TE Vwgh Erkenntnis 2020/3/5 Ra 2019/15/0145

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Veröffentlicht am 05.03.2020
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht

Norm

BAO §26 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des Finanzamts Oststeiermark in 8330 Feldbach, Gnaserstraße 3, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 12. August 2019, Zl. RV/2100223/2012, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2004 bis 2006 sowie Einkommensteuer 2004 bis 2007 (mitbeteiligte Partei: Mag. T S in F, vertreten durch die Kanzlei Kleiner GmbH, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 8010 Graz, Burgring 22), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte ist ein österreichischer Musiker. Seit Mitte der 90er Jahre hat er nach seinem Vorbringen in Kenia ein Haus gemietet.

2 In den Jahren 2004 bis 2007 gab er unter der Annahme einer (lediglich) beschränkten Einkommensteuerpflicht in Österreich Einkommensteuererklärungen ab, welche vom Finanzamt antragsgemäß der Veranlagung dieser Jahre zu Grunde gelegt wurden. 3 Im Zuge einer im Jahr 2009 abgeschlossenen abgabenbehördlichen Prüfung wurde festgestellt, dass der Mitbeteiligte im Jahr 1993 in Österreich eine Liegenschaft erworben und darauf ein Wohnhaus errichtet habe, welches er während seiner zahlreichen Österreichaufenthalte (für Proben, Verwandtenbesuche, Besuch von Freunden, Bautätigkeiten etc.) als Wohnsitz genutzt habe. Der Mitbeteiligte sei daher in Österreich unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.

4 Das Finanzamt nahm die Verfahren betreffend Einkommensteuer 2004 bis 2006 unter Hinweis auf die Feststellungen der Außenprüfung wieder auf und erließ neue Sachbescheide für diese Jahre sowie einen erstmaligen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2007, in denen von einer unbeschränkten Steuerpflicht des Mitbeteiligten ausgegangen wurde.

5 In seiner dagegen erhobenen Berufung (nunmehr Beschwerde) bzw. Ergänzungen dazu brachte der Mitbeteiligte vor, dass das Wohnhaus in den Jahren 2004 bis 2007 gar nicht benutzbar bzw. vermietet gewesen sei. Schließlich stellte er den Antrag auf Anwendung der Zweitwohnsitzverordnung, weil er das Wohnhaus an keinem Tag benutzt habe.

6 Im Ergebnis umfangreicher Erhebungen vertrat das Finanzamt in mehreren Stellungnahmen zur Beschwerde die Ansicht, dass das Wohnhaus in den Jahren 2004 bis 2007 durchgehend bewohnbar gewesen sei und eine Vermietung von Räumlichkeiten, die eine uneingeschränkte Nutzung des Wohnhauses durch den Mitbeteiligten verhindert hätte, nicht stattgefunden habe. Der Mitbeteiligte habe sich nach den Feststellungen des Prüfers viele Male über einen längeren Zeitraum an seinem österreichischen Wohnsitz tatsächlich aufgehalten. Die Aufenthaltsverzeichnisse seien erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesfinanzgericht für Zwecke der Anwendung der Zweitwohnsitzverordnung "nacherstellt" worden. Sie basierten auf Kalendereinträgen einer anderen Person und wiesen näher dargestellte erhebliche Fehler auf.

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge, indem es die Wiederaufnahmebescheide ersatzlos behob und die Beschwerde betreffend Einkommensteuer 2004 bis 2006 als gegenstandslos erklärte. Die Einkommensteuer für das Jahr 2007 wurde unter Zugrundelegung beschränkter Steuerpflicht neu festgesetzt.

8 "In Würdigung des vorliegenden Datenmaterials, der darauf basierenden Stellungnahmen der Streitparteien und aus nachstehenden Überlegungen" kam das Bundesfinanzgericht "zum Schluss, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist, dass der Bf in den Jahren 2004 bis 2007 in seinem Wohnhaus zumindest zwischen 60 - 90 Tage verbracht und dort auch genächtigt hat." Nach "Detailanalyse" einzelner Tage der Streitjahre, in der sich das Bundesfinanzgericht eingehend mit einzelnen Spuren beschäftigte, die der Mitbeteiligte in Österreich oder anderswo hinterlassen habe (z.B. Bankomatabhebungen, Einkäufe, Krankenhausaufenthalte, Hotelnächtigungen, Studioaufnahmen, Betankungen), sei in allen vier Streitjahren auszuschließen, dass der Mitbeteiligte das für die Annahme eines Wohnsitzes iSd § 26 BAO laut Verwaltungsgerichtshof erforderliche zeitliche Moment - zumindest mehr als 60 Nächtigungen pro Jahr in seinem österreichischem Wohnhaus - erfüllt habe, geschweige denn die von Ritz (BAO6, § 26 Rz 9) als Mindestfrist für die Nutzung angenommene Sechsmonatsfrist. Die Detailanalyse habe nämlich ergeben, dass der Mitbeteiligte im Jahr 2004 17-mal, 2005 32-mal, 2006 15-mal und 2007 41-mal in seinem Haus genächtigt habe. Durch dieses Zahlenmaterial werde deutlich, dass ein Überschreiten "dieser Grenze" auch für den Fall auszuschließen sei, dass der Mitbeteiligte - wie vom Finanzamt vermutet - "quasi mangels 'Kontrollmöglichkeit'" (wie er einzelne Nächte verbracht habe), die eine oder andere Nacht doch in seinem Wohnhaus und nicht - wie von ihm behauptet - in einem (österreichischem) Hotel verbracht habe.

9 Mangels Vorliegens eines Wohnsitzes iSd § 26 Abs. 1 BAO sei der Mitbeteiligte in den Streitjahren 2004 bis 2007 gemäß § 1 Abs. 3 EStG 1988 in Österreich beschränkt steuerpflichtig. Da schon das Vorliegen eines Wohnsitzes im Inland und damit der vom Finanzamt herangezogene Wiederaufnahmsgrund zu verneinen sei, erübrige sich eine Auseinandersetzung mit der von den Streitparteien im Verfahren immer wieder problematisierten Zweitwohnsitzverordnung.

10 Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof ließ das Bundesfinanzgericht mit der Begründung nicht zu, dass die Rechtsfrage (Dauer der Aufenthaltszeiten) vom Verwaltungsgerichtshof bereits mit Erkenntnis vom 20. Juni 1990, 89/16/0020, geklärt worden sei.

11 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision des Finanzamtes, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das angefochtene Erkenntnis weiche von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Wohnsitzbegriff des § 26 Abs. 1 BAO ab. Dazu führt das Finanzamt eine Reihe von Erkenntnissen an und erläutert, aus welchem Grund das vom Bundesfinanzgericht herangezogene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes gegenständlich nicht einschlägig sei. 12 Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung.

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14 Die Revision ist zulässig und auch begründet.

15 Für die Beurteilung der Frage, ob eine natürliche Person

gemäß § 1 Abs. 2 EStG 1988 unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig ist, ist entscheidend, ob sie im Inland u.a. einen Wohnsitz hat.

16 Gemäß § 26 Abs. 1 BAO hat jemand einen Wohnsitz im Sinn der Abgabenvorschriften dort, wo er eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, dass er diese Wohnung beibehalten und benutzen wird.

17 Das Bestehen eines Wohnsitzes ist steuerrechtlich stets an die objektive Voraussetzung des Besitzes - hier gleichbedeutend mit dem Innehaben - einer Wohnung geknüpft. Der Wohnsitzbegriff des Steuerrechtes knüpft an die tatsächliche Gestaltung der Dinge an. Um einen Wohnsitz im Sinne der Abgabenvorschriften zu begründen, bedarf es der tatsächlichen Verfügungsgewalt über bestimmte Räumlichkeiten, die nach der Verkehrsauffassung zum Wohnen geeignet sind, also ohne wesentliche Änderungen jederzeit zum Wohnen benutzt werden können und ihrem Inhaber nach Größe und Ausstattung ein dessen persönlichen Verhältnissen entsprechendes Heim bieten (vgl. VwGH 4.9.2014, 2011/15/0133; 27.11.2017, Ra 2015/15/0066, mit weiteren Nachweisen).

18 Unter dem "Innehaben" einer Wohnung ist die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit, über diese Wohnung zu verfügen, insbesondere sie für den Wohnbedarf jederzeit benützen zu können, zu verstehen (VwGH 23.2.2010, 2007/15/0292). Da ein Mensch mehrere Wohnungen innehaben kann, sind gleichzeitig auch mehrere Wohnsitze möglich (vgl. VwGH 3.7.2003, 99/15/0104, mit weiteren Nachweisen). 19 Es ist nicht entscheidend, in welchem zeitlichen Ausmaß eine Wohnung tatsächlich genutzt wird; insbesondere trifft es nicht zu, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine bestimmte Mindestanzahl von jährlichen Nächtigungen Voraussetzung dafür ist, eine Wohnung als Wohnsitz iSd § 26 Abs. 1 BAO zu qualifizieren. Entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichts ergibt sich dieses Erfordernis auch nicht aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Juni 1990, 89/16/0020, in dem auf einen Artikel von Weinzierl,

Zum steuerlichen Begriff des Wohnsitzes, FJ 1974, S 51 ff Punkt 6.2. Abs. 2, und die dort wiedergegebene Rechtsprechung verwiesen wird. In dem angeführten Erkenntnis vom 5. September 1969, 698/69, Slg. 3947/F, wird lediglich ein Sachverhalt behandelt, in dem eine Wiener Wohnung nach den unstrittigen Feststellungen etwa zwei bis drei Monate im Jahr von einer überwiegend in der Schweiz lebenden Beschwerdeführerin benützt worden war, was von der seinerzeitigen Rechtsmittelbehörde als nicht ausreichend angesehen wurde, um von einem österreichischen Wohnsitz ausgehen zu können. Der Verwaltungsgerichtshof widersprach dieser Beurteilung, was aber nicht den vom Bundesfinanzgericht offenbar gezogenen Gegenschluss zulässt, dass ohne das damals vorliegende zeitliche Element der "Benützung der Wohnung durch etwa zwei bis drei Monate im Jahr", das Vorliegen eines österreichischen Wohnsitzes zu verneinen gewesen wäre.

20 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich nach dem Gesagten als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Es war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 5. März 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019150145.L00

Im RIS seit

26.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

26.05.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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