TE Vwgh Erkenntnis 1998/6/24 97/01/0874

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Veröffentlicht am 24.06.1998
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E1E;
E6J;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

11992E006 EGV Art6;
11992E008 EGV Art8 Abs1;
11992E177 EGV Art177;
61974CJ0021 Airola;
61990CJ0369 Micheletti VORAB;
EURallg;
StbG 1949 §8 Abs1;
StbG 1965 §65 Abs2;
StbG 1985 §2 Z3;
VwGG §38a;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde der M in Feldkirch, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 13. Juni 1996, Zl. Ia 371-3/96, betreffend Feststellung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Vorarlberg Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, die damals die österreichische Staatsbürgerschaft besaß, heiratete am 4. August 1964 einen liechtensteinischen Staatsangehörigen und erwarb unbestrittenermaßen dadurch nach liechtensteinischem Recht ex lege die Staatsbürgerschaft dieses Landes.

Die Vorarlberger Landesregierung hat mit Bescheid vom 13. Juni 1996 über den Antrag der Beschwerdeführerin auf Feststellung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 42 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311 (StbG), festgestellt, daß die Beschwerdeführerin die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitze.

In der Begründung führte die belangte Behörde dazu im wesentlichen aus, daß die Beschwerdeführerin durch die Ehe mit dem liechtensteinischen Staatsbürger und den damit ex lege verbundenen Erwerb der liechtensteinischen Staatsbürgerschaft aufgrund des § 8 Abs. 1 des damals in Geltung gestandenen Staatsbürgerschaftsgesetzes 1949, BGBl. Nr. 276, die Österreichische Staatsbürgerschaft im Zeitpunkt der Eheschließung verloren habe, weil ihr die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht bewilligt worden sei.

Über die dagegen gerichtete, vom Verfassungsgerichtshof nach Ablehnung ihrer Behandlung (Beschluß vom 9. Juni 1997, B 2469/96-6) abgetretene (Beschluß vom 3. September 1997, B 2469/96-8) Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

§ 8 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1949 hat folgenden Wortlaut:

"Durch die Verehelichung mit einem Ausländer verliert die Ehegattin die Staatsbürgerschaft, sofern nachgewiesen wird, daß sie nach den Gesetzen des Staates, dem der Ehegatte angehört, durch Verehelichung die Staatsangehörigkeit dieses Staates erwirbt. Doch kann die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft aus triftigen Gründen bewilligt werden."

§ 65 Abs. 2 des am 1. Juli 1966 in Kraft getretenen Staatsbürgerschaftsgesetzes 1965, BGBl. Nr. 250, normiert, daß das Staatsbürgerschaftsgesetz 1949 mit dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes außer Kraft tritt.

Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin bedeutet dies jedoch nicht, daß ein Erwerb oder Verlust der Staatsbürgerschaft, der aufgrund des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1949 erfolgte, nach Aufhebung dieses Gesetzes seine Wirksamkeit verloren hat. Das geltende Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, das eine Wiederverlautbarung des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1965 darstellt und insoweit mit diesem übereinstimmt, sieht vielmehr in seinem § 2 Z. 3 vor, daß "ohne Unterschied des Geschlechtes eine Person, welche die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt", als Staatsbürger gilt. Staatsbürger ist daher, wer entweder aufgrund des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1965 (bzw. 1985) die Staatsbürgerschaft erworben oder wer diese im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1965 aufgrund der bis dahin geltenden Bestimmungen besessen und sie seitdem nicht verloren hat. Durch die Aufhebung dieser Bestimmungen wurde lediglich ihr zeitlicher Bedingungsbereich beendet; sie beziehen sich ihrem Inhalt nach weiterhin auf Sachverhalte, die sich vor dem Zeitpunkt ihrer "Aufhebung" verwirklicht haben (Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft, Band II, S. 103; Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3, S. 212).

Die Beschwerdeführerin hat im Verwaltungsverfahren damit argumentiert, anläßlich ihrer Eheschließung einen Antrag auf Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 8 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1949 gestellt zu haben; sie hat jedoch in der Stellungnahme vom 20. Mai 1996 selbst vorgebracht, daß über diesen Antrag nicht bescheidmäßig abgesprochen worden sei. Da auch die aus dem Akt ersichtlichen amtswegigen Ermittlungen einen Bescheid, mit dem der Beschwerdeführerin die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft bewilligt wurde, nicht zum Vorschein gebracht haben, ist die belangte Behörde zu Recht davon ausgegangen, daß eine derartige Bewilligung nicht erteilt worden ist. Da die im Verwaltungsverfahren vorgebrachte mündliche Äußerung eines vor der Eheschließung der Beschwerdeführerin im selben Haus mit deren Familie wohnhaften Bezirkshauptmannes, wonach die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft bei Bestehen eines Anknüpfungspunktes zu Österreich bewilligt werden könne, eine bescheidmäßige Bewilligung nicht ersetzen kann, kommt der Verfahrensrüge, der angefochtene Bescheid enthalte nicht die Feststellung, der Beschwerdeführerin sei die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft zugesichert worden, keine Berechtigung zu.

Die Beschwerdeführerin hat daher durch ihre Eheschließung am 4. August 1964 und den unbestritten damit verbundenen Erwerb der liechtensteinischen Staatsbürgerschaft gemäß § 8 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1949 die österreichische Staatsbürgerschaft ex lege - ohne daß es dazu einer ausdrücklichen Aberkennung bedurfte - verloren. Daran kann auch der Umstand nichts ändern, daß der Beschwerdeführerin nach ihrem Vorbringen weder der österreichische Reisepaß noch der österreichische Personalausweis entzogen worden ist.

Die Beschwerdeführerin bringt vor, der Verlust der Staatsbürgerschaft durch die Heirat mit einem Fremden widerspreche dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere dem gemeinschaftsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz. Dazu führt sie aus, daß Liechtenstein Mitglied des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sei und die Frage, ob die Beschwerdeführerin weiterhin Österreicherin sei, nach aktuellem Gemeinschaftsrecht zu beurteilen sei.

Dem ist zunächst zu entgegnen, daß dem erwähnten Abkommen keine Bestimmung zu entnehmen ist, die die belangte Behörde rechtens daran gehindert hätte, festzustellen, daß die Beschwerdeführerin seit ihrer Verehelichung im Jahr 1964 die österreichische Staatsbürgerschaft nicht mehr besitze.

Überdies ist auszuführen, daß das Gemeinschaftsrecht zwar in einer Fülle von Rechtsvorschriften an das Vorliegen der Staatsbürgerschaft anknüpft (siehe insbesondere Art. 6 EGV, wonach jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten ist), jedoch - ebenso wie das Völkerrecht (Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft, Band I, S. 102 f; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 575 ff) - die Regelung der Frage, wer Angehöriger eines bestimmten Staates (und damit gemäß Art. 8 Abs. 1 EGV Unionsbürger) ist, dem betreffenden Staat überläßt (EuGH, 7. Juli 1992, Micheletti u. a./Delegacion del Gobierno en Cantabria C 369/90, Slg. 1992, I-4258, Rz 10, W.Kaufmann-Bühler in C.0.Lenz Kommentar zum EG-Vertrag, S. 43 f; M. Haag in Von der Groeben/Boeckh, Kommentar zum EG-Vertrag, S. 371; Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 178; Bleckmann, Europarecht6, Rz 1739).

Das in der Beschwerde zitierte Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 20. Februar 1975, Airola/Kommission, RS 21-74, Slg. 1975, S. 221-227, erging zur Frage der Auslegung des Begriffes "Staatsangehörigkeit" in einer gemeinschaftsrechtlichen Norm, nämlich in Art. 4 Abs. 1 A des Anhanges VII zum Beamtenstatut. Regelungen über den Erwerb oder den Verlust einer Staatsangehörigkeit sind nicht Gegenstand dieses Urteiles. Darin räumt der EuGH ein, daß das von den einzelnen Staaten zu regelnde Staatsangehörigkeitsrecht nicht einheitlich ist, sondern daß nach neueren Gesetzen die Frau nicht automatisch die Staatsangehörigkeit ihres Ehemannes erwirbt, während andere Gesetze auch heute noch entsprechend der früher geltenden Grundregel bestimmen, daß sich die Staatsangehörigkeit der verheirateten Frau nach der Staatsangehörigkeit ihres Ehemannes richtet.

Da das Gemeinschaftsrecht somit schon aus diesem Grund nicht gebietet, die Beschwerdeführerin, die die österreichische Staatsbürgerschaft bereits am 4. August 1964 verloren hat, nunmehr (rückwirkend) als österreichische Staatsbürgerin zu behandeln, war der Anregung der Beschwerdeführerin auf Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes zu den Fragen, ob

1.

das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum ein Assoziationsabkommen im Sinne des Gemeinschaftsrecht darstellt,

2.

auf einen im Jahre 1996 erlassenen Feststellungsbescheid Recht angewendet werden darf, dessen diskriminierender Charakter außer Streit steht,

3.

es in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt, ob das nunmehr zweifelsfrei diskriminierende Recht seinerzeit als nicht diskriminierend angesehen wurde und

4.

das Urteil Airola gegen die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, wonach niemand durch den gesetzlich vorgesehenen zwangsweisen Erwerb einer ausländischen Staatsbürgerschaft bestehender Rechte verlustig gehen dürfe, auf den Anlaßfall übertragbar sei,

nicht zu folgen.

Aus den angeführten Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG i.d.F. BGBl. I Nr. 88/1997 abgesehen werden.

Gerichtsentscheidung

EuGH 61111990J0369 Micheletti VORAB;
EuGH 61974J0021 Airola

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997010874.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

16.12.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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