TE Vwgh Beschluss 2020/2/13 Ra 2019/19/0396

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Veröffentlicht am 13.02.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §58 Abs2
AVG §60
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §29

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens und den Hofrat Dr. Pürgy sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des S G M alias S M in R, vertreten durch Mag. Stephanie Psick-Göls, Rechtsanwältin in 3100 St. Pölten, Domgasse 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Jänner 2019, Zl. L521 2147872/25E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Spruch

Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Irak und Angehöriger der sunnitischen Glaubensrichtung, stellte am 1. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, der "Islamische Staat"("IS") habe seine Heimatstadt Kirkuk erobert und er sei deswegen geflohen. Frauen, Kinder und Familien seien reihenweise getötet worden. Aufgrund der Tätigkeit eines seiner Brüder als Polizist sei auch er bedroht worden. Der Revisionswerber habe Drohbriefe bekommen und sei ebenso mündlich vom "Islamischen Staat" angesprochen und bedroht worden.

2 Mit Bescheid vom 30. Jänner 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in den Irak zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

3 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber am 13. Februar 2017 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG), das diese nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet abwies. Die Revision wurde für unzulässig erklärt.

4 Begründend führte es aus, dass für den Revisionswerber im Irak keine aktuelle, unmittelbare und konkrete Gefahr einer Verfolgung aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Grund gegeben sei. Der Revisionswerber habe eine individuelle Bedrohungssituation vor der Ausreise aufgrund mehrerer Widersprüche nicht glaubhaft machen können. Es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass dem Revisionswerber eine über die allgemeinen Gefahren der im Irak gebietsweise herrschenden bürgerkriegsähnlichen Situation hinausgehende Gruppenverfolgung drohe. Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Revisionswerber als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, seien nicht hervorgekommen. Anschläge durch die Milizen des Islamischen Staates in der Provinz Kirkuk, die zu kurzzeitigen Militäroperationen führten, seien nicht auszuschließen. Der Revisionswerber würde im Fall einer Rückkehr allerdings in die seit Oktober 2017 unter der stabilen Kontrolle der irakischen Sicherheitskräfte stehende Stadt Kirkuk zurückkehren können. Er wäre deshalb nicht gezwungen, in ein umkämpftes Gebiet zurückzukehren, sodass er nicht als Zivilperson von Kampfhandlungen betroffen wäre.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vorbringt, das BVwG habe sich nicht ausreichend mit der Sicherheitslage in Kirkuk auseinandergesetzt und seine eigenen diesbezüglichen Feststellungen nicht berücksichtigt. Weiters bekämpft sie die Beweiswürdigung im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, erwogen:

7 Die Revision ist teilweise zulässig und berechtigt. Zu I.:

8 Insoweit sich die Revision gegen die Beweiswürdigung betreffend die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten wendet, ist darauf zu verweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0712 bis 0715, mwN). Das Bundesverwaltungsgericht ist nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Bezugnahme auf Widersprüche in den Aussagen des Revisionswerbers zur Auffassung gelangt, dass er eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft machen konnte. Der Revision gelingt es mit ihrem Vorbringen nicht, eine Unvertretbarkeit dieser Beweiswürdigung aufzuzeigen und damit um die Zulässigkeit der Revision begründende Abweichung von der hg. Rechtsprechung darzulegen.

Zu II.:

9 Im Recht ist die Revision allerdings damit, dass sich das BVwG nicht ausreichend mit der Sicherheitslage in Kirkuk auseinandergesetzt hat.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 26.3.2019, Ra 2018/19/0684, mwN).

11 Das BVwG trifft Feststellungen zur Sicherheitslage im Irak, wonach der Nord- und Zentralirak, obgleich nicht mehr unter der Kontrolle des "IS", auch nicht unter fester staatlicher Kontrolle stehe. Unter anderem in der Provinz Kirkuk, wo weiterhin mit terroristischen Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem "IS" und irakischen Sicherheitskräften gerechnet werden müsse, befänden sich die Rückzugsorte des "IS"; aus der eigens eingeholten Accord-Anfrage zur Sicherheitslage in Kirkuk vom 13. August 2018 ergibt sich, dass davon auch die Stadt Kirkuk betroffen und die Aussicht auf die Entwicklung der Sicherheitslage in Kirkuk aufgrund des Fehlens einer durchgehenden Präsenz irakischer Sicherheitskräfte schlecht sei. Im Widerspruch dazu stellt das BVwG an anderer Stelle fest, dass die Stadt Kirkuk unter der stabilen Kontrolle der irakischen Sicherheitskräfte stehen würde. Weiters stellt das BVwG fest, die sicherheitsrelevanten Vorfälle in der Provinz Kirkuk würden starken Schwankungen und regionalen Unterschieden unterliegen. Anschläge wechselten sich mit Militäroperationen ab, welchen der "IS" ausweichen würde. Besonders Kirkuk Stadt, der Distrikt Hawija und die Verkehrsrouten seien Schauplätze von Anschlägen. Im Gegensatz dazu führt das BVwG aus, dass der Revisionswerber nicht gezwungen sei, in ein umkämpftes Gebiet zurückzukehren, sodass er nicht als Zivilperson von Kampfhandlungen betroffen wäre. Das BVwG setzt sich auch nur selektiv mit der eingeholten Accord-Anfrage zur Sicherheitslage in Kirkuk vom 13. August 2018 auseinander. Die Revision zeigt zutreffend diese Begründungsmängel auf, denen die Relevanz - wie die Revision darlegt - auch nicht von vorneherein abgesprochen werden kann.

12 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben. 13 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 13. Februar 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190396.L00

Im RIS seit

07.04.2020

Zuletzt aktualisiert am

07.04.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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