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66 SozialversicherungNorm
EMRK Art6 Abs1 / TribunalLeitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal durch eine Entscheidung der Landesberufungskommission betreffend einen Einzelvertrag; fehlende Unparteilichkeit der belangten Kollegialbehörde durch von der Ärztekammer entsandte, auch dem Vorstand der Ärztekammer angehörende Beisitzer; Beteiligung dieser Beisitzer bereits an der Verweigerung der Zustimmung zum Abschluß eines unbefristeten VertragesSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal iS des Art6 EMRK verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Der Beschwerdeführer ist praktischer Arzt in Villach. Mit seinem an die paritätische Schiedskommission des Landes Kärnten gerichteten Schreiben vom 12. Mai 1995 beantragte er die Erlassung eines Bescheides mit dem Inhalt, daß sein Einzelvertrag mit der Kärntner Gebietskrankenkasse vom 1. Juli 1994 auf unbestimmte Zeit verlängert werde. In eventu beantragte er die Erlassung eines Bescheides, mit dem die Ärztekammer für Kärnten verpflichtet wird, der Verlängerung seines für den Zeitraum vom 1. Juli 1994 bis 30. Juni 1995 mit der Kärntner Gebietskrankenkasse abgeschlossenen Einzelvertrages auf unbestimmte Zeit zuzustimmen bzw. ihn hiefür der Kärntner Gebietskrankenkasse vorzuschlagen.
Hiezu führte er aus, die Ärztekammer für Kärnten weigere sich, ihn der Gebietskrankenkasse für die Vertragsverlängerung vorzuschlagen, weil sie meine, daß seine Tätigkeit als Polizeiarzt einer weiteren Invertragnahme hinderlich wäre, obwohl er seinerzeit die Absicht bekundet habe, den Polizeidienst aufzugeben. Dies verstoße gegen das Gleichbehandlungsgebot, da es im Bereich der Kärntner Ärztekammer üblich sei, daß Mitglieder Mehrfachbeschäftigungen nachgingen und die Polizei für ihn keinen Ersatz gefunden habe. Er habe auch umfangreiche Investitionen in seine Arztpraxis vorgenommen. Seine Tätigkeit als Polizeiarzt behindere ihn auch nicht als Kassenarzt.
Im Verfahren vor der paritätischen Schiedskommission wurde nur die Kärntner Gebietskrankenkasse als Antragsgegnerin beteiligt. Diese vertrat die Ansicht, daß zwischen ihr und dem Antragsteller gar kein Rechtsstreit vorliege, ein solcher bestünde nur zwischen dem Antragsteller und der Ärztekammer für Kärnten. Für diesen sei der ordentliche Rechtsweg einzuschlagen.
1.2. Eine Entscheidung der paritätischen Schiedskommission kam wegen Stimmengleichheit nicht zustande.
1.3. Daraufhin wandte sich der Beschwerdeführer - gestützt auf §344 Abs3 ASVG - an die Landesberufungskommission für Kärnten. Mit Antrag vom 31. Juli 1995 richtete er an die Landesberufungskommission das - bis dahin nur eventualiter gestellte - Begehren auf Erlassung eines Bescheides folgenden Inhaltes, der offenkundig darauf abzielte, für das weitere Verfahren auch die Ärztekammer für Kärnten zum Antragsgegner zu machen:
"Die Ärztekammer für Kärnten ist schuldig, der Verlängerung des Einzelvertrages Dris. G C, praktischer Arzt in Villach, mit der Kärntner Gebietskrankenkasse vom 1.7.1994 auf unbestimmte Zeit zuzustimmen bzw. ihn hiefür der Kärntner Gebietskrankenkasse vorzuschlagen."
1.4. Mit Bescheid der Landesberufungskommission für Kärnten vom 12. Oktober 1995 wurde - nachdem die Ärztekammer für Kärnten in das Verfahren einbezogen und von ihr eine Gegenschrift erstattet worden war - das vorstehend zitierte, gegen die Ärztekammer für Kärnten gerichtete Begehren des Beschwerdeführers zurückgewiesen.
Sein gegen die Kärntner Gebietskrankenkasse gerichteter Antrag wurde mit Bescheid vom gleichen Tag abgewiesen, wogegen beim Verfassungsgerichtshof eine zu B4001/95 protokollierte Beschwerde anhängig ist.
Der das gegen die Ärztekammer für Kärnten gerichtete Begehren zurückweisende Bescheid wurde im wesentlichen wie folgt begründet:
"Die Landesberufungskommission für Kärnten ist für den Antrag, was die Ärztekammer für Kärnten als Antragsgegnerin betrifft, nicht zuständig.
Gemäß §345 Abs2 ASVG ist die Landesberufungskommission zuständig zur Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide der paritätischen Schiedskommission sowie aufgrund von Devolutionsanträgen gem. §344 Abs3. Nach §344 Abs1 ASVG ist die paritätische Schiedskommission zuständig, zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten, die in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag stehen. Antragsberechtigt sind die Parteien des Einzelvertrages. Abs3 leg.cit. regelt den Devolutionsantrag.
Im gegenständlichen Fall ist zunächst zu prüfen, ob die Ärztekammer für Kärnten überhaupt Antragsgegnerin in diesem Verfahren sein kann, die Landesberufungskommission somit zuständig ist. Auf den ersten Blick erscheint die Zuständigkeit mehr oder weniger allumfassend: '... Entscheidung von Streitigkeiten, die in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag stehen...'. Dieser Wortlaut würde sogar dafür sprechen, daß etwa Schadenersatzansprüche eines aufgrund eines Einzelvertrages behandelten Patienten gegen den Vertragsarzt von dieser Behörde zu entscheiden wären (wovon natürlich keine Rede sein kann). Schon aus dem nächsten Satz ergibt sich aber unzweideutig, daß es sich nur um Streitigkeiten zwischen den Parteien (Partnern) des Einzelvertrages handeln kann, denn nur diesen kommt die Antragsberechtigung und damit Parteistellung zu. Es wäre nicht sachgerecht, würde zwar ein vertragsfremder Dritter vom Vertragspartner des Einzelvertrages vor diese Kommission gezogen werden können, umgekehrt aber selbst kein Antragsrecht haben. Dieser Standpunkt - Unzuständigkeit der paritätischen Schiedskommission und der Landesberufungskommission - ergibt sich völlig eindeutig auch aus der Schiedskommissionsverordnung - SchKV, BGBl. 1991/128:
§2 Abs1 bestimmt nämlich in der hier relevanten Ziffer 1, daß die paritätische Schiedskommission zuständig ist zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Vertragsarzt (Antragsteller) und Träger der Krankenversicherung (hier Kärntner Gebietskrankenkasse). Die Zuständigkeit der Landesberufungskommission reicht nicht weiter (§14 SchKV). Für die Entscheidung über einen gegen die Ärztekammer für Kärnten gerichteten Antrag ist die Zuständigkeit somit nicht gegeben, weshalb der Antrag zurückzuweisen war. Eine neuerliche Befassung der paritätischen Schiedskommission (etwa im Wege einer Überweisung des Antrags zur formellen Einbeziehung der Ärztekammer für Kärnten in das Verfahren 1. Instanz) ist, da es sich hiebei nur um eine zwecklose Förmlichkeit handelte, abzulehnen."
1.5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher mit näherer Begründung die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen geltend gemacht und die Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.
1.5.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt und bringt hiezu vor:
"Gemäß §344 ASVG ist ohne jede Einschränkung, insbesondere ohne jede Einschränkung auf bestimmte beteiligte Parteien, die paritätische Schiedskommission zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten in jedem wie immer gearteten rechtlichen oder tatsächlichen Zusammenhang mit einem Einzelvertrag zuständig. Im Anlaßfall ging es einerseits um die Feststellung, daß die seinerzeit zwischen der Gebietskrankenkasse und mir im Einzelvertrag vereinbarte Befristung gesetzwidrig insbesondere im Sinn des §343 ASVG war (insbesondere weil die einzige gesetzliche Ausnahme - Befristung im vorübergehenden dringenden Bedarfsfalle - nicht vorlag).
Zum anderen ging es auch um die Feststellung, daß selbst bei allenfalls gesetzlich möglicher Befristung ich jedenfalls einen Anspruch auf Vertragsverlängerung hätte.
Jedenfalls ging es also um eine Streitigkeit bzw. Feststellung im Zusammenhang mit meinem Einzelvertrag mit der GKK bzw. meinem Rechtsanspruch auf Vorschlag zum Abschluß eines Vertrages mit der GKK durch die Ärztekammer. Genau für diese Fälle ist aber die paritätische Schiedskommission vorgesehen. Zumindest ergibt sich aus dem Gesetz keine Einschränkung, wonach dieser Fall nicht vor der paritätischen Schiedskommission gemäß §§344 ff ASVG verhandelt werden sollte.
Durch die Unzuständigkeitserklärung in beiden Instanzen (paritätische Schiedskommission, Landesberufungskommission) wurde mir aber das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, insbesondere gemäß §§344 ff ASVG entzogen.
In eventu rege ich die amtswegige Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens, insbesondere in bezug auf §344 Abs2 ASVG und §345 Abs2 ASVG an. Diese Gesetzesbestimmungen müßten dahingehend geändert werden, daß die jeweiligen Kommissionen nur aus solchen Mitgliedern bestehen dürfen, die objektiv unbefangen an die Sache herangehen und in der Sache selbst entscheiden können und die nicht bereits zuvor gegen den Antragsteller tätig waren. Dies gilt sowohl in bezug auf die beteiligten Parteien, die ein Entsendungsrecht haben, als auch umsomehr für die in die Kommission entsandten Personen."
1.5.2. Weiters wird mit näherer Begründung eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums behauptet.
1.6. Die Landesberufungskommission für Kärnten als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.
2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
2.1. Der Beschwerdeführer zieht zunächst die Verfassungsmäßigkeit der §§344 Abs2 und 345 Abs2 ASVG in Zweifel, weil die Landesberufungskommission den von Art6 EMRK geforderten Voraussetzungen nicht entspreche. Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, daß der Gerichtshof die Tribunalqualität der Landesberufungskommission im Sinne des Art6 EMRK mehrfach anerkannt hat (siehe VfSlg. 13553/1993 und VfGH 25.9.1995 B1590/94).
Im Erkenntnis VfSlg. 13553/1993 führte der Gerichtshof hiezu folgendes aus:
"Verfehlt ist ... der Einwand der Beschwerde, daß die Entsendung von Beisitzern durch die Interessenvertretungen mit der nach Art6 EMRK gebotenen Unparteilichkeit der Landesberufungskommission unvereinbar sei. Hiezu genügt es, auf die Erkenntnisse VfSlg. 9878/1983 und 12470/1990 zu verweisen. Der VfGH hegt aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles auch sonst keine Bedenken gegen die Tribunalqualität der Landesberufungskommission. Dazu sei verwiesen auf VfSlg. 11912/1988, welche Entscheidung zwar zur Unbedenklichkeit der Bundesschiedskommission als Tribunal im Sinne des Art6 EMRK ergangen ist, jedoch auch für den vorliegenden Fall Bedeutung besitzt, da die Absätze 3 bis 7 des §346 ASVG, in denen die maßgeblichen Bestimmungen für die Einrichtung der Bundesschiedskommission als Tribunal enthalten sind, auch für die Landesberufungskommission sinngemäß anzuwenden sind (§345 Abs3 ASVG)."
Der Gerichtshof sieht sich auch aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdevorbringens nicht veranlaßt, von seiner Judikatur abzurücken und hegt weiterhin keine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der §§344 und 345 ASVG. Der Beschwerdeführer ist daher nicht wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen in seinen Rechten verletzt worden.
2.2. Der Beschwerdeführer wurde jedoch durch den angefochtenen Bescheid in dem verfassungsgesetzlich gewährleisten Recht auf Unparteilichkeit der Mitglieder des seinen Fall entscheidenden Tribunals iS des Art6 EMRK verletzt. Über die Beschwerde in der Rechtssache B4001/95 (siehe Punkt 1.4. zweiter Absatz) hat der Verfassungsgerichtshof zu dem gleichen Beschwerdevorwurf am heutigen Tag bereits entschieden und - siehe das gleichzeitig zugestellte Erkenntnis B4001/95 - den angefochtenen Bescheid wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unparteilichkeit des entscheidenden Tribunals aufgehoben. Wohl liegt der vorliegenden Beschwerde - anders als im Fall B4001/95 - ein zurückweisendes Erkenntnis zugrunde, das nur verfahrensrechtlicher Natur ist. Gegenstand des Beschwerdevorwurfes ist aber auch im vorliegenden Fall die fehlende Unparteilichkeit aller Mitglieder des Tribunals, das den angefochtenen Bescheid erlassen hat. Da der vorliegende Fall in den entscheidungswesentlichen Sachverhalts- und Rechtsfragen insofern der Rechtssache gleicht, die der Verfassungsgerichtshof am heutigen Tag zu B4001/95 entschieden hat - in beiden Fällen haben die von der Ärztekammer in die Landesberufungskommission entsandten Beisitzer in ihrer Funktion als Mitglieder des Vorstandes der Kärntner Ärztekammer an der Genehmigung des befristeten Vertrages mit dem Beschwerdeführer und an der Ablehnung des Abschlusses eines unbefristeten Vertrages mit dem Beschwerdeführer mitgewirkt - genügt es, auf die in diesem Erkenntnis enthaltenen Ausführungen des Gerichtshofes zu verweisen.
Der Bescheid war daher aufzuheben.
2.3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 3.000,-- enthalten.
2.4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Sozialversicherung, Ärzte, Tribunal, Kollegialbehörde, BehördenzusammensetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1996:B4000.1995Dokumentnummer
JFT_10039077_95B04000_00