TE Vwgh Erkenntnis 1998/6/24 98/04/0092

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Veröffentlicht am 24.06.1998
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E1E;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

11992E059 EGV Art59;
11992E060 EGV Art60;
11992E177 EGV Art177;
EURallg;
GewO 1994 §88 Abs2;
VwGG §38a;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Stöberl, Dr. Blaschek und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Urban, über die Beschwerde des B in W, vertreten durch Mag. D, Rechtsanwältin, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 18. Februar 1998, Zl. WST1-B-97116, betreffend Entziehung einer Gewerbeberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Nach dem Vorbringen in der Beschwerde im Zusammenhang mit dem Inhalt des angefochtenen Bescheides entzog der Landeshauptmann von Niederösterreich mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 18. Februar 1998 dem Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf die Regelung des § 88 Abs. 2 GewO 1994 die Gewerbeberechtigung für das Gewerbe "Übersetzungsbüro, beschränkt auf die Sprachen Türkisch-Deutsch" in einem näher bezeichneten Standort. Zur Begründung führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, mit dem vom Beschwerdeführer angefochtenen Bescheid sei diesem die Gewerbeberechtigung entzogen worden, da er mit der Entrichtung der Umlage an die Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft mehr als zwei Jahre im Rückstand gewesen sei und das Gewerbe während der letzten zwei Jahre nicht ausgeübt oder ruhend gemeldet habe. In seiner dagegen eingebrachten Berufung habe der Beschwerdeführer lediglich ausgeführt, es sei ihm auf Grund eines "rechts- und verfassungswidrigen Eingriffes" seitens einer österreichischen Behörde nicht möglich gewesen, sein Gewerbe auszuüben. Eine nähere Begründung dieses Ansuchens sei weder - wie dies grundsätzlich erforderlich sei - innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung des Bescheides erfolgt, noch, wie vom Beschwerdeführer angekündigt, innerhalb einer Frist von zwei Monaten nachgereicht worden. Die Entziehung der Gewerbeberechtigung durch die Behörde erster Instanz sei daher zu Recht erfolgt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in seinem subjektiv-öffentlichen Recht auf Ausübung der in Rede stehenden Gewerbeberechtigung verletzt. In Ausführung des so zu verstehenden Beschwerdepunktes bringt er im wesentlichen vor, die Bestimmung des § 88 Abs. 2 GewO 1994 widerspreche dem Gemeinschaftsrecht und werde daher auf Grund des Anwendungsvorranges desselben durch die entgegenstehenden Bestimmungen des EG-Vertrages verdrängt. Es komme einem Berufsverbot gleich, daß das Gesetz an den Rückstand mit der Kammerumlage die Folge der Entziehung der Gewerbeberechtigung knüpfe. Eine derart schwerwiegende Sanktion scheine mit den Grundsätzen des EG-Vertrages, insbesondere der Dienstleistungsfreiheit, nicht vereinbar, denn diese dürfe nur durch solche Voraussetzungen eingeschränkt werden, die der Durchsetzung von durch das Allgemeininteresse gerechtfertigten Berufsregelungen dienten. Im Hinblick auf die Besonderheiten der Dienstleistungsfreiheit könnten nur solche an den Leistungserbringer gestellten besonderen Anforderungen nicht als mit dem EG-Vertrag unvereinbar angesehen werden, die sich aus der Anwendung durch das Allgemeininteresse gerechtfertigter Berufsregelungen - namentlich der Vorschriften über Organisation, Befähigung, Berufspflichten, Kontrolle, Verantwortlichkeit und Haftung - ergeben würden. Der Europäische Gerichtshof habe judiziert, daß Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit durch das Allgemeininteresse gerechtfertigt sein müßten und nicht bereits durch andere Normen ausreichend determiniert sein dürften; die Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit müsse im allgemeinen Interesse geboten sein, wie Berufsregeln zum Schutz der Dienstleistungsempfänger, Arbeitnehmerschutz, Verbraucherschutz u. ä. Eine zwingende Kammermitgliedschaft sei jedoch eine unzulässige Beschränkung derselben. Der EuGH habe in seiner bisherigen Rechtsprechung das Grundrecht der freien Berufsausübung als allgemeinen Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechtes anerkannt. Im Hinblick auf diese Judikatur ließe § 88 Abs. 2 GewO 1994 nicht erkennen, inwiefern die Entziehung der Gewerbeberechtigung bei Nichtbezahlung der Kammerumlage aus Gründen des Allgemeininteresses geboten wäre. Denn primäre Aufgabe der Kammern als berufliche Interessensvertretungen sei die Repräsentation der Interessen ihrer Mitglieder nach außen. Sie würden keine staatlichen Aufgaben ausüben, die den Einsatz der Gewerbeordnung als Instrumentarium, um auf die Kammermitglieder Druck zur Zahlung rückständiger Beiträge auszuüben, gerechtfertigt erscheinen ließe. Für die Hereinbringung von Zahlungsrückständen sei durch die Bestimmungen des Vollstreckungsrechtes ausreichend Sorge getragen. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte sohin die belangte Behörde den erstinstanzlichen Bescheid ersatzlos aufzuheben gehabt. Abschließend regt der Beschwerdeführer an, die Frage der Vereinbarkeit von § 88 Abs. 2 GewO 1994 mit den Bestimmungen des EG-Vertrages betreffend die Dienstleistungsfreiheit dem EuGH gemäß Art. 177 EGV zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Art. 59 EGV normiert den Wegfall von Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Europäischen Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind. Diese Bestimmung ist nach der Rechtsprechung des EuGH (grundlegend EuGH, 3. Dezember 1974, 33/74, van Binsbergen, Slg. 1974, 1299) unmittelbar anwendbar und kann infolgedessen vor den staatlichen Gerichten als selbständige Rechtsgrundlage herangezogen werden. Im Gegensatz zur Freiheit des Personenverkehrs (Freizügigkeit der unselbständigen Arbeitnehmer einerseits und Niederlassungsfreiheit der Selbständigen andererseits) wird die Dienstleistungsfreiheit dadurch gekennzeichnet, daß die Anwesenheit des Erbringers oder Empfängers der Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat entweder nur von kurzer, von der Art der Dienstleistung abhängiger Dauer ist (z.B. Ausführung eines Bauauftrages durch eine Baufirma) oder aber nur die Leistung selbst grenzüberschreitend erbracht wird, ohne daß Erbringer oder Empfänger ihren Heimatstaat verlassen (vgl. Fischer/Köck, Europarecht2, 481).

Der Begriff der Dienstleistung selbst wird in Art. 60 Abs. 1 EGV definiert: Dienstleistungen sind demnach Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen.

Art. 60 Abs. 2 EGV nennt demonstrativ gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten, die als Dienstleistungen im Sinne des Abs. 1 in Frage kommen.

Auch die hier gegenständliche Tätigkeit eines Übersetzungsbüros stellt somit eine Dienstleistung im Sinne des Art. 60 lit. a EGV dar.

Der EG-Vertrag schützt den freien Dienstleistungsverkehr jedoch nur insoweit, als ein Element der Grenzüberschreitung hinzukommt; grenzüberschreitende Dienstleistungen können in drei Erscheinungsformen auftreten (vgl. Fischer/Köck, Europarecht2, 509).

-

der Erbringer der Dienstleistung begibt sich in den Staat des Empfängers und erbringt dort seine Dienstleistung;

-

der Empfänger der Dienstleistung begibt sich in den Staat des Erbringers (diese Form wird gelegentliche als passive Dienstleistungsfreiheit bezeichnet);

-

die Leistung wird grenzüberschreitend erbracht, während Erbringer und Empfänger an Ort und Stelle verbleiben und nur im Post- oder Telekommunikationsweg oder aber überhaupt nicht miteinander in Verbindung treten - z.B. die Abstrahlung und der Empfang von Fernsehsendungen - (vgl. zum Ganzen des Urteil des EuGH vom 16. Jänner 1997, Rs C-134/95, EUZW 13/1997, 403 f).

Von diesem normativen Gehalt der Bestimmungen der Art. 59 f EGV ausgehend, betrifft der vorliegende Fall keinen in den Regelungsinhalt dieser Normen fallenden Sachverhalt, weil es nicht um die Frage der Ausübung einer (bestehenden) Berechtigung - grenzüberschreitend - in einem anderen Vertragsstaat der Europäischen Union, also insbesondere nicht um die Frage geht, ob der Beschwerdeführer berechtigt ist, eine ihm in einem anderen Vertragsstaat gestattete Tätigkeit in Österreich auszuüben, sondern um die allein nach innerstaatlichem Recht zu beurteilende Frage des Bestehens einer österreichischen Gewerbeberechtigung.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich daher zu einer Antragstellung im Sinne des Art. 177 EGV nicht veranlaßt.

Gemäß § 88 Abs. 2 GewO 1994 ist von der Behörde die Gewerbeberechtigung zu entziehen, wenn das Gewerbe während der letzten zwei Jahre nicht ausgeübt worden ist und der Gewerbeinhaber mit der Entrichtung der Umlage an die Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft mehr als zwei Jahre im Rückstand ist. Von der Entziehung ist abzusehen, wenn spätestens zugleich mit der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid, mit dem die Entziehung verfügt worden ist, die Bezahlung des gesamten Umlagenrückstandes nachgewiesen wird. Der Beschwerdeführer bestreitet nun nicht, sich mit der Zahlung der Kammerumlage seit mehr als zwei Jahren im Rückstand zu befinden, sodaß sich die Rechtsansicht der belangten Behörde, die Gewerbeberechtigung sei gemäß § 88 Abs. 2 GewO 1994 zu entziehen, als frei von Rechtsirrtum erweist.

Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht kein innerstaatlicher Anwendungsbereich EURallg7

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1998040092.X00

Im RIS seit

18.02.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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