TE Vwgh Beschluss 2020/3/4 Ra 2020/18/0065

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Veröffentlicht am 04.03.2020
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §13a
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des F S, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Promenade 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Jänner 2020, W276 2200696-1/13E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 29. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er gab an, Verfolgung durch die Taliban zu befürchten. 2 Mit Bescheid vom 13. Juni 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan fest und legte eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise fest. 3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4 Das BVwG stellte - soweit für den gegenständlichen Revisionsfall von Bedeutung ist - fest, dass sich der Revisionswerber seit spätestens 29. Dezember 2015 durchgehend in Österreich aufhalte. Er lebe von der Grundversorgung, er sei im Bundesgebiet nie einer Beschäftigung nachgegangen. Es liege eine bedingte Einstellungszusage eines Unternehmens vor. Der Revisionswerber habe im Schuljahr 2017/18 den Lehrgang Übergangsstufe an der AHS für Jugendliche mit geringen Kenntnissen der Unterrichtssprache Deutsch besucht. Er habe Deutschprüfungen auf dem Niveau A1 und A2 bestanden und sich gute Deutschkenntnisse angeeignet. Er habe zwei Teilprüfungen für die Absolvierung des Pflichtschulabschlusses positiv abgelegt. Weiters habe er an einer Exkursion zur Messe für Jugend und Beruf teilgenommen und gemeinnützige Tätigkeiten für seine Wohnsitzgemeinde verrichtet. Er verbringe seine Freizeit im Jugendzentrum, wo er Billard und Fußball spiele. Bei Workshops anlässlich des Weltflüchtlingstages habe er sich engagiert. Er sei als Helfer bei der Eröffnung eines Holzladens eines Vereins im Einsatz gewesen und sei Mitglied in einem Boxverein, in dem er zwei- bis dreimal pro Woche trainiere und sich im Team engagiere. Er pflege freundschaftliche Kontakte zu seinen Mitschülern und zu den Jugendarbeitern des Jugendzentrums. Der Cousin des Revisionswerbers väterlicherseits, dessen Ehefrau und dessen vier Kinder lebten als Asylberechtigte in Österreich. Seine Tante väterlicherseits sei in Österreich subsidiär schutzberechtigt. Der Revisionswerber sei von diesen Angehörigen weder finanziell noch in sonstiger Weise abhängig. 5 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit geltend macht, das BVwG habe verkannt, dass die Beziehung des Revisionswerbers zu seiner in Österreich lebenden Tante vom Begriff des "Familienlebens" im Sinne des Art. 8 EMRK umfasst sei. Dass das BVwG die während der mündlichen Verhandlung anwesende Tante des Revisionswerbers nicht als Zeugin zur Bestätigung der Intensität dieser Beziehung von Amts wegen einvernommen habe, erweise sich als unvertretbar. Da der Revisionswerber mit seiner Tante im selben Haus lebe, sie zusammen geflohen seien und die Tante zwei Jahre für ihn verantwortlich gewesen sei, weise ihre Beziehung die von der Rechtsprechung geforderte Intensität auf. Zudem sei die Tante auf den Revisionswerber sprachlich und "auch sonst" angewiesen. Das BVwG hätte den Rechtsberater des Revisionswerbers dahingehend anleiten müssen, ein Vorbringen zu der familiären Beziehung des Revisionswerbers zu seiner Tante zu erstatten sowie deren Einvernahme als Zeugin zu beantragen.

Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

Die Revision wendet sich ausschließlich gegen die vom BVwG bestätigte Rückkehrentscheidung und vermeint, das Familienleben des Revisionswerbers mit seiner (in Österreich subsidiär schutzberechtigten) Tante sei zu Unrecht nicht berücksichtigt worden.

9 Sofern die Revision vorbringt, der Revisionswerber lebe mit seiner Tante im selben Haus und es bestünde zu dieser eine durch besondere Merkmale gekennzeichnete, außergewöhnlich enge familiäre Beziehung, so wird dieses Vorbringen erstmals in der Revision erstattet und unterliegt insofern dem aus § 41 VwGG abgeleiteten Neuerungsverbot (vgl. beispielsweise VwGH 11.11.2019, Ra 2019/18/0448).

10 Im Übrigen fallen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes familiäre Beziehungen unter Erwachsenen nur dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. VwGH 17.12.2019, Ro 2019/18/0006, mwN). Mit den pauschal gehaltenen Ausführungen in der Revision, wonach die Tante des Revisionswerbers sprachlich und auch sonst auf ihn angewiesen sei, wird ein solches Abhängigkeitsverhältnis nicht hinreichend dargetan.

11 Wenn der Revisionswerber ins Treffen führt, das BVwG hätte von Amts wegen seine Tante als Zeugin einvernehmen müssen, vermag er nicht aufzuzeigen, weshalb das BVwG - ohne entsprechenden formellen Beweisantrag unter Bekanntgabe des Beweisthemas (und darüber hinaus auch ohne ein Vorbringen des Revisionswerbers betreffend das Bestehen besonderer Bindungen zu in Österreich lebenden Angehörigen) - fallbezogen von der Erforderlichkeit dieser Beweisaufnahme hätte ausgehen müssen (vgl. VwGH 28.11.2019, Ra 2018/19/0213 bis 0215).

12 Zu dem Einwand, das BVwG hätte den Vertreter des Revisionswerbers dahingehend anleiten müssen, dass dieser "etwas" zum Familienleben vorbringe, ist festzuhalten, dass sich die - nach § 17 VwGVG auch im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten geltende - Manuduktionspflicht nach § 13a AVG auf Verfahrenshandlungen und deren Rechtsfolgen bezieht. Weder die belangte Behörde noch das BVwG waren deshalb verhalten, den Revisionswerber oder seinen Rechtsvertreter anzuleiten, wie er sein Vorbringen zu gestalten habe, um einen von ihm angestrebten Erfolg zu erreichen (vgl. VwGH 10.9.2018, Ra 2018/19/0336). Zudem verpflichtet § 13a AVG nicht dazu, die Partei zur Stellung bestimmter Beweisanträge anzuleiten (vgl. VwGH 10.9.2018, Ra 2018/19/0169).

13 Vor diesem Hintergrund vermag die Revision nicht darzulegen, dass das BVwG im Zusammenhang mit der gegen den Revisionswerber erlassenen Rückkehrentscheidung zu Unrecht einen Eingriff in das Familienleben des Revisionswerbers verneint hätte. 14 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 4. März 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180065.L00

Im RIS seit

19.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.05.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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