TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/18 W159 2172386-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.11.2019
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Entscheidungsdatum

18.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W159 2172386-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehöriger von Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.09.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.10.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57 und 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2, 9 und 46 und 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, gelangte (spätestens) am 05.08.2015 irregulär in das Bundesgebiet und stellte an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am 06.08.2015 stattgefundenen Erstbefragung nach dem Asylgesetz durch die Polizeiinspektion XXXX gab der Antragsteller zu seinen Fluchtgründen an, dass er in Afghanistan ein Lebensmittelgeschäft gehabt habe und dort auch Alkohol verkauft habe. Die Taliban hätten dies erfahren und ihn öfters bedroht und zusammengeschlagen. Eines Tages habe der Bruder eines Kommandanten bei ihm Alkohol gekauft und sei dann alkoholisiert mit dem Auto gefahren, wobei er tödlich verunglückte. Seine Familie habe ihn dann für den Tod verantwortlich gemacht. Er habe sowohl mit dem Kommandanten als auch mit den Taliban Probleme bekommen und sei geflüchtet.

Nach Zulassung zum Asylverfahren erfolgte am 23.05.2017 eine niederschriftliche Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark. Eingangs der Verhandlung gab er an, dass er keine Medikamente nehme und nicht in ärztlicher Behandlung oder Therapie stehe. Bei der Ersteinvernahme habe der Dolmetscher nicht genügend Zeit gehabt. Er selbst sei auch sehr müde gewesen und rückübersetzt sei auch nicht worden. Er sei tatsächlich am XXXX . geboren. Das Jahr habe er vergessen. Seine Tazkira habe er "im Wasser" verloren.

Er sei ein sunnitischer Tadschike und aus der Provinz Parwan. Er habe im Dorf XXXX im XXXX gelebt. Als Kind sei er auch zwei Jahre lang in XXXX aufhältig gewesen. Die Taliban hätten sie damals vom Dorf gejagt. Verwandte habe er keine in XXXX , aber Freunde seines Vaters würden dort leben. Schule habe er keine besucht. Sein Vater habe ein Lebensmittelgeschäft besessen. Dort habe er oft geholfen. Weiters habe er auch in der Metallbranche gearbeitet. Zu den Fluchtgründen gefragt gab er an, dass er von seinem Vater ein Lebensmittelgeschäft geerbt hätte. Ein Freund habe ihm manchmal Wodka und Whiskey vom Flughafen, wo er gearbeitet habe, mitgebracht und habe er den Alkohol im Geschäft weiterverkauft. Manchmal hätten sie ihn auch selbst getrunken. Ein anderer Freund, XXXX , habe von ihm Whiskey und Wodka genommen und zu einer Hochzeit mitgenommen und dort viel getrunken. Am selben Tage habe er einen Unfall mit seinem Motorrad gehabt und sei dabei ums Leben gekommen. Er habe auch die leeren Flaschen dabei gehabt. Sein Bruder XXXX , der ein Kommandant gewesen sei, habe den Fall selbst übernommen. Sein Freund XXXX habe ihn angerufen und ihm gesagt, dass ihn XXXX suchen würde. XXXX habe ihn dann zu seinem Schwiegervater gebracht, der zwei Dörfer weiter gewohnt habe. Dort habe er sich zwei Wochen aufgehalten. XXXX habe in der Zwischenzeit herausgefunden, dass sein Bruder den Alkohol bei ihm gekauft habe. Seine Freunde hätten dann entschieden, ihn aus Afghanistan wegzubringen.

Der Bruder des Verunglückten sei ein Kommandant der Mujaheddin gewesen und arbeite im Moment für ein Parlamentsmitglied namens XXXX . Die örtliche Polizei habe nur festgestellt, dass das Unfallopfer betrunken gewesen sei. Erhebungen gegen ihn habe die Polizei aber nicht durchgeführt. Er habe sich den Gewinn aus dem Alkoholgeschäft mit XXXX geteilt, die Polizei habe aber nicht herausgefunden, dass er an dem Alkoholverkauf beteiligt gewesen sei. Gefragt, wann er persönlich bedroht worden sei, gab der Antragsteller an, dass, nachdem XXXX gestorben sei, hätten sie ihn verfolgt und bedroht. Persönlich sei er aber nicht bedroht worden. Es hätten ihm nur Freund erzählt, dass sie nach ihm suchen würden. Wegen des Alkoholverkaufes sei er nicht bedroht worden. Er sei immer vorsichtig gewesen. Auch die Polizei habe bei ihm Zigaretten gekauft. Gefragt nach dem konkreten Unfallhergang gab er an, dass XXXX und sein Cousin sich ein Wettrennen mit Motorrädern geliefert hätten. Die Straßen seien eng gewesen. Es sei ihnen dann ein LKW entgegengekommen und XXXX habe nicht ausweichen können und sei auf der Stelle tot gewesen. Er könne in dem Dorf nicht weiterleben, weil der Bruder des Verunfallten ein Kommandant sei. Er könne auch in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat nicht leben, denn XXXX sei ein gefährlicher Mann, der überall Rache nehmen könne.

Seine Eltern seien bereits verstorben. Er habe nur eine Schwester in Österreich. Befragt, was ihm genau drohen würde, gab er an, dass der Kommandant ihn suchen würde und die Dorfleute wissen würden, dass er Alkohol verkauft habe und sein Ruf schlecht sei.

Gefragt, was gegen eine Rückkehrentscheidung sprechen würde, gab er an, dass er in Österreich die Sprache schon ein bisschen gelernt habe und er jede Arbeit annehmen würde. Außerdem sei seine Schwester hier. In Afghanistan habe er niemanden und habe er nun seit eineinhalb Jahren eine Beziehung zu einer Österreicherin namens XXXX . Er möchte sie auch heiraten. Seine Schwester sei anerkannter Flüchtling, aber sie sei selbst krank und könne nicht arbeiten. Er habe auch einen Neffen in Italien.

Gefragt, ob er noch etwas hinzufügen möchte, gab er an, dass ihn einmal spät abends Unbekannte angerufen hätten und gesagt hätten, sie würden Zigaretten brauchen. In Wirklichkeit hätten sie ihn dann mit einer Pistole bedroht und nach XXXX gefragt. Insbesondere hätten sie wissen wollen, ob er in einer Bar arbeite.

Der Beschwerdeführer legte Deutschzertifikate B1 und A1, ein selbst verfasstes Schreiben, ein Unterstützungsschreiben der Initiative " XXXX " samt Deutschkursbestätigungen, Bestätigungen über die Teilnahme an weiteren Seminaren, einer Bestätigung des XXXX über ehrenamtliche Mitarbeit sowie eine Mitgliedsbestätigung vom Fitnesscenter XXXX und schließlich eine Teilnahmebestätigung an einem Werte- und Orientierungskurs vor.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.09.2017, Zl. XXXX , wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen, unter Spruchteil II. dieser Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen, unter Spruchteil III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei sowie unter Spruchteil IV. eine Frist von zwei Wochen zur freiwilligen Ausreise festgelegt.

In der Begründung des Bescheides wurde der bisherige Verfahrensgang einschließlich der oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Einvernahmen dargestellt und Feststellungen zum Herkunftsstaat Afghanistan getroffen.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen sei widersprüchlich gewesen, beispielsweise habe der Antragsteller bei der Erstbefragung von einem Unfall mit einem Auto gesprochen, bei der Einvernahme durch das BFA hingegen von einem Unfall mit einem Motorrad. Selbst wenn die Bedrohung durch den Bruder des Getöteten der Wahrheit entspreche, sei diese als rein private Bedrohung zu werten und fehle dieser eine asylrechtliche Relevanz. Der Antragsteller sei auch nicht von den Behörden wegen illegalen Alkoholverkaufs verfolgt worden und sei auch nicht für den Verkehrsunfall verantwortlich gemacht worden. Es sei viel wahrscheinlicher, dass der illegale Verkauf von Alkohol auch bis zu den Taliban durchgesickert sei und er deswegen eine Verfolgung fürchte, eine tatsächliche erfolgte Bedrohung habe er allerdings nicht glaubhaft schildern können. Jedenfalls sei dem Antragsteller eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul zumutbar, zumal er ein arbeitsfähiger, junger und gesunder Mann sei und dort nicht in eine aussichtlose Lage geraten würde.

Rechtlich begründend zu Spruchteil I. wurde zunächst darauf hingewiesen, dass bereits in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert worden sei, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der behaupteten Verfolgung und den in der GFK aufgezählten Verfolgungsgründen nicht ersichtlich sei, andere Umstände, aus denen hervorgehe, dass Vertreter staatlicher Gewalt individuelle Verfolgungshandlungen gegen den Antragsteller aus Gründen, wie sie in der GFK festgelegt seien, bei der Rückkehr richten könnten, hätten nicht festgestellt werden können. Der Antragsteller habe eine asylrelevante Gefahr nicht glaubhaft machen können. Außerdem stehe ihm eine inländische Fluchtalternative in Kabul zur Verfügung und bestehe schließlich auch keine besondere Gefährdungslage für sunnitische Tadschiken. Es hätte daher keine Bedrohungssituation pro futuro festgestellt werden können.

Zu Spruchteil II. wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass gegenwärtig sich für den Antragsteller kein Abschiebungshindernis nach Afghanistan ergebe, weil eine landesweite allgemeine extreme Gefährdungslage, in der jeder Antragsteller im Falle seiner Abschiebung dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werden würde, nicht gegeben sei und der Antragsteller keine glaubhaften Fluchtgründe vorgebracht habe. Weiters sei nochmals darauf zu verweisen, dass dem Antragsteller eine inländische Fluchtalternative in Kabul zur Verfügung stehe und dass diese nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch kein familiäres oder soziales Netzwerk voraussetze. Es sei weder aus der allgemeinen Situation noch aus dem Vorbringen etwas ersichtlich, dass dem Antragsteller im Falle einer Rückkehr eine unmenschliche Behandlung oder eine im gesamten Herkunftsstaat vorliegende extreme Gefährdungslage drohen würde.

Zu Spruchteil III. wurde zunächst hervorgehoben, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG nicht vorlägen. Der Antragsteller habe wohl eine in Wien lebende Schwester, würde aber auch mit dieser nicht zusammenleben und könne diese auch nicht für ihn sorgen, da sie selbst nicht arbeitsfähig sei. Darüber hinaus habe er wohl eine Beziehung zu einer Österreicherin, lebe jedoch mit dieser nicht in einem gemeinsamen Haushalt, sodass insgesamt kein schützenswertes Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK in Österreich habe festgestellt werden können. Was sein Privatleben betreffe, so sei er zunächst einmal illegal eingereist und erst einen relativ kurzen Zeitraum in Österreich aufhältig und sei sein allfälliges Privatleben in einem Zeitpunkt entstanden, in dem sich alle Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltes bewusst sein hätten müssen. Insgesamt sei kein Sachverhalt hervorgekommen, der bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen den Schluss zuließe, dass seine Außerlandesbringung einen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privatleben darstellen würde. Es sei daher kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen gewesen und eine Rückkehrentscheidung zulässig. Da sich auch keine Gefährdung im Sinne des § 50 FPG ergeben habe und einer Abschiebung nach Afghanistan auch keine Empfehlung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entgegenstehe, sei eine solche als zulässig anzusehen und seien auch keine Gründe für die Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise hervorgekommen (Spruchteil IV).

Gegen diesen Bescheid und zwar gegen sämtliche Spruchpunkte erhob der Antragsteller, damals vertreten durch die XXXX , fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. In dieser wurde der Sachverhalt nochmals wiederholt und als Verfahrensmangel kritisiert, dass die zeugenschaftliche Einvernahme der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers verweigert worden sei.

Dem Antragsteller drohe überdies eine Verfolgung wegen Verstoßes gegen die traditionellen Werte und Normen, insbesondere durch den Verkauf und Konsum von Alkohol und seien dazu keine Länderberichte eingeholt worden und wurde in der Folge aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von afghanischen Asylsuchenden vom April 2016 ausgiebig zitiert und auch weitere Länderberichten, zum Beispiel der Schweizerischen Flüchtlingshilfe auszugsweise wiedergegeben. Die Schutzfähigkeit der afghanischen Behörden sei besonders schwach ausgeprägt und stehe dem Antragsteller auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, da er zu den Personen mit Risikoprofilen laut UNHCR gehöre. Es sei auch unrichtig protokolliert worden, dass sein Onkel ein berühmter Schlepper sei, sondern sei dies vielmehr der Onkel seines Freundes XXXX gewesen. Schließlich sei auch Kabul kein tauglicher Ort für eine inländische Fluchtalternative.

Rechtlich wurde gefolgert, dass dem Beschwerdeführer Verfolgung aufgrund einer oppositionellen religiösen und politischen Gesinnung drohe und wäre für ihn außerdem ein reales Risiko einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK bei einer Rückkehr nach Afghanistan gegeben, sodass ihm in eventu subsidiärer Schutz zu gewähren wäre.

Der Beschwerdeführer verfüge bereits über hervorragende Deutschkenntnisse und habe durch eine bereits mehrere Jahre bestehende Liebesbeziehung mit einer Österreicherin ein schützenswertes Privatleben entwickelt. Schließlich wurde der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der diesbezüglichen Judikatur des VfGH zu Art. 47 GRC begründet und ausdrücklich die zeugenschaftliche Einvernahme der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers, XXXX , geb. XXXX , beantragt.

Das Bundesverwaltungsgericht beraumte eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 08.10.2019 an, zu der sich die belangte Behörde wegen Nichtteilnahme entschuldigen ließ. Die XXXX kündigte die erteilte Vollmacht, weil der Beschwerdeführer die Vertretung nicht mehr wünsche und nunmehr durch einen privaten Rechtsanwalt vertreten werde. Der Beschwerdeführer erschien in Begleitung von Rechtsanwalt XXXX als Substitut für Rechtsanwalt XXXX und legte eine Schulbesuchsbestätigung der Externen Hauptschule XXXX , eine Bestätigung des XXXX über freiwillige Mitarbeit, eine Bestätigung des XXXX über freiwillige Mitarbeit, ein Deutschzertifikat B1 sowie ein Konvolut Dienstleitungschecks vor. Die zur Verhandlung stellig zu machende Zeugin, XXXX ist nicht erschienen. Informativ befragt gab der Beschwerdeführervertreter an, dass die Beziehung zum Beschwerdeführer nicht mehr aufrecht sei (und sich daher die Befragung der Zeugin erübrige).

Der Beschwerdeführer hielt sein bisheriges Vorbringen aufrecht, verwies darauf, dass er bereits beim BFA richtiggestellt habe, dass nicht sein Onkel väterlicherseits, sondern der Onkel väterlicherseits eines Freundes ihm bei der Ausreise behilflich gewesen sei. Er sei afghanischer Staatsbürger, habe aber nie einen Reisepass besessen und habe seine Tazkira auf der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland wegwerfen müssen. Er sei sunnitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an. Befragt, ob er seine Religion auch in Österreich ausübe, gab er an, dass er gelegentlich zuhause das Gebet verrichte, aber nicht in die Moschee gehe. An die Fastengebote halte er sich nicht. Er sei nicht streng. Wenn man krank sei, sei es auch erlaubt, nicht zu fasten. Wenn man Kraft hat und fasten möchte, könne man das tun.

Er sei im Dorf XXXX , in der Provinz Parwan geboren. Sein Geburtsdatum wisse er nicht. Er sei als Analphabet nach Österreich gekommen. Gefragt, wie die Behörde auf das Geburtsdatum XXXX gekommen sei, gab er an, dass er bei der Erstbefragung angegeben habe, 24 Jahre alt zu sein, dies sei richtig. Jetzt sei er 28 Jahre. Er habe in Afghanistan an verschiedenen Orten leben müssen. Sie seien, als er ein Kind gewesen sei, von den Taliban aus dem Heimatdorf vertrieben worden und hätten zwei Jahre in XXXX gelebt. Dann hätten sie auch eine Zeit lang in XXXX , ca. 40 Minuten von seinem Heimatdorf Richtung XXXX entfernt, gelebt. Qarabagh gehöre nicht mehr zur Provinz Parwan, sondern schon zur Provinz Kabul. Er habe in Afghanistan keinerlei Schule besucht. Seine Familie habe Grundstücke im Ausmaß von drei bis vier Jerib besessen sowie 800 Weinstöcke. Sie hätten fremde Personen dafür angestellt gehabt, um die Grundstücke zu bewirtschaften. Nachdem sein Vater verstorben sei, habe er das Lebensmittelgeschäft seines Vaters fortgeführt. Gefragt, wie er das Geschäft, ohne Lesen und Schreiben zu können, führen habe können, gab er an, dass es in Afghanistan nicht erforderlich sei, eine Buchhaltung zu führen. Man müsse sich nur auswendig die Preise merken und wenn er etwas schreiben habe müssen, habe er Freunde gebeten, ihm zu helfen. Wirtschaftliche Probleme habe er in Afghanistan nicht gehabt. Er habe alleine in dem Geschäft gearbeitet. Sein Vater habe Widerstand gegen die Vertreibung durch die Taliban geleistet und habe dadurch viele Schläge am Kopf bekommen. Er sei gelähmt gewesen und sei an den Folgeschäden dieser Übergriffe vor ca. 18 Jahren verstorben. Seine Mutter sei sechs Jahre nach seinem Vater eines natürlichen Todes gestorben. An Geschwistern habe er nur eine Schwester, die in Österreich lebe. Sie leide unter Gelenks- und Knochenschmerzen und könne nicht mehr arbeiten. Er sei ledig und habe keine Kinder.

Mit staatlichen Behördenorganen habe er keine Probleme in Afghanistan gehabt. Ausdrücklich gefragt, ob er Probleme mit bewaffneten Gruppierungen wie den Taliban oder dem IS gehabt habe, gab er an, dass dies nicht "vorgefallen sei". Gefragt, wie es zu dem vor dem BFA geschilderten Verkehrsunfall gekommen sei, gab er an, dass sein Freund XXXX betrunken auf einem Motorrad unterwegs gewesen sei und ein Wettrennen mit seinem Cousin veranstaltet habe. Zuvor habe er von ihm Alkohol gekauft, weil sie zu einer Hochzeitsfeier gehen wollten. Sie hätten übermäßig viel Alkohol konsumiert und nach der Hochzeitsfeier auf einer engen Straße ein Wettrennen veranstaltet. Auf der anderen Seite sei ein mit Steinen beladener LKW entgegengekommen. XXXX habe nicht rechtzeitig ausweichen können. Er habe die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren und sei es zu dem Unfall gekommen, bei dem XXXX an Ort und Stelle verstorben sei. Er habe Probleme bekommen, weil er von ihm Alkohol gekauft habe und es in Afghanistan verboten sei, Alkohol zu verkaufen. Über Vorhalt, dass er bei der Erstbefragung (AS 8) von einem Autounfall gesprochen habe, beim BFA (AS 37 ff) von einem Motorrad, bestritt er dies. Er habe ungefähr zweieinhalb Jahre Alkohol in Afghanistan verkauft, obwohl dies nicht erlaubt sei und zwar Wodka und Whiskey. Sein Freund XXXX habe am Flughafen mit Amerikanern zusammengearbeitet. Dieser habe ihm sozusagen die Ware geliefert und habe er dann en Gewinn mit ihm geteilt. Einmal in der Woche hätte er sich mit seinen Freunden getroffen und hätten sie damals ordentlich Alkohol getrunken. Über Vorhalt, dass er beim BFA angegeben habe (AS 37), dass das Unfallopfer Whiskey und Wodka genommen habe und in der Verhandlung davon spreche, dass er ihm diesen verkauft habe, gab er an, dass er ihm die Getränke nicht gratis habe hergeben können. Gefragt, ob die Polizei irgendwelche Ermittlungen zum Unfall angestellt habe, gab er an, dass die Polizei festgestellt habe, dass das Unfallopfer betrunken gewesen sei. Sie hätten auch am Unfallort zerbrochene Alkoholflaschen gefunden, weil er normalerweise verlangt habe, dass die leeren Alkoholflaschen ihm zurückgegeben werden. Der Verkehrsunfall habe in erster Linie deswegen große Auswirkungen auf ihn gehabt, weil der Bruder des Unfallopfers ein Kommandant der Mujaheddin gewesen sei und der Konsum und der Verkauf von Alkohol in Afghanistan verboten sei. Er sei sozusagen entlarvt worden und habe sein Gesicht in der Gesellschaft verloren.

Der Kommandant habe sich an ihm rächen wollen. Sein Freund XXXX habe ihn indirekt über seinen anderen Freund XXXX gewarnt, dass XXXX Bruder ihn suche und sich an ihm rächen wolle. Daraufhin habe XXXX ihn bei seinem Schwiegervater zwei Wochen lang versteckt und habe dann XXXX mit seinem Onkel gesprochen, damit er Afghanistan verlassen könne. Der Bruder des Unfallopfers sei ein lokaler Kommandant gewesen, aber er habe als Muhjahed über viel Macht und auch über Verbindungen verfügt. Er werde auch von einem Parlamentsabgeordneten namens XXXX unterstützt. Gefragt, ob er konkret gesucht worden sei, gab er an, "Laut Erzählungen, ja."

Nachgefragt von wem, gab er an, dass XXXX mit XXXX gesprochen habe. Weiter nachgefragt, ob er von irgendjemandem konkret bedroht worden sei, gab er an, dass er ein Jahr vor diesem Verkehrsunfall wegen XXXX von den Taliban bedroht worden sei. Daraufhin schilderte der Beschwerdeführer, dass eine Person bei ihm angerufen habe, dass sie Zigaretten brauchen würde. Er habe die Zigaretten besorgt. Als er die Tür aufgemacht habe, hätten ihm drei Personen eine Waffe an den Kopf gehalten und seien hineingestürmt. Sie hätten ihn verhört und insbesondere wissen wollen, welcher Arbeit sein Freund XXXX nachgehe. Er habe geantwortet, dass er das nicht wisse. Daraufhin hätten sie sein Geschäft zerstört. Es hätte auch ein Mann eine Zigarette angezündet und an mehreren Stellen in seinem Gesicht ausgedrückt. Dann hätten sie ihn zusammengeschlagen. Sie wären abgezogen. Er habe den Vorfall XXXX genau geschildert. Dieser habe den Dorfarzt geholt, welcher ihn ärztlich versorgt habe. Die Männer, die ihn überfallen und verhört hätten, habe er nicht gekannt. Angeblich habe es sich um Angehörige der Stiefmutter von XXXX gehandelt. Dieser Vorfall habe sich ungefähr ein Jahr, bevor XXXX bei dem Unfall verstorben sei, ereignet.

Befragt, nach dem unmittelbaren Anlass der Ausreise gab er an, dass er an XXXX Alkohol verkauft habe und wegen des Alkoholverkaufes als ungläubig gelte. Ungefähr zwei Monate nach dem Tod XXXX sei er über den Iran, wo er sich vier Monate aufgehalten habe, nach Europa gereist. Familienangehörige in Afghanistan habe er nicht mehr. Eine Zeit lang habe er mit einem Freund, der sich damals in der Türkei aufgehalten habe, Kontakt gehabt, aber der Kontakt sei abgebrochen, als dieser nach Afghanistan zurückgekehrt sei. Später habe er erfahren, dass sein Freund verstorben sei. Gefragt nach aktuellen gesundheitlichen oder psychischen Problemen gab er an, dass er eine Zeit lang eine Angststörung gehabt habe, aber aktuell gesund sei.

Gefragt, was er derzeit in Österreich mache, gab er an, dass er täglich sechs bis sieben Stunden die Schule besuche und dass er am Nachmittag in einem Seniorenheim aushelfe. Weiters betreibe er Fitness. Er habe auch ein paar Freunde. Am Wochenende würden sie öfters mit dem Fahrrad 30 bis 40 Kilometer fahren. Dann würden sie zu XXXX oder zu ihm nach Hause gehen. Er wohne in einer Asylwerberunterkunft, einem ehemaligen Gasthaus. Er habe früher eine Beziehung (zu einer Österreicherin) gehabt, jetzt nicht mehr. Er habe die A1-Prüfung abgelegt und habe dann gleich mit dem B1-Kurs beginnen dürfen und auch die Prüfung positiv abgelegt.

Er habe in Österreich schon immer einer offiziellen Arbeit nachgehen wollen, habe aber keine Arbeitserlaubnis und habe dann für die getätigte Arbeit Dienstleistungsschecks erhalten. Er habe auch eine Zeit lang als Erntehelfer bei der Weintraubenernte geholfen und arbeite ehrenamtlich im Sozialzentrum in XXXX . Weiters habe er auch für die Gemeinde und das XXXX ehrenamtlich gearbeitet. Durch das Fitnesscenter habe er zahlreiche Freunde kennengelernt und auch bei einem Verein " XXXX " mitgearbeitet. Er möchte sehr gern in Österreich bleiben und gerne eine Lehre im Baubereich und zwar als Stahlbetonbauarbeiter beginnen, um später als Eisenbieger zu arbeiten.

Ausdrücklich gefragt, was mit ihm geschehen würde, wenn er nach Afghanistan zurückkehren würde, gab er an, dass er niemanden in Afghanistan habe, und nicht wisse, wie er dort zurechtkommen solle. Er fürchte den Kommandanten und habe Angst, dass dieser ihn eines Tages über Bekannte und seine Männer finde. Über Vorhalt, dass er jung, gesund und arbeitsfähig sei, mittlerweile auch eine Schulausbildung und Berufserfahrung habe, ob er nicht in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif sich ansiedeln könne, gab er an, dass die Sicherheitslage in Afghanistan überall schlecht sei und das, was er hier erlernt habe, ihm dort nichts nützen würde. Er möchte ein friedliches Leben führen.

Über Befragen durch den Beschwerdeführervertreter gab er an, dass ein Neffe seit zehn Jahren in Italien lebe, ein weiterer sei bereits österreichischer Staatsbürger und mache Zivildienst. Das seien die Söhne seiner Schwester. Diese habe insgesamt vier Söhne. Drei seien in Österreich und einer in Italien. Außer seiner Schwester habe er keine Familienangehörigen. Er lese die " XXXX " und verfolge auch XXXX im Internet. Er habe wohl keinen Fernseher, aber wenn er bei Freunden sei, schaue er schon fern. Bei den letzten Wahlen habe Sebastian XXXX , Zweite sei Frau XXXX geworden. Ein weiteres Vorbringen habe er nicht.

Abschließend wurde den Verfahrensparteien das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan (soweit verfahrensrelevant) zur Kenntnis gebracht und eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme von zwei Wochen eingeräumt. Weiters wurde der aktuelle Strafregisterauszug des Beschwerdeführers, in dem keine Verurteilung aufscheint, verlesen. Trotz Zuwarten über diese Frist hinaus langte keine Stellungnahme von Seiten des Beschwerdeführers bzw. seiner Vertretung ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat, wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Afghanistan und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist sunnitischer Moslem. Er wurde XXXX im Dorf XXXX in der Provinz Parwan geboren und hat als Kind an verschiedenen Orten in Afghanistan, zum Beispiel auch in XXXX gelebt. Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan keine Schulausbildung genossen. Er hat zunächst im Lebensmittelgeschäft seines Vaters mitgeholfen und dieses nach dessen Tod übernommen. Darüber hinaus hatte die Familie eine Landwirtschaft, die von Angestellten bewirtschaftet wurde. Sein Vater ist, nachdem er von Taliban vor ca. 18 Jahren geschlagen wurde, gestorben, seine Mutter sechs Jahre später. Der Beschwerdeführer hatte in Afghanistan keine wirtschaftlichen Probleme. Er ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan in seinem Lebensmittelgeschäft auch Alkohol verkauft. Zu den weiteren Fluchtgründen können mangels glaubhafter Angaben keine Feststellungen getroffen werden.

Der Beschwerdeführer gelangte (spätestens) am 05.08.2015 nach Österreich und stellte noch an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer ist aktuell gesund. Der Beschwerdeführer besucht in Österreich die Externe Hauptschule XXXX , arbeitet ehrenamtlich im XXXX und hat auch bereits ein Deutschdiplom B1 erworben. Er lebt aktuell nicht in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft, die Beziehung zu seiner österreichischen Freundin ist zwischenzeitig auseinandergegangen. In Österreich ist die Schwester des Beschwerdeführers legal aufhältig. Er lebt mit dieser nicht in einem gemeinsamen Haushalt und ist sie - trotz Krankheit - nicht auf seine Hilfe angewiesen und er nicht auf ihre. Der Beschwerdeführer ist unbescholten.

Zu Afghanistan wird Folgendes verfahrensbezogen festgestellt:

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 23/Rückkehr).

Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019) US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

Anmerkung der Staatendokumentation: Zur besseren Ortung der oben beschriebenen Vorfälle folgt eine kartografische Darstellung der Staatendokumentation mit der Einteilung der Stadt Kabul in Polizeidistrikte:

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(Quelle: BFA 13.2.2019)

Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

Quellen:

1 TV NEWS (30.5.2019): At least six killed in suicide blast near military academy in Kabul, http://www.1tvnews.af/

en/news/afghanistan/38366-breaking -blast-rocks-kabu l, Zugriff 3.6.2019

AAN - Afghanistan Analysts Network (17.5.2019): The Results of Afghanistan's 2018 Parliamentary Elections: A new, but incomplete Wolesi Jirga,

https://www.afghanistan-analysts.org/the-results-of-afghanistans-2018-parliamentary-elections-a-new-but-incomplete-wolesi-jirga/, Zugriff 22.5.2019

AJ - Al Jazeera (30.5.2019): Suicide bomber targets Afghan military training centre in Kabul,

https://www.aljazeera.com/news/2019/05/suicide-bomber-targets-afghan-military-training-centrekabul-190530082719388.html, Zugriff 3.6.2019

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (3.6.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per EMail

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (20.5.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per EMail

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (6.5.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per EMail

BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation (13.2.2019): Kabul Police Districts Map, liegt im Archiv der Staatendokumentation auf

Heise (16.5.2019): Afghanistan: Wie viel Macht hat der Präsident?, https://www.heise.de/tp/

features/Afghanistan-Wie-viel-Macht-hat-der-Praesident-4422023.html,Zugriff 3.6.2019

IEC - Independent Electoral Commission via Facebook (14.5.2019):

Press Declaration 24/2/1398,

https://www.facebook.com/AfghanistanIEC/posts/2361637283896572?__tn__=-R, Zugriff 4.6.2019

IEC - Independent Electoral Commission (15.5.2019): Kabul - Wolesi Jirga Final Results,

http://www.iec.org.af/results/en/home/finalresult_by_province/1/2, Zugriff 4.6.2019

LWJ - Long War Journal (2.6.2019): Islamic State bombs bus, security personnel in western Kabul,

https://www.longwarjournal.org/archives/2019/06/islamic-state-bombs-bus-securitypersonnel-in-western-kabul.php, Zugriff 3.6.2019

Newsweek (21.5.2019): Russia Spy Chief warns 5,000 ISIS Foreign Fighters Threaten Borders of Former Soviet Union, https://www.newsweek.com/russia-spy-chief-warns-5000-isis-foreignfighters-threaten-borders-former-1431576, Zugriff 4.6.2019

Tolonews (3.6.2019): Five Killed As Explosion Targets Govt Employees Bus In Kabul, https://www.tolonews.com/

afghanistan/explosion-targets-govt-bus-kabul, Zugriff 3.6.2019

Tolonews (31.5.2019a): Taliban Wants An ‚Inclusive Post-Peace Govt', https://www.tolonews.com/afghanistan/

taliban-wants-inclusive-post-peace-govt, Zugriff 3.6.2019

Tolonews (31.5.2019b): Concerns Mount Over Sharp Increase In Attacks

In Kabul, https://www.tolonews.com/

afghanistan/concerns-mount-over-sharp-increase-attacks-%C2%A0kabul, Zugriff 3.6.2019

Tolonews (31.5.2019c): Heavy Explosion Rocks Kabul; 4 Civilians Killed, https://www.tolonews.com/

afghanistan/heavy-explosion-rocks-kabul, Zugriff 3.6.2019

Tolonews (27.5.2019a): Seven Members Of One Family Murdered in Kabul, https://www.tolonews.com/

afghanistan/seven-members-one-family-murdered-kabul, Zugriff 3.6.2019

Tolonews (27.5.2019b): 10 Wounded As Blast Targets Govt Employees Bus In Kabul, https://www.tolonews.com/

afghanistan/10-wounded-blast-targets-govt-employees-bus-kabul, Zugriff 3.6.2019

TW - The Week (2.6.2019): Afghan officials: 3 bomb blasts in capital, 1 killed, https://www.theweek.in/

news/world/2019/06/02/afghan-officials-3-bomb-blasts-in-capital-1-killed.html, Zugriff 3.6.2019

UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (24.4.2019): Quarterly Report on the Protection of Civilians in Armed Conflict: 1 January to 31 March 2019, https://unama.unmissions.org/sites/

default/files/unama_protection_of_civilians_in_armed_conflict_-_first_quarter_report_2019_english_.pdf, Zugriff 3.4.2019

VOA - Voice of America (21.5.2019): Islamic State in Afghanistan Growing Bigger, More Dangerous, https://www.voanews.com/a/islamic-state-in-afghanistan-growing-bigger-moredangerous/4927406.html, Zugriff 4.6.2019

KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche, Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 21/Grundversorgung und Wirtschaft).

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat -Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).

Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019).

Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und US-Vertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte US-Unterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen US-Vertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).

Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen, welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).

Quellen:

AJ - Al Jazeera (21.3.2019): Blasts in Afghan capital Kabul kill six during new year festival,

https://www.aljazeera.com/news/2019/03/blasts-afghan-capital-kabul-kill-6-year-festival-190321064823472.

html, Zugriff 26.3.2019

AJ - Al Jazeera (8.3.2019): Death toll rises to 11 in attack on Shia gathering in Kabul, https://www.aljazeera.

com/news/2019/03/death-toll-rises-11-afghan-capital-attack-shia-gathering-190308102222870.html, Zugriff 26.3.2019

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (25.3.2019): Briefing Notes Afghanistan, liegen im Archiv der Staatendokumentation auf

NYT - The New York Times (7.3.2019): U.S. Peace Talks With Taliban Trip Over a Big Question: What Is Terrorism?, https://www.nytimes.com/2019/03/07/world/asia/taliban-peace-talksafghanistan.html, Zugriff 26.3.2019

IFRCRCS - International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies (17.3.2019): Emergency Appeal Afghanistan: Drought and Flash Floods,

https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-drought-and-flash-floods

Qantara (12.02.2019): Any deal will do, https://en.qantara.de/print/34493, Zugriff 26.3.2019

Reuters (21.3.2019): Explosions in Afghan capital Kabul kills six during new year festival,

https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-attack/explosions-in-afghan-capital-kabul-kill-6-during-new-year-festival-idUSKCN1R20GL, Zugriff 26.3.2019

Reuters (18.3.2019): U.S. freezes out top Afghan official in peace talks feud: sources, https://www.reuters.com/

article/us-usa-afghanistan/us-freezes-out-top-afghan-official-in-peacetalks-feud-sources-idUSKCN1QZ2OU, Zugriff 26.3.2019

Taz - Die Tagezeitung (6.2.2019): Auch Moskau spielt die Taliban-Karte,

https://www.taz.de/Gespraeche-zwischen-Taliban-und-Russland/!5568633/, Zugriff 26.3.2019

TDP - The Defense Post (21.3.2019): Bomb blasts around Afghanistan capital kill 6 during Nowruz celebrations, https://thedefensepost.com/2019/03/21/afghanistan-kabul-bombings-nowruz/, Zugriff 26.3.2019

UN OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (19.3.2019): Afghanistan: Flash Floods, Update No. 7 (as of 19 March 2019),

https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources

/afg_flash_floods_update_7_19_mar_2019_web.pdf, Zugriff 26.3.2019

VoA - Voice of America (20.3.2019): Afghanistan Again Postpones Presidential Election, https://www.voanews.

com/a/afghanistan-again-postpones-presidential-election/4840141.html, Zugriff 26.3.2019

WP - The Washington Post (18.3.2019): Afghan government, shut out of

U.S.-Taliban peace talks, running short on options,

https://www.washingtonpost.com/world/afghan-government-shut-out-ofus-taliban-peace-talks-running-short-on-options/2019/03/18/92cd6128-497d-11e9-8cfc-2c5d0999c21e_story.html?noredirect=on&

utm_term=.ffa121b12dbc, Zugriff 26.3.2019

Kommentar:

Die Lage vor Ort wird weiterhin beobachtet und gegebenenfalls wird mit weiteren Kurzinformationen reagiert. Weiterführende Informationen zu der Friedensgesprächsrunde von Jänner 2019 können der KI vom 31.1.2019 entnommen werden.

KI vom 1.3.2019, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2018 (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018).

Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019). Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfalle

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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