TE Vwgh Erkenntnis 2020/2/19 Ra 2019/14/0509

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Veröffentlicht am 19.02.2020
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Index

E1P
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §21 Abs7
MRK Art6
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGG §63 Abs1
VwGVG 2014 §24
VwGVG 2014 §25 Abs7
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel, den Hofrat Dr. Himberger und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, über die Revision des X Y in Z, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. September 2019, W218 2161660-1/29E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung zugehöriger Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 2. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und gab zu dessen Begründung im Wesentlichen an, er sei im Jahr 2015 aus seiner Heimat geflohen, weil die Taliban sein Dorf erobert hätten und die dortige Lage für Hazara schlechter geworden sei.

2 Mit Bescheid vom 14. April 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als jenes des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Afghanistan fest und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Der dagegen erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) im ersten Rechtsgang - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - durch die Leiterin der Gerichtsabteilung I420 mit Erkenntnis vom 2. Februar 2018 teilweise Folge, erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zu, erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung und behob die weiteren Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides (Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Rückkehrentscheidung, Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung, Festlegung der Frist für die freiwillige Ausreise) ersatzlos.

4 Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Mai 2018, Ra 2018/20/0146, wurde dieses Erkenntnis des BVwG, soweit es der Beschwerde des Revisionswerbers Folge gab, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Die Abweisung des Antrags hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten erwuchs hingegen in Rechtskraft.

5 Die damit beim BVwG wieder anhängige Rechtssache wurde der Leiterin der Gerichtsabteilung I420 mit Verfügung des Geschäftsverteilungssausschusses des BVwG vom 4. Juni 2019 abgenommen und in der Folge der Leiterin der Gerichtsabteilung W218 zugewiesen.

6 Im zweiten Rechtsgang wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers - ohne Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung - durch die Leiterin der Gerichtsabteilung W218 mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 9. September 2019, W218 2161660-1/29E, als unbegründet ab. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.

7 Der Revisionswerber erhob gegen das Erkenntnis des BVwG Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 27. November 2019, E 3553/2019-8, ablehnte und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

8 Die nunmehr zu behandelnde Revision gegen das Erkenntnis des BVwG bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG sei von jener Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, wonach der persönliche Eindruck des Beschwerdeführers bei der Beurteilung integrationsbegründender Umstände besonders relevant sei sowie bei einem Richterwechsel nach Aufhebung eines verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses sowie bei geändertem Sachverhalt - insbesondere dem Einbringen neuer Länderberichte - eine weitere mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen sei. Die Interessenabwägung nach § 9 Abs. 2 BFA-VG habe in Widerspruch zur höchstgerichtlichen Rechtsprechung seine berufliche Integration nicht berücksichtigt. Hinsichtlich einzelner Feststellungen habe das BVwG den Anforderungen an die Begründung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen nicht entsprochen.

9 Die belangte Behörde hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 Die Revision ist auf Grund der von ihr aufgezeigten Abweichung des angefochtenen Erkenntnisses von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht nach Richterwechsel zulässig und begründet.

11 Die §§ 24 und 25 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 57/2018, lauten auszugsweise:

"Verhandlung

§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

     (2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn

1.      der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende

Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder

bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde

angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung

unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt

für rechtswidrig zu erklären ist oder

2.      die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist;

3.      wenn die Rechtssache durch einen Rechtspfleger erledigt

wird.

(3) ...

(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.

(5) Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Öffentlichkeit der Verhandlung und Beweisaufnahme

§ 25. (1) bis (6c) ...

(7) Das Erkenntnis kann nur von denjenigen Mitgliedern des Verwaltungsgerichtes gefällt werden, die an der Verhandlung teilgenommen haben. Ändert sich die Zusammensetzung des Senates oder wurde die Rechtssache einem anderen Richter zugewiesen, ist die Verhandlung zu wiederholen. Bei Fällung des Erkenntnisses ist nur auf das Rücksicht zu nehmen, was in dieser Verhandlung vorgekommen ist.

(8) ..."

12 § 21 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 145/2017, lautet auszugweise:

"Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht

§ 21. (1) bis (6a)...

(7) Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG."

13 Beantragt ein Beschwerdeführer - wie hier vorliegend - die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, so ist gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG eine solche durchzuführen, es sei denn, andere Vorschriften ermächtigen das Verwaltungsgericht dazu, davon trotz des Antrages abzusehen. Für den Anwendungsbereich der vom BFA-VG erfassten Verfahren enthält § 21 Abs. 7 BFA-VG eigene Regelungen, wann - auch: trotz Vorliegens eines Antrages - von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden kann, welche die bloß als subsidiär anwendbar ausgestaltete Norm des § 24 Abs. 4 VwGVG verdrängen. Lediglich "im Übrigen" sollen die Regelungen des § 24 VwGVG anwendbar bleiben (VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 00018; 18.5.2017, Ra 2017/20/0118).

14 Eine Begründung dafür, dass im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 21 Abs. 7 BFA-VG vorgelegen wären (vgl. dazu im Einzelnen wiederum VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 00018), enthält das angefochtene Erkenntnis nicht. Im Hinblick darauf, dass das BVwG seinen aktualisierten Feststellungen im Vergleich zum Bescheid jüngere Länderberichte zu Grunde gelegt hat, waren diese auch nicht gegeben. Überdies hat sich das BVwG in der Beweiswürdigung ausdrücklich auf die Ergebnisse der im ersten Rechtsgang durchgeführten mündlichen Verhandlung gestützt. 15 Ausgehend von der somit gebotenen Durchführung einer mündlichen Verhandlung sind auch die Vorschriften zu deren Durchführung in den §§ 24 und 25 VwGVG - soweit etwa das BFA-VG keine Abweichungen vorsieht - zu beachten. Dazu gehört die unmissverständliche Anordnung des § 25 Abs. 7 VwGVG, wonach bei Zuweisung der Rechtssache an einen anderen Richter die Verhandlung zu wiederholen ist. Sonderbestimmungen dazu enthält das BFA-VG nicht.

16 Es liegt nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf ein Erkenntnis (oder einen Beschluss) eines Verwaltungsgerichtes eine Rechtswidrigkeit vor, wenn das Verwaltungsgericht entgegen der Bestimmung des § 25 Abs. 7 zweiter Satz VwGVG trotz geänderter Zusammensetzung des Senates oder Zuweisung an einen anderen Einzelrichter die Verhandlung nicht wiederholt hat. Dies gilt auch für den Fall der neuerlichen Durchführung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nach einem aufhebenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 2.8.2018, Ra 2018/05/0048; 20.11.2015, Ra 2015/02/0140, je mwN).

17 Durch die Unterlassung der gebotenen Wiederholung der Verhandlung hat das BVwG die bestehende Verhandlungspflicht missachtet. Eine solche Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des - wie hier gegeben - Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (VwGH 1.3.2018, Ra 2017/19/0410, mwN). Dies gilt auch in jenen Fall, in dem gegen die Anordnung des § 25 Abs. 7 VwGVG, wonach die Verhandlung zu wiederholen ist, wenn sich die Zusammensetzung des Senates ändert oder die Rechtssache einem anderen Richter zugewiesen wurde, verstoßen wird (vgl. die, wenngleich in Bezug auf ein Verwaltungsstrafverfahren - jedoch dort im Rahmen der Prüfung, ob die hier gegenständliche Vorschrift auch in solchen Verfahren Anwendung zu finden hat - getätigten, allgemeinen Ausführungen zu § 25 Abs. 7 zweiter Satz VwGVG, VwGH 26.4.2019, Ra 2018/02/0260). 18 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben, ohne dass auf das übrige Vorbringen in der Revision einzugehen war.

19 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 19. Februar 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019140509.L00

Im RIS seit

07.04.2020

Zuletzt aktualisiert am

07.04.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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