TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/13 W246 2130528-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.11.2019
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Entscheidungsdatum

13.11.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §6 Abs1 Z3
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W246 2130528-1/42E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Heinz VERDINO als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX (auch XXXX ), geb. XXXX (auch XXXX ), StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christian SCHMAUS, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.06.2016, Zl. 1092990104-151661822, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) I. Der Beschwerde wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer

gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 30.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 31.10.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt.

3. Am 13.06.2016 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl.

Dabei gab der Beschwerdeführer zunächst an, dass er in Afghanistan in jungen Jahren ein Opfer der Praxis des "Bacha Bazi" gewesen sei, wobei bestimmte Personen von ihm konkret verlangt hätten, für sie zu tanzen und die Nächte mit ihnen zu verbringen. Seine Familie hätte in Afghanistan auch Probleme bekommen, weil einer seiner Brüder mit ausländischen Firmen zusammengearbeitet habe. Weiters habe seine Familie, der es finanziell stets gut gegangen sei, in Afghanistan Schutzgelder bezahlen müssen. Aus diesen Gründen sei seine Familie mit ihm aus Afghanistan geflohen und nach Pakistan gegangen. Nach mehreren Jahren Aufenthalt in Pakistan sei der Beschwerdeführer in den Iran und in weiterer Folge nach Österreich gereist.

Der Beschwerdeführer legte in seiner Einvernahme eine Vielzahl von Unterlagen zum Nachweis seiner Integrationsverfestigung in Österreich (mehrere Empfehlungsschreiben; mehrere Studienbestätigungen über den Besuch einzelner Lehrveranstaltungen an der XXXX ; mehrere Bestätigungen hinsichtlich verschiedener ehrenamtlicher Tätigkeiten) sowie eine psychotherapeutische Stellungnahme vor, wonach er an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung leide und in psychotherapeutischer Behandlung sei.

4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit dem im Spruch genannten Bescheid bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 24/2016, und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg.cit. ab. Weiters erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg.cit., erließ ihm gegenüber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 leg.cit. iVm § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 25/2016, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016, und stellte gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 leg.cit. zulässig sei (Spruchpunkt III.). Schließlich sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 leg.cit. die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

6. In dem im Wege seines damaligen Rechtsvertreters erhobenen Schreiben vom 04.07.2017 führte der Beschwerdeführer u.a. aus, dass einer seiner Brüder sowie sein Neffe Ende Juni 2016 in Afghanistan auf brutale Weise getötet worden seien.

Der Beschwerdeführer brachte mit diesem Schreiben ein weiteres Empfehlungsschreiben und ein B1-Deutschzertifikat in Vorlage.

7. Mit Schreiben seines damaligen Rechtsvertreters vom 08.01.2018 legte der Beschwerdeführer weitere Unterlagen hinsichtlich seines Privat- und Familienlebens in Österreich (B2-Deutschzertifikat; zwei Empfehlungsschreiben; eine Bestätigung hinsichtlich ehrenamtlicher Tätigkeiten; Geburtsurkunde seiner Tochter) vor.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 05.03.2019 u.a. im Beisein des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher er ausführlich zu seinen Fluchtgründen, seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat und seiner Integration in Österreich befragt wurde. Die Verhandlung wurde aufgrund der sehr guten Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers durchgehend in deutscher Sprache ohne Dolmetscher durchgeführt.

Die anwesende Lebensgefährtin des Beschwerdeführers wurde nach Antrag des Rechtsvertreters als Zeugin zur Integration des Beschwerdeführers und zu einem etwaigen Familienleben zwischen dem Beschwerdeführer und ihr bzw. ihrer gemeinsamen Tochter befragt.

Der Beschwerdeführer legte in der Verhandlung Fotos zum Nachweis des Todes eines seiner Brüder sowie seines Neffen, Unterlagen zu seinem gesundheitlichen Zustand und zahlreiche weitere Unterlagen v.a. zum Nachweis seiner Integration in Österreich (mehrere Empfehlungsschreiben; Dienstvertrag seiner Lebensgefährtin; diverse Teilnahmebestätigungen; Fotos zu seinem Leben in Österreich) vor.

9. Mit Schreiben vom 26.03.2019 nahm der Beschwerdeführer im Wege seines Rechtsvertreters zu den vom Bundesverwaltungsgericht in der Verhandlung in das Verfahren eingeführten Länderberichten Stellung und traf - teils unter Judikaturhinweisen - weitere Ausführungen zu den behaupteten Bedrohungen für den Beschwerdeführer in Afghanistan, zu einer drohenden Verletzung des Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr in seine Herkunftsregion Ghazni sowie einer mangelnden innerstaatlichen Fluchtalternative in Afghanistan und zu seinem in Österreich entstandenen Privat- und Familienleben iSd Art. 8 EMRK. Dabei legte der Beschwerdeführer ein C1-Deutschzertifikat vor.

10. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nahm mit Schreiben vom 15.04.2019 zu dem vom Bundesverwaltungsgericht übermittelten Aktenstücken (Verhandlungsprotokoll vom 05.03.2019 sowie Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 26.03.2019) Stellung. Dabei wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit näheren Ausführungen und unter Zitierung von Judikatur sowie Länderberichten u. a. auf die allgemeine Verfügbarkeit von Behandlungen und Medikamenten bei psychischen Störungen sowie Depressionen in Afghanistan und auf das aus seiner Sicht nicht schützenswerte Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich hin.

11. Der Beschwerdeführer traf mit Schreiben vom 21.05.2019 im Wege seines Rechtsvertreters weitere Ausführungen zur aus seiner Sicht in Afghanistan bestehenden asylrelevanten Bedrohung seiner Person, zur mangelnden innerstaatlichen Fluchtalternative für ihn in Afghanistan und zu dem für ihn bestehenden schützenswerten Privat- und Familienleben in Österreich. Dabei legte er weitere Unterlagen zum Nachweis seines Gesundheitszustandes und seiner Integration in Österreich vor.

12. In seinem Schreiben vom 16.07.2019 verwies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auf einen Bericht des SPK XXXX vom 11.07.2019, in dem der Beschwerdeführer selbst angeben würde, bei seinen Altersangaben gelogen zu haben. Dies spreche aus Sicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl massiv gegen die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers.

13. Mit Schreiben vom 26.08.2019 nahm der Beschwerdeführer im Wege seines Rechtsvertreters zu den vom Bundesverwaltungsgericht übermittelten aktuellen Kurzinformationen zum Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Stellung und wies zudem auf seine mittels medizinischer Unterlagen nachgewiesene posttraumatische Belastungsstörung hin, welche einer Neuansiedlung seiner Person in einer der für eine innerstaatliche Fluchtalternative in Afghanistan in Betracht kommenden Städte entgegenstünde.

14. In seinem Schreiben vom 02.09.2019 verwies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auf seine vorherigen Schreiben und beantragte abermals, die Beschwerde in allen Punkten als unbegründet abzuweisen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers, zu seinen persönlichen Umständen in Afghanistan, Pakistan sowie dem Iran, zu seiner Ausreise nach Österreich und zu seinem Leben in Österreich:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX (auch XXXX ). Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und sunnitischer Muslim. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari, er spricht auch Deutsch sowie Englisch und etwas Paschtu, Türkisch sowie Usbekisch.

Er wurde in der Stadt Ghazni in der Provinz Ghazni in Afghanistan geboren; das genaue Geburtsdatum des Beschwerdeführers kann nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer lebte in der Stadt Ghazni, bis er im Alter von ca. 12 Jahren von seiner Familie für den Zeitraum von knapp einem Jahr in die Stadt Kabul geschickt wurde, wo er einen Englischkurs besuchte. Danach kehrte der Beschwerdeführer für drei Monate wieder in die Stadt Ghazni zu seiner Familie zurück. Daraufhin reiste der Beschwerdeführer gemeinsam mit einem Teil seiner Familie nach Pakistan, wo er sechs Jahre lang eine private Schule besuchte und gemeinsam mit seinem Vater in der Produktion und im Handel von Teppichen tätig war. In weiterer Folge ging der Beschwerdeführer mit diesem Teil seiner Familie in den Iran, wo er weniger als ein Jahr aufhältig und für ca. acht Monate als Verkäufer in einem Supermarkt tätig war. Schließlich reiste der Beschwerdeführer aus dem Iran aus und gelangte nach Österreich, wo er am 30.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Die Kernfamilie des Beschwerdeführers besteht nun aus seiner Mutter, seinen drei Brüdern und seinen sechs Schwestern. Der älteste Bruder des Beschwerdeführers ist in Afghanistan aufhältig, ein weiterer Bruder und eine Schwester des Beschwerdeführers leben in Österreich. Von einer seiner Schwestern und von einem seiner Brüder sind dem Beschwerdeführer die Aufenthaltsorte nicht bekannt. Die übrigen Familienangehörigen des Beschwerdeführers sind aktuell im Iran aufhältig.

Der Beschwerdeführer leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung und befindet sich dahingehend in Behandlung.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 23.10.2019 wegen Entfremdung unbarer Zahlungsmittel gemäß § 241e Abs. 3 StGB, wegen versuchten Diebstahls gemäß §§ 15, 127 leg.cit., wegen grob fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 88 Abs. 3 leg.cit. und wegen versuchter Nötigung gemäß §§ 15, 105 Abs. 1 leg.cit. zu einer dreimonatigen bedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Der Beschwerdeführer spricht ein sehr gutes Deutsch, engagiert sich in Österreich ehrenamtlich, ist um seine Weiterbildung bemüht und hat in Österreich viele Freunde bzw. Bekannte (s. hierzu auch Pkt. II.1.2.4., zweiter Absatz).

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

1.2.1. Der Beschwerdeführer wurde zwischen seinem sechsten und zwölften Lebensjahr einerseits von verschiedenen Jugendlichen wiederholt sexuell missbraucht und andererseits auf diversen Festen als Tanzjunge eingesetzt. Als die Familie des Beschwerdeführers davon erfuhr, schickte sie ihn aus diesem Grund in die Stadt Kabul, wo er knapp ein Jahr aufhältig war.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan aktuell nicht die Gefahr, wieder sexuell missbraucht sowie als Tanzjunge eingesetzt zu werden. Ihm droht dort weiters nicht die Gefahr, aufgrund des angeführten sexuellen Missbrauches und der angeführten Heranziehung als Tanzjunge in der Vergangenheit aktuell massiver physischer und/oder psychischer Gewalt seitens der Zivilgesellschaft ausgesetzt zu sein.

1.2.2. Der nun in Österreich aufhältige Bruder des Beschwerdeführers war in Afghanistan nicht beim Norwegian Refugee Council (in der Folge: NRC) oder einer sonstigen, ähnlichen Organisation tätig.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan daher nicht die Gefahr, aufgrund dieser von ihm behaupteten Tätigkeit seines Bruders physischer und/oder psychischer Gewalt seitens der Taliban ausgesetzt zu sein.

1.2.3. Die Familie des Beschwerdeführers war vor ihrer Ausreise aus Afghanistan nach Pakistan aufgrund ihrer Vermögenswerte in Afghanistan Schutzgeldzahlungen seitens der Taliban ausgesetzt.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht die Gefahr, aktuell weiteren Schutzgeldzahlungen seitens der Taliban ausgesetzt zu sein oder aufgrund der damaligen Schutzgeldzahlungen seiner Familie aktuell physischer und/oder psychischer Gewalt seitens der Taliban ausgesetzt zu sein.

1.2.4. Der Vater des Beschwerdeführers wollte im Jahr 2016 die übrigen Vermögenswerte der Familie in Afghanistan dem Beschwerdeführer und seinem jüngsten Bruder vererben, womit der - aktuell in Afghanistan aufhältige - älteste Bruder des Beschwerdeführers nicht einverstanden war. Der älteste Bruder des Beschwerdeführers ließ daraufhin seinen jüngsten Bruder ermorden. Aufgrund dieser Erbschaftsstreitigkeiten droht dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan physische und/oder psychische Gewalt seitens seines dort aufhältigen ältesten Bruders.

Zudem führt der Beschwerdeführer in Österreich seit Beginn des Jahres 2016 eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin, die keine Muslima ist; der Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin leben seit Dezember 2016 zusammen und haben eine gemeinsame Tochter, die im Dezember 2017 geboren ist. Die XXXX steht in Kontakt mit XXXX und hat XXXX mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit u.a. von der Lebensführung des Beschwerdeführers (voreheliche Lebensgemeinschaft samt Kind mit Nichtmuslima) berichtet; es ist daher mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass auch der älteste Bruder des Beschwerdeführers über die Lebensführung des Beschwerdeführers in Österreich Bescheid weiß. Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan die Gefahr eines Ehrenmordes seitens seines ältesten Bruders aufgrund der vom Beschwerdeführer in Österreich geführten vorehelichen Lebensgemeinschaft zu einer nichtmuslimischen österreichischen Staatsangehörigen, mit der er eine gemeinsame Tochter hat.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 mit Aktualisierungen bis 04.06.2019 (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

Ghazni

Ghazni ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistans. Ghazni liegt 145 km südlich von Kabul Stadt entfernt und liegt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Ghazni grenzt im Norden an die Provinzen (Maidan) Wardak und Bamyan, im Osten an Logar, Paktia und Paktika, im Süden an Zabul und im Westen an Uruzgan und Daikundi (UN-OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o.D.a). Laut dem afghanischen Statistikbüro (CSO) ist Ghazni die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl (Pajhwok o.D.a), die auf 1.270.3192 Bewohner/innen geschätzt wird (CSO 4.2017). Hauptsächlich besteht die Bevölkerung aus großen Stämmen der Paschtunen sowie Tadschiken und Hazara; Mitglieder der Bayat, Sadat und Sikh sind auch dort vertreten, wenngleich die Vielzahl der Bevölkerung aus Paschtunen besteht (Pajhwok o.D.a).

Ghazni besteht aus den folgenden Distrikten: Provinzhauptstadt Ghazni sowie die Distrikte Andar, Muqur, Khugiani/Khugaini/Khogyani, Qara Bagh/Qarabagh, Gilan/Gelan/Gailan, Waghiz/Waghaz, Giro/Gairo, Deh Yak/Dehyak, Nawar/Nawur, Jaghori/Jaghuri, Malistan/Malestan, Rashidan, Ab Band/Abband, Khugiani, Nawa, Jaghato/Jaghato, Zankhan/Zanakhan, Ajeristan/Ajrestan und Khwaja Omari/Khwajaumari (Pajhwok o.D.a; vgl. UN OCHA 4.2014, GI o.D.). Ghazni ist eine der Schlüsselprovinzen im Südosten, die die zentralen Provinzen inklusive der Hauptstadt Kabul mit anderen Provinzen im Süden und Westen verbindet (Khaama Press 2.7.2017; vgl. HoA 15.3.2016).

Nach mehr als zwei Jahrzehnten ohne Mohnanbau in der Provinz Ghazni (seit 1995) wird nun wieder Mohn angebaut. Mit Stand November 2017 wurden 1.027 Hektar Mohn angebaut: Opium/Mohn wurde insbesondere im Distrikt Ajrestan angebaut, in dem die Sicherheitslage schwach ist (UNODC 11.2017).

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage

Im Februar 2018 wurde verlautbart, dass die Provinz Ghazni zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes zählt; die Provinz selbst grenzt an unruhige Provinzen des Südens. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv (Khaama Press 1.2.2018; vgl. SD 1.2.2018). In der Provinz kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Aufständischen (Xinhua 18.3.2018).

Wie in vielen Regionen in Südafghanistan, in denen die Paschtunen die Mehrheit stellen, konnten die Taliban in Ghazni nach dem Jahr 2001 an Einfluss gewinnen. Die harten Vorgehensweisen der Taliban - wie Schließungen von Schulen, der Stopp von Bauprojekten usw. - führten jedoch auch zu Gegenreaktionen. So organisierten Dorfbewohner eines Dorfes im Distrikt Andar ihre eigenen Milizen, um die Aufständischen fernzuhalten, auch andere Distrikte in Ghazni folgten. Die Sicherheitslage verbesserte sich, Schulen und Gesundheitskliniken öffneten wieder. Da diese Milizen, auch ALP (Afghan Local Police) genannt, der lokalen Gemeinschaft entstammen, genießen sie das Vertrauen der lokalen Menschen. Nichtsdestotrotz kommt es zu auch bei diesen Milizen zu Korruption und Missbrauch (IWPR 15.1.2018).

Im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) (15.12.2017 - 15.2.2018) haben regierungsfeindliche Elemente auch weiterhin Druck auf die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeübt, indem koordinierte Angriffe auf Kontrollpunkte der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte unter anderem in der Provinz Ghazni verübt wurden (UNGASC 27.2.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 163 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Die meisten im Jahr 2017 registrierten Anschläge fanden - in absteigender Reihenfolge - in den Provinzen Nangarhar, Faryab, Helmand, Kandahar, Farah, Ghazni, Uruzgan, Logar, Jawzjan, Paktika und Kabul statt (Pajhwok 14.1.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten/willkürlichen Tötungen. Dies deutet einen Rückgang von 11% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Ghazni

Miliärische Operationen werden in der Provinz Ghazni durchgeführt (Tolonews 17.3.2018; vgl. Xinhua 27.1.2018, ZNI 3.3.2018, Tolonews 5.2.2018, Tolonews 24.3.2018, MF 25.3.2018, Tolonews 5.12.2017; MF 18.3.2018, VoA 22.10.2017); Aufständische werden getötet und festgenommen (Pajhwok 13.3.2018; vgl. MF 25.3.2018, Tolonews 5.12.2017, MF 18.3.2018, VoA 22.10.2017). Luftangriffe werden ebenso durchgeführt (Khaama Press 1.2.2018), bei denen auch Taliban getötet werden (Khaama Press 1.2.2018; vgl. Pajhwok 12.3.2018).

Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften finden statt (AJ 11.6.2018; vgl. AJ 21.5.2018, VoA 22.10.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Ghazni

Sowohl Das Haqqani-Netzwerk, als auch die Taliban sind in manchen Regionen der Provinz aktiv (VoA 10.1.2018). Sicherheitsbeamte sprechen von mehreren Gruppierungen, die in der Provinz aktiv sind, während die Taliban selbst behaupten, die einzige Gruppierung in der Provinz Ghazni zu sein (Pajhwok 1.7.2017).

Basierend auf geheimdienstlichen Informationen bestritt das afghanische Innenministerium im Jänner 2018, dass der IS in der Provinz Ghazni aktiv sei (VoA 10.1.2018). Für den Zeitraum 1.1. - 15.7.2017 wurden IS-bezogene Vorfälle in der Provinz gemeldet, insbesondere an der Grenze zu Paktika. Zwischen 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden hingegen keine Vorfälle registriert (ACLED 23.2.2018).

Religionsfreiheit

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5.2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi-Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).

Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtssprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).

Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5.2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5.2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht-Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des Inhabers/der Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).

Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).

Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).

Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen (CIA Factbook 18.1.2018). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. CIA Factbook 18.1.2018). Schätzungen zufolge sind 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch-iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4% der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2018; vgl. CIA Factbook 18.1.2018).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet." (BFA Staatendokumentation 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 5.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 20.4.2018).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 5.2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.4.2018).

Tadschiken

Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte (CRS 12.1.2015; vgl. LIP 5.2018) und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan (CRS 12.1.2015). Sie machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus (LIP 5.2018). Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan bilden Tadschiken in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten:

In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit (LIP 5.2018). Aus historischer Perspektive identifizierten sich Sprecher des Dari-Persischen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa Siedlungsgebiet oder Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Pajshir) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Der Hauptführer der "Nordallianz", einer politisch-militärischen Koalition, ist Dr. Abdullah Abdullah, dessen Mutter Tadschikin und dessen Vater Pashtune ist (CRS 12.1.2015). Trotz seiner gemischten Abstammung sehen ihn die Menschen als Tadschiken an (BBC 29.9.2014). Auch er selbst identifiziert sich politisch gesehen als Tadschike, da er ein hochrangiger Berater von Ahmad Shah Masoud war (CRS 12.1.2015). Mittlerweile ist er "Chief Executive Officer" in Afghanistan (CRS 12.1.2015); ein Amt, das speziell geschaffen wurde und ihm die Rolle eines Premierministers zuweist (BBC 29.2.2014).

Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

Bacha Bazi (Bacha Bazi) - Tanzjungen

Bacha Bazi, auch Tanzjungen genannt, sind Buben oder transsexuelle Kinder, die sexuellem Missbrauch und/oder dem Zwang, bei öffentlichen oder privaten Ereignissen zu tanzen, ausgesetzt sind (MoJ 15.5.2017: Art. 653). In weiten Teilen Afghanistans, vor allem in den Rängen von Armee und Polizei, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird nicht selten unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein (AA 5.2018). Mit Inkrafttreten des neuen afghanischen Strafgesetzbuches im Jahr 2018 wurde die Praxis des Bacha Bazi kriminalisiert. Den Tätern drohen bis zu sieben Jahre Haft. Jene, die mehrere Buben unter zwölf Jahren halten, müssen mit lebenslanger Haft rechnen. Das neue afghanische Strafgesetzbuch kriminalisiert nicht nur die Praxis von Bacha Bazi, sondern auch die Teilnahme an solchen Tanzveranstaltungen. Der Artikel 660 des fünften Kapitels beschreibt, dass Beamte der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF), die in die Praxis von Bacha Bazi involviert sind, mit durchschnittlich bis zu fünf Jahren Haft rechnen müssen (MoJ 15.5.2017; vgl. LSE 24.1.2018).

Üblicherweise sind die Jungen zwischen zehn und 18 Jahre alt (SBS 20.12.2016; vgl. AA 9.2016); viele von ihnen werden weggeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben (SBS 21.12.2016). Viele der Jungen wurden entführt, manchmal werden sie auch von ihren Familien aufgrund von Armut an die Täter verkauft (SBS 20.12.2016; vgl. AA 5.2018). Manchmal sind die Betroffenen Waisenkinder und in manchen Fällen entschließen sich Jungen, Bacha Bazi zu werden, um ihre Familien zu versorgen (TAD 9.3.2017). Die Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung verstoßen; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt (AA 5.2018).

1.3.2. Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zu Afghanistan vom 30.08.2018 (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

"Internationaler Schutzbedarf

[...]

A. Risikoprofile

[...]

5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen

Die Verfassung sieht vor, dass Anhänger anderer Religionen als dem Islam ‚innerhalb der durch die Gesetze vorgegebenen Grenzen frei sind in der Ausübung und Erfüllung ihrer religiösen Rechte'.[...] Allerdings wird in der Verfassung auch festgestellt, dass der Islam die offizielle Religion des Staates ist[...] und ‚kein Gesetz gegen die Lehren und Bestimmungen der heiligen Religion des Islam in Afghanistan verstoßen darf'[...] Darüber hinaus sollen die Gerichte gemäß der Verfassung in Situationen, in denen weder die Verfassung noch andere Gesetze Vorgaben enthalten, der Hanafi-Rechtsprechung folgen, einer sunnitisch-islamischen Rechtslehre, die unter zwei Dritteln der muslimischen Welt verbreitet ist.[...] Afghanische Juristen und Regierungsvertreter wurden dafür kritisiert, dass sie dem islamischen Recht Vorrang vor Afghanistans Verpflichtungen aus internationalen Menschenrechtsabkommen in Situationen einräumen,[...] in denen ein Widerspruch der verschiedenen Rechtsvorschriften vorliegt, insbesondere in Bezug auf die Rechte von afghanischen Staatsbürgern, die keine sunnitischen Muslime sind, und in Bezug auf die Rechte der Frauen.[...]

[...]

c) Andere Handlungen, die gegen die Scharia verstoßen

Neben den Bestimmungen des Strafgesetzbuches von 2017, die die Beleidigung oder Verzerrung der religiösen Überzeugungen des Islams unter Strafe stellen, stützen sich afghanische Gerichte auch in Bezug auf Blasphemie auf islamisches Recht.[...] Gemäß der Auslegung des islamischen Rechts durch die Gerichte stellt Blasphemie ein Kapitalverbrechen dar. Geistig zurechnungsfähige Männer über 18 Jahren und Frauen über 16 Jahren, die der Blasphemie bezichtigt werden, kann daher die Todesstrafe drohen. Wie auch bei Apostasie haben die Beschuldigten drei Tage Zeit, um ihre Handlungen zu widerrufen, wobei es laut Berichten unter Scharia-Recht kein eindeutiges Verfahren für den Widerruf gibt.[...] Darüber hinaus besteht für Personen, denen Verstöße gegen die Scharia wie Apostasie, Blasphemie, einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen oder Ehebruch (zina) vorgeworfen werden, nicht nur die Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung, sondern auch der gesellschaftlichen Ächtung und Gewalt durch Familienangehörige, andere Mitglieder ihrer Gemeinschaft, die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte (AGEs).418

[Fußnote 418:] [...] Es sei darauf hinzuweisen, dass sowohl Männer als auch Frauen der Gefahr des Vorwurfs, in ‚moralische Vergehen' wie Ehebruch (zina) und andere außereheliche sexuelle Kontakte verwickelt zu sein, ausgesetzt sind. [...]

d) Zusammenfassung

UNHCR ist auf Grundlage der vorangegangenen Analyse der Ansicht, dass für Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, einschließlich Personen, die der Blasphemie oder der Konversion vom Islam bezichtigt werden, sowie für Angehörige religiöser Minderheiten abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz bestehen kann aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Religion oder aus anderen relevanten Konventionsgründen, in Verbindung mit der allgemeinen Unfähigkeit des Staates, Schutz vor einer solchen von nichtstaatlichen Akteuren ausgehenden Verfolgung zu bieten.

[...]

8. Frauen und Männer, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen[...]

[...] Da Anklagen aufgrund von Ehebruch und anderen ‚Verstößen gegen die Sittlichkeit' Anlass zu Gewalt oder Ehrenmorden[...] geben können, versuchen die Behörden Berichten zufolge in einigen Fällen, die Inhaftierung von Frauen als Schutzmaßnahmen zu rechtfertigen.[...] Männer, die vermeintlich gegen vorherrschende Gebräuche verstoßen, können ebenfalls einem Misshandlungsrisiko ausgesetzt sein, insbesondere in Fällen von mutmaßlichem Ehebruch und außerehelichen sexuellen Beziehungen.[...] In Gebieten, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle der Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, besteht für Frauen und Männer, die unmoralischer Verhaltensweisen bezichtigt werden, das Risiko, über die parallelen Justizstrukturen dieser regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) zu harten Strafen, einschließlich zu Auspeitschung und zum Tod, verurteilt zu werden.

UNHCR ist auf Grundlage der oben dargelegten Begründungen der Ansicht, dass für Personen, die vermeintlich gegen die gesellschaftlichen Sitten verstoßen, - abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles - ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Religion, ihrer (ihnen zugeschriebenen) politischen Überzeugung, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Konventionsgründen, in Verbindung mit der allgemeinen Unfähigkeit des Staates, Schutz vor einer solchen von nichtstaatlichen Akteuren ausgehenden Verfolgung zu bieten, bestehen kann.

[...]"

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seinen persönlichen Umständen in Afghanistan, Pakistan sowie dem Iran, zu seiner Ausreise nach Österreich und zu seinem Leben in Österreich (Pkt. II.1.1.):

Die Feststellung zum Namen des Beschwerdeführers folgt aus seinen dahingehenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und dem Bundesverwaltungsgericht (s. hierzu insbesondere die glaubhaften Ausführungen des Beschwerdeführers auf S. 14 des Verhandlungsprotokolls). Die Feststellungen zur Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine auch diesbezüglich glaubhaften Angaben; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen - im gesamten Verfahren gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zu Afghanistan deckenden - Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln. Die Feststellungen zu den vom Beschwerdeführer gesprochenen Sprachen ergeben sich v.a. aus der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (vgl. u.a. S. 3 des Verhandlungsprotokolls).

Die Feststellungen zu seinem Geburtsort, seinen Aufenthaltsorten, seinem schulischen sowie beruflichen Werdegang, seiner Ausreise nach Europa und seinen Familienangehörigen ergeben sich aus seinen im Verfahren getätigten, im Wesentlichen gleichlautenden und daher glaubhaften Angaben. Das Datum der Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.

Dass das Geburtsdatum des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden konnte, folgt aus seinen dahingehend widersprüchlichen Angaben im Verfahren (vgl. Aktenseiten [in der Folge: AS] 5 sowie 31 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes, S. 7 sowie 14 des Verhandlungsprotokolls und S. 3 des Berichts der SPK XXXX vom 11.07.2019). Die im Spruch genannten Daten dienen der Identifizierung des Beschwerdeführers im Verfahren. Es wird hierzu seitens des Bundesverwaltungsgerichtes nicht verkannt, dass diese widersprüchlichen Angaben des Beschwerdeführers als ein Indiz für seine allgemeine persönliche Unglaubwürdigkeit gewertet werden können; dies vermag jedoch an der teilweisen Glaubhaftigkeit seiner - unten festgestellten - sonstigen Angaben nichts zu ändern.

Dass der Beschwerdeführer an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet und diesbezüglich in Behandlung ist, folgt aus den von ihm dahingehend vorgelegten - unbedenklichen und seitens der Behörde nicht beanstandeten - medizinischen Unterlagen sowie aus seinen hierzu getätigten glaubhaften Angaben (vgl. S. 6 des Verhandlungsprotokolls).

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Strafregisterauszug. Die Feststellungen zur Integration des Beschwerdeführers in Österreich folgen aus der Vielzahl der von ihm diesbezüglich vorgelegten Unterlagen (s. oben unter Pkt. I.3., I.6., I.7., I.8., I.9. und I.11.) und aus den dahingehend glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers sowie seiner Lebensgefährtin vor dem Bundesverwaltungsgericht (vgl. v.a. S. 10 und 14 des Verhandlungsprotokolls). Dass der Beschwerdeführer ein sehr gutes Deutsch spricht, ergibt sich neben den diesbezüglich vorgelegten Unterlagen v.a. aus der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, die ohne Dolmetscher durchgeführt werden konnte (s. v.a. S. 3 und 12 des Verhandlungsprotokolls).

2.2. Zu den Feststellungen zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers (Pkt. II.1.2.):

2.2.1. Zum sexuellen Missbrauch des Beschwerdeführers und zu seinem Einsatz als Tanzjunge:

Das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes aus folgenden Gründen als glaubhaft erachtet: Der Beschwerdeführer wiederholte in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in nachvollziehbarer Weise die bereits in seiner Erstbefragung sowie in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl getätigten Angaben zu seinem Fluchtgrund (s. AS 10 und AS 33 bis 35) und führte diese - nach im Vergleich zur Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wesentlich konkreterer Befragung durch den erkennenden Richter in der mündlichen Verhandlung - vor dem Bundesverwaltungsgericht viel näher aus. Er vermochte trotz des bereits vergangenen Zeitraums mit seinen Ausführungen ein eindeutig nachvollziehbares Bild der von ihm erlebten Geschehnisse zu zeichnen und vermittelte neben seinen im Kern widerspruchsfreien Angaben auch durch sein Auftreten, durch seine klare sowie authentische Art der Schilderung der relevanten Ereignisse und v.a. durch sein - teils von sich aus, teils auf Nachfrage durch den erkennenden Richter dargelegtes - Detailwissen zu den im Zusammenhang mit dem Fluchtvorbringen stehenden Umständen und Gegebenheiten (vgl. S. 23 bis 26 des Verhandlungsprotokolls) für den erkennenden Richter während der Verhandlung den Eindruck, das dabei Erzählte tatsächlich erlebt zu haben.

Es wird im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer in seinem Schreiben vom 26.03.2019 getätigten Ausführungen und zitierten Länderberichte seitens des Bundesverwaltungsgerichtes zwar nicht verkannt, dass Personen, die als Kinder/Jugendliche als Tanzjungen eingesetzt wurden, unter Umständen auch im Erwachsenenalter aus diesem Grund gesellschaftlich geächtet sein und diskriminiert werden können. Das Bundesverwaltungsgericht geht jedoch in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in seinem Schreiben vom 15.04.2019 davon aus, dass einerseits der Beschwerdeführer, ein mittlerweile volljähriger Erwachsener mit nicht auffallend jugendlichem Erscheinungsbild, in Afghanistan aktuell nicht mehr der Gefahr ausgesetzt ist, sexuell missbraucht und als Tanzjunge eingesetzt zu werden (s. die oben unter Pkt. II.1.3.1. getroffenen Länderfeststellungen, wonach insbesondere Jugendliche im Alter zwischen 10 und 18 Jahren davon betroffen sind; vgl. hierzu auch VwGH 03.05.2018, Ra 2018/19/0171, Rz 8), und dass andererseits der Beschwerdeführer, der Afghanistan vor vielen Jahren verlassen hat und seither nicht mehr dorthin zurückgekehrt ist, insbesondere aufgrund des mittlerweile vergangenen Zeitraums aktuell bei einer Rückkehr nicht mit massiven sowie das gesamte Staatsgebiet Afghanistans betreffenden Gewalthandlungen aus diesen Gründen rechnen müsste.

2.2.2. Zur behaupteten Tätigkeit seines in Österreich aufhältigen Bruders:

Dass der in Österreich aufhältige Bruder des Beschwerdeführers nicht beim NRC oder einer sonstigen ähnlichen Organisation tätig war und dass dem Beschwerdeführer daher aufgrund dieser behaupteten Tätigkeit seines Bruders keine konkret gegen ihn gerichtete physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan seitens der Taliban droht, ergibt sich bereits aus dem diesbezüglich relativ vage und undetailliert gehaltenen Vorbringen des Beschwerdeführers im vorliegenden Verfahren (vgl. die Ausführungen auf S. 26 f. des Verhandlungsprotokolls und auch jene auf S. 5 des Einvernahmeprotokolls des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, wo der Beschwerdeführer gar nur davon sprach, dass sein Bruder bei "ausländischen Firmen" gearbeitet hätte). Zudem nannte der Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren eine andere Organisation (NRC) als sein Bruder in seinem Verfahren (Norwegian Afghanistan Committee [NAC] - s. hierzu das rechtskräftige Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 03.03.2011, Zl. C5 413.332-1/2010/6E, in dem die Tätigkeit seines Bruders in der von ihm genannten Organisation ebenso nicht festgestellt werden konnte).

2.2.3. Zu den behaupteten Schutzgeldzahlungen seiner Familie vor ihrer Ausreise aus Afghanistan nach Pakistan:

Die Feststellung, dass die Familie des Beschwerdeführers vor ihrer Ausreise Schutzgeldzahlungen an die Taliban leisten musste, ergibt sich aus den dahingehend relativ detaillierten sowie ausführlichen und damit nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung (vgl. S. 27 des Verhandlungsprotokolls). Es ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes jedoch nicht lebensnah, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan aktuell der Gefahr weiterer Schutzgeldzahlungen durch die Taliban ausgesetzt sein würde, wenn er keinen Anspruch auf die Vermögenswerte seiner Familie in Afghanistan geltend machen würde. Dass der Beschwerdeführer aktuell aufgrund der damals erfolgten Schutzgeldzahlungen seiner Familie Gewalthandlungen seitens der Taliban ausgesetzt sein würde, scheint u.a. vor dem Hintergrund des mittlerweile vergangenen Zeitraums ebenso nicht plausibel.

2.2.4. Zu den vom - in Afghanistan aufhältigen - ältesten Bruder des Beschwerdeführers ausgehenden Bedrohungen:

Die Feststellungen zu den Erbschaftsstreitigkeiten innerhalb der Familie des Beschwerdeführers und den daraus resultierenden Bedrohungen ergeben sich aus seinen dahingehend sehr detaillierten und somit glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung (s. insbesondere die Ausführungen auf S. 17 des Verhandlungsprotokolls) sowie aus den vom Beschwerdeführer vorgelegten Fotos (vgl. die Beilagen 15 bis 17 zum Verhandlungsprotokoll).

Die Feststellungen zur vom Beschwerdeführer mit einer österreichischen Staatsangehörigen geführten vorehelichen (auch sexuellen) Beziehung des Beschwerdeführers zu einer österreichischen Staatsangehörigen und zu seiner Vaterschaft ergeben sich aus den dahingehend glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers (s. S. 8 ff. des Verhandlungsprotokolls) sowie den ebenso glaubhaften Angaben seiner als Zeugin in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht befragten Lebensgefährtin (vgl. S. 12 ff. des Verhandlungsprotokolls) und aus der vom Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren vorgelegten Geburtsurkunde seiner Tochter. Dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund des Führens dieser vorehelichen Beziehung die Gefahr eines Ehrenmordes seitens seines ältesten Bruders drohen würde, ergibt sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (s. S. 25 bis 27 des Verhandlungsprotokolls), die mit dem in das Verfahren eingeführten - unbedenklichen - Länderberichtsmaterial übereinstimmen, wonach auch Männer, die außereheliche sexuelle Beziehungen führen, vermeintlich gegen in Afghanistan vorherrschende Gebräuche verstoßen und deshalb einem Misshandlungsrisiko ausgesetzt sein können (s. hierzu die unter Pkt. II.1.3.2. zitierten UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 sowie die auf S. 3 des Schreibens des Beschwerdeführers vom 26.08.2019 zitierte EASO Guidance Note von Juni 2019 - zur besonderen Bedeutung von Berichten von UNHCR und EASO vgl. etwa VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153; 13.12.2018, Ra 2018/18/0533; 10.12.2014, Ra 2014/18/0103, sowie VfGH 24.09.2018, E 761/2018).

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat (Pkt. II.1.3.):

2.3.1. Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

2.3.2. Das unter Pkt. II.1.3.1. auszugsweise wiedergegebene Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 mit Aktualisierungen bis 30.01.2019 wurde - neben weiterem Berichtsmaterial - gemeinsam mit den unter Pkt. II.1.3.2. auszugsweise wiedergegebenen UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 in der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführt und den Parteien dahingehend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben (s. S. 33 des Verhandlungsprotokolls). Die Aktualisierungen des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation bis 04.06.2019 wurden dem Beschwerdeführer und dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom Bundesverwaltungsgericht übermittelt und ihnen dahingehend die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt, wobei diesem Länderberichtsmaterial in den erhobenen Stellungnahmen nicht substantiiert entgegengetreten wurde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 53/2019, (in der Folge: BFA-VG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Nach § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 44/2019, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 53/2019, (in der Folge: AsylG 2005) eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt in der vorliegenden Rechtssache Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 57/2018, (in der Folge: VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 1 leg.cit. trat dieses Bundesgesetz mit 01.01.2014 in Kraft. Nach § 58 Abs. 2 leg.cit. bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Nach § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 28 Abs. 2 leg.cit. hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A) Stattgabe der - zulässigen - Beschwerde:

3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß den §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist). Nach § 3 Abs. 2 AsylG 2005 kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektiv

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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