TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/29 I409 2165472-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.07.2019
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Entscheidungsdatum

29.07.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §18 Abs1 Z2
BFA-VG §18 Abs1 Z3
BFA-VG §18 Abs1 Z4
BFA-VG §18 Abs1 Z6
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I409 2165472-1/14E

Ausfertigung des am 4. Juni 2019 verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Florian Schiffkorn als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX, Staatsangehörigkeit Nigeria alias Ruanda, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30. Juni 2017, Zl. 1026820900-160624497, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Die belangte Behörde führt in der Begründung des angefochtenen Bescheides unter dem Punkt "A) Verfahrensgang" Folgendes aus:

"Sie gelangten am 26.7.2014 illegal auf österreichisches Bundesgebiet. Im Zuge einer fremdenpolizeilichen Maßnahme gegen Ihre Person stellten Sie einen Asylantrag. Dabei gaben Sie an, R. A. zu heißen, am XX.X.1997 geboren zu sein und Staatsangehöriger Ruandas zu sein. Ein gemeinsam mit Ihnen illegal Reisender gab an, Ihr Bruder "T. A." zu sein. (Im Rahmen der Einvernahme am 25.4.2017 gaben Sie an, dass es sich dabei nicht um Ihren Bruder gehandelt habe und dass der Mitreisende in Wirklichkeit auch anders heiße.)

Am 27.7.2014 fand eine Erstbefragung im Asylverfahren statt. Es folgen Auszüge aus der Niederschrift:

[...]

Familienname:

A.

Vorname(n):

R.

[...]

Geburtsdaten:

XX.X.1997. Edo State, Nigeria.

[...]

Staatsangehörigkeit:

Ruanda.

Aliasdaten:

Laut ungarischer Lagerkarte geb. am XX.X.1995.

Warum haben Sie ihr Land verlassen?

Ich habe in Nigeria für die Polizei als Informant gearbeitet. Ich habe über Vorfälle der Straßengangs an die Polizei berichtet. Aus diesem Grund wurde ich von unbekannten Personen per SMS und Emails mit dem Tod bedroht. Aus Angst um mein Leben verließ ich Nigeria. Sonst habe ich keine Fluchtgründe.

[...]

Was befürchten Sie bei einer Rückkehr in Ihre Heimat?

Ich habe Angst getötet zu werden.

Gibt es konkrete Hinweise, dass Ihnen bei Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohen? Hätten Sie im Falle Ihrer Rückkehr in Ihren Heimatstaat mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen? Wenn ja, welche?

Nein. Ich habe aber seitens der Behörde keinen Schutz.

[...]

Aufgrund dessen, dass Sie in Ungarn in Ihrem dortigen Asylverfahren mit dem Geburtsdatum XX.X.1995 geführt wurden, wurde auch in Österreich von der hier für Ihr Asylverfahren zuständigen Behörde Ihr Geburtsdatum als Teil Ihrer Verfahrensidentität mit XX.X.1995 festgelegt.

Am 7.8.2014 reichten Sie eine nigerianische Geburtsurkunde bei der Behörde ein, auf welcher Ihr Geburtsdatum mit XX.X.1997 angegeben ist. (In der Einvernahme am 25.4.2017 gaben Sie an, dass es sich bei der Geburtsurkunde um eine Fälschung handelt und Sie bewusst diese Fälschung der Behörde vorgelegt hatten.)

Aufgrund der Vorlage dieser Urkunde und da Sie mehrfach gegen die Festlegung des XX.X.1995 als Ihr Geburtsdatum protestierten, wurde eine sachverständige Volljährigkeitsbeurteilung in Auftrag gegeben. Das Sachverständigengutachten vom 8.10.2014 kam zum Ergebnis, dass Sie zum Zeitpunkt der Asylantragstellung in Österreich mindestens 18,8 Jahre alt waren und dass Sie nicht später als am XX.X.1995 geboren sein können.

Mittels Verfahrensanordnung wurde am 10.10.2014 der XX.X.1995 als Ihr Geburtsdatum als Teil Ihrer Verfahrensidentität festgelegt und festgestellt, dass es sich bei Ihnen jedenfalls um eine volljährige Person handelt.

Ihr Asylantrag wurde am 26.10.2014 per Bescheid zurückgewiesen ohne in die Sache einzutreten. Es wurde festgestellt, dass Bulgarien für die Prüfung Ihres Asylantrags zuständig ist und Ihre Abschiebung nach Bulgarien für zulässig erklärt.

Gegen diesen Bescheid erhoben Sie Beschwerde, diese wurde vom zuständige Bundesverwaltungsgericht am 4.12.2014 als unbegründet abgewiesen. Ihrer Abschiebung nach Bulgarien entzogen Sie sich durch "Untertauchen". Als Folge wurde die Überstellungsfrist auf 18 Monate verlängert.

Genau nach Ablauf dieser 18-Monats-Frist meldeten Sie sich wieder bei den österreichischen Behörden.

Mit 17.5.2016 verfügten Sie wieder über eine Meldeanschrift in Österreich. Am 2.5.2016 hatten Sie sich bereits mit einem Schreiben an das BFA gewandt, am 3.5.2016 brachten Sie persönlich einen Antrag auf internationalen Schutz ein, welcher am selben Tag zugelassen wurde.

In der Erstbefragung in diesem - gegenständlichen - Asylverfahren sagten Sie am 3.5.2016 Folgendes aus (auszugsweise):

[...]

Familienname:

A.

Vorname(n):

R.

[...]

Geburtsdaten:

XX.XX.1995. A., Ruanda.

[...]

Staatsangehörigkeit:

Ruanda.

[...]

Was befürchten Sie bei einer Rückkehr in Ihre Heimat?

Ich habe Angst, zurückzugehen, weil ich sofort verhaftet werde.

Gibt es konkrete Hinweise, dass Ihnen bei Ihrer Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe, die Todesstrafe droht, oder sie mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen haben?

Nein.

[...]

Am 2.6.2017 fand eine persönliche Anhörung vor dem BFA statt, im Folgenden wird auszugsweise die Niederschrift widergegeben:

[...]

LA: Stimmt die Staatsangehörigkeit "Ruanda", die auf Ihrer Verfahrenskarte angegeben ist?

VP: Ja, mein Vater ist Ruander, meine Mutter ist Nigerianerin.

...

LA: Das heißt, Sie haben eine nigerianische Geburtsurkunde, ist das richtig?

VP: Ich weiß es nicht. (Nachgefragt:) Ich sollte wohl eine haben, habe aber keine.

...

LA: Wo ist Ihr Bruder T., mit dem Sie gemeinsam nach Österreich gekommen sind?

VP: T. war niemals mein Bruder. Mir wurde das eingeredet, als wir in Bulgarien waren. Er sagte zu mir, dass, wenn ich wolle, dass er mir helfe, müsse ich das tun, was er mir sage. Er sagte dann auch, dass ich sagen soll, dass er mein Bruder sei.

LA: In Bulgarien gaben Sie an, am XX.X.1989 geboren zu sein, in Ungarn am XX.X.1995, in Österreich am XX.X.1997. Warum machten Sie in den unterschiedlichen EU-Mitgliedsstaaten, in welchen Sie um Asyl ansuchten, unterschiedliche Angaben zu Ihrem Alter?

VP: Nein, mein Geburtsjahr ist 1997. In Bulgarien sagte ich, dass ich 1997 geboren bin. aber sie sagten, dass ich lügen würde und gaben mir das Geburtsdatum XX.X.1989. In Ungarn sagte ich wieder, dass ich 1997 geboren bin, aber sie gaben mir eine Karte mit 1995. Erst nachdem ein Arzt gekommen war und mich untersuchte, sagten sie. dass ich minderjährig sei und sie mich gehen lassen müssten, sie änderten aber die Karte nicht.

...

LA: Bitte schildern Sie, weshalb Sie Nigeria verlassen haben und was der genaue fluchtauslösende Grund war? War es der bereits geschilderte Vorfall mit den "cult boys" und die dem vorausgegangene Informantentätigkeit für die Polizei?

VP: Ja.

LA: Ist das Ihr einziger Fluchtgrund?

VP: Ja. Sie sagten mir, ich wäre in keinem Bundesstaat Nigerias sicher. In jedem Bundesstaat würde man mich töten.

LA: Die cult boys sagten dies?

VP: Ja.

LA: Wann, unter welchen Umständen sagten diese das zu Ihnen?

VP: Als wir, ein Freund und eine Freundin, angegriffen wurden. Sie schickten auch eine Nachricht an den Mann, der mir half, mit der Drohung, dass ich in keinem nigerianischen Bundesstaat sicher wäre.

...

LA: Es ist in Ihrem Fall eindeutig klar und feststehend, dass Sie nigerianischer Staatsangehöriger sind, vor allem auch aufgrund Ihrer eigenen Angaben, welche Sie heute gemacht haben. Sie sind in Nigeria geboren und verbrachten Ihr gesamtes Leben in Nigeria.

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch etwas thematisieren, was heute noch gar nicht zur Sprache gekommen ist: Sie reichten bereits am 5.8.2014 bei dieser Behörde die Kopie einer nigerianischen Geburtsurkunde, die auf Ihren Namen ausgestellt ist, ein und wollten damit vor allem Ihr Geburtsdatum XX.X.1997 beweisen. Wie können Sie ernsthaft einerseits eine nigerianische Geburtsurkunde einreichen und andererseits bei derselben Behörde insistieren, dass Sie ruandischer Staatsangehöriger sind?

VP: Es war T., der zu mir sagte, dass er es organisieren wird, dass ich eine Geburtsurkunde auf meinen Namen und mein Geburtsdatum aus Nigeria erhalten werde. Er sagte mir, dass ich es einreichen soll, wenn ich danach gefragt werde.

LA: Es handelt sich also um eine Fälschung?

VP: Ja. Ich habe keine Geburtsurkunde.

LA: Sie reichten also wissentlich eine Fälschung bei der Behörde ein?

VP: Ja.

LA: Kann dann R. A. überhaupt Ihr richtiger Name sein, wenn T. A. nicht Ihr Bruder ist?

VP: Ja, R. A. ist mein Name, T. hat seinen Namen geändert, um ihn an meinen anzugleichen.

[...]".

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 30. Juni 2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten "gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (Spruchpunkt I) idgF" sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria "gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG" (Spruchpunkt II) als unbegründet ab. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen "gemäß § 57 AsylG" nicht erteilt und "gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF" eine Rückkehrentscheidung "gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) idgF" erlassen; "gemäß § 52 Absatz 9 FPG" wurde weiters festgestellt, dass seine Abschiebung "gemäß § 46 FPG" nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III) und dass gemäß "§ 55 Absatz 1a FPG" keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt IV). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde gemäß "§ 18 Absatz 1 Ziffer 2, 3, 4 und 6 BFA-VG" die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V).

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 18. Juli 2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Entscheidung über die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid

A) 1. Feststellungen

A) 1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der unbescholtene Beschwerdeführer ist ledig und volljährig, gesund und daher auch erwerbsfähig. Er ist Staatsangehöriger von Nigeria und bekennt sich zum christlichen Glauben. Er hält sich in Österreich seit 24. Juli 2014 auf und verfügt hier über keine maßgeblichen privaten oder familiären Beziehungen. Seine Familie lebt in Nigeria. Er erlangte das ÖSD-Zertifikat A 2 und war bei der Straßenreinigung gemeinnützig tätig.

Er versuchte, die belangte Behörde zu täuschen, in dem er eine gefälschte nigerianische Geburtsurkunde vorlegte, um seine angebliche Minderjährigkeit zu beweisen; überdies gab er einen nigerianischen Asylwerber als seinen Bruder aus.

Entgegen seinem Vorbringen wird der Beschwerdeführer in Nigeria nicht von Kultanhängern verfolgt oder bedroht. Es kann daher nicht festgestellt werden, dass er in Nigeria aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt werden würde.

In Bezug auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers und aufgrund der allgemeinen Lage im Land wird somit festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten asylrelevanten Verfolgung oder sonstigen existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird.

A) 1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Zur aktuellen Lage in Nigeria werden folgende Feststellungen getroffen:

"Politische Lage

Nigeria ist in 36 Bundesstaaten (ÖB 10.2018; vgl. AA 10.12.2018; AA 9.2018a; GIZ 4.2019a) und einen Bundeshauptstadtbezirk sowie 774 Local Government Areas (LGA/Bezirke) untergliedert. Die Bundesstaaten werden von direkt gewählten Gouverneuren regiert (AA 12.10.2018; vgl. AA 9.2018a; GIZ 4.2019a). Sie verfügen auch über direkt gewählte Parlamente (AA 9.2018a).

Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die am System der USA orientierte Verfassung enthält alle Attribute eines demokratischen Rechtsstaates (inkl. Grundrechtskatalog, Gewaltenteilung). Dem starken Präsidenten - zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte - und dem Vizepräsidenten stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber (AA 10.12.2018; vgl. AA 9.2018a). Die Verfassungswirklichkeit wird von der Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und von den direkt gewählten Gouverneuren dominiert. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität, häufig auch mit undemokratischen, gewaltsamen Mitteln geführt. Die Justiz ist der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 10.12.2018).

Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich meist an Führungspersonen, ethnischer Zugehörigkeit und vor allem strategischen Gesichtspunkten. Parteien werden primär als Zweckbündnisse zur Erlangung von Macht angesehen. Politische Führungskräfte wechseln die Partei, wenn sie andernorts bessere Erfolgschancen sehen. Entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 10.12.2018).

Bei den Präsidentschaftswahlen am 23.2.2019 wurde Amtsinhaber Muhammadu Buhari im Amt bestätigt (GIZ 4.2019a). Er erhielt 15,1 Millionen Stimmen und siegte in 19 Bundesstaaten, vor allem im Norden und Südwesten des Landes. Sein Herausforderer, Atiku Abubakar, erhielt 11,3 Millionen Stimmen und gewann in 17 Bundesstaaten im Südosten, im Middle-Belt sowie in der Hauptstadt Abuja (GIZ 4.2019a; vgl. BBC 26.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag mit 36 Prozent deutlich niedriger als 2015. Überschattet wurden die Wahlen von gewaltsamen Zwischenfällen mit mindestens 53 Toten (GIZ 4.2019a).

Die Opposition sprach von Wahlmanipulation. Am 18.3.2019 focht Abubakar das Ergebnis aufgrund von Unregelmäßigkeiten vor dem Obersten Gerichtshof an. Das Verfahren muss gemäß den gesetzlichen Vorgaben innerhalb von 180 Tagen bis spätestens Mitte September abgeschlossen werden. Die Aussichten, dass die Beschwerde Erfolg hat, sind gering. So hatte Präsident Buhari nach den Wahlen von 2003, 2007 und 2011 als Oppositionskandidat ebenfalls vergleichbare Beschwerden eingelegt und diese verloren (GIZ 4.2019a).

Am 9.3.2019 wurden Wahlen für Regionalparlamente und Gouverneure in 29 Bundesstaaten durchgeführt. In den restlichen sieben Bundesstaaten hatten die Gouverneurswahlen bereits in den Monaten zuvor stattgefunden. Auch hier kam es zu Unregelmäßigkeiten und gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 4.2019a). Kandidaten der APC von Präsident Buhari konnten 15 Gouverneursposten gewinnen, jene der oppositionellen PDP 14 (Stears 12.4.2019).

Neben der modernen Staatsgewalt haben auch die traditionellen Führer immer noch einen - wenn auch weitgehend informellen - Einfluss. Sie gelten als Kommunikationszentrum und moralische Instanz und können wichtige Vermittler in kommunalen und in religiös gefärbten Konflikten sein (AA 9.2018a).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

-

AA - Auswärtiges Amt (9.2018a): Nigeria - Innenpolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844, Zugriff 7.11.2018

-

BBC News (26.2.2019): Nigeria Presidential Elections Results 2019, https://www.bbc.co.uk/news/resources/idt-f0b25208-4a1d-4068-a204-940cbe88d1d3, Zugriff 12.4.2019

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2019a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html, Zugriff 11.4.2019

-

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria

-

Stears News (12.4.2019): Governorship Election Results, https://nigeriaelections.stearsng.com/ governor/2019, Zugriff 12.4.2019

Sicherheitslage

Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 10.12.2018). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt; sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 10.12.2018; vgl. EASO 11.2018a) und eskalierende Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten, (EASO 11.2018a; vgl. AA 10.12.2018), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a). Die 2017 deutlich angespannte Lage im Südosten des Landes ("Biafra") hat sich mit dem Eingriff des Militärs und der mutmaßlichen Flucht des Anführers der stärksten separatistischen Gruppe IPOB derzeit wieder beruhigt (AA 10.12.2018).

In den nordöstlichen Bundesstaaten Adamawa, Borno, Gombe und Yobe kommt es häufig zu Selbstmordanschlägen (BMEIA 12.4.2019). Außenministerien warnen vor Reisen dorthin sowie in den Bundesstaat Bauchi (BMEIA 12.4.2019; vgl. AA 12.4.2019; UKFCO 12.4.2019). Vom deutschen Auswärtige Amt wird darüber hinaus von nicht notwendigen Reisen in die übrigen Landesteile Nordnigerias abgeraten (AA 12.4.2019).

Zu Entführungen und Raubüberfällen kommt es im Nigerdelta und einigen nördlichen Bundesstaaten. Betroffen sind: Abia, Akwa Ibom, Anambra, Bauchi, Bayelsa, Cross River, Delta, Ebonyi, Enugu, Imo, Jigawa, Kaduna, Kano, Katsina, Kogi, Nasarawa, Plateau, Rivers und Zamfara. Für die erwähnten nordöstlichen und nördlichen Bundesstaaten sowie jenen im Nigerdelta gelegenen gilt seitens des österreichischen Außenministeriums eine partielle Reisewarnung; Hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3) in den übrigen Landesteilen (BMEIA 12.4.2019).

Das deutsche Auswärtige Amt rät von Reisen in die Bundesstaaten Kaduna (insbesondere Süd- Kaduna), Plateau, Nasarawa, Benue, Delta, Bayelsa, Rivers, Imo (insbesondere die Hauptstadt Owerri), Abia, Anambra, Ebonyi, Edo, Enugu, Delta, Kogi, den südlichen Teil von Cross Rivers, Ogun und Akwa Ibom ab (AA 12.4.2019). Das britische Außenministerium warnt (neben den oben erwähnten nördlichen Staaten) vor Reisen in die am Fluss gelegenen Regionen der Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers, Akwa Ibom and Cross River im Nigerdelta. Abgeraten wird außerdem von allen nicht notwendigen Reisen in die Bundesstaaten Bauchi, Zamfara, Kano, Kaduna, Jigawa, Katsina, Kogi, Abia, im 20km Grenzstreifen zum Niger in den Bundesstaaten Sokoto und Kebbi, nicht am Fluss gelegene Gebiete von Delta, Bayelsa und Rivers (UKFCO 29.11.2018).

In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Meist dauern diese Auseinandersetzungen nur wenige Tage und sind auf einzelne Orte bzw. einzelne Stadtteile begrenzt. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, das Sokoto (Nordteil) und Plateau (Südteil) sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen betroffen (AA 12.4.2019).

In der Zeitspanne April 2018 bis April 2019 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch

Gewaltakte besonders hervor: Borno (2.333), Zamfara (1.116), Kaduna (662), Benue (412), Adamawa (402), Plateau (391). Folgende

Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Jigawa (2), Gombe (2), Kebbi (3) und Osun (8) (CFR 2019).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

-

AA - Auswärtiges Amt (12.4.2019): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/ 205788#content_6, Zugriff 12.4.2019

-

BMEIA - Österreichisches Außenministerium (12.4.2019):

Reiseinformationen - Nigeria, https:// www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/nigeria/, Zugriff 12.4.2019

-

CFR - Council on Foreign Relations (2019): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/ nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 12.4.2019

-

EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 12.4.2019

-

UKFCO - United Kingdom Foreign and Commonwealth Office (12.4.2019): Foreign Travel Advice - Nigeria - summary, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria, Zugriff 12.4.2019

Nigerdelta

Von 2000 bis 2010 agierten im Nigerdelta militante Gruppen, die den Anspruch erhoben, die Rechte der Deltabewohner zu verteidigen und die Forderungen auf Teilhabe an den Öleinnahmen auch mittels Gewalt (Sabotage der Ölinfrastruktur) durchzusetzen. 2009 gelang dem damaligen Präsidenten Yar'Adua mit einem Amnestieangebot eine Beruhigung des Konflikts. Unter Buhari lief das Programm am 15.12.2015 aus. Nach Wiederaufnahme der Attacken gegen die Ölinfrastruktur ist das Amnestieprogramm bis 2019 verlängert worden. Auch wenn Dialogprozesse zwischen der Regierung und Delta-Interessengruppen laufen und derzeit ein "Waffenstillstand" zumindest grundsätzlich hält, scheint die Regierung nicht wirklich an Mediation interessiert zu sein, sondern die Zurückhaltung der Aufständischen zu "erkaufen" und im Notfall mit militärischer Härte durchzugreifen (AA 10.12.2018).

Im Nigerdelta, dem Hauptgebiet der Erdölförderung, bestehen zahlreiche bewaffnete Gruppierungen, die sich neben Anschlägen auf Öl- und Gaspipelines auch auf Piraterie im Golf von Guinea und Entführungen mit Lösegelderpressung spezialisiert haben. Im Herbst 2016 konnte mit den bewaffneten Gruppen ein Waffenstillstand vereinbart werden, der bislang großteils eingehalten wird (ÖB 10.2018). Die Lage im Nigerdelta hat sich seit damals beruhigt, ist aber weiterhin volatil; die Bedrohung der dort angesiedelten Öl- und Gasförderung durch militante Gruppen und Piraten bleibt ein Risiko (AA 9.2018c). Im Berichtszeitraum 1.10.2017 bis 30.9.2018 registrierte ACLED, eine von einer NGO betriebene Datenbank sicherheitsrelevanter Vorfälle, in der Kategorie "Violence against civilians" in den Bundesstaaten des Nigerdeltas insgesamt 116 Vorfälle (insg. 350 sicherheitsrelevante Vorfälle). Die Exekutive war nicht in der Lage kommunale Gewalt zu verhindern. Daher wird auch die Armee im Zuge gemeinsamer Sicherheitsoperationen und -übungen eingesetzt (EASO 11.2018a). Das Militär hat auch die Federführung bei der zivilen Bürgerwehr Civilian Joint Task Force inne, die u.a. gegen militante Gruppierungen im Nigerdelta eingesetzt wird. Auch wenn sie stellenweise recht effektiv vorgeht, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 10.12.2018).

Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta handelte es sich sowohl um einen Konflikt zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im ersten Fall stehen in der Regel finanzielle Partikularinteressen der bewaffneten Gruppen im Vordergrund, im zweiten Fall geht es um einen Verteilungskampf rivalisierender Gruppen (AA 10.12.2018).

Entführungen sind im Nigerdelta und in den südöstlichen Bundesstaaten Abia, Imo und Anambra besonders häufig. Politiker, Wohlhabende und Ausländer sind die häufigsten Opfer (FH 1.2018).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

-

AA - Auswärtiges Amt (9.2018c): Nigeria - Wirtschaft,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205790, Zugriff 22.11.2018

-

EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 12.4.2019

-

FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/1443869.html, Zugriff 7.11.2018

-

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria

Middle-Belt inkl. Jos/Plateau

Seit Jahrzehnten kommt es in Nigeria - vorwiegend im Middle-Belt - zu religiös motivierter Gewalt zwischen christlichen ansässigen Bauern und nomadisch lebenden muslimischen Viehhirten (USCIRF 4.2018; vgl. EASO 2.2019). Ursprünglich ein Konflikt um natürliche Ressourcen wie Wasser und Land, hat der Konflikt zunehmend eine ethnisch-religiöse Dimension bekommen (EASO 2.2019). Der Konflikt lädt sich immer stärker ideologisch auf und verstärkt den Antagonismus zwischen Christen und Muslimen bzw. verschiedenen Ethnien (AA 10.12.2018). Eine Polarisierung erfolgt anhand religiöser Linien, da Angriffe oft als religiös motiviert wahrgenommen werden. Im Jahr 2017 setzte sich der Konflikt fort und war Ursache für Todesfälle, Zerstörung und Vertreibung. Desertifikation und Konflikte im Norden führen dazu, dass Viehhirten Richtung Süden ziehen. Der Konflikt um die Landnutzung wird oft gewaltsam ausgetragen. Beide Seiten fühlen sich durch die Sicherheitskräfte nicht ausreichend geschützt, Angreifer bleiben ungestraft. Es wird auch von ethnische Säuberungen im Rahmen des Konflikts berichtet (USCIRF 4.2018).

Immer wieder kommt es zu lokalen Konflikten zwischen einzelnen ethnischen, sozialen und religiösen Gruppen, insbesondere zwischen Hirten und Bauern in Zentralnigeria (AA 9.2018a). Dort flammten im Verlauf des Jahres 2017 die Konflikte zwischen muslimischen Hausa-Fulani Hirten und einheimischen christlichen Bauern wieder stärker auf, besonders in den Bundesstaaten Kaduna, Plateau, Taraba, Nasarawa und Benue. In einzelnen Fällen forderten diese Auseinandersetzungen mehrere hundert Tote (AA 9.2018a; vgl. FH 1.2018; EASO 2.2019). Auch Adamawa ist betroffen (EASO 2.2019). Der Konflikt um Land und Ressourcen nimmt durch die fortschreitende Wüstenbildung in Nordnigeria, das Bevölkerungswachstum und die allgemein angespannte wirtschaftliche Lage zu (AA 9.2018a). Nach einer Eskalation im Jänner 2018 waren in der ersten Jahreshälfte 2018 mehr als 1.300 Todesopfer zu verzeichnen, 300.000 Personen wurden vertrieben. Beide Seiten begingen schwere Menschenrechtsverletzungen wie Morde, Zerstörung von Häusern und anderem Eigentum (EASO 2.2019).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (9.2018a): Nigeria - Innenpolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844, Zugriff 7.11.2018

-

EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance:

Nigeria,

https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf, Zugriff 12.4.2019

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FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/1443869.html, Zugriff 7.11.2018

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USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom (4.2018): Annual Report 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/1435651/1226_1529393816_tier1- nigeria.pdf, Zugriff 29.11.2018

Nordnigeria - Boko Haram

"Boko Haram" ist seit Mitte 2010 für zahlreiche schwere Anschläge mit Tausenden von Todesopfern verantwortlich (AA 9.2018a). Dem Konflikt fielen unterschiedlichen unabhängigen Schätzungen zufolge zwischen 20.000 und 30.000 Menschen zum Opfer (AA 9.2018a; vgl. HRW 18.1.2018; EASO 11.2018a). Im August 2016 spaltete sich Boko Haram als Folge eines Führungsstreits in Islamic State West Africa (ISIS-WA) und Jama'atu Ahlis Sunna Lidda'awati wal- Jihad (JAS) auf (EASO 11.2018a). Diese Gruppen waren weiterhin für Tötungen, Bombenanschläge und Angriffe auf militärische und zivile Ziele in Nordnigeria verantwortlich. Diese Aktivitäten forderten tausende Todesopfer und Verletzte und verursachten bedeutende Zerstörung von Eigentum (USDOS 19.9.2018).

In den ersten eineinhalb Jahren Amtszeit hatte es Präsident Buhari geschafft, die Bedrohung durch Boko Haram weitgehend einzudämmen (AA 9.2018a). Die von Boko Haram betroffenen Staaten haben sich im Februar 2015 auf die Aufstellung einer 8.700 Mann starken Multinational Joint Task Force (MNJTF) zur gemeinsamen Bekämpfung von Boko Haram verständigt (AA 9.2018a). Im Vorfeld der Wahlen 2015 wurde die Militärkampagne gegen die Islamisten auf Druck und unter Beteiligung der Nachbarstaaten Kamerun, Niger und Tschad intensiviert und hat nach dem Amtsantritt von Staatspräsident Buhari zu einem von der Regierung behaupteten "technischen Sieg" geführt (ÖB 10.2018). Bis Oktober 2015 konnte Boko Haram aus allen von ihr kontrollierten Städten und aus fast allen Landkreisen im Nordosten Nigerias vertrieben werden, ohne das es den nigerianischen Sicherheitsbehörden bisher gelungen ist, diese Gebiete dann auch abzusichern und vor weiteren Angriffen der Islamisten zu schützen (AA 9.2018a; vgl. AA 1.12.2018). Nach dem Rückzug in unwegsames Gelände und dem Treueeid einer Splittergruppe gegenüber dem sogenannten "Islamischen Staat" ist Boko Haram mittlerweile zu seiner ursprünglichen Guerillataktik von Überfällen auf entlegenere Dörfer und Selbstmordanschlägen - oft auch durch Attentäterinnen - zurückgekehrt (ÖB 10.2018). Mit Selbstmordanschlägen auf Streitkräfte, Vertriebenenlager, Moscheen in ländlichen Bereich oder in Einzugsgebieten von größeren Städten im Nordosten, besonders Maiduguri, sowie Entführungen bleiben die Islamisten weiterhin regional aktiv (AA 9.2018a). Die seit 2015 erzielten Fortschritte im Kampf gegen Boko Haram nutzen sich langsam ab (erhöhte Anschlagsaktivitäten, insbesondere auf nigerianische Streitkräfte). Die nigerianischen Streitkräfte beschränken sich auf das Verteidigen einiger urbaner Zentren im Bundesstaat Borno (AA 10.12.2018). Die Zahl und Qualität der Anschläge, insbesondere auf nigerianische Streitkräfte und Polizei, hat 2018 wieder zugenommen (AA 9.2018a). Boko Haram verübte 2017 mindestens 65 Angriffe, bei denen insgesamt 411 Zivilpersonen getötet wurden. Außerdem entführte die Gruppe mindestens 73 Menschen (AI 22.2.2018). Im Jahr 2018 kamen zumindest

1.200 Personen durch Boko Haram ums Leben, knapp 200.000 Personen wurden intern vertrieben (HRW 17.1.2019).

Auch wenn die zivile Bürgerwehr Civilian Joint Task Force stellenweise recht effektiv gegen Boko Haram vorging, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 10.12.2018).

In Lagos gibt es keine Fälle von Tötungen durch Boko Haram. Die Terroristen sind nicht in der Lage, eine Person überall in Nigeria aufzuspüren. Wenn sich Menschen von Boko Haram bedroht fühlen, dann können sie im Land umsiedeln (VA1 16.11.2015). Zwar gibt es im Süden Schläferzellen der Boko Haram. Trotzdem können z.B. Deserteure der Boko Haram in den Süden umsiedeln, wo sie sicher sind (VA2 16.11.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

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AA - Auswärtiges Amt (9.2018a): Nigeria - Innenpolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844, Zugriff 7.11.2018

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AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425079.html, Zugriff 8.11.2018

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EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 12.4.2019

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HRW - Human Rigths Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/ dokument/1422531.html, Zugriff 28.11.2018

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HRW - Human Rigths Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/ document/2002184.html, Zugriff 11.4.2019

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USDOS - U.S. Department of State (19.9.2018): Country Report on Terrorism 2017 - Nigeria,

https://www.refworld.org/docid/5bcf1f8e13.html, Zugriff 30.11.2018

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VA1 - Vertrauensanwalt 1 der Österreichischen Botschaft Abuja (16.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

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VA2 - Vertrauensanwalt 2 der Österreichischen Botschaft Abuja (16.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Verfassung unterscheidet zwischen Bundesgerichten, Gerichten des Hauptstadtbezirks sowie Gerichten der 36 Bundesstaaten (AA 10.12.2018). Letztere haben die Befugnis, per Gesetz erstinstanzliche Gerichte einzusetzen (AA 10.12.2018; vgl. ÖB 10.2018). Daneben bestehen noch für jede der 774 LGAs eigene Bezirksgerichte (District Courts) (ÖB 10.2018). Bundesgerichte, die nur staatlich kodifiziertes Recht anwenden, sind der Federal High Court (Gesetzgebungsmaterie des Bundes, Steuer-, Körperschafts- und auch Verwaltungssachen), der Court of Appeal (Berufungssachen u.a. der State Court of Appeal und der State Sharia and Customary Court of Appeal) sowie der Supreme Court (Revisionssachen, Organklagen) (AA 10.12.2018). Für Militärangehörige gibt es eigene Militärgerichte (USDOS 13.3.2019).

Mit Einführung der erweiterten Scharia-Gesetzgebung in neun nördlichen Bundesstaaten sowie den überwiegend muslimischen Teilen dreier weiterer Bundesstaaten 2000/2001 haben die staatlichen Schariagerichte strafrechtliche Befugnisse erhalten, während sie zuvor auf das islamische Personenstandsrecht beschränkt waren (AA 10.12.2018). Laut Bundesverfassung wird die Verfassung und Zuständigkeit der Gerichte seit 1999 betreffend das anzuwendende Rechtssystem ("Common Law" oder "Customary Law") durch Gesetze der Gliedstaaten festgestellt. Einzelne Bundesstaaten haben "Scharia-Gerichte" neben "Common Law"- und "Customary Courts" geschaffen. Mehrere Bundesstaaten, einschließlich die gemischtkonfessionellen Bundesstaaten Benue und Plateau, haben auch Scharia-Berufungsgerichte eingerichtet (ÖB 10.2018).

Die Verfassung sieht Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz vor (AA 10.12.2018; vgl. FH 1.2019; ÖB 10.2018; USDOS 13.3.2019). In der Realität ist die Justiz allerdings der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 10.12.2018; vgl. USDOS 13.3.2019; FH 1.2019). Vor allem auf Bundesstaats- und Bezirksebene (LGA) versuchen Politiker die Justiz zu beeinflussen (USDOS 13.3.2019). Die insgesamt zu geringe personelle und finanzielle Ausstattung sowie mangelnde Ausbildung behindern die Funktionsfähigkeit des Justizapparats und machen ihn chronisch korruptionsanfällig (AA 10.12.2018; vgl. FH 1.2019; USDOS 13.3.2019; ÖB 10.2018). Die Gehälter im Justizbereich sind niedrig, und es mangelt an Infrastruktur (ÖB 10.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Zusätzlich widersprechen sich die Rechtssysteme mitunter (ÖB 10.2018). Trotz allem hat die Justiz in der Praxis ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Professionalität erreicht (FH 1.2019).

Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität o. ä. diskriminiert, ist nicht erkennbar. Das bestehende System benachteiligt jedoch tendenziell Ungebildete und Arme, die sich weder von Beschuldigungen freikaufen noch eine Freilassung auf Kaution erwirken oder sich einen Rechtsbeistand leisten können. Zudem ist vielen eine angemessene Wahrung ihrer Rechte auf Grund von fehlenden Kenntnissen selbst elementarster Grund- und Verfahrensrechte nicht möglich (AA 10.12.2018). Gesetzlich vorgesehen sind prozessuale Rechte wie die Unschuldsvermutung, zeitnahe Information über die Anklagepunkte, das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren, das Recht auf einen Anwalt, das Recht auf ausreichende Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung, Zeugen zu befragen und das Recht auf Berufung. Diese Rechte werden jedoch nicht immer gewährleistet (USDOS 13.3.2019). Auch der gesetzlich garantierte Zugang zu einem Rechtsbeistand oder zu Familienangehörigen wird nicht immer ermöglicht (AA 10.12.2018).

Der Zugang zu staatlicher Prozesskostenhilfe ist in Nigeria beschränkt: Das Institut der Pflichtverteidigung wurde erst vor kurzem in einigen Bundesstaaten eingeführt. Lediglich in den Landeshauptstädten existieren NGOs, die sich zum Teil mit staatlicher Förderung der rechtlichen Beratung von Beschuldigten bzw. Angeklagten annehmen. Gerade in den ländlichen Gebieten gibt es jedoch zahlreiche Verfahren, bei denen Beschuldigte und Angeklagte ohne rechtlichen Beistand mangels Kenntnis ihrer Rechte schutzlos bleiben (AA 10.12.2018). Das Recht auf ein zügiges Verfahren wird zwar von der Verfassung garantiert, ist jedoch kaum gewährleistet. Dauerinhaftierungen ohne Anklage oder Urteil, die sich teils über mehrere Jahre hinziehen, sind weit verbreitet (AA 10.12.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Entgegen gesetzlicher Vorgaben ist die Untersuchungshaft nicht selten länger als die maximal zu erwartende gesetzliche Höchststrafe des jeweils in Frage stehenden Delikts. Außerdem bleiben zahlreiche Häftlinge auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen in Haft, weil ihre Vollzugsakten unauffindbar sind (AA 10.12.2018).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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