nunmehrigen Beschwerdeführer wurde am 20.09.2016 ein unbefristeter Behindertenpass ausgestellt, in dem der Grad der Behinderung mit 60 v.H. ausgewiesen wurde.

2. Am 23.01.2019 beantragte er beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich (im Folgenden als belangte Behörde bezeichnet), unter Vorlage medizinischer Beweismittel die Neufestsetzung des Grades seiner Behinderung im Behindertenpass.

3. In dem daraufhin seitens der belangten Behörde eingeholten - auf Basis einer persönlichen Untersuchung am 25.03.2019 erstatteten - Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 23.05.2019 wurden als Ergebnis der Begutachtung die Funktionseinschränkungen den Leidenspositionen

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden Begründung der Positionsnummer und der Rahmensätze:

Pos.Nr.

GdB %

1

Degenerative Veränderungen des Stütz- und Bewegungsapparates mit funktionellen Auswirkungen fortgeschrittenen Grades Wahl des unteren Rahmensatzes dieser Richtsatzposition bei Zustand nach kompliziertem Verlauf einer Hüftgelenks-Endoprothesenversorgung links, Arthrose des rechten Hüftgelenkes und Veränderungen der Wirbelsäule mit funktionellen Auswirkungen fortgeschrittenen Grades, jedoch ohne nachweisbare schwerwiegende Nervenausfallserscheinungen.

02.02.03

50

2

Neurodermitis Wahl des unteren Rahmensatzes dieser Richtsatzposition bei langjährigem schweren Verlauf inklusive Rhagadenbildung, Allergieneigung und behinderter Nasenatmung mit Erfordernis von wiederholter Cortisontherapie.

01.01.03

50

3

Gastroösophagealer Reflux Eine Stufe über dem unteren Rahmensatz bei Stadium II.

07.03.05

20

zugeordnet und

nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 60 v.H. festgestellt. Begründend wurde ausgeführt, dass Leiden 1 durch Leiden 2 um eine Stufe erhöht werde, da sich dieses als zusätzliches schwerwiegendes Leiden präsentiere. Eine weitere Erhöhung von Leiden 1 durch Leiden 3 erfolge mangels wechselseitiger Leidensbeeinflussung nicht. Im Vergleich zum Vorgutachten bleibe der Gesamtgrad der Behinderung unverändert. Es handle sich um einen Dauerzustand.

4. Nach Einräumung von Parteiengehör mit Schreiben der belangten Behörde vom 23.05.2019 wurden vom Beschwerdeführer keine Einwendungen gegen das Gutachten erhoben.

5. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 25.06.2019 wurde unter Bezugnahme auf §§ 41, 43, 45 BBG in Spruchteil 1 festgestellt, dass mit einem Grad der Behinderung von 60 v.H. keine Veränderung des bisherigen Grades der Behinderung eingetreten ist, und der Antrag des Beschwerdeführers vom 23.01.2019 auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung abgewiesen. In Spruchteil 2 wurde ausgesprochen, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragungen "Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 dritter Teilstrich VO 303/1996 liegt vor" und "Der Inhaber des Passes ist Träger einer Prothese" gegeben sind. Begründend wurde ausgeführt, dass die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens dem Sachverständigengutachten zu entnehmen seien, das einen Bestandteil der Begründung bilde. Das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass der Grad der Behinderung weiterhin 60 v.H. betrage. Dem Beschwerdeführer sei Gelegenheit gegeben worden, sich zum Ergebnis der Beweisaufnahme zu äußern. Eine Stellungnahme sei nicht eingelangt, weshalb vom Ermittlungsergebnis nicht abgegangen werden könne. Als Beilage zum Bescheid wurde dem Beschwerdeführer das Sachverständigengutachten vom 23.05.2019 übermittelt.

6. Gegen Spruchteil 1 des Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Darin führte er aus, dass sich sein Gesundheitszustand infolge von sieben Hüftoperationen im Zeitraum von Mai 2017 bis April 2018 trotz zwei Reha-Aufenthalten und mehreren physiotherapeutischen Behandlungen verschlechtert habe. Gehen sei nur mit Gehstock möglich; Stiegensteigen sei äußerst schwierig, weshalb im Herbst zwangsläufig ein Wohnungswechsel erfolge. Darüber hinaus bestehe beim Beschwerdeführer ein verstärktes Hautleiden aufgrund seines Medikamentenbedarfs. Zuletzt sei im Dezember 2017 die Resektion eines knotigen Tumors im linken Unterarm erfolgt. Beantragt wurde, den Bescheid vom 25.06.2019 (gemeint wohl: Spruchteil 1) aufzuheben und eine höhere Einstufung als bisher festzustellen.

7. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 07.08.2019 vorgelegt.

8. Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes wurde eine Begutachtung des Beschwerdeführers durch einen Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin sowie Arzt für Allgemeinmedizin veranlasst. In dem auf Basis einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers erstellten Sachverständigengutachten vom 25.09.2019 wurde auszugsweise Folgendes ausgeführt (Wiedergabe ergänzt um die zugehörigen Fragestellungen des Bundesverwaltungsgerichtes):

"Status

Caput: sichtbare Häute ... heute gut durchblutet, Bulbusmotorik

seitengleich, beidseits prompte Pupillenreaktion, Brillenträger.

Wirbelsäule: im Lot, kein Schulter- oder Beckenschiefstand, kein Klopfschmerz, im Seitaspekt physiologischer Krümmungsverlauf, der Oberkörper etwa 10° vorgeneigt, FBA 30 cm.

Obere Extremitäten: sämtliche Gelenke werden altersentsprechend endlagig frei, schmerzlos bewegt, MER seitengleich prompt, periphere DMS in Ordnung.

Untere Extremitäten: Hüfte rechts S 0/0/95, beugeendlagig zeigt sich bereits eine Außenrotation von 5°, Außenrotation bis 10° möglich, Innenrotation bis 0° möglich. An der linken Hüfte lateral zeigen sich mehrere bland abgeheilte Narben, S 0/0/80, Außenrotation 10°, Innenrotation 0°, Abduktion 5°. Knie beidseits S 0/0/110, Seitenbandapparat stabil, Unterschenkel schlank, Sprunggelenke frei, periphere DMS in Ordnung. In Rückenlage zeigt sich eine Außenrotation des rechten Beins. Die Beinachse im Lot, keine Beinlängendifferenz, MER beidseits nicht auslösbar. Pseudolasegue rechts bei 50° mit Schmerzangabe in der rechten Hüfte, das linke Bein kann gestreckt nur bis 50° Hüftbeugung angehoben werden.

Thorax: symmetrisch, Herzaktion rein, rhythmisch, Pulmo beidseits

VA.

Abdomen: weich, unter Thoraxniveau, Druckschmerz rechter Mittelbauch, keine Abwehrspannung.

Haut: sehr trocken, schuppend, es zeigen sich diffuse gerötete Hautareale im Bereich beider Arme, des Dekolletés, am linken Oberschenkel innenseitig, zahlreiche Kratzartefakte, auch die gesamte Gesichtshaut sowie die behaarte Kopfhaut trocken, schuppend.

Er kommt alleine, mit einem Gehstock links selbstständig gehend zur Untersuchung, trägt normales Schuhwerk mit orthopädischen Einlagen. Das selbstständige, achsengerechte Aufrichten von der Untersuchungsliege ist möglich, das rechte Bein beim Gehen deutlich außenrotiert; beim Gehen zeigt sich ein Beckenhochstand rechts mit deutlichem Trendelenburghinken bei Belastung des rechten Beins, das Gangbild hinkend bei der Belastung rechts, die Schrittlänge links verkürzt, der Abrollvorgang beidseits verplumpt. Unter Belastung zeigt sich auch eine akzentuierte Lordose der LWS, aufgrund des Beckenschiefstands bei Belastung des rechten Beins auch eine ausgleichende linkskonvexe Skoliose der LWS. Wenn er steht, ist die Belastung beider Beine seitengleich, damit gleichen sich sowohl der Beckenschiefstand als auch die Skoliose aus. Zehenspitzenstand, Fersenstand, Einbeinstand und Kniebeuge sind nicht möglich, Nacken- und Schürzengriff sind endlagig.

Auch beim Gehen mit dem Gehstock links zeigt sich ein Beckenhochstand rechts mit ausgleichender Skoliose in der LWS, auch hier das Gangbild hinkend, die Schrittlänge rechts verkürzt, Trendelenburghinken rechts.

...

Beurteilung und Stellungnahme:

1. Gesonderte Einschätzung des Grades der Behinderung für jede festgestellte Gesundheitsschädigung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Rahmensätze:

Pos. Nr.

GdB

1

Degenerative Veränderungen des Stütz- und Bewegungsapparates mit funktionellen Auswirkungen fortgeschrittenen Grades Oberer Rahmensatz, berücksichtigt Zustand nach mehrfachen septischen Revisionen nach infizierter Hüft-TEP links, mittlerweile wieder mit einer Prothese versorgt, degenerative Veränderung Hüfte rechts mit Bewegungseinschränkung, Trendelenburghinken, kompensierender Skoliose der LWS bei Belastung, Gehbehinderung.

02.02.03

70

2

Neurodermitis Unterer Rahmensatz bei langjährigem Krankheitsverlauf, Allergieneigung, juckenden, schuppenden Hautveränderungen an kosmetisch beeinträchtigenden Stellen, intermittierender Bedarf einer Cortisontherapie.

01.01.03

50

3

Prostatakarzinom Unterer Rahmensatz, da Bestrahlungstherapie geplant, bis dato kein Hinweis auf Metastasen.

13.01.04

50

4

Gastroösophagealer Reflux Eine Stufe über dem unteren Rahmensatz, bei Stadium Il.

07.03.05

20

2. Einschätzung

und Begründung des Gesamtgrades der Behinderung, wobei auch auf eine allfällige Erhöhung durch wechselseitige Leidensbeeinflussung eingegangen werden möge:

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 90 v.H.

Leiden 1 wird durch die Leiden 2 und 3 jeweils um eine Stufe erhöht, da es sich in beiden Fällen um schwerwiegende Leiden handelt. Leiden 4 erhöht nicht, da keine maßgebliche wechselseitige Leidensbeeinflussung vorliegt.

3. Stellungnahme, ab wann der Gesamtgrad der Behinderung anzunehmen ist (ab Antrag - 23.01.2019? Wenn später, bitte begründen):

Ab Antragsdatum 23.01.2019 ist ein Gesamtgrad der Behinderung 80 v. H. anzunehmen, da hier die Diagnose des Prostatakarzinoms noch nicht gestellt war.

Der Gesamtgrad der Behinderung 90 v.H. ist ab 03/2019 anzunehmen.

4. Fachspezifische Stellungnahme zu dem im Verfahren vorgelegten Unterlagen und Befunden:

Sämtliche dem Verfahrensakt beigelegte Unterlagen wurden gesichtet und gewertet, die mitgebrachten Befunden, welche nicht der Neuerungsbeschränkung unterliegen, wurden ebenfalls in das Gutachten aufgenommen.

5. Fachspezifische Stellungnahme zu den Einwendungen in der Beschwerde:

Die Einwendungen in der Beschwerde sind nachvollziehbar; aufgrund der Bewegungseinschränkung in den Hüftgelenken rechts > links mit Trendelenburghinken, ausgleichender Skoliose sowie dem Bedarf einer Gehhilfe liegt eine entsprechende Gehbehinderung vor; diese führt zu einer maßgeblichen Beeinträchtigung im Alltag. Die maximal bewältigbare Gehstrecke ohne Pause in der Ebenen liegt bei etwa 100 m, Stiegensteigen nur unter Zuhilfenahme eines beidseitigen Handlaufs möglich, jedoch sehr beschwerlich, die üblichen Niveauunterschiede können nur sehr beschwerlich bewältigt werden, es liegt keine maßgebliche psychische oder intellektuelle Einschränkung vor, altersentsprechender guter funktioneller Umfang der oberen Extremitäten.

6. Begründung zu einer allfälligen zum angefochtenen Sachverständigengutachten vom 23.05.2019 abweichenden Beurteilung:

Die Leiden des Vorgutachtens aus 05/2019 werden übernommen, jedoch wird aufgrund der Gehbehinderung das führende Leiden 1 um zwei Stufen erhöht, das im März 2019 diagnostizierte Prostatakarzinom wird als aktuelles Leiden 3 aufgenommen.

Der Gesamtgrad der Behinderung erhöht sich um drei Stufen.

7. Stellungnahme, ob bzw. wann eine Nachuntersuchung erforderlich ist:

Entsprechend den aktuellen Vorgaben wäre nach Abschluss der Heilungsbewährung bezüglich des Prostatakarzinoms in 5 Jahren eine Nachuntersuchung erforderlich, aufgrund des Allgemeinzustandes des Patienten sowie der führenden Gehbehinderung empfehle ich, von einer Nachuntersuchung Abstand zu nehmen."

9. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.10.2019 wurden der Beschwerdeführer und die belangte Behörde über das Ergebnis der Beweisaufnahme informiert und ihnen in Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen eine Stellungnahme abzugeben. Weiters wurde in diesem Zusammenhang mitgeteilt, dass das Bundesverwaltungsgericht in Aussicht nehme, über die Beschwerde ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung aufgrund der Aktenlage zu entscheiden, sofern eine mündliche Verhandlung vor Gericht nicht ausdrücklich beantragt werde.

10. Die Verfahrensparteien ließen dieses Schreiben unbeantwortet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer verfügte ab 20.09.2016 über einen unbefristeten Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 60 v.H.

Am 23.01.2019 stellte er einen Antrag auf Neufestsetzung des Grades seiner Behinderung im Behindertenpass.

Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Beim Beschwerdeführer bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1) Degenerative Veränderungen des Stütz- und Bewegungsapparates mit funktionellen Auswirkungen fortgeschrittenen Grades, Zustand nach mehrfachen septischen Revisionen nach infizierter Hüft-TEP links, mittlerweile mit einer Prothese versorgt, degenerative Veränderung der Hüfte rechts mit Bewegungseinschränkung, Trendelenburghinken und kompensierender Skoliose der LWS bei Belastung, Gehbehinderung;

2) Neurodermitis bei langjährigem Krankheitsverlauf, Allergieneigung, juckenden, schuppenden Hautveränderungen an kosmetisch beeinträchtigenden Stellen, intermittierender Bedarf einer Cortisontherapie;

3) Prostatakarzinom, Bestrahlungstherapie geplant, kein Hinweis auf Metastasen;

4) Gastroösophagealer Reflux bei Stadium II.

Hinsichtlich der beim Beschwerdeführer bestehenden Funktionseinschränkungen, deren Ausmaßes, medizinischer Einschätzung und wechselseitiger Leidensbeeinflussung werden die diesbezüglichen Beurteilungen im Sachverständigengutachten eines Facharztes für Anästhesiologie und Intensivmedizin vom 25.09.2019 der nunmehrigen Entscheidung zugrunde gelegt.

Der Gesamtgrad der Behinderung des Beschwerdeführers beträgt seit März 2019 ein Ausmaß von 90 v.H.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen über das Vorliegen eines Behindertenpasses und die Antragstellung basieren auf dem Akteninhalt.

2.2. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, ergibt sich aus einem vom Bundesverwaltungsgericht erstellten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

2.3. Der festgestellte Gesamtgrad der Behinderung gründet sich auf das im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten eines Facharztes für Anästhesiologie und Intensivmedizin vom 25.09.2019. Darin wird auf die Leiden des Beschwerdeführers, deren Ausmaß und wechselseitige Leidensbeeinflussung vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen.

Das Gutachten setzt sich auch mit den vom Beschwerdeführer vorgelegten Befunden, den in der Beschwerde erhobenen Einwendungen und dem von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten auseinander. Die getroffenen Einschätzungen stimmen mit den im Rahmen der klinischen Untersuchung des Beschwerdeführers und anhand der Befundlage festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen überein und wurden entsprechend den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung richtig zugeordnet.

Das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Gutachten weicht in seiner Einschätzung von dem seitens der belangten Behörde eingeholten Gutachten ab:

Unter Berücksichtigung des anästhesiologischen Sachverständigengutachtens erfolgte eine Anhebung des Behinderungsgrades des führenden Leidens 1 (degenerative Veränderungen des Stütz- und Bewegungsapparates mit funktionellen Auswirkungen fortgeschrittenen Grades) um zwei Stufen (von 50 v.H. auf 70 v.H.). Dies wurde von dem im Beschwerdeverfahren befassten Facharzt schlüssig mit der festgestellten Gehbehinderung begründet. Unter Berücksichtigung der im März 2019 erstellten Diagnose erfolgte darüber hinaus die erstmalige Einschätzung von Leiden 3 (Prostatakarzinom). Hinsichtlich der übrigen Leiden 2 und 4 ergaben sich keine Änderungen.

Vor dem Hintergrund, dass es sich bei den Leiden 2 und 3 um schwerwiegende Leiden handelt, wurde das führende Leiden 1 jeweils um eine Stufe erhöht, sodass die Anhebung des Gesamtgrades der Behinderung um insgesamt drei Stufen (im Vergleich zum Vorgutachten) auf 90 v.H. in dem im Beschwerdeverfahren erstatteten Sachverständigengutachten schlüssig und widerspruchsfrei dargelegt wurde.

Das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Gutachten wurde der belangten Behörde und dem Beschwerdeführer unter Einräumung einer Frist zur Äußerung übermittelt. Keine der Parteien hat Einwände gegen das Sachverständigengutachten erhoben.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des Sachverständigengutachtens vom 25.09.2019. Es wird in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung eines fachkundigen Laienrichters ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 45 Abs. 3 und 4 BBG. Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig.

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

3.2. Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

"BEHINDERTENPASS

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist."

"§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

(...)"

"§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

(...)"

"§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

(...)"

3.3. §§ 2 und 3 der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sehen Folgendes vor:

"Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen."

"Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

-

sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

-

zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine."

3.5. Zunächst ist festzuhalten, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall - wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm - nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war. Die Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen hat nicht im Wege der Addition der einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen zu erfolgen, sondern es ist bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zunächst von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für welche der höchste Wert festgestellt wurde, und dann ist zu prüfen, ob und inwieweit durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen eine höhere Einschätzung des Grades der Behinderung gerechtfertigt ist (vgl. den eindeutigen Wortlaut des § 3 Einschätzungsverordnung sowie die auf diese Rechtslage übertragbare Rechtsprechung, VwGH 17.07.2009, 2007/11/0088; 22.01.2013, 2011/11/0209 mwN). Bei ihrer Beurteilung hat sich die Behörde eines oder mehrerer Sachverständiger zu bedienen, wobei es dem Antragsteller freisteht, zu versuchen, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. VwGH 30.04.2014, 2011/11/0098; 21.08.2014, Ro 2014/11/0023).

Gegenständlich wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes zwecks Beurteilung des Beschwerdevorbringens ein fachärztliches Sachverständigengutachten eingeholt, das auf Basis einer persönlicher Untersuchung des Beschwerdeführers erstattet wurde und - sowohl hinsichtlich der Einschätzung der einzelnen Funktionseinschränkungen als auch hinsichtlich der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung - den von der Judikatur (sowie von der Einschätzungsverordnung) aufgestellten Anforderungen entspricht.

3.6. Wie oben unter Punkt II.2.3. eingehend ausgeführt, wird der gegenständlichen Entscheidung das schlüssige Sachverständigengutachten vom 25.09.2019 zugrunde gelegt, wonach der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers 90 v.H. beträgt. Wie ebenfalls bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt wurde, sind weder der Beschwerdeführer noch die belangte Behörde dem Gutachten im Rahmen des ihnen gewährten Parteiengehörs entgegengetreten.

Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 90 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, (weiterhin) erfüllt.

Die im angefochtenen Bescheid erfolgte Abweisung des Antrags auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass und die unter einem ausgesprochene Feststellung, dass keine Veränderung des Grades der Behinderung eingetreten ist, haben sich als rechtswidrig erwiesen.

Der Beschwerde war daher stattzugeben und Spruchteil 1 des angefochtenen Bescheides entsprechend abzuändern.

Die belangte Behörde hat in weiterer Folge den im Spruch dieses Erkenntnisses festgestellten Grad der Behinderung im Behindertenpass des Beschwerdeführers einzutragen.

3.7. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

3.7.1. Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG). Wurde - wie im vorliegenden Fall - kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäße - und zu begründende - Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 leg.cit. normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensübung anzusehen sind (vgl. zur insofern gleichartigen Regelungsstruktur des § 67d Abs. 1 und 2 bis 4 AVG [alte Fassung] die Darstellung bei Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 17 und 29, mwH). Gemäß Abs. 3 leg.cit. hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Gemäß Abs. 4 leg.cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

3.7.2. Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und dem im Beschwerdeverfahren eingeholten Sachverständigengutachten eines Facharztes für Anästhesiologie und Intensivmedizin vom 25.09.2019. Das über Veranlassung des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholte Gutachten, das auf die Einwendungen des Beschwerdeführers in fachlicher Hinsicht eingeht, wurde von den Verfahrensparteien im Rahmen des Parteiengehörs unwidersprochen zur Kenntnis genommen. Die strittigen Tatsachenfragen gehören dem Bereich an, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. All dies lässt - gerade auch vor dem Hintergrund des Umstandes, dass eine Verhandlung nicht beantragt wurde - die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

3.7.3. Ergänzend ist im Beschwerdefall aus dem Blickwinkel von Art. 6 EMRK (Art. 47 GRC) auf den Umstand hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer vom Bundesverwaltungsgericht bei Einräumung des Parteiengehörs auf die Möglichkeit hingewiesen wurde, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu beantragen, indem ihm seitens des Verwaltungsgerichtes mitgeteilt wurde, dass - sollte er eine mündliche Verhandlung vor Gericht nicht ausdrücklich beantragen - eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung in Aussicht genommen werde. Der Beschwerdeführer hat sich daraufhin nicht mehr geäußert.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung bereits in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Zu den einen Entfall der Verhandlung nach Art. 6 EMRK rechtfertigenden Umständen gehört auch der (ausdrückliche oder schlüssige) Verzicht auf die mündliche Verhandlung. Nach der Rechtsprechung kann die Unterlassung eines Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung von der Rechtsordnung unter bestimmten Umständen als (schlüssiger) Verzicht auf eine solche gewertet werden. Zwar liegt ein solcher Verzicht dann nicht vor, wenn eine unvertretene Partei weder über die Möglichkeit einer Antragstellung belehrt wurde, noch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie von dieser Möglichkeit hätte wissen müssen (vgl. VfSlg. 16.894/2003 und 17.121/2004; VwGH 26.04.2010, 2004/10/0024; VwGH 12.08.2010, 2008/10/0315; VwGH 30.01.2014, 2012/10/0193). Dies ist hier aber angesichts des erwähnten Umstands eines entsprechenden Hinweises an den Beschwerdeführer und der ihm explizit eingeräumten Gelegenheit zur Antragstellung nicht der Fall. Die unterbliebene Antragstellung kann vor diesem Hintergrund als schlüssiger Verzicht im Sinne der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK gewertet werden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die angewendeten Teile des Bundesbehindertengesetzes und der Einschätzungsverordnung sind - soweit im Beschwerdefall relevant - eindeutig. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Neufestsetzung,
Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W238.2222111.1.00

Zuletzt aktualisiert am

21.04.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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