TE Vwgh Erkenntnis 2020/2/20 Ra 2019/08/0109

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Veröffentlicht am 20.02.2020
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Index

32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag
50/01 Gewerbeordnung
62 Arbeitsmarktverwaltung
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze

Norm

AlVG 1977 §12 Abs3 litb
AlVG 1977 §12 Abs6 litc
AlVG 1977 §36a Abs2
AlVG 1977 §36a Abs5 Z1
AlVG 1977 §36a Abs7
EStG 1988 §23
GewO 1994 §1 Abs2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision des C E in W, vertreten durch Dr. Ingo Riß, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Gußhausstraße 14, Top 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Mai 2019, W198 2191847-1/16E, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien, Schönbrunner Straße), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 26. September 2017 sprach das Arbeitsmarktservice Wien, Schönbrunner Straße (in der Folge: AMS) aus, dass die Zuerkennung der Notstandshilfe an den Revisionswerber für die Zeit von 1. Jänner 2015 bis 28. Februar 2015 gemäß § 24 Abs. 2 AlVG widerrufen und der Revisionswerber gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zur Rückzahlung der in dieser Zeit bezogenen Notstandshilfe in Höhe von EUR 1.309,21 verpflichtet werde. Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das AMS mit Beschwerdevorentscheidung vom 6. Dezember 2017 ab.

2 Das AMS führte begründend aus, der Revisionswerber sei im Jänner und Februar 2015 einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen und habe ein Einkommen erzielt, das die Grenze der Geringfügigkeit nach § 5 Abs. 2 ASVG überstiegen habe. 3 Der Revisionswerber stellte einen Vorlageantrag. Er beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und brachte insbesondere vor, er sei entgegen den Feststellungen des AMS nicht nur im Zeitraum von 1. Jänner 2015 bis 28. Februar 2015, sondern im ganzen Jahr 2015 selbstständig erwerbstätig gewesen. Er habe über das Jahr verteilt Entgelte für Leistungen von verschiedenen Auftraggebern erhalten, wobei diese Einkünfte sich nicht nur aus der aufgrund seiner Gewerbeberechtigung ausgeübten Tätigkeit ergeben hätten. Sein Einkommen von EUR 3.109,21 sei daher auf das gesamte Jahr 2015 aufzuteilen und liege in jedem Monat unter der Geringfügigkeitsgrenze.

4 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, der Revisionswerber habe am 14. November 2014 ein Gewerbe angemeldet. In der Folge habe er für die Zeit ab 1. März 2015 den Nichtbetrieb des Gewerbes angezeigt. Laut rechtskräftigem Einkommensteuerbescheid habe der Revisionswerber im Jahr 2015 "Einkünfte aus Gewerbebetrieb" in der Höhe von EUR 3.436,10 und Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in der Höhe von EUR 53,00 erzielt. Unter Berücksichtigung der im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Sonderausgaben (Pauschalbetrag) von EUR 60,00 und außergewöhnlichen Belastungen von EUR 319,80 ergebe sich im Jahr 2015 ein Einkommen von EUR 3.109,30.

6 In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesverwaltungsgericht, ein monatliches Einkommen als Selbständiger über der Geringfügigkeitsgrenze nach § 5 Abs. 2 ASVG, die EUR 405,98 im Jahr 2015 betragen habe, stehe der Annahme der Arbeitslosigkeit entgegen. Hinsichtlich der Feststellung der Einkünfte bestehe eine Bindung an den Einkommensteuerbescheid. Im Sinn des § 36a Abs. 7 AlVG gelte bei nur vorübergehender selbständiger Erwerbstätigkeit das anteilsmäßige Einkommen in den Monaten, in denen eine selbständige Erwerbstätigkeit vorgelegen sei, als monatliches Einkommen. Das im Einkommensteuerbescheid festgestellte Einkommen, das der Revisionswerber im Jahr 2015 "aus Gewerbebetrieb" erzielt habe, sei auf die Monate Jänner und Februar 2015 aufzuteilen, in denen eine aufrechte Meldung der Ausübung eines Gewerbes durch den Revisionswerber bestanden habe. Für diesen Zeitraum ergebe sich somit ein Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze. Die Zuerkennung der Notstandshilfe sei daher für die Monate Jänner und Februar 2015 zu widerrufen und im Sinn des § 25 Abs. 1 dritter Satz AlVG der gesamte Bezug für diese Monate zurückzufordern gewesen. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG Abstand genommen werden können.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision. Nach Einleitung des Vorverfahrens hat das AMS eine Revisionsbeantwortung erstattet. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8 Zur Zulässigkeit der Revision wird insbesondere geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht habe es unterlassen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, obwohl der Revisionswerber eine Verhandlung beantragt habe und diese nach der (näher genannten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erforderlich gewesen sei. Der Revisionswerber habe seine selbstständige Erwerbstätigkeit - wie im Beschwerdeverfahren des Bundesverwaltungsgerichtes vorgebracht - im gesamten Jahr 2015 ausgeübt. Zur Ermittlung des monatlichen Einkommens sei daher der im Einkommensteuerbescheid genannte Betrag durch zwölf zu teilen, woraus sich für das gesamte Jahr ein Einkommen unter der Geringfügigkeitsgrenze ergebe.

9 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

10 Gemäß § 12 Abs. 3 lit. b AlVG gilt als arbeitslos im Sinne der Abs. 1 und 2 insbesondere nicht, wer selbständig erwerbstätig ist. Gemäß § 12 Abs. 6 lit. c AlVG gilt jedoch als arbeitslos, wer auf andere Art selbständig erwerbstätig ist bzw. selbständig arbeitet und daraus ein Einkommen gemäß § 36a AlVG erzielt oder im Zeitraum der selbständigen Erwerbstätigkeit bzw. der selbständigen Arbeit einen Umsatz gemäß § 36b AlVG erzielt, wenn weder das Einkommen zuzüglich Sozialversicherungsbeiträge, die als Werbungskosten geltend gemacht wurden, noch 11,1 vH des Umsatzes die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge übersteigt. 11 Der Gesetzgeber verweist in § 12 Abs. 6 lit. c AlVG somit einerseits auf § 36a Abs. 2 AlVG und damit auf den Einkommensbegriff des § 2 Abs. 2 EStG 1988 sowie andererseits auf § 36b Abs. 2 AlVG und damit auf den durch die selbständige Tätigkeit erzielten (Jahres)Umsatz (vgl. VwGH 19.12.2012, 2011/08/0079, mit weiteren Hinweisen).

12 Bei der Beurteilung des Vorliegens von Arbeitslosigkeit nach § 12 Abs. 3 lit. b iVm Abs. 6 lit. c AlVG ist auf Grund des § 36a Abs. 2 und Abs. 5 Z 1 AlVG auf das Einkommen abzustellen, welches im Einkommensteuerbescheid für das jeweilige Kalenderjahr ausgewiesen ist. § 36a Abs. 7 AlVG bestimmt, dass als monatliches Einkommen bei durchgehender selbständiger Erwerbstätigkeit ein Zwölftel des sich ergebenden Jahreseinkommens gilt. Die Zwölftelung des sich aus dem Einkommensteuerbescheid ergebenden Jahreseinkommens hat dann nicht Platz zu greifen, wenn die selbstständige Erwerbstätigkeit bloß vorübergehend ausgeübt wird (vgl. VwGH 24.4.2014, 2013/08/0050, mwN).

13 Im vorliegenden Fall ist zwischen den Parteien strittig, ob der Revisionswerber im Jahr 2015 durchgehend oder bloß vorübergehend beschäftigt war. Wäre der Revisionswerber, wie von ihm vorgebracht, im Jahr 2015 durchgehend selbständig erwerbstätig gewesen, wäre im Sinn des § 36a Abs. 7 AlVG sein im Einkommensteuerbescheid festgestelltes Jahreseinkommen zur Ermittlung des monatlichen Einkommens durch zwölf zu teilen, woraus sich ein unter der Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 ASVG liegender Betrag ergäbe.

14 Feststellungen, die eine Beurteilung der Dauer der selbständigen Erwerbstätigkeit des Revisionswerbers im Jahr 2015 ermöglichen, hat das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht getroffen.

15 Allein daraus, dass vom Revisionswerber sein im Jahr 2014 angemeldetes Gewerbe für den Zeitraum nach dem 28. Februar 2015 ruhend gemeldet wurde, lässt sich nicht schließen, dass der Revisionswerber seine selbständige Erwerbstätigkeit lediglich im Jänner und Februar des Jahres 2015 ausgeübt hätte bzw. dass das im Einkommensteuerbescheid ausgewiesene Einkommen "aus Gewerbebetrieb" (ausschließlich) der Tätigkeit aufgrund der Gewerbeberechtigung zuzurechnen wäre. Der Begriff des Gewerbebetriebes nach § 23 EStG 1988 deckt sich nämlich nicht mit jenem der gewerbsmäßigen Tätigkeit im Sinn des § 1 Abs. 2 GewO 1994. Aus dem Umstand, dass nach dem Einkommensteuerbescheid "Einkünfte aus Gewerbebetrieb" vorliegen, kann somit nicht abgeleitet werden, dass sich diese Einkünfte (ausschließlich) auf die Tätigkeit auf Grund der Gewerbeberechtigung beziehen (vgl. VwGH 11.7.2012, 2009/08/0121, mwN; vgl. im Übrigen zum nach der GewO 1994 bloß deklarativen Charakter der Meldung des Ruhens einer Gewerbeberechtigung VwGH 17.9.2010, 2006/04/0149).

16 Wie die Revision zutreffend aufzeigt, hätte das Bundesverwaltungsgericht daher eine mündliche Verhandlung durchführen müssen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gehört es im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen - wie sie im vorliegenden Fall erstattet wurden - zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem auch in § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sich als Gericht im Rahmen einer - bei der Geltendmachung von "civil rights" (zu denen auch Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zählen) in der Regel auch von Amts wegen durchzuführenden - mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. etwa VwGH 27.9.2019, Ra 2019/08/0113, mwN). Aufgrund der Ergebnisse der mündlichen Verhandlung wären Feststellungen zur Dauer der Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit durch den Revisionswerber im Jahr 2005 zur treffen gewesen.

17 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

18 Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

19 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14.

Wien, am 20. Februar 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019080109.L00

Im RIS seit

12.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.05.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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