TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/4 W212 2204672-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.07.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

04.07.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W212 2204670-1/2E

W212 2204672-1/2E

W212 2204669-1/2E

W212 2204671-1/2E

W212 2204668-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva SINGER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) mj. XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , 4.) mj. XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , 5.) mj. XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , alle StA. Ukraine, vertreten durch RA Dr. Helmut Blum, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.07.2018, Zl.en 1.) 1082816408/151108465, 2.) 1082816506/151108915, 3.) 1082817100/151109075, 4.) 1082817002/151109054, 5.) 1158585605/170768695, zu Recht:

A) Die Beschwerden werden gemäß §§ 3, 8 AsylG 2005, § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, § 52 Abs. 9 FPG, § 46 FPG sowie § 55a Abs. 4 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht

zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Erstbeschwerdeführer (in der Folge: BF1) und seine Ehefrau, die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) reisten gemeinsam mit ihren minderjährigen Kindern, dem Drittbeschwerdeführer (BF3) und dem Viertbeschwerdeführer (BF4) mittels von der österreichischen Botschaft in Kiew ausgestellter Visa am 10.08.2015 in das Bundesgebiet ein, wo sie am 17.08.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten.

Im Rahmen der Erstbefragung am 28.08.2015 gab der BF1 an, dass die Familie aus der Ostukraine geflüchtet sei, weil dort ihr Leben in Gefahr sei. Ihm sei von der orthodoxen Kirche in seinem Heimatort Rodinskoje verboten worden, seinen Glauben in russischer Sprache auszuüben. Vom ukrainischen Militär werde nicht geduldet, dass in der Kirche Russisch gesprochen werde. Er sei auch bereits mehrmals aufgefordert worden, zum Militär zu gehen.

Die BF2 gab in ihrer Erstbefragung an, dass sie ihren Wohnort Donezk wegen des Krieges verlassen hätten. Wegen der ständigen Bombenangriffe hätten sie immer wieder im Keller Schutz suchen müssen. Es sei derzeit unmöglich dort zu leben. Sie hätten deshalb beschlossen die Ostukraine zu verlassen.

I. 2. Am XXXX wurde die Fünftbeschwerdeführerin (BF5) im Bundesgebiet geboren. Ihre Mutter stellte für sie als gesetzliche Vertreterin am 03.07.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.3. In der Einvernahme vor dem BFA am 11.01.2018 gab der BF1 an, dass er in der Ukraine den Beruf des Elektroschlossers gelernt und an einer Bergbauhochschule studiert habe. Vor der Ausreise habe er als Wachmann gearbeitet. Der BF3 habe in der Ukraine drei Klassen der Grundschule besucht. Der BF1 habe keinen Militärdienst geleistet, ihm sei die universitäre Ausbildung angerechnet worden und er habe den Dienstgrad eines Leutnants erhalten. Seine Mutter, seine Schwiegereltern und sein Onkel lebten in seinem Heimatort Rodinskoje. Er selbst habe bis zur Ausreise in Donezk gewohnt.

Zu seinen Fluchtgründen gab der BF1 an, dass er seine Heimat aufgrund des Krieges verlassen habe. Zudem sei in der Ostukraine nicht mehr geduldet worden, dass in den Kirchen russisch gesprochen werde. Weiters sei er aufgefordert worden, an den Kriegshandlungen teilzunehmen. Er weigere sich jedoch gegen sein eigenes Volk zu kämpfen.

Am 01.10.2015 habe er gehört, dass die Firma, in der er beschäftigt gewesen sei, überfallen werden sollte. Die Polizei sei verständigt und die Kriminellen verhaftet worden. Im Zuge der Ermittlungen habe sich herausgestellt, dass es sich um Leute von XXXX , eines russischen Oligarchen, handle.

Am 14.10.2015 sei er durch einen Granatwerferbeschuss verletzt und im Krankenhaus behandelt worden.

Am 14.05.2014 sei es zu Kampfhandlungen in Donezk gekommen, sie hätten sich im Keller verstecken müssen. Am 20.06.2014 habe er seine Frau und die Kinder nach Rodinskoje gebracht. Dann sei er nach Donezk zurückgekehrt, um zu arbeiten.

Nunmehr habe er erfahren, dass alle russischen Straßennamen und Dokumente in die ukrainische Sprache übersetzt werden sollen.

Nach Rückübersetzung des Protokolls gab der BF1 ergänzend an, dass seine Frau in der Ukraine Schulden habe. Sie habe bei der Privatbank des Oligarchen XXXX einen Kredit über 250 000 Hrywnja (umgerechnet etwa 8 400,- €) aufgenommen, diese Schulden müssten sie zurückzahlen.

Sie hätten ihre Wohnung einem Herrn XXXX überschrieben, der ihnen Dokumente für die Ausreise aus Donezk beschafft habe.

Er sei vom Oligarchen XXXX bedroht worden, da aufgrund seiner Anzeige der Überfall auf seine Firma vereitelt worden sei. Dieser habe ihm Rache geschworen.

Vor seiner Ausreise aus Donezk habe er beim SBU (Inlandsgeheimdienst) eine Verpflichtung unterschreiben müssen, dass er die Staatsgeheimnisse wahre.

Die BF2 gab in ihrer Einvernahme am 11.01.2018 an, dass sie in der Ukraine Tourismus studiert habe. Nach dem Studium habe sie gleich geheiratet und ein Kind bekommen. Von Oktober 2013 bis April 2014 habe sie als Immobilienmanagerin gearbeitet. Ihr Mann sei in der Immobilienfirma Sicherheitsmann gewesen. Ihre Eltern und eine Tante lebten in Rodinskoje, ein Onkel im Gebiet Donezk.

Zu ihren Fluchtgründen gab sie zusammengefasst an, dass ihr Mann zwei Ladungen zum Wehrdienst erhalten habe. Außerdem sei er gezwungen worden, für den SBU in Donezk terroristische Akte zu verüben. Er habe durch seine frühere Tätigkeit im Casino viele Kontakte zu hochrangigen Polizisten und sei dadurch für das ukrainische Militär von Interesse. Der BF1 solle herausfinden, wer Anschläge in Donezk finanziert habe. Die ukrainischen Soldaten in Rodinskoje "gehörten" dem Oligarchen XXXX . Ihr Mann sei im Jahr 2005 mit ihm in Konflikt geraten. Bis 2015 habe er ihrem Mann nicht finden können, dann jedoch seien die Ladungen zu ihrem Elternhaus gekommen. Herr XXXX habe ihren Mann im Frühjahr 2015 informiert, dass er sich in höchster Gefahr von XXXX befinde und dass dieser den BF1 zwingen würde, für ihn zu arbeiten. Im Frühjahr 2015 habe sie eine gerichtliche Ladung erhalten. Ihr sei vorgeworfen worden, einer Bank 250 000 Hrywnja gestohlen zu haben. Sie sei vor die Wahl gestellt worden, das Geld zurückzuzahlen oder ihr Vermögen werde konfisziert. Am selben Tag habe ihr Mann einen Anruf von Herrn XXXX erhalten, dass er eine Ladung vor Gericht erhalten habe. Der BF1 solle entweder für ihn arbeiten oder weiter Probleme haben. Herr XXXX sei auf Seiten von XXXX .

Sie selbst werde wegen des Diebstahls bei der Bank steckbrieflich gesucht.

Im Donezker Oblast seien alle Kirchen, die zum Moskauer Patriarchat gehörten, geschlossen, weil alle Bischöfe die Gottesdienste auf Russisch gehalten hätten. In der Ukraine würden alle Kirchen in die katholische Richtung gehen, das orthodoxe Weihnachten am 7. Jänner sei abgeschafft worden.

Die BF legten folgende Unterlagen vor:

-

Vereinbarung über gemeinnützige Beschäftigung BF1, 27.-28.09.2016, 03.10.2016, 21.-25.03.2016, 01.-29.02.2016, 01.-31.01.2016

-

Vereinbarung über gemeinnützige Beschäftigung BF2, 01.-30.06.2016, 09.-14.09.201601.-30.04.2016, 01.-31.08.2016

-

Jahreszeugnis BF3

-

Deutschkursbestätigungen BF1 bis Niveau B1

-

Deutschkursbestätigungen BF2

-

Prüfungszeugnis BF2, B1

-

Prüfungszeugnisse BF1, A1 und A2

-

Heiratsurkunde

-

Einberufungsbefehl für den 22.04.2015 und den 30.06.2015

-

Geburtsurkunden BF2, BF3, BF4

-

Ukrainischer Führerschein BF1 und BF2

-

Ukrainisches Diplom der BF2

-

Diverse Empfehlungsschreiben

I.4. In einer weiteren Einvernahme am 18.06.2018 wurde der BF1 dazu befragt, wie Herr XXXX ihnen bei der ÖB Kiew Visa für die Einreise nach Österreich besorgt habe. Dazu gab er an, dass er ihm seine Wohnung überschrieben habe und von ihm gefälschte Dokumente erhalten habe, mit denen er die Visa beantragt habe. Herr XXXX sei beim SBU beschäftigt. Er habe ihn kennen gelernt, weil er am 03.02.2015 festgenommen worden sei, da er russisch und nicht ukrainisch gesprochen habe. Als er sich am 22.04.2015 aufgrund eines Einberufungsbefehls bei der Stellungskommission gemeldet habe, habe er ihn wiedergetroffen. Seine Frau sei beschuldigt worden, bei einer Bank Geld unterschlagen zu haben, da der BF1 sich geweigert habe, beim Militär einzurücken. Herr XXXX habe ihm angeboten ihnen im Gegenzug für ihre Wohnung zu helfen. Der BF1 gab weiters an, keinen Militärdienst leisten zu können, da er Invalide sei. Alle Männer zwischen 20 und 60 seien zur Ableistung des Militärdienstes einberufen worden.

In ihrer Einvernahme am 18.06.2018 gab die BF2 an, dass sie ihre Wohnung im Gegenzug für gefälschte Dokumente an Herrn XXXX übertragen habe. Die Wohnung sei in ihrem Besitz gewesen, die Eigentumsübertragung habe aber ihr Mann geregelt. Sie kenne auch den vollen Namen von Herrn XXXX nicht. Ihr Mann habe ihn bei einer Festnahme Anfang 2015 kennengelernt. Ein Mitarbeiter des SBU namens XXXX habe ihn für die Fälschung von Dokumenten vorgeschlagen.

I.5. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.07.2018 wurden unter die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 3 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 die Anträge hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 8 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betragte die Frist für die frewillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Dem Bescheid wurden die entsprechenden Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zu Grunde gelegt. Die BF hätten kein Vorbringen erstattet, das auf eine aslyrelevante Verfolgung schließen lasse. Da die BF arbeitsfähig und gesund seien, gehe die Behörde davon aus, dass ihnen auch keine Gefahren drohten, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Spruchpunkt I., dass der von den BF vorgebrachte Sachverhalt keine Grundlage für eine Subsumierung unter § 3 AsylG 2005 darstelle. Zu Spruchpunkt II. wurde ausgeführt, dass bei den BF keine individuellen Umstände vorlägen, die dafür sprechen würden, dass sie bei einer Rückkehr in die Ukraine in eine derart extreme Notlage geraten würden, die eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen würde. Unter Spruchpunkt III. wurde mit näherer Begründung darauf verwiesen, dass im Verfahren keine Ansatzpunkte hervorgetreten seien, die die Vermutung einer besonderen Integration der BF in Österreich rechtfertigen würden. Bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen würden somit keine Hinweise gefunden werden, welche den Schluss zuließen, dass durch die Rückkehrentscheidung auf unzulässige Weise im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens eingegriffen werden würde.

I.6. Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht am 26.09.2018 Beschwerde erhoben. Begründend wurde vorgebracht, dass die Befragungen der BF nicht konfliktfrei erfolgt seien und eine zusammenhängende, chronologische Schilderung der Ereignisse nicht möglich gewesen seien, die erste Befragung habe neun Stunden gedauert und sei chaotisch gewesen. Es sei zu Unterbrechungen durch die Fragestellung gekommen und sei auch die Referentin vom Fall abgezogen worden. Es sei auch zu Verständigungsproblemen mit dem Dolmetsch gekommen. "Ich" (aus der Beschwerde geht nicht hervor, ob BF1 oder BF2 gemeint ist) habe das Protokoll ausbessern und auch nicht unterschreiben wollen, dies sei aber verweigert worden. Allfällige Abweichungen zwischen erster und zweiter Befragung seien daher nicht geeignet, eine Unglaubwürdigkeit darzulegen.

Auch beim zweiten Interview sei es nur schwer möglich gewesen, die Fluchtgeschichte ohne Unterbrechung durch Fragen der Referentin zu schildern. Die BF hätten jedoch eine komplexe Fluchtgeschichte detailliert und widerspruchgsfrei angegeben. Diese sei jedezeit überprüfbar und es würden entsprechende Erhebungen im Herkunftsstaat beantragt. Die Bedrohung beziehe sich auf das gesamte Staatsgebiet und stehe eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zur Verfügung.

Weiters würden Unterlagen betreffend den Oligarchen XXXX vorgelegt, es werde um Berücksichtigung und Vorortrecherchen ersucht.

Die Gottesdienste der russisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats dürften in der Ukraine nicht mehr in russischer Sprache abgehalten werden. Die freie Religionsausübung sei behindert. Letztes Jahr sei Weihnachten nicht mehr am 6. Jänner, sondern am 24. Dezember gefeiert worden. Der BF4 sei nicht in einer Kirche, sondern in einem Privathaus getauft worden. Es werde daher auch Verfolgung aus religiösen Grunden geltend gemacht.

Schließlich wurde auf die beiliegenden Integrationsunterlagen verwiesen und vorgebracht, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen vorliegen würden.

Der Beschwerde lagen eine Reihe bereits vorgelegter Unterlagen zur Integration der BF bei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF sind Staatsangehörige der Ukraine und gehören der russischen Volksgruppe an. Der BF1 und die BF2 stammen aus Rodinskoje im Oblast Donezk, die Familie lebte vor der Ausreise in Donezk. Ihre Identität steht infolge der vorgelegten unbedenklichen Dokumente fest.

Die BF stellten am 17.08.2015 bzw. am 03.07.2017 (BF5) die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz, wobei sie zuvor legal mittels gültiger ukrainischer Reisepässe in das Bundesgebiet eingereist sind. Den BF waren von der Österreichischen Botschaft in Kiew Visa ausgestellt worden.

1.2. Der BF1 und die BF2 haben in der Ukraine studiert und waren berufstätig. Die Mutter des BF1, die Eltern der BF2 sowie Tanten und Onkel leben in der Ukraine.

1.3. Die BF halten sich seit der Einreise am 10.08.2015 bzw. seit Geburt am XXXX (BF5) durchgehend im Bundesgebiet auf. Der BF1 und die BF2 sprechen Deutsch auf dem Niveau B1 und sind ehrenamtlich tätig. Sie gingen bisher keiner Erwerbstätigkeit nach. Der BF3 besucht in Österreich die Schule.

1.4. Die BF leiden aktuell an keinen schwerwiegenden, lebensbedrohlichen oder behandlungsbedürftigen Erkrankungen, die ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

1.5. Den BF droht in der Ukraine weder in der Vergangenheit noch aktuell eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität.

1.6. Die BF sind im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine nicht in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.

Die BF würden im Falle ihrer Rückkehr in ihrem Herkunftsstaat nicht in eine existenzgefährdende Notlage geraten.

1.7. Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat der BF

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 19.12.2017, Antikorruption (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage, Abschnitt 4/Rechtsschutz/Justizwesen und Abschnitt 7/Korruption)

Die Ukraine hat seit 2014 durchaus Maßnahmen gesetzt, um die Korruption zu bekämpfen, wie die Offenlegung der Beamtenvermögen und die Gründung des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU). Gemeinsam mit dem ebenfalls neu geschaffenen Antikorruptionsstaatsanwalt kann das NABU viele Fälle untersuchen und hat einige aufsehenerregende Anklagen vorbereitet, u.a. wurde der Sohn des ukrainischen Innenministers festgenommen. Doch ohne ein spezialisiertes Antikorruptionsgericht läuft die Arbeit der Ermittler ins Leere, so die Annahme der Kritiker, da an normalen Gerichten die Prozesse erfahrungsgemäß eher verschleppt werden können. Das Antikorruptionsgericht sollte eigentlich bis Ende 2017 seine Arbeit aufnehmen, wurde aber noch immer nicht formell geschaffen. Präsident Poroschenko äußerte unlängst die Idee, eine auf Korruption spezialisierte Kammer am Obersten Gerichtshof sei ausreichend und schneller einzurichten. Diesen Vorschlag lehnte jedoch der Internationale Währungsfonds (IWF) ab. Daher bot Poroschenko eine Doppellösung an: Zuerst solle die Kammer eingerichtet werden, später das unabhängige Gericht. Der Zeitplan dafür ist jedoch offen (NZZ 9.11.2017).

Kritiker sehen darin ein Indiz für eine Einflussnahme auf die Justiz durch den ukrainischen Präsident Poroschenko. Mit Juri Luzenko ist außerdem Poroschenkos Trauzeuge Chef der Generalstaatsanwaltschaft, welche von Transparency International als Behörde für politische Einflussnahme bezeichnet wird. Tatsächlich berichtet die ukrainische Korruptionsstaatsanwaltschaft von Druck und Einflussnahme auf ihre Ermittler (DS 30.10.2017).

Ende November 2017 brachten Abgeordnete der Regierungskoalition zudem einen Gesetzentwurf ein, der eine "parlamentarische Kontrolle" über das NABU vorsah und heftige Kritik der westlichen Partner und der ukrainischen Zivilgesellschaft auslöste (UA 13.12.2017). Daraufhin wurde der Gesetzesentwurf wieder von der Tagesordnung genommen (DS 7.12.2017), dafür aber der Vorsitzende des Komitees der Werchowna Rada zur Korruptionsbekämpfung entlassen, welcher die Ernennung des von der Regierung bevorzugten Kandidaten für das Amt des Auditors im NABU blockiert hatte (UA 13.12.2017).

Im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew haben zuletzt mehrere Tausend Menschen für eine Amtsenthebung von Präsident Petro Poroschenko demonstriert. Die Kundgebung wurde von Micheil Saakaschwili angeführt - Ex-Staatschef Georgiens und Ex-Gouverneur des ukrainischen Odessa, der ursprünglich von Präsident Poroschenko geholt worden war, um gegen die Korruption vorzugehen. Saakaschwili wirft Poroschenko mangelndes Engagement im Kampf gegen die Korruption vor und steht seit einigen Wochen an der Spitze einer Protestbewegung gegen den ukrainischen Präsidenten. Mit seinen Protesten will er vorgezogene Neuwahlen erzwingen. Saakaschwili war Anfang Dezember, nach einer vorläufigen Festnahme, von einem Gericht freigelassen worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Organisation eines Staatsstreiches (DS 17.12.2017).

Die EU hat jüngst die Auszahlung eines Hilfskredits über 600 Mio. €

an die Ukraine gestoppt, und der Internationale Währungsfonds (IWF) ist ebenfalls nicht zur Gewährung von weiteren Hilfskrediten bereit, solange der Kampf gegen die grassierende Korruption nicht vorankommt (NZZ 18.12.2017). Der IWF hat die Ukraine aufgefordert, die Unabhängigkeit von NABU und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu gewährleisten und rasch einen gesetzeskonformen Antikorruptionsgerichtshof im Einklang mit den Empfehlungen der Venediger Kommission des Europarats zu schaffen (UA 13.12.2017).

Quellen:

-

DS - Der Standard (17.12.2017): Tausende fordern in Kiew Amtsenthebung von Poroschenko,

http://derstandard.at/2000070553927/Tausende-fordern-in-Kiew-Amtsenthebung-von-Poroschenko?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

-

DS - Der Standard (7.12.2017): Interventionen verhindern Gesetz gegen ukrainisches Antikorruptionsbüro, http://derstandard.at/2000069775196/Ukrainischer-Antikorruptionsbehoerde-droht-Verlust-an-Unabhaengigkeit, Zugriff 19.12.2017

-

DS - Der Standard (30.10.2017): Die ukrainische Justizfassade bröckelt noch immer,

http://derstandard.at/2000066853489/Die-ukrainische-Justizfassade-broeckelt-noch-immer?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (18.12.2017): Das politische Risiko in der Ukraine ist zurück,

https://www.nzz.ch/finanzen/das-politische-risiko-in-der-ukraine-ist-zurueck-ld.1340458, Zugriff 19.12.2017

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (9.11.2017): Der ukrainische Präsident verschleppt längst überfällige Reformen, https://www.nzz.ch/meinung/ukraine-revolution-im-rueckwaertsgang-ld.1327374, Zugriff 19.12.2017

-

UA - Ukraine Analysen (13.12.2017): Ukraine Analysen Nr. 193, http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen193.pdf?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=Ukraine-Analysen+193&newsletter=Ukraine-Analysen+193, Zugriff 19.12.2017

Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Ihr Staatsoberhaupt ist seit 7.6.2014 Präsident Petro Poroschenko. Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das Parlament (Verkhovna Rada) der Ukraine besteht aus einer Kammer; 225 Sitze werden über ein Verhältniswahlsystem mit Listen vergeben, 225 weitere Sitze werden in Mehrheitswahl an Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben. 27 Mandate bleiben aufgrund der Krim-Besetzung und des Konflikts in der Ost-Ukraine derzeit unbesetzt. Im Parlament sind folgende Fraktionen und Gruppen vertreten (mit Angabe der Zahl der Sitze):

Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka)

142

Volksfront (Narodny Front)

81

Oppositionsblock (Oposyzijny Blok)

43

Selbsthilfe (Samopomitsch)

26

Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka)

20

Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna)

20

Gruppe Wolja Narodu

19

Gruppe Widrodshennja

24

Fraktionslose Abgeordnete

48

(AA 2.2017a)

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt seither mit unterschiedlichen Koalitionen eine europafreundliche Reformpolitik. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassung- und Justizreform. Die Parteienlandschaft ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Die Regierung Hrojsman, die seit April 2016 im Amt ist, setzt den euroatlantischen Integrationskurs der Vorgängerregierung unter Arseni Jazenjuk fort und hat trotz zahlreicher koalitionsinterner Querelen und zum Teil großer Widerstände wichtige Reformen erfolgreich durchführen können. Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen bei weitem nicht befriedigt (AA 7.2.2017).

Die Präsidentenwahlen des Jahres 2014 werden von internationalen und nationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft (USDOS 3.3.2017a).

Ukrainische Bürger können seit 11. Juni 2017 ohne Visum bis zu 90 Tage in die Europäische Union reisen, wenn sie einen biometrischen Pass mit gespeichertem Fingerabdruck besitzen. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden. Die Visabefreiung gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands (DS 11.6.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017a): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ukraine_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

DS - Der Standard (11.6.2017): Ukrainer feierten Aufhebung der Visapflicht für die EU,

http://derstandard.at/2000059097595/Ukrainer-feierten-Aufhebung-der-Visapflicht-fuer-die-EU, Zugriff 19.6.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

Sicherheitslage

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).

Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).

Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon

9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).

Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017

Rechtsschutz/Justizwesen

Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering (USDOS 3.3.2017a).

Nach einer langen Phase der Stagnation nahm die Justizreform ab Juli 2016 mit Verfassungsänderungen und neuem rechtlichem Rahmen Fahrt auf. Für eine Bewertung der Effektivität der Reform ist es noch zu früh (FH 29.3.2017).

Die Reform der Justiz war eine der Kernforderungen der Demonstranten am sogenannten Euro-Maidan. Das größte Problem der ukrainischen Justiz war immer die mangelnde Unabhängigkeit der Richter von der Exekutive. Auch die Qualität der Gesetze gab stets Anlass zur Sorge. Noch problematischer war jedoch deren Umsetzung in der Praxis. Auch Korruption wird als großes Problem im Justizbereich wahrgenommen. Unter dem frisch ins Amt gekommenen Präsident Poroschenko machte sich die Regierung daher umgehend an umfassende Justizreformen. Mehrere größere Gesetzesänderungen hierzu wurden seither verabschiedet. Besonders hervorzuheben sind Gesetz Nr. 3524 betreffend Änderungen der Verfassung und Gesetz Nr. 4734 betreffend das Rechtssystem und den Status der Richter, die Ende September 2016 in Kraft traten. Mit diesen Gesetzen wurden die Struktur des Justizsystems reformiert und die professionellen Standards für Richter erhöht und ihre Verantwortlichkeit neu geregelt. Außerdem wurde der Richterschaft ein neuer Selbstverwaltungskörper gegeben, der sogenannte Obersten Justizrat (Supreme Council of Justice). Dieser ersetzt die bisherige Institution (Supreme Judicial Council), besteht hauptsächlich aus Richtern und hat ein Vorschlagsrecht für Richter, welche dann vom Präsidenten zu ernennen sind. Ebenso soll der Oberste Justizrat Richter suspendieren können. Die besonders kritisierte fünfjährige Probezeit der Richter wurde gestrichen und ihr Einkommen massiv erhöht. Auf der anderen Seite wurden die Ernennungskriterien für Richter erhöht, bereits ernannte Richter müssen sich einer Überprüfung unterziehen. Die Antikorruptionsregelungen wurden verschärft und die richterliche Immunität auf eine rein professionelle Immunität beschränkt. Richter, die die Herkunft ihres Vermögens (bzw. das enger Angehöriger) nicht belegen können, sind zu entlassen. Besonders augenfällig ist auch die Umstellung des Gerichtssystems von einem viergliedrigen zu einem dreigliedrigen System. Unter dem ebenfalls reformierten Obersten Gerichtshof als höchster Instanz, gibt es nun nur noch die Appellationsgerichte und unter diesen die lokalen Gerichte. Die zuvor existierenden verschiedensten Gerichtshöfe (zwischen Appellationsgerichten und Oberstem Gerichtshof) wurden abgeschafft. Außerdem wurde ein spezialisierter Antikorruptionsgerichtshof geschaffen, wenn auch dessen genaue Zuständigkeit noch durch Umsetzungsdekrete festzulegen ist. Die Kompetenz Gerichte zu schaffen oder umzuorganisieren etc., ging vom Präsidenten auf das Parlament über (BFA/OFPRA 5.2017).

Die andere große Baustelle des Justizsystems ist die Reform des Büros des Generalstaatsanwalts, der bislang mit weitreichenden, aus der Sowjetzeit herrührenden Kompetenzen ausgestattet war. Im April 2015 trat ein Gesetz zur Einschränkung dieser Kompetenzen bei gleichzeitiger Stärkung der Unabhängigkeit in Kraft, wurde in der Praxis aber nicht vollständig umgesetzt. Große Hoffnungen in diese Richtung werden in den im Mai 2016 ernannten neuen Generalstaatsanwalt Juri Lutsenko gesetzt. Eine neu geschaffene Generalinspektion soll die Legalität der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft überwachen. Die praktische Umsetzung all dieser Vorgaben erfordert allerdings die Verabschiedung einer Reihe begleitender Gesetze, die es abzuwarten gilt. Etwa 3.400 Posten in der Staatsanwaltschaft, die neu besetzt wurden, gingen überwiegend an Kandidaten, die bereits vorher in der Staatsanwaltschaft gewesen waren. Alle Kandidaten absolvierten eingehende und transparente Tests, aber am Ende waren unter den Ernannten nur 22 neue Gesichter, was in der Öffentlichkeit zu Kritik führte. Für die Generalinspektion ist aber neues Personal vorgesehen. Die schlechte Bezahlung der Staatsanwälte ist ein Einfallstor für Korruption. Der Antikorruptions-Staatsanwalt bekommt als einziger Staatsanwalt höhere Bezüge, obwohl gemäß Gesetz alle Staatsanwälte besser bezahlt werden müssten (BFA/OFPRA 5.2017; vgl. FH 29.3.2017).

Mit 1. Oktober 2016 hat die Generalstaatsanwaltschaft sechs Strafverfahren gegen Richter eingeleitet. Richter beschweren sich weiterhin über eine schwache Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative. Einige Richter berichten über Druckausübung durch hohe Politiker. Andere Faktoren behindern das Recht auf ein faires Verfahren, wie langwierige Gerichtsverfahren, vor allem in Verwaltungsgerichten, unzureichende Finanzierung und mangelnde Umsetzung von Gerichtsurteilen. Diese liegt bei nur 40% (USDOS 3.3.2017a).

Der unter der Präsidentschaft Janukowitschs zu beobachtende Missbrauch der Justiz als Hilfsmittel gegen politische Mitbewerber und kritische Mitglieder der Zivilgesellschaft ist im politischen Prozess der Ukraine heute nicht mehr zu finden. Es bestehen aber weiterhin strukturelle Defizite in der ukrainischen Justiz. Eine umfassende, an westeuropäischen Standards ausgerichtete Justizreform ist im September 2016 in Kraft getreten, deren vollständige Umsetzung wird jedoch noch einige Jahre in Anspruch nehmen (ÖB 4.2017).

Laut offizieller Statistik des EGMR befindet sich die Ukraine auf Platz 1 in Bezug auf die Anzahl an anhängigen Fällen in Strassburg (18.155, Stand 1.1.2017). 65% der anhängigen Fälle betreffen die nicht-Umsetzung von nationalen Urteilen. Wiederkehrende Vorwürfe des EGMR gegen die Ukraine kreisen auch um die überlange Dauer von Zivilprozessen und strafrechtlichen Voruntersuchungen ohne Möglichkeit, dagegen Rechtsmittel ergreifen zu können; Verstöße gegen Art. 5 der EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit); Unmenschliche Behandlung in Haft bzw. unzulängliche Untersuchung von derartig vorgebrachten Beschwerden; Unzureichende Haftbedingungen und medizinische Betreuung von Häftlingen (ÖB 4.2017).

Quellen:

-

BFA/OFPRA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Office français de protection des réfugiés et apatrides (5.2017): Fact Finding Mission Report Ukraine

-

FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, http://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html, Zugriff 6.6.2017

-

ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

Sicherheitsbehörden

Die Sicherheitsbehörden unterstehen effektiver ziviler Kontrolle. Der ukrainischen Regierung gelingt es meist nicht Beamte strafzuverfolgen oder zu bestrafen, die Verfehlungen begangen haben. Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen bemängeln aber die Maßnahmen angebliche Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsbehörden zu ermitteln bzw. zu bestrafen, insbesondere angebliche Fälle von Folter, Verschwindenlassen, willkürlichen Inhaftierungen etc. durch den ukrainischen Geheimdienst (SBU), speziell wenn das Opfer verdächtig war/ist "pro-separatistisch" eingestellt zu sein. Straflosigkeit i

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten