TE Vwgh Beschluss 2020/3/11 Ra 2019/18/0382

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Veröffentlicht am 11.03.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
19/05 Menschenrechte
20/09 Internationales Privatrecht

Norm

IPRG §16
MRK Art8
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des B Y, vertreten durch Mag.a Sarah Kumar, Rechtsanwältin in 8020 Graz, Kärntner Straße 7b/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. August 2019, W148 2138353-1/17E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 7. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er zusammengefasst damit begründete, zu Unrecht mit dem Verschwinden eines afghanischen Mädchens in Verbindung gebracht und deshalb bei Gericht angezeigt worden zu sein. Er befürchte aus diesem Grund Verfolgung in seinem Herkunftsstaat. 2 Mit Bescheid vom 5. Oktober 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4 Das BVwG erwog mit näherer Begründung, dass das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers als nicht glaubhaft zu erachten und ihm auch kein subsidiärer Schutz zu gewähren sei. 5 Hinsichtlich der Erlassung einer Rückkehrentscheidung führte das BVwG aus, der Revisionswerber habe keine Familienangehörigen im Bundesgebiet. Er habe am 5. März 2019 mit einer afghanischen Asylberechtigten die Ehe nach konfessionellem islamischem Ritus geschlossen. Es bestehe kein gemeinsamer Haushalt und es würden nur gelegentliche Besuche am Wochenende erfolgen, wenn der Revisionswerber nicht Fußballspielen gehe. Das Paar gehe dann spazieren und trinke gemeinsam Kaffee. Die Partnerin des Revisionswerbers sei sehr beschäftigt, weshalb auch deshalb gemeinsame Treffen nicht so oft stattfinden würden. Es seien vor diesem Hintergrund keine Aspekte hervorgekommen, die eine besondere Verbundenheit zwischen dem Revisionswerber und seiner nach traditionellem Ritus angetrauten Ehepartnerin erkennen ließen. Es gebe auch keine gemeinsamen Kinder. Ausgehend davon liege kein schützenswertes Familienleben im Bundesgebiet vor. Einen Eingriff in das Privatleben des Revisionswerbers erachtete das BVwG - nach Durchführung einer näher dargestellten, zu Ungunsten des Revisionswerbers ausfallenden Interessenabwägung - als zulässig.

6 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung gemäß Art. 144 Abs. 2 B-VG mit Beschluss vom 28. November 2019, E 3450/2019-14, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof über nachträglichen Antrag gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG mit Beschluss vom 15. Jänner 2020, E 3450/2019-17, zur Entscheidung abtrat. 7 Die vorliegende außerordentliche Revision wendet sich inhaltlich ausschließlich gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und macht geltend, das BVwG habe zwar festgestellt, dass der Revisionswerber mit einer afghanischen Asylberechtigten die Ehe geschlossen habe. Es sei jedoch von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die (nur bei Bestehen öffentlicher Interessen von sehr großem Gewicht zulässige) Trennung von asylberechtigten Ehepartnern abgewichen. Vorliegend stünden die familiären Bindungen zur in Österreich asylberechtigten Ehefrau des Revisionswerbers der Erlassung der Rückkehrentscheidung entgegen. Zudem entbehre das angefochtene Erkenntnis einer schlüssigen Begründung, weshalb die Ehefrau des Revisionswerbers nicht als Familienangehörige zu qualifizieren sei. Mit der Revision wurde eine Heiratsurkunde betreffend eine am 7. September 2019 in Österreich erfolgte standesamtliche Eheschließung vorgelegt.

Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 11 Zunächst unterliegt das Vorbringen, wonach der Revisionswerber mit einer afghanischen Asylberechtigten am 7. September 2019 standesamtlich die Ehe geschlossen habe, dem im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltenden und aus § 41 VwGG abgeleiteten Neuerungsverbot. Die diesbezüglichen Ausführungen und die mit der Revision vorgelegte Heiratsurkunde können daher schon aus diesem Grund keine Beachtung finden (vgl. VwGH 4.11.2019, Ra 2018/18/0102, mwN).

12 Die zum Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses bereits bestehende und vom BVwG festgestellte, in Wien nach islamischem Ritus geschlossene Ehe des Revisionswerbers erfüllt die Formvorschriften des Ortes der Eheschließung nicht und ist sohin nach österreichischem Recht nicht gültig (vgl. VwGH 4.11.2019, Ra 2019/18/0187, mwN). Sohin trifft der Vorwurf der Revision, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die bei der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK zu berücksichtigende Trennung von einem in Österreich asylberechtigten Ehepartner abgewichen, nicht zu.

13 Dies gilt sinngemäß auch für das Vorbringen der Revision, wonach es nach der Rechtsprechung zu § 30 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) für die Frage des Vorliegens einer Aufenthaltsehe im Sinne der zuletzt genannten Bestimmung weder auf das Bestehen eines gemeinsamen Haushaltes der Ehepartner noch auf die Geburt gemeinsamer Kinder ankomme. Im Revisionsfall mangelte es - wie oben ausgeführt - an einer in Österreich rechtsgültigen Eheschließung. Es war gegenständlich weder das Vorliegen einer Aufenthaltsehe zu beurteilen noch stellen sich aus Anlass des Revisionsfalls Rechtsfragen im Hinblick auf § 30 NAG. 14 Sofern die Revision vorbringt, das BVwG habe nicht schlüssig begründet, weshalb die zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses nach islamischem Ritus angetraute Ehegattin des Revisionswerbers nicht als Familienangehörige zu qualifizieren sei, ist auf die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) hinzuweisen. Demzufolge ist das nach Art. 8 EMRK geschützte Familienleben nicht auf durch Heirat rechtlich formalisierte Bindungen ("marriagebased relationships") beschränkt, sondern erfasst auch andere faktische Familienbindungen ("de facto family ties"), bei denen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben. Zur Frage, ob eine nichteheliche Lebensgemeinschaft ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK begründet, stellt der EGMR auf das Bestehen enger persönlicher Bindungen ab, die sich in einer Reihe von Umständen - etwa dem Zusammenleben, der Länge der Beziehung oder der Geburt gemeinsamer Kinder - äußern können (vgl. VwGH 17.12.2019, Ro 2019/18/0006, mwN unter Verweis auf die Judikatur des EGMR). 15 Ausgehend davon, dass nach den - insoweit unbekämpft gebliebenen - Feststellungen des BVwG der Revisionswerber und seine nach islamischem Ritus angetraute Ehepartnerin nicht im gemeinsamen Haushalt leben, keine gemeinsamen Kinder haben und sie einander nur gelegentlich besuchen, wirft die Auffassung des BVwG, wonach fallbezogen kein Eingriff in das Familienleben vorliege, keine Rechtsfragen im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B-VG auf. 16 Soweit die Revision - abgesehen von dem Einwand, dass ein Eingriff in das Familienleben zu Unrecht verneint worden sei - auch die im Übrigen vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung rügt, ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 14.10.2019, Ra 2019/18/0396, mwN).

17 Die vom BVwG durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK ist nur dann vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifen, wenn das BVwG die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. wiederum VwGH 17.12.2019, Ro 2019/18/0006, mwN). 18 Im vorliegenden Fall berücksichtigte das BVwG den Aufenthalt des Revisionswerbers im Bundesgebiet seit drei Jahren und zehn Monaten, die fehlende Selbsterhaltungsfähigkeit, den Besuch eines Kurses zur Vorbereitung auf den Pflichtschulabschluss, freundschaftliche Kontakte zu österreichischen Staatsbürgern, die Beziehung zu einer in Österreich asylberechtigten afghanischen Staatsangehörigen sowie das Bewusstsein des Revisionswerbers betreffend seinen unsicheren Aufenthalt im Bundesgebiet und seine Bindungen zum Herkunftsstaat. Dass die unter Bedachtnahme auf die genannten Gesichtspunkte erfolgte Interessenabwägung gemessen am Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes zu beanstanden wäre, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.

19 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 11. März 2020

Schlagworte

Verwaltungsrecht Internationales Rechtsbeziehungen zum Ausland VwRallg12

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019180382.L00

Im RIS seit

19.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.05.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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