TE Vwgh Erkenntnis 2020/2/6 Ra 2019/18/0355

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Veröffentlicht am 06.02.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision der D I, vertreten durch Dr. Monika Morscher-Spießberger, Rechtsanwältin in 4840 Vöcklabruck, Stadtplatz 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. August 2019, W215 2145196-1/14E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im Anfechtungsumfang (Spruchpunkte A.II. und A.III.) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine somalische Staatsangehörige, beantragte am 23. April 2015 internationalen Schutz und brachte dazu im Wesentlichen vor, bis zu ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat im Distrikt Adan Yabaal, Region Middle Shabelle, in Zentralsomalia gelebt zu haben. Von dort habe sie flüchten müssen, weil sie von Mitgliedern der islamistischen Gruppierung Al-Shabaab bedroht worden sei und zu einer Heirat gezwungen werden sollte. 2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das durch eine Säumnisbeschwerde zuständig gewordene Bundesverwaltungsgericht (BVwG) den Antrag der Revisionswerberin sowohl in Bezug auf den begehrten Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt A.I.) als auch der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt A.II.) ab, erteilte der Revisionswerberin keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung der Revisionswerberin nach Somalia zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt A.III). Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B).

3 Begründend schenkte das BVwG dem Fluchtvorbringen der Revisionswerberin keinen Glauben. Sie habe daher die wohlbegründete Furcht vor asylrelevanter Verfolgung nicht glaubhaft gemacht.

4 Auch subsidiärer Schutz sei ihr trotz der angespannten Lage in Somalia nicht zu gewähren, weil die Revisionswerberin nicht dargelegt habe, dass sie bei Rückkehr keine Lebensgrundlage vorfinden werde bzw. ihre Grundbedürfnisse nicht gedeckt werden könnten. Die Revisionswerberin habe bis zur Ausreise mit ihrer Schwester und ihren Kindern im Elternhaus, das im Eigentum der Familie stehe, auf einem familieneigenen Grundstück gelebt. Die Familie halte sich dort noch immer auf, die Revisionswerberin habe zu ihr Kontakt und es gehe ihr gut. Sie betreibe Viehwirtschaft und verkaufe Brennholz. Ein Bruder der Revisionswerberin habe sehr viele Felder, betreibe dort Obst- und Maisanbau und könne die Familie der Revisionswerberin unterstützen.

5 Das BVwG übersehe nicht, dass die Revisionswerberin behaupte, aus der Region Middle Shabelle zu stammen. Dies habe aber wegen Ungereimtheiten in den Angaben der Revisionswerberin nicht festgestellt werden können. Aus den aktuellen Länderfeststellungen gehe jedenfalls hervor, dass es in dieser Region zu näher dargestellten sicherheitsrelevanten Vorfällen gekommen sei, dies aber nicht in Adan Yabaal. In Bezug auf die Nahrungssicherheit werde die Region um Adan Yabaal in Middle Shabelle nur mit Stufe 02 (von fünf) und somit als angespannt bewertet. Im "anderen möglichen tatsächlichen Herkunftsort" der Revisionswerberin Mogadischu sei die Sicherheitslage nicht derartig, dass jeder Mensch in der Stadt einem Risiko entsprechend Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Die Nahrungssicherheit werde in den Berichten mit Stufe 03 (von fünf) bewertet. Dort gebe es eine für die Revisionswerberin günstige Clanstruktur (die Hauptstadt werde von jenem Clan dominiert, dem auch die Revisionswerberin angehöre), weshalb nicht zu befürchten sei, dass die Revisionswerberin dort von Obdachlosigkeit oder Unterernährung betroffen wäre.

6 Nur gegen die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz und die darauf aufbauenden Spruchpunkte (A.II. und A.III. des angefochtenen Erkenntnisses) wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

7 Sie macht zusammengefasst geltend, das BVwG habe in Abweichung von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Rückkehrsituation der Revisionswerberin im Zusammenhang mit dem begehrten subsidiären Schutz nicht ganzheitlich bewertet. Das BVwG habe die durch mehrere Länderberichte dokumentierten Gefahren für die Revisionswerberin, als junge alleinstehende Rückkehrerin bei dem zu erwartenden Aufenthalt in einem Flüchtlingslager sexuellen Übergriffen ausgesetzt zu sein, vollkommen ausgeblendet und diesbezüglich keine Feststellungen getroffen.

8 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Revision ist zulässig und im Ergebnis begründet.

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat (insbesondere auch) die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 6.9.2018, Ra 2018/18/0315 bis 0320, mwN).

11 Die Revision macht geltend, es sei im gegenständlichen Fall zu erwarten, dass die Revisionswerberin bei Rückkehr in einem Flüchtlingslager untergebracht würde und dort der Gefahr sexueller Übergriffe schutzlos ausgesetzt wäre, was sie durch entsprechende Länderberichte zu untermauern versucht.

12 Davon scheint das BVwG aber nicht ausgegangen zu sein, weil es eine solche Unterbringung nicht in Betracht gezogen und dementsprechend auch keine Feststellungen über die Lage von Rückkehrerinnen in Flüchtlingslagern getroffen hat. 13 Das BVwG dürfte vielmehr angenommen haben, dass die Revisionswerberin gefahrlos in den Familienverband zurückkehren oder geschützt durch den Clan in der somalischen Hauptstadt Mogadischu unterkommen könnte. Beide Annahmen hat das BVwG aber nicht ausreichend begründet und damit auch nicht hinreichend dargestellt, von welcher konkreten Rückkehrsituation im Falle der Revisionswerberin auszugehen ist:

14 Wenn das BVwG eine ungefährdete Rückkehr der Revisionswerberin in den Familienverband für möglich hält, bleibt offen, wo genau sich diese Familie aufhalten soll und ob bzw. wie die Revisionswerberin gefahrlos dorthin gelangen könnte. Diese Unsicherheit besteht umso mehr, als das BVwG in seinen Länderfeststellungen davon spricht, dass in vielen Gebieten von Süd- und Zentralsomalia (wo die Familie zumindest nach den Behauptungen der Revisionswerberin leben soll) noch immer Bürgerkrieg herrsche und die Situation volatil sei. 15 Soweit das BVwG die Revisionswerberin auch auf eine Rückkehrmöglichkeit in die somalische Hauptstadt Mogadischu verweisen möchte, ist anzumerken, dass das angefochtene Erkenntnis keine positive Feststellung enthält, die den Schluss zuließe, dass die Hauptstadt Mogadischu die Herkunftsprovinz der Revisionswerberin sei. Ausgehend davon hätten in Bezug auf Mogadischu die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (§ 11 Abs. 1 AsylG 2005) geprüft werden müssen (vgl. zu diesen Voraussetzungen etwa VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001), was das BVwG nicht nachvollziehbar getan hat. Insbesondere ist dem angefochtenen Erkenntnis nicht zu entnehmen, wie und zu welchem Zeitpunkt die alleinstehende Revisionswerberin bei Rückkehr nach Mogadischu die angebliche Hilfe ihres Clans in Anspruch nehmen könnte, um dort Fuß zu fassen und insbesondere Obdachlosigkeit oder den von der Revision ins Treffen geführten Aufenthalt in einem Flüchtlingslager (mit den behaupteten Gefahren) zu vermeiden. 16 Das angefochtene Erkenntnis ist somit in Bezug auf die Entscheidung über den begehrten subsidiären Schutz mangelhaft begründet und entzieht sich so einer nachprüfenden Kontrolle durch die Parteien und den Verwaltungsgerichtshof.

17 Es war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

18 Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof war gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abzusehen. 19 Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14.

Wien, am 6. Februar 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019180355.L00

Im RIS seit

11.03.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.03.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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