TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/22 W204 2162924-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.10.2019
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Entscheidungsdatum

22.10.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
IPRG §6

Spruch

W204 2162924-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX Z XXXX , geb. am XXXX 1961, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch das Zentrum für Europäische Integration und Globalen Erfahrungsaustausch, Ottakringer Straße 54/4, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.05.2017, Zl. 1074107804 - 150699589/BMI-BFA_SBG_AST_01_TEAM_03, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am 18.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Am 20.06.2015 wurde der BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Niederösterreich niederschriftlich erstbefragt. Befragt nach seinen Fluchtgründen, führte der BF aus, er sei vor den Taliban geflohen, die in Afghanistan noch immer ihr Unwesen trieben, weshalb er beschlossen habe, zu fliehen.

I.3. Am 03.08.2015 zeigte der im Spruch genannte Vertreter seine Bevollmächtigung an.

I.4. Am 19.04.2017 wurde der BF von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und einer Vertreterin unter anderem zu seinem Gesundheitszustand, seiner Identität, seinen Lebensumständen in Afghanistan, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Österreich befragt. Nach den Gründen befragt, die den BF bewogen, seine Heimat zu verlassen, gab er an, er habe für die afghanische Armee und später als Dolmetscher für Amerikaner gearbeitet. Die Taliban hätten deswegen versucht, ihn bei einem Heimatbesuch gefangen zu nehmen, der BF habe jedoch fliehen können.

I.5. Am 25.04.2017 langte eine Stellungnahme des Vertreters des BF ein, in der unter Zitierung mehrerer Artikel ausgeführt wird, dass die Aussage des BF glaubhaft sei.

I.6. Mit Bescheid vom 23.05.2017, dem Vertreter des BF am 31.05.2017 durch Hinterlegung zugestellt, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte die Behörde aus, dass es dem BF nicht gelungen sei, seine Aussage glaubhaft zu machen, weswegen ihm der Status eines Asylberechtigten nicht gewährt werden könne. Aus dem Vorbringen des BF und der allgemeinen Situation lasse sich bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch keine unmenschliche Behandlung oder eine im gesamten Herkunftsstaat vorliegende extreme Gefährdungslage erkennen. Der BF könne in Kabul oder Herat zumutbare Lebensbedingungen vorfinden, zumal in beiden Städten Anknüpfungspunkte bestünden. Gemäß § 57 AsylG sei auch eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, da die Voraussetzungen nicht vorlägen. Letztlich hätten auch keine Gründe festgestellt werden können, wonach bei einer Rückkehr des BF gegen Art. 8 Abs. 2 EMRK verstoßen würde, weswegen auch eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.

I.7. Mit Verfahrensanordnung vom 26.05.2017 wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.8. Am 13.06.2017 erhob der BF durch seinen Vertreter Beschwerde in vollem Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung und der Verletzung von Verfahrensvorschriften und beantragte, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, dem BF die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, in eventu dem BF den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu die Angelegenheit zur Sanierung der Verfahrensmängel an das BFA zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückzuverweisen.

I.9. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 29.06.2017 vorgelegt.

I.10. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 04.06.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der der BF, sein Vertreter und das BFA teilnahmen. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari u.a. zu seiner Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, seinen Familienangehörigen, seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich ausführlich befragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

-

Einsicht in den den BF betreffenden und dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, insbesondere in die Befragungsprotokolle;

-

Befragung des BF im Rahmen einer öffentlich mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 04.06.2019;

-

Einsicht in die in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat und in die vom BF vorgelegten Unterlagen;

-

Einsicht in das ZMR, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zum BF und seinen Fluchtgründen:

Die Identität des BF steht mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsnachweise nicht fest. Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an, ist schiitischer Moslem und stammt aus der Provinz Ghazni. Die Muttersprache des BF ist Dari, in der er lesen und schreiben kann. Außerdem beherrscht der BF Englisch und Farsi in Wort und Schrift und kann auf Arabisch lesen und auf Paschtu sprechen.

Der BF lebte in Afghanistan seit 1987, wenn er nicht beruflich unterwegs war, mit Frau XXXX , geb. XXXX 1977, zusammen. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF diese Frau nach islamischem Recht für Afghanistan rechtsgültig geheiratet hatte; es handelte sich jedenfalls um eine Kinder- und Zwangsehe. Aus dieser Verbindung sind drei Söhne und zwei Töchter hervorgegangen. Der älteste Sohn ist verstorben, der zweitälteste Sohn war in Österreich subsidiär schutzberechtigt und ist mittlerweile ins Heimatland zurückgekehrt. Den zum Zeitpunkt der Einreise minderjährigen Kindern sowie deren Mutter wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 03.01.2019 der Status der Asylberechtigten zuerkannt, da die Mutter der Kinder "westlich" orientiert ist und der Status der Asylberechtigten im Wege des Familienverfahrens auf die Kinder erstreckt wurde.

Der BF hatte in Afghanistan alle zwei bis drei Monate Urlaub bei seinen Kindern und deren Mutter verbracht. Seit 2010 lebte der BF getrennt von diesen. Im Bundesgebiet lebte der BF von 25.11.2016 bis 10.01.2017 mit seinen Kindern und ihrer Mutter im gemeinsamen Haushalt. Aufgrund eines gewalttätigen Vorfalls eines Sohns des BF gegen die Mutter zog diese zum Schutz vor ihrem gewalttätigen Sohn und dem BF mit ihren Töchtern in ein Frauenhaus. Der BF hat keinen Kontakt zu diesen Kindern und ihrer Mutter und will mit ihnen nicht mehr gemeinsam leben.

Im Jahr 2009 heiratete der BF eine andere Frau nach islamischem Recht. Diese lebt nach wie vor in Afghanistan bei deren Vater im Distrikt Jaghori. Aus dieser Ehe hat der BF keine Kinder. Eine Schwester und ein Onkel des BF leben in Herat. Diesen geht es gut. Der BF hat Kontakt sowohl zu seinem Schwiegervater als auch zu seiner Schwester. Weitere Verwandte (Cousins und Cousinen) leben in Afghanistan in verschiedenen Provinzen und in Europa in verschiedenen Ländern. Zu diesen hat der BF über Facebook Kontakt.

Der BF besitzt ein Grundstück und ein Haus in einem Dorf in Jaghori.

Der BF ist in der Provinz Ghazni geboren und bei seinen Eltern und seinen Geschwistern aufgewachsen. Er hat zehn Jahre die Schule besucht und hat danach sieben Jahre im Iran Englisch und Mechanik studiert, wobei er nur Englisch abgeschlossen hat. Danach war der BF als Lackierer und Spengler und später als Lebensmittelverkäufer tätig. Ab 2001 war der BF vier Jahre lang bei der afghanischen Armee als Unteroffizier tätig. Danach war der BF bis zu seiner Ausreise im Jahr 2012 Dolmetscher beim International Military Service und war am Stützpunkt der US-amerikanischen Armee XXXX stationiert und für diese tätig.

Die Taliban versuchten nicht, den BF bei einer Fahrt nach Ghazni gefangen zu nehmen, um ihn zu töten. Auch sonst setzten die Taliban keine konkret gegen den BF gerichteten Verfolgungshandlungen. Dem BF droht bei einer Rückkehr keine Verfolgung.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr in die Städte Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif Gefahr läuft, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann bei seinen Familienmitgliedern unterkommen bzw. können diese ihn finanziell unterstützen.

Der BF hat im Bundesgebiet Deutschkurse bis zum Niveau A2 besucht. Er kann sich im Alltag auf Deutsch verständigen. Er war seit Sommer 2016 Mitglied im Karateverband und hat an den Trainings teilgenommen sowie Prüfungen abgelegt. Derzeit übt der BF Thaiboxen aus. Der BF hat sich während seines Aufenthalts im Bundesgebiet nicht ehrenamtlich betätigt. Sein Freundeskreis besteht im Wesentlichen aus Afghanen, Arabern und Österreichern.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten und bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

II.1.2. Zur Situation im Herkunftsland:

Allgemeine Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit letzter Kurzinformation vom 26.03.2019 - LIB 26.03.2019, S. 16). Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (LIB 26.03.2019, S. 59).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 26.03.2019, S.59). Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt

23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan; für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712. Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 60). Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 18). Im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 registrierten die UN 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet (LIB 26.03.2019, S. 16).

Im Berichtszeitraum 1.1.2018 bis 30.9.2018 registrierte die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) 8.050 zivile Opfer (LIB 26.03.2019, S. 32). Die UNAMA registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (LIB 26.03.2019, S. 20).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 26.03.2019, S. 62). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S. 16).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S. 70). Mit Stand 22.10.2018 kontrollierte beziehungsweise beeinflusste die Regierung - laut Angaben der Resolute Support Mission - 53,8% der Distrikte. 33,9% waren umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (LIB 26.03.2019, S. 16).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 26.03.2019, S. 63).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 26.03.2019, S. 63). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 26.03.2019, S. 63).

Am Donnerstag, dem 9.8.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt Ghaznis, einer strategisch bedeutenden Provinz, die sich auf der Achse Kabul-Kandahar befindet. Nach fünftägigen Zusammenstößen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen konnten letztere zurückgedrängt werden. Während der Kämpfe kamen ca. 100 Mitglieder der Sicherheitskräfte ums Leben und eine unbekannte Anzahl Zivilisten und Taliban (LIB 26.03.2019, S. 47f).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv und zeichnete im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia, auf die Mawoud-Akademie in Dasht-e Barchi/Kabul am 15.08.2018, auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi am 05.09.2018 sowie auf eine Demonstration gegen die Übergriffe der Taliban in Ghazni und Uruzgan am 12.11.2018 und auf das Kabuler Gefängnis Pul-i-Charkhi am 31.10.2018 verantwortlich (LIB 26.03.2019, S. 17, 29, 37).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, das Personenstands- und Urkundenwesen in Afghanistan ist kaum entwickelt. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (LIB 26.03.2019, S. 346f).

Zur Provinz Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten: Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (LIB 26.03.2019, S. 84).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt. Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen. In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen. Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (LIB 26.03.2019, S. 84f).

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (LIB 26.03.2019, S. 85).

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (LIB 26.03.2019, S. 85f).

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt. Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden. Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind. Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt. Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen. Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt. Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden. Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (LIB 26.03.2019, S. 86f).

Zur Provinz Balkh und der Hauptstadt Mazar-e Sharif:

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt. Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan] und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 26.03.2019, S. 102). Die Infrastruktur ist noch unzureichend, da viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, in schlechtem Zustand und in den Wintermonaten unpassierbar sind (LIB 26.03.2019, S. 103). Mazar-e Sharif ist jedoch grundsätzlich auf dem Straßenweg mittels Bus erreichbar, eine Fahrt kostet zwischen 400 und 1.000 Afghani (LIB 26.03.2019, S. 258). In Mazar-e Sharif gibt es zudem einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt über den Luftweg von Kabul sicher zu erreichen ist (LIB 26.03.2019, S. 103 und 261).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften. Im Zeitraum 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 103f). Im Herbst 2018 wurde im Norden Afghanistans - darunter u.a. in der Provinz Balkh - eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden registriert; Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit (LIB 26.03.2019, S. 36).

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Dabei werden Taliban getötet und manchmal auch ihre Anführer (LIB 26.03.2019, S. 104).

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen. Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (LIB 26.03.2019, S. 105).

Zur Provinz Herat:

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (LIB 26.03.2019, S. 139). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler, etwa 10 km außerhalb von Herat-Stadt (LIB 26.03.2019, S. 261) und ein militärischer in Shindand (LIB 26.03.2019, S. 139). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken. Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (LIB 26.03.2019, S.139).

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen Afghanistans gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (LIB 26.03.2019, S. 140). Es gibt interne Konflikte zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen. Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (LIB 26.03.2019, S. 142).

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB 26.03.2019, S. 140).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37 % im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 26.03.2019, S. 140f).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (LIB 26.03.2019, S. 141). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) zählt Herat neben den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar und Uruzgan zu den Provinzen Afghanistans, in welchen bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen stattfanden (LIB 26.03.2019, S. 16).

Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.03.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi von der Zerstörung und Beschädigung von Häusern infolge starker Regenfällen betroffen. Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der Herat (und die Provinz Badghis) am meisten betroffen war und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren) sie es weiterhin sind. In den beiden Provinzen wurden am 13.09.2018 ca. 266.000 IDPs (afghanische Binnenflüchtlinge) vertrieben; davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (LIB 26.03.2019, S. 12).

Zur Provinz Ghazni:

Ghazni ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistan und liegt 145 km südlich von Kabul Stadt entfernt. Ghazni liegt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Laut dem afghanischen Statistikbüro ist Ghazni die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl, die auf

1.270.319 Bwohner und Bewohnerinnen geschätzt wird (LIB 26.03.2019, S. 123).

Im Februar 2018 wurde verlautbart, dass Ghazni zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes zählt. Die Provinz grentz an unruhige Provinzen des Südens. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv und es kommt zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Aufständischen. Im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) (15.12.2017-15.2.2018) haben regierungsfeindliche Elemente auch weiterhin Druck auf die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeübt, indem koordinierte Angriffe auf Kontrollpunkte der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte unter anderem in der Provinz Ghazni verübt wurden. Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 163 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert (LIB 26.03.2019, S. 124f).

Wirtschaft:

Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Dennoch ist das Land weiterhin arm und von Hilfeleistungen abhängig. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 26.03.2019, S. 353). Mehr als 60% der afghanischen Arbeitskräfte arbeiten im Landwirtschaftssektor, dieser stagniert. Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. 55% der afghanischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans ist nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 26.03.2019, S. 354, UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, Seite 19 und 20).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus dem Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus den an Afghanistan angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (LIB 26.03.2019, S. 366).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen- Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 26.03.2019, S. 367f).

Die Organisationen IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden. Die internationale Organisation für Migration IOM bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an. Das Norwegian Refugee Council (NRC) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die Afghanistan Independent Human Rights Commission. Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben (LIB 26.03.2019, S. 369f). Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft. Seit 2016 erhalten Rückkehr/innen Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (LIB 26.03.2019, S. 370).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 26.03.2019, S. 370f).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 26.03.2019, S. 371).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten -ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 26.03.2019, S. 370f).

Legales Heiratsalter:

Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre (15 Jahre, wenn dies von einem Elternteil bzw. einem Vormund und dem Gericht erlaubt wird) und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (LIB 26.03.2019, S. 331).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben mehr als 34.1 Millionen Menschen. Es sind ca. 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken (LIB 26.03.2019, S. 314). Paschtunen sind somit die größte Ethnie Afghanistans (LIB 26.03.2019, S. 319). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten, wo diese mehrheitlich gesprochen werden, eingeräumt (LIB 26.03.2019, S. 315).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azãrajãt) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak, Central Bihsud/Behsood und Hisa-i-AwaI Bihsud. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild; andererseits gehören ethnische Hazara hauptsächlich dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (LIB 26.03.2019, S. 316f).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (LIB 26.03.2019, S. 317).

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert; vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (26.03.2019, S. 317).

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Es existiere in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Hazara beschweren sich über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft. Arbeitsplatzanwerbung erfolgt hauptsächlich über persönliche Netzwerke; Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (26.03.2019, S. 317).

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf; soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangs-rekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (LIB 26.03.2019, S. 318).

Religionen:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert. Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (LIB 26.03.2019, S. 304f).

Schiiten

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt. Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara. Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (LIB 26.03.2019, S. 307f).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Obwohl einige schiitische Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit (LIB 26.03.2019, S. 307f).

Die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen; dennoch kommt es zu lokalen Diskriminierungsfällen. Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (LIB 26.03.2019, S. 307).

II.2. Beweiswürdigung

II.2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts.

II.2.2. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit sowie zur Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit des BF legte bereits das BFA aufgrund der glaubhaften Angaben des BF seiner Entscheidung zugrunde. Da der BF diese anlässlich der Beschwerdeverhandlung noch einmal bestätigte (S. 4 VP), besteht daran für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund zu zweifeln. Die Identität des BF kann mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden.

Die Feststellungen zu den Sprachkenntnissen sowie zu seiner Herkunftsprovinz beruhen auf den das ganze Verfahren über gleichbleibenden Angaben des BF (AS 149, S. 9 VP).

Dass der BF seit 1987 mit einer Frau zusammenlebte und mit ihr fünf gemeinsame Kinder hat, sagte der BF ebenfalls das ganze Verfahren über gleichbleibend aus (AS 1, 150f, S. 5 VP). Diese Aussagen wurden von der Mutter der Kinder in deren Verfahren stets bestätigt, obwohl sie sich aufgrund von Gewalttätigkeiten vom BF trennte, sodass entgegen dem BFA festgestellt werden konnte, dass es sich dabei um gemeinsame Kinder handelt.

Nicht festgestellt werden konnte, dass der BF seine erste Frau nach islamischem Recht rechtsgültig geheiratet hatte, da der BF vor dem BFA noch angab, er habe diese nach islamischem Recht geheiratet und es habe eine große Hochzeitsfeier gegeben (AS 150f), während er vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft ausführte, er sei nur mit seiner zweiten Frau offiziell verheiratet. Auf Rückfrage gab er an, er sei zwar auch mit der ersten Frau islamisch verheiratet, es gebe darüber jedoch kein Dokument und auch derjenige, der sie vermählt habe, habe nichts niedergeschrieben (S. 5 VP). Es kann aber letztlich aus rechtlichen Erwägungen (siehe dazu noch unten) dahingestellt bleiben, ob es sich dabei um eine rechtsgültige islamische Ehe handelte, da aufgrund der Angaben des BF festgestellt werden musste, dass es sich dabei um eine Kinder- und Zwangsehe handelte. Der BF gab zwar an, dass die Frau bei der Hochzeit 17 Jahre alt gewesen sei, während er selbst 27 Jahre alt gewesen sei (AS 151). Die Mutter seiner Kinder wurde jedoch erst 1977 geboren und war daher entgegen den Angaben des BF zum angeblichen Zeitpunkt der Hochzeit erst zehn Jahre alt. In diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass nach den unbestrittenen Länderfeststellungen das afghanische Recht grundsätzlich 16 Jahre als legales Heiratsalter für Mädchen definiert, sodass nicht davon auszugehen ist, dass es sich dabei um eine rechtsgültige Ehe handelte. Der BF schilderte die Umstände der Hochzeit derart, dass sein Vater ihm gesagt habe, er solle in ein Dorf gehen, wo es eine Familie mit zwei Töchtern gebe und der BF solle schauen, ob er eines dieser Mädchen möge. Er habe dann seinem Vater gesagt, dass er eines dieser Mädchen heiraten möchte (AS 151). Der BF schildert damit die typische Vorgangsweise einer Zwangsheirat, zumal das Mädchen offensichtlich nicht gefragt wurde, ob es den BF heiraten wolle, sodass festzustellen war, dass es sich dabei auch aufgrund des Alters des Mädchens um eine Kinder- und Zwangsheirat handelte.

Dass seinen minderjährigen Kindern in Ableitung von deren Mutter der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde, war aufgrund der durch das BVwG ergangenen Erkenntnisse festzustellen.

Dass sich der BF bereits in Afghanistan von dieser Frau und den Kindern trennte, unabhängig von diesen nach Österreich einreiste und nach wenigen Wochen des gemeinsamen Haushaltes dauerhaft getrennt von seiner Frau lebt und keinen Kontakt zu ihr und den gemeinsamen Kindern hat, gab der BF bereits vor dem BFA an (AS 154). Er bestätigte dies glaubhaft auch noch einmal vor dem Bundesverwaltungsgericht (S. 5 VP). Der BF gab stets an, dass er mit dieser ersten Frau Probleme habe, weswegen davon auszugehen ist, dass er nicht mehr mit ihr zusammenleben will, wie er vor dem BFA noch selbst angab (AS 154) und zumindest implizit auch vor dem Bundesverwaltungsgericht bestätigte (S. 5 VP). Dass seine Kinder und die Mutter seiner Kinder zu ihrem Schutz auch vor dem BF in ein Frauenhaus ziehen mussten, wurde in deren Verfahren aufgrund der glaubhaften Angaben und dem Akteninhalt getroffen und konnte daher auch der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden.

Die Angaben des BF zu seiner zweiten Heirat waren das ganze Verfahren über gleichbleibend (AS 1, 152) und der BF konnte auch eine Heiratsurkunde vorlegen, sodass diese Ehe festgestellt werden konnte. Die Feststellungen zu seinen in Afghanistan lebenden Verwandten, wonach der BF Kontakt zu ihnen hat und es diesen gut geht, sowie zum Besitz des BF in Afghanistan waren ebenfalls aufgrund der eigenen Angaben des BF zu treffen (AS 157, S. 5, 9f VP). Der BF gab dazu zwar an, nicht zu wissen, was mit seinem Haus und seinem Grundstück in Jaghori nach seiner Ausreise geschehen sei, davon ist jedoch nicht auszugehen, zumal der BF Kontakt zu seinem Schwiegervater hat (S. 5 VP), der im selben Distrikt wohnt (S. 9 VP).

Die Feststellungen zum Leben des BF in Afghanistan und im Iran, insbesondere zu seiner Schulbildung, seinem Universitätsbesuch und seinen beruflichen Tätigkeiten, beruhen gleichfalls auf den Angaben des BF, wenn er auch vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht mehr in der Lage war, konkrete Angaben zu machen, wann er wo gearbeitet hat (AS 3, 157f, S. 8 VP).

II.2.3. Dem Fluchtvorbringen des BF, die Taliban hätten versucht, ihn aufgrund seiner Tätigkeit gefangen zu nehmen, und diese hätten auch sein Haus mit einer Rakete zerstört, kann hingegen nicht gefolgt werden. Die Angaben der BF dazu sind nicht lebensnahe, nicht plausibel und widersprüchlich sowie teilweise gesteigert. In Verbindung mit dem gewonnenen persönlichen Eindruck des BF ist es ihm daher aus den folgend näher dargestellten Gründen nicht gelungen, seine Angaben zum Fluchtgrund auch nur annähernd glaubhaft zu machen.

Der BF schildert zwar im Wesentlichen vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht gleichbleibend, dass er von zwei Taliban aufgehalten und ihm von diesen vorgeworfen worden sei, dass er einen Bericht über die Taliban an die kanadischen Truppen gemacht habe (AS 160, S. 10 VP), doch schilderte er die ihm gelungene Flucht vor diesen völlig widersprüchlich. So gab er vor dem BFA an, dass in der Nähe des Angriffs ein Bach, der kein Wasser geführt habe, und einige Bäume gewesen seien. Der BF habe sich im Bachbett auf den Boden geworfen, während ein Taliban auf ihn geschossen habe, danach sei er entlang des Baches gelaufen und sei entkommen, weil es finster gewesen sei. Der Vorfall habe in der Nacht stattgefunden (AS 160). Dagegen gab der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass in der Nähe ein Wald gewesen sei, wo er hingelaufen sei. Sobald er hinter den Bäumen gewesen sei, sei auf ihn geschossen worden (S. 11 VP). Dass dort auch ein Bach gewesen sei und der BF im Bachbett Zuflucht vor den Schüssen gefunden habe, fand vor dem Bundesverwaltungsgericht keine Erwähnung.

Weiter schilderte der BF vor dem BFA, dass er sich zwanzig Minuten am Rande des Bachs versteckt habe. Dann sei ein Auto gekommen, das er angehalten habe. Dem Fahrer des Autos habe er gesagt, dass er ein Reisender sei und nach XXXX wolle (AS 160). Auch diesen Vorgang schilderte der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht in einer massiv widersprüchlichen Art, wenn er nicht angibt, dass er sich zwanzig Minuten versteckt habe, sondern behauptet, dass er durchgehend bis zur Straße gerannt sei, wo er ein Auto aufgehalten habe. Dem Fahrer habe er entgegen seiner Angaben vor dem BFA gesagt, dass er vor den Taliban wegrenne (S. 11 VP).

Diese Widersprüche zeigen, dass der BF die Situation nicht tatsächlich erlebt hat, sondern sich eines Konstruktes zur Asylerlangung bedient. Diese Beurteilung wird auch durch das Aussageverhalten des BF bestätigt. So beantwortete der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht zunächst nicht die konkret an ihn gestellten Fragen, sondern setzte sein Fluchtvorbringen ungeachtet des Inhalts der Frage fort, wodurch der Eindruck entstand, dass der BF nicht von tatsächlich selbst Erlebtem berichtet (S. 10 VP), sondern ein auswendig gelerntes Konstrukt vortrug. Darüber hinaus ist es auch wenig lebensnah, dass der BF, der angeblich sechs Jahre lang von den Taliban gesucht und nun von diesen endlich gefunden worden sein soll, den Taliban derart leicht entkommen konnte und diese, außer ihm nachzuschießen, keine Anstrengungen unternahmen, um die Flucht des BF zu beenden.

Nicht nachvollziehbar ist dabei auch, dass sich der BF nicht um Hilfe an seinen amerikanischen Arbeitgeber wendet, wenn er wegen der Tätigkeit für diesen einer derart intensiven Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt wäre (S. 11 VP), weshalb auch aus diesem Grund sein Vorbringen nicht glaubhaft ist. Die nach wie vor aktuelle Bedrohung durch die Taliban, die ihn angeblich persönlich suchten und in ganz Afghanistan finden würden, wird dem BF aus diesen Gründen nicht geglaubt.

Auch die weiteren vorgebrachten Vorfälle konnte der BF nicht glaubhaft machen. So gab er vor dem BFA zunächst auf konkrete Nachfrage an, dass er ansonsten keinen persönlichen Kontakt zu den Taliban gehabt habe (AS 164) und niemals Übergriffe gegen seine Person stattgefunden hätten (AS 168), lediglich im Jahr 2010 sei er nur per Brief bedroht worden (AS 164). Dahingehend steigerte er später sein Vorbringen derart, dass die Taliban 2010 auch das Haus des BF beschossen hätten (AS 166). Bereits diese Steigerung spricht dagegen, dass der Angriff tatsächlich stattgefunden hat. Darüber hinaus ist auch nicht klar, wieso der BF vor dem angeblichen Angriff fliehen konnte, wenn es sich dabei doch um einen Überraschungsangriff gehandelt haben soll (S. 7 VP). Ebenso wenig konnte er nachvollziehbar schildern, womit der Angriff verübt worden sein soll (durch eine Rakete von oben oder durch zwei Handgranaten) und setzte sich dabei auch in Widerspruch zu der Aussage seines Sohnes (S. 7 VP). Zudem gab selbst der BF auf Vorhalt an, dass dieser Angriff wohl nicht ihm persönlich gegolten habe, sondern es ein allgemeiner Angriff der Taliban gewesen sei, wobei er zufällig Opfer geworden sei (S. 6f VP). Folglich lässt sich selbst bei Wahrunterstellung - nicht zuletzt auch mangels Aktualität - daraus keine Verfolgung ableiten.

II.2.4. Der BF ist sportlich sehr aktiv, gesund und arbeitsfähig. Er ist daher in der Lage selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, zumal er über mehrjährige Schulbildung und Berufserfahrung verfügt. Zudem verfügt der BF über ein breites familiäres und soziales Netz in Afghanistan, zu dem er Kontakt hält und das ihn bei einer Rückkehr - finanziell, aber auch durch Aufnahme in den jeweiligen Haushalt - unterstützen könnte. Nicht zuletzt ist auch auf den Zusammenhalt innerhalb der Volksgruppe des BF zu verweisen. Daraus folgt, dass beim BF bei einer Rückkehr in die Städte Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nicht die Gefahr besteht, dass er in eine auswegslose beziehungsweise existenzbedrohende Situation geraten würde.

II.2.5. Die Fe

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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