TE Vwgh Erkenntnis 1998/5/29 96/02/0314

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Veröffentlicht am 29.05.1998
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §37;
StVO 1960 §29b Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde des K in Wien, vertreten durch Dr. Klaus Burka, Rechtsanwalt in Wien V, Hamburgerstraße 10/9, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 14. November 1995, Zl. MA 65 - BH/27/95, betreffend Verweigerung eines Ausweises nach § 29b Abs. 4 StVO, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 14. November 1995 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Ausweises für dauernd stark gehbehinderte Personen gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 29b Abs. 4 StVO abgewiesen.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde u.a. aus, der Beschwerdeführer habe die Ausstellung eines Ausweises wegen dauernder schwerer Gehbehinderung "nach dilativer Cardiomyopathie und Residuen nach Kleinhirninsult links" beantragt. Gemäß dem amtsärztlichen Gutachten vom 24. April 1995 liege jedoch eine solche Gehbehinderung nicht vor, weil die Untersuchung vom 3. Februar 1995 folgendes Ergebnis erbracht habe:

"Gang auf ebenem Boden mit Gehstock und Nachziehen der linken UE, aber ausreichend sicher möglich."

Dementsprechend habe die Behörde erster Instanz das Ansuchen abgewiesen. Der gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung habe der Beschwerdeführer drei ärztliche Befunde beigelegt und u.a. ausgeführt, er sei infolge seines schweren Herzleidens und der seit seinem Schlaganfall bestehenden Gleichgewichtsstörungen nicht in der Lage, längere Wegstrecken mit oder ohne Stock zurückzulegen. Da für seine Behinderung nicht sein orthopädischer Zustand, sondern sein neurologischer und kardiologischer Status maßgebend sei, könne seine Gehfähigkeit nur "von Fachärzten dieser Disziplinen", nicht aber von einem Orthopäden festgestellt werden.

In "Stattgebung dieses Antrages" sei der Beschwerdeführer vom Gesundheitsamt (MA 15) zu der von ihm geforderten "neurologischen Zusatzuntersuchung" für den 17. Oktober 1995 eingeladen worden. Wie der Beschwerdeführer jedoch am 19. September 1995 (gegenüber einem Bediensteten der MA 15) telefonisch mitgeteilt habe, wolle er sich "keiner fachärztlichen (neurologischen) Untersuchung" unterziehen.

Aus diesem Grunde hätten sich für den amtsärztlichen Sachverständigen der MA 15 keine neuen Aspekte ergeben, die eine "Kalküländerung" rechtfertigen würden.

Mit dieser Verweigerung sei der Beschwerdeführer seiner Mitwirkung an der Sachverhaltsfeststellung bezüglich einer in der Berufung ausgeführten Argumentation "nicht dienlich" gewesen. Er habe damit selbst die Möglichkeit, durch eine fachärztliche Untersuchung zu einer anderen "Kalkülerstellung" zu gelangen, vereitelt, zumal er auch keine anderen und neuen Gutachten vorgelegt habe, welche seine Argumentation stützen hätte können. Die belangte Behörde habe daher nur auf das bisherige Ermittlungsverfahren und die drei vorgelegten Befunde, welche jedoch nichts Neues ergeben hätten, zurückgreifen können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Gemäß § 29b Abs. 4 erster Satz StVO hat die Behörde Personen, die dauernd stark gehbehindert sind, auf deren Ersuchen einen Ausweis über diesen Umstand auszufolgen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei Auslegung des Gesetzesbegriffes der starken Gehbehinderung im Sinne des § 29b Abs. 4 StVO darauf abzustellen, ob eine Person in einer als Gehen zu qualifizierenden Weise ohne Aufwendung von überdurchschnittlicher Kraftanstrengung und ohne große Schmerzen eine bestimmte Wegstrecke zurücklegen kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. März 1996, Zl. 95/02/0284).

Der Beschwerdeführer bringt u.a. vor, daß Anfechtungspunkt der Berufung sowohl die kardiologische als auch die neurologische Situation unter Vorlage von (ergänzenden) Beweismitteln gewesen sei. Es wäre selbst bei "wirklicher Weigerung" der Untersuchung durch einen neurologischen Sachverständigen jedenfalls jene durch einen Internisten zu veranlassen gewesen.

Der Beschwerdeführer habe in seiner Berufung zum Beweis seines Vorbringens, daß der "kardiologische Status" seine Gehfähigkeit ausschließe, einen kardiologischen Befund vorgelegt, aus dem sich eine weit fortgeschrittene "dilative Cardiomyopathie mit hochgradiger Reduktion der globalen li. ventrikulären Pumpfunktion, Dilatation bd. Ventrikel und bd. Vorhöfe und eine pulmonale Hypertension" ergebe. Es wäre daher, weil eindeutig als Anfechtungspunkt diese Herzsituation und diese Herzerkrankung geltend gemacht worden sei, die Beiziehung eines Facharztes aus dem Fachgebiet der "Internen Medizin", eines Herzspezialisten, notwendig gewesen, weil nur ein solcher Facharzt eine entsprechende Beurteilung vornehmen hätte können, ob und inwieweit durch diese Herzerkrankung die Gehfähigkeit stark eingeschränkt sei.

Die Berufungsbehörde habe aber in dieser Richtung überhaupt kein Beweisverfahren durchgeführt und auch im angefochtenen Bescheid in keiner Weise begründet, warum sie bei angenommener Verweigerung einer Untersuchung durch einen Facharzt für Neurologie nicht diese Untersuchung durch einen Facharzt für Innere Medizin vornehmen habe lassen.

Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung klar und übersichtlich zusammenzufassen.

Wie aus der Berufung des Beschwerdeführers unmißverständlich hervorgegangen ist, wies dieser ausdrücklich auf sein "schweres Herzleiden" und die seit seinem "Schlaganfall bestehenden Gleichgewichtsstörungen" unter Vorlage ergänzender medizinischer Befunde vom SMZ-Ost/Donauspital aus dem Jahre 1995 hin. Der Beschwerdeführer begehrte aber nicht nur eine ergänzende neurologische, sondern erkennbar auch eine ergänzende Untersuchung durch einen Facharzt aus dem Bereich "Innere Medizin".

Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ist zu ersehen, daß etwa eine ergänzende Untersuchung des Beschwerdeführers oder Begutachtung der Befunde durch einen Facharzt aus dem Bereich der Inneren Medizin nicht durchgeführt wurde.

Es findet sich im Verwaltungsakt jedoch ein Schreiben der MA 15, Dezernat IV/Referat 7, "Orthopädische Angelegenheiten, Körperbehindertenbetreuung" vom 6. Oktober 1995, in der darüber berichtet wird, daß der Beschwerdeführer die ergänzende "neurologische Zusatzuntersuchung ... nunmehr" ablehne und sich "keine neuen Aspekte, die eine Kalküländerung rechtfertigen würden", ergebe.

Weder dieses Schreiben vom 6. Oktober 1995 noch ein ergänzender Aktenvermerk des Referates IV/6 dieser Dienststelle vom 20. September 1995 über die telefonische Mitteilung des Beschwerdeführers vom 19. September 1995, daß dieser den für 17. Oktober 1995, 12.30 Uhr vorgeschlagenen Termin "nicht wahrnehmen wolle" und er sich "also keiner fachärztlichen (neurologischen) Untersuchung unterziehen wolle", wurden dem Beschwerdeführer im Zuge eines Parteiengehörs vorgehalten. Dabei hätte jedoch geklärt werden können, ob die Mitteilung des Beschwerdeführers tatsächlich eine gänzliche Verweigerung in bezug auf die "neurologische" Zusatzuntersuchung zum Inhalt hatte, was vom Beschwerdeführer in der Beschwerde entschieden in Abrede gestellt wird.

Die belangte Behörde geht im angefochtenen Bescheid hinsichtlich des Verfahrens nach § 29b Abs. 4 StVO zutreffend von einer Mitwirkungspflicht der antragstellenden Partei aufgrund der durch medizinische Untersuchungen anzustellenden Ermittlungen zur Frage des Vorliegens einer dauernd starken Gehbehinderung aus.

Die Verweigerung einer solchen Mitwirkung an der Feststellung des Sachverhaltes, insbesondere sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, ist nur dann berechtigt, wenn hiefür ausreichende Gründe vorliegen und dem Antragsteller der Nachweis gelingt, daß die Anordnung dieser Untersuchung den Bestimmungen des § 39 Abs. 2 AVG widerstreitet, also daß sie unbegründet angeordnet ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 1986, Zl. 86/03/0044).

Auch wenn nach Ansicht der belangten Behörde aus der telefonischen Mitteilung des Beschwerdeführers an die für die ärztliche Untersuchung zuständige Stelle beim Magistrat der Stadt Wien abzuleiten sein sollte, der Beschwerdeführer habe die "neurologische Zusatzuntersuchung" abgelehnt, kann daraus allein noch nichts für die gleichfalls vom Beschwerdeführer geforderte ergänzende Untersuchung durch einen Facharzt aus dem Bereich Innere Medizin ("Herzspezialist") abgeleitet werden. Insbesondere ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht zu ersehen, ob nicht bereits die im Berufungsverfahren vorgelegten ergänzenden Befunde über den gesundheitlichen Zustand des Beschwerdeführers aufgrund seines Herzleidens für sich allein bereits zu einer positiven Beurteilung im Sinne des § 29b Abs. 4 StVO führen hätten können. Es geht aus den vorgelegten Verwaltungsakten nicht hervor, daß die belangte Behörde im Zuge des Berufungsverfahrens zu den ergänzend vorgelegten Befunden eine ergänzende gutachtliche Stellungnahme von kompetenter medizinischer Stelle (etwa aus dem Fachbereich Innere Medizin) eingeholt und dem erforderlichen Parteiengehör unterzogen hätte. Der Beschwerdeführer konnte jedenfalls die nicht dem Parteiengehör unterzogene Stellungnahme der nach eigener Bezeichnung für "orthopädische Angelegenheiten und Körperbehindertenbetreuung" zuständigen Stelle des Magistrates der Stadt Wien vom 6. Oktober 1995, die ohne nachvollziehbare nähere fachliche Begründung zu dem Ergebnis kommt, es hätten sich "keine neuen Aspekte (ergeben), die eine Kalküländerung rechtfertigen würden", nicht kennen. Es war ihm daher erst im Zuge des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens möglich, zu dieser für den angefochtenen Bescheid maßgeblichen Äußerung Stellung zu nehmen und die mangelnde Schlüssigkeit derselben aufzuzeigen.

Auch ist für den Verwaltungsgerichtshof aufgrund der Ermittlungsergebnisse des Berufungsverfahrens nicht nachvollziehbar, weshalb es - selbst unter Annahme einer Verweigerung der "neurologischen Zusatzuntersuchung" - nur auf diese Untersuchung allein für die zu prüfende Frage der dauernd starken Gehbehinderung des Beschwerdeführers angekommen wäre, fehlt doch dem angefochtenen Bescheid auch hiefür jegliche Begründung.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Vermeidung der aufgezeigten Verfahrensmängel zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war dieser wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996020314.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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