TE Vwgh Beschluss 2020/2/26 Ro 2019/20/0005

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Veröffentlicht am 26.02.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §12a
AsylG 2005 §12a Abs2
BFA-VG 2014 §22
B-VG Art133 Abs4
VwGG §25a Abs1
VwGG §28 Abs3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, die Hofräte Mag. Eder und Dr. Schwarz, die Hofrätin Mag. Schindler sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, in der Rechtssache der Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Mai 2019, W199 2170283-2/3E, betreffend Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nach dem AsylG 2005 und Zurückweisung einer Beschwerde (Mitbeteiligter: M K), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der aus dem Iran stammende Mitbeteiligte stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 4. August 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Er gab im Rahmen der Vernehmung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - auf das Wesentliche zusammengefasst - an, seit seiner Kindheit "mit seiner Religion Probleme gehabt" zu haben. Er habe schon in seiner Jugend "das Gefühl gehabt, dass" er "den Islam nicht mochte". Weiters räumte er ein, dass seine im Rahmen der Erstbefragung gemachten Angaben, wonach er im Heimatland wegen Blutrache verfolgt werde, gelogen gewesen seien.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 7. August 2017 ab, erteilte dem Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit Erkenntnis vom 1. Februar 2018 keine Folge gegeben. Das Verwaltungsgericht stufte das Vorbringen des Mitbeteiligten, er sei Atheist und ihm drohe wegen Abfalls vom Glauben im Heimatland Verfolgung, als unglaubwürdig ein.

4 Der (straffällig gewordene) Mitbeteiligte reiste in der Folge nach Deutschland, von wo aus er zunächst nach Frankreich und später nach Belgien weiterreiste. Am 3. September 2018 wurde er von der zuständigen belgischen Behörde gemäß der Dublin III-Verordnung nach Österreich rücküberstellt. Am selben Tag stellte er in Österreich einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen seiner Erstbefragung gab er über Befragen, inwiefern sich seine Fluchtgründe geändert hätten, an, er "habe keine Änderungen oder neue Situationen". Den Verwaltungsakten ist zudem zu entnehmen, dass der Mitbeteiligte am 15. August 2017 erkennungsdienstlich behandelt und dabei festgestellt worden war, dass er als besondere Merkmale an beiden Armen diverse Narben sowie ein Hautmal (Muttermal) aufweise. Dass der Mitbeteiligte an einem Arm eine Tätowierung tragen würde, ist nicht verzeichnet.

5 Im Rahmen seiner Vernehmung gab der Mitbeteiligte gegenüber dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 11. Oktober 2018 an, dass er deswegen einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, weil ihm die österreichischen Behörden gesagt hätten, dass er entweder einen Folgeantrag stellen könne oder in den Iran abgeschoben werde. Seine Fluchtgründe hätten sich nicht verändert. Es sei "alles unverändert geblieben". Wenn man im Iran sage, dass man Atheist sei, werde man getötet.

6 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den am 3. September 2018 gestellten Antrag des Mitbeteiligten mit Bescheid vom 28. November 2018 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei. Weiters wurde dem Mitbeteiligten aufgetragen, in einem näher bezeichneten Quartier in Traiskirchen Unterkunft zu nehmen. In Bezug auf den Antrag auf internationalen Schutz ging die Behörde davon aus, dass sich der entscheidungsmaßgebliche Sachverhalt seit dem rechtskräftigen Abschluss des ersten Asylverfahrens nicht geändert habe. Nach der Aktenlage wurde vom Mitbeteiligten gegen den Bescheid vom 28. November 2018 kein Rechtsmittel erhoben.

7 In der Folge hielt sich der Mitbeteiligte in Frankreich und ab Jänner 2019 in Großbritannien, wo er ebenfalls einen Asylantrag stellte, auf. Am 15. April 2019 wurde er von der zuständigen britischen Behörde gemäß der Dublin III-Verordnung nach Österreich überstellt. Noch am selben Tag stellte der Mitbeteiligte in Österreich seinen dritten Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen gab er bei der Erstbefragung an, seine alten Fluchtgründe aufrechtzuerhalten. Es habe sich nichts geändert.

Andere Fluchtgründe habe er nicht.

     8 Das Asylverfahren des Mitbeteiligten wurde vom Bundesamt

für Fremdenwesen und Asyl nicht zugelassen.

     9 Bei der Vernehmung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und

Asyl vom 9. Mai 2019 gab der Mitbeteiligte an, dass ihm gesagt worden sei, er werde in den Iran abgeschoben, wenn er keinen Asylantrag stelle. Er wolle auf gar keinen Fall in den Iran zurückkehren. Das sei der einzige Grund, warum er nochmals einen Asylantrag gestellt habe. Er habe keine neuen Fluchtgründe. Über Vorhalt, dass sich aus dem bisherigen Vorbringen kein neuer asylrelevanter Sachverhalt ergebe und beabsichtigt sei, den Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, gab der Mitbeteiligte abschließend an, dass er dann jederzeit abgeschoben werden könnte. Sobald (gemeint: im Heimatland) sein Tattoo am Oberarm gesehen werde, werde er eingesperrt und getötet werden. Er müsse kein Wort sagen. Das Tattoo sei Beweis genug. Sodann wird in der über die Vernehmung angefertigten Niederschrift angemerkt, dass der Mitbeteiligte ein Tattoo am Oberarm zeige, auf dem "Atheuos" stehe, was "Atheist" bedeute. Über Nachfragen gab der Mitbeteiligte ergänzend an, dass er die Tätowierung seit dem Jahr 2015 habe.

10 Mit dem im Anschluss an die Vernehmung mündlich verkündeten Bescheid vom 9. Mai 2019 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass der faktische Abschiebeschutz des Mitbeteiligten gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben werde. In Bezug auf den Antrag auf internationalen Schutz ging die Behörde davon aus, dass keine neuen Fluchtgründe geltend gemacht worden seien. Der entscheidungsmaßgebliche Sachverhalt habe sich seit Rechtskraft "des Vorverfahrens" nicht geändert. Es bestehe für den Fall der Abschiebung des Mitbeteiligten in sein Heimatland auch keine besondere Gefährdungssituation. Auf die Tätowierung des Mitbeteiligten ging die Behörde in der Begründung des Bescheides nicht ein.

11 Nach Verkündung des Bescheides wurde der Mitbeteiligte gefragt, ob er mit dieser Entscheidung einverstanden sei oder ob er dagegen Beschwerde erheben wolle. Er gab an, nicht einverstanden zu sein und Beschwerde zu erheben, wobei er zur Begründung auf sein im Zuge der zuvor stattgefundenen Vernehmung erstattetes Vorbringen verwies. Abschließend wurde dem Mitbeteiligten als Rechtsmittelbelehrung zur Kenntnis gebracht, dass die Verwaltungsakten unverzüglich von Amts wegen dem Bundesverwaltungsgericht zur Überprüfung übermittelt würden, dies als Beschwerde gelte, es dem Mitbeteiligten frei stehe, die Beschwerde jederzeit zu ergänzen, und "weiters die Verwaltungsakten auch aufgrund der" vom Mitbeteiligten "erhobenen und protokollierten Beschwerde" dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt würden.

12 Mit dem in Revision gezogenen Beschluss vom 15. Mai 2019 sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 nicht rechtmäßig sei und der mündlich verkündete Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl aufgehoben (Spruchpunkt A) 1.) sowie die Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen werde (Spruchpunkt A) 2.). Die Erhebung einer Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

13 In seiner Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht - soweit für das Revisionsverfahren wesentlich - aus, der Mitbeteiligte habe selbst erklärt, dass sich seine Fluchtgründe nicht geändert hätten. Zwar habe er auf ein Tattoo an seinem Oberarm verwiesen, dessen Schriftzug "Atheist" bedeute. Auf die Frage, seit wann er das Tattoo trage, habe er aber geantwortet, dass dies seit dem Jahr 2015 der Fall sei. Somit sei sein Vorbringen "von der Rechtskraft des Erkenntnisses vom 1.2.2018 erfasst". Die Lage im Herkunftsstaat habe sich nicht geändert. Dass dies der Fall wäre, habe der Mitbeteiligte auch nicht behauptet. Somit habe sich die Zurückweisung seines Antrages auf internationalen Schutz von vornherein deutlich abgezeichnet.

14 Allerdings habe der Mitbeteiligte im nunmehrigen Asylverfahren auf ein Tattoo hingewiesen und vorgebracht, aufgrund dessen als Atheist erkennbar gemacht und im Fall der Rückkehr in den Iran gefährdet zu sein. Damit habe sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl überhaupt nicht auseinandergesetzt. Es sei nicht ausgeschlossen, dass dem Mitbeteiligten wegen dieses Tattoos Verfolgung drohe, auch wenn er kein Atheist sei. Es sei aber auch denkbar, dass die iranischen Behörden in der Annahme, das Tattoo habe nur dem Zweck der Asylerlangung in einem anderen Staat gedient, darüber hinwegsehen würden. Es bedürfe daher weiterer Feststellungen; etwa auch dazu, in welcher Schrift der Schriftzug gehalten sei, ob die Kenntnis dieser Schrift im Iran verbreitet sei und was der Schriftzug tatsächlich bedeute. Dann aber könne nicht gesagt werden, es sei mit der im Verfahren zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes ausreichenden Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen, dass dem Mitbeteiligten im Iran eine Verletzung seiner durch Art. 2 und Art. 3 EMRK geschützten Rechte drohe.

15 Da aber im Grunde der Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen sei, bestehe durch die hier gewählte Auslegung ein Spannungsverhältnis zwischen Z 2 und Z 3 des § 12a Abs. 2 AsylG 2005. Bestehe eine Rückkehrentscheidung, so sei der Asylantrag nur dann voraussichtlich nicht zurückzuweisen, wenn der Mitbeteiligte im Herkunftsstaat nicht gefährdet sei. Dabei sei die Behörde an die Einschätzung der Gefährdung, die im Rahmen des vorherigen Verfahrens ergangen sei, gebunden. Verneine man aber eine Bindung im Fall des Fehlens einer Änderung des Sachverhaltes, hätte die Z 3 des § 12a Abs. 2 AsylG 2005 keinen Anwendungsbereich. Es könne aber dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden, er hätte Überflüssiges normiert. Schließe man eine mögliche Gefährdung nicht aus, bleibe offen, wie dieser Gefährdung, so sie sich nach den vorzunehmenden Ermittlungen als relevant erweisen sollte, bei der Entscheidung über den Folgeantrag Rechnung getragen werden könnte. Die mit der Zurückweisung eines Asylantrages wegen entschiedener Sache zu verbindenden Aussprüche hätten nämlich keinen Bezug zu asylrelevanten Gefährdungen.

16 Soweit der Mitbeteiligte (neben der schon mit der Aktenvorlage gesetzlich als erhoben geltenden Beschwerde auch) selbst Beschwerde erhoben habe, sei dies - so das Bundesverwaltungsgericht in seiner Begründung zur Beschwerdezurückweisung - nach dem Gesetz nicht zulässig. Der Verfassungsgerichtshof habe in seinem Erkenntnis vom 10. Oktober 2018, G 186/2018, keine Bedenken dagegen gehabt, dass dem vom Bescheid betroffenen Fremden kein eigenes Beschwerderecht zugestanden werde, sondern die Erhebung einer Beschwerde gesetzlich fingiert werde.

17 Abschließend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Verwaltungsgerichtshof habe sich zur oben dargestellten, sich bei der Entscheidung über die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes darbietenden Problematik noch nicht geäußert, weshalb die Revision zuzulassen gewesen sei.

18 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Gemäß Art. 133 Abs. 9 erster Satz B-VG sind auf die Beschlüsse der Verwaltungsgerichte die für ihre Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Artikels sinngemäß anzuwenden.

19 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

20 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seiner Entscheidung auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

21 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat ein Revisionswerber auch bei Erhebung einer ordentlichen Revision von sich aus die Zulässigkeit der Revision (gesondert) darzulegen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht, oder er eine andere Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet. Die vom Verwaltungsgerichtshof vorzunehmende Kontrolle einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung stützt sich für außerordentliche und ordentliche Revisionen in gleicher Weise jeweils auf eine gesonderte Darlegung der Zulässigkeitsvoraussetzun gen einer Revision (vgl. etwa VwGH 21.11.2019, Ro 2018/10/0022 bis 0027, mwN).

22 Die Zulässigkeit der Revision setzt voraus, dass das Schicksal der Revision von der geltend gemachten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Zur Lösung abstrakter Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof aufgrund von Revisionen nicht zuständig (vgl. auch dazu VwGH Ro 2018/10/0022 bis 0027, mwN).

23 Ausgehend von dieser Rechtslage erweist sich die vorliegende Revision als unzulässig.

24 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl schließt sich in der Revision zunächst der Begründung des Bundesverwaltungsgerichts für die Zulässigkeit derselben an. Weiters legt die revisionswerbende Behörde des Näheren dar, weshalb sie von einem Gleichklang der Entscheidungen nach § 8 AsylG 2005 und § 52 Abs. 9 Fremdenpolizeigesetz 2005 ausgeht, was ebenso wie die Rechtskraft früherer nach diesen Bestimmungen ergangener Entscheidungen bei der Beurteilung einer allfälligen Gefährdung im Falle der Rückführung in das Heimatland und somit bei der Frage der Zulässigkeit der Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes zu berücksichtigen sei.

25 Bei ihren Erwägungen zur Zulässigkeit der Revision legen aber sowohl das Bundesverwaltungsgericht als auch die revisionswerbende Behörde eine Prämisse zugrunde, die sich als nicht zutreffend darstellt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl geht in der Revision davon aus, der hier in Rede stehende Antrag des Mitbeteiligten werde jedenfalls zurückzuweisen sein. Dabei handelt es sich jedoch um eine aus der angefochtenen Entscheidung gezogene Schlussfolgerung, die von den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht gedeckt ist. Das Verwaltungsgericht hat nämlich zur von ihm selbst als maßgeblich erachteten Frage, ob allein die Existenz der Tätowierung zu einer Verfolgung des Mitbeteiligten im Herkunftsstaat führen könnte, - wie schon zuvor das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - keine Feststellungen getroffen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht die Aufhebung des Bescheides gerade darauf gestützt, dass sich die Behörde unter Außerachtlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit mit diesem Vorbringen überhaupt nicht befasst hat. Dieser Feststellungsmangel umfasste aber auch die Frage des Zeitpunkts des Entstehens der Tätowierung. Wenngleich das Bundesverwaltungsgericht der Sache nach anklingen lässt, insoweit könnten die Angaben des Mitbeteiligten den Tatsachen entsprechen, ändert dies letztlich nichts daran, dass auch insoweit unzweifelhaft getroffene Feststellungen, die einer rechtlichen Beurteilung unterzogen werden könnten, fehlen. Dies gilt umso mehr, als es in den Verwaltungsakten konkrete Hinweise dafür gibt, dass die fragliche Tätowierung am Arm des Mitbeteiligten zur Zeit der letzten inhaltlichen Entscheidung über sein Asylbegehren noch nicht vorhanden war. Der Mitbeteiligte hat nämlich anlässlich der früher gestellten Anträge auf internationalen Schutz von der Existenz einer Tätowierung, aufgrund derer er allein schon Verfolgung ausgesetzt sein könnte, nichts erwähnt, obgleich derartiges zu erwarten gewesen wäre, hätte er die Tätowierung damals bereits getragen. Auch im Rahmen der im August 2017 erfolgten erkennungsdienstlichen Behandlung ist eine Tätowierung an einem Arm offenkundig nicht zu Tage getreten, obwohl die an beiden Armen vorhandenen Narben und Muttermale - nicht aber eine Tätowierung - dabei registriert wurden, was wiederum zwingend voraussetzt, dass beide Arme des Mitbeteiligten näher besichtigt worden waren.

26 Vor dem Hintergrund des Fehlens jeglicher Feststellungen zum auf die Tätowierung Bezug nehmenden Vorbringen des Mitbeteiligten vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Rechtswidrigkeit behaftet wäre.

27 Im Rahmen der bei der Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes vorzunehmenden Grobprüfung soll die Ergänzung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht die Ausnahme bleiben (vgl. dazu VwGH 12.12.2018, Ra 2018/19/0010, Rn. 38). In der Revision wird die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hätte dazu überhaupt keine Ermittlungen vorgenommen, nicht bekämpft. Ohne entsprechende (umfassende) Feststellungen ist aber im vorliegenden Fall - anders als es das Bundesverwaltungsgericht und die revisionswerbende Behörde vor Augen haben - die in der Revision angesprochene rechtliche Beurteilung (bei der im Übrigen zudem auch auf § 3 Abs. 2 AsylG 2005 Bedacht zu nehmen wäre, weshalb auch insoweit dem Zeitpunkt des Entstehens der Tätowierung Bedeutung zukommt, vgl. zur Beachtlichkeit von § 3 Abs. 2 AsylG 2005 auch im Verfahren betreffend Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes VwGH 27.5.2019, Ra 2018/14/0292) nicht möglich. Die vom Bundesverwaltungsgericht und in der Revision als grundsätzlich erachtete Rechtsfrage stellt sich somit im hier gegebenen Stadium des Verfahrens (noch) nicht, sodass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Lösung einer vom Sachverhalt losgelösten abstrakten Rechtsfrage einfordert. Dann aber hängt die Revision von dieser Frage nicht im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ab, sodass mit den darauf Bezug nehmenden Ausführungen ihre Zulässigkeit nicht begründet werden kann.

28 Soweit die Revision die Zurückweisung der vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde betrifft (dass der insoweit missverständlich formulierte Spruchpunkt A) 2. nur diese Beschwerde, nicht aber auch die schon von Gesetzes wegen als erhoben geltende Beschwerde betrifft, ist anhand der Begründung evident, und davon geht auch die revisionswerbende Behörde aus), wird von der Behörde zur Zulässigkeit vorgebracht, dass zwar das Gesetz das Vorliegen einer Beschwerde mit der Aktenvorlage fingiere. Dabei handle es sich aber um eine Parteibeschwerde, sodass die vom Mitbeteiligten selbst erhobene Beschwerde als Beschwerdeergänzung zu werten sei. Daher sei die vom Bundesverwaltungsgericht ausgesprochene Zurückweisung der Beschwerde verfehlt.

29 Auch diesem Vorbringen liegt eine Prämisse zugrunde, die sich den vorgelegten Verfahrensakten so nicht entnehmen lässt. Es trifft zwar zu, dass es einem von der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betroffenen Fremden freisteht, im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ergänzende Ausführungen zu machen (vgl. nochmals VwGH Ra 2018/19/0010, Rn. 34, mwN). Jedoch sind im vorliegenden Fall solche ergänzenden Ausführungen, die als Beschwerdeergänzung zu werten gewesen wären, den Verfahrensakten nicht zu entnehmen. Vielmehr ging auch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - wie der Niederschrift vom 9. Mai 2019 zu entnehmen ist - nach der Bekanntgabe des Mitbeteiligten, eine Beschwerde zu erheben, selbst davon aus, dass es sich dabei um eine weitere, separat vom Mitbeteiligten erhobene Beschwerde neben der vom Gesetz fingierten Beschwerde gehandelt habe. Vor dem Hintergrund, dass der Mitbeteiligte zur Begründung seiner selbst erhobenen Beschwerde nur unsubstantiiert auf seine vor Bescheiderlassung getätigten Angaben verwiesen hat, ist die im Ergebnis vertretene Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, im hier gegenständlichen Einzelfall liege keine als Beschwerdeergänzung zu wertende Prozesshandlung des Mitbeteiligten vor, jedenfalls als nicht unvertretbar anzusehen.

30 Somit wird weder in der Zulassungsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts noch in der Revision eine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 3 VwGG - in einem nach § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - zurückzuweisen.

31 Für das weitere Verfahren wird zudem auf die Ausführungen im Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Dezember 2019, Ro 2019/14/0006 (EU 2019/0008), hingewiesen.

Wien, am 26. Februar 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RO2019200005.J00

Im RIS seit

30.04.2020

Zuletzt aktualisiert am

30.04.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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