TE Vfgh Beschluss 2019/12/11 E3342/2019

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Veröffentlicht am 11.12.2019
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Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

VfGG §33
ZPO §146
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrags; kein minderer Grad des Versehens des Rechtsvertreters des Antragstellers durch Unterlassung der Ermittlung des korrekten Zustelldatums der angefochtenen Entscheidung; Zurückweisung der Beschwerde als verspätet

Spruch

I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

II. Die Beschwerde wird als verspätet zurückgewiesen.

III. Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird abgewiesen.

Begründung

Begründung

1.       Mit am 6. September 2019 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachtem Schriftsatz begehrt der Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde und erhebt unter einem Beschwerde gegen eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages führt er im Wesentlichen aus, dass die vorliegende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes zunächst an die Diakonie zugestellt und in weiterer Folge – da der Antragsteller bereits nach Algerien abgeschoben gewesen war – an seine Ehefrau übermittelt worden sei. Diese habe – auf die Bitte ihres Mannes hin – einen Rechtsvertreter mit der Setzung von rechtlichen Schritten gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes betraut.

Die Ehefrau des Antragstellers sei vom nunmehrigen Rechtsvertreter ersucht worden (weil das vorliegende Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes keinen Eingangsstempel der Diakonie aufgewiesen habe), das Zustellkuvert der Diakonie beizubringen, um anhand des am Kuvert angebrachten Hinterlegungsstempels den Zustellzeitpunkt der Entscheidung und damit den Beginn der Rechtsmittelfrist zu ermitteln.

Aus dem Kuvert der Diakonie sei als Hinterlegungszeitpunkt der 16. Juli 2019 hervorgegangen, weshalb als vermeintlich letzter Tag für die Erhebung eines Rechtsmittels der 27. August 2019 durch die Kanzleimitarbeiterin des Rechtsanwaltes in den Fristenvormerk eingetragen worden war.

Es sei mit der Kanzleimitarbeiterin erörtert worden, dass die Verfassungsgerichtshofbeschwerde vor Ablauf der Frist elektronisch einzubringen sei. Die elektronische Einbringung sei der Kanzleikraft wegen eines im Elektronischen Rechtssystem (ERV) zu verortenden Fehlers nicht möglich gewesen. Über die rechtsunwirksame Einbringung der Beschwerde sei die Kanzleimitarbeiterin am 28. August 2019 in Kenntnis gesetzt worden. Sie habe - in der Hoffnung, dass der Fristenlauf erst nach dem 16. Juli 2019 in Gang gesetzt worden sei – Rücksprache mit dem Bundesverwaltungsgericht gehalten, um den genauen Zustellungszeitpunkt des Erkenntnisses zu erfragen. Das Bundesverwaltungsgericht habe sie darüber informiert, dass die Zustellung an die Diakonie nicht am 16. Juli 2019, sondern am 15. Juli 2019 erfolgt sei. Es habe sich herausgestellt, dass die Diakonie die Entscheidung nicht im Originalkuvert des Bundesverwaltungsgerichtes, sondern mittels eigener Briefsendung vom 16. Juli 2019 an die Ehefrau des Antragstellers weitergeleitet habe. Erst durch die direkte Nachfrage der Kanzleikraft beim Bundesverwaltungsgericht habe sich dieser Umstand am 28. August 2019 aufgeklärt, sodass erst mit diesem Tag die zweiwöchige Frist für den Wiedereinsetzungsantrag zu laufen begonnen habe.

Durch die Zurverfügungstellung des "falschen" Kuverts sei der Antragsteller durch ein unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis an der fristgerechten Einbringung gehindert worden. Dass der Rechtsvertreter des Antragstellers bzw dessen Kanzleikraft in weiterer Folge bei der Fristenberechnung von dem am Kuvert aufgedruckten Hinterlegungszeitpunkt ausgegangen seien, stelle nur einen minderen Grad des Versehens dar.

2.       Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist ist zulässig, aber nicht begründet:

2.1.    Da das VfGG die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 VfGG die entsprechenden Bestimmungen der §§146 ff. ZPO sinngemäß anzuwenden.

2.2.    Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung muss gemäß §148 Abs2 ZPO innerhalb von vierzehn Tagen gestellt werden. Diese Frist beginnt mit dem Tage, an welchem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen ist; sie kann nicht verlängert werden. Zugleich mit dem Antrag ist dem §149 Abs1 ZPO zufolge auch die versäumte Prozesshandlung nachzuholen.

Das Hindernis für die rechtzeitige Einbringung der Beschwerde fiel durch die Nachfrage der Kanzleimitarbeiterin des Rechtsvertreters beim Bundesverwaltungsgericht am 28. August 2019 weg. Mit dem am 6. September 2019 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde daher diese Frist gewahrt.

2.3.    Nach §146 ZPO ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Unter einem "minderen Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (s etwa VfSlg 9817/1983, 14.639/1996, 15.913/2000 und 16.325/2001 mwN).

Aus §39 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG ergibt sich, dass das Verschulden des Bevollmächtigten eines Beschwerdeführers einem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist. Das Verschulden eines vom Antragsteller gewillkürten Rechtsvertreters, das eine Partei an der rechtzeitigen Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof hindert, hat die Partei somit gegen sich gelten zu lassen (vgl idS VfSlg 15.007/1997).

Im vorliegenden Fall kann nicht von einem minderen Grad des Versehens des Bevollmächtigten des Antragstellers gesprochen werden:

Ein berufsmäßiger Parteienvertreter hat im Zusammenhang mit der Einhaltung von Fristen und Terminen ein Mindestmaß an Sorgfalt zu beachten sowie eine möglichst effiziente Organisation einzurichten, um zu verhindern, dass es zu Fristversäumnissen kommt (VfSlg 15.692/1999, 18.903/2009). Im Zusammenhang der mit der Wahrung der gesetzlichen Frist für die Beschwerdeerhebung wichtigen Frage der Ermittlung des korrekten Zustelldatums der Entscheidung hat sich der Beschwerdevertreter mit dem am vermeintlichen Zustellkuvert aufgedruckten Hinterlegungsstempel begnügt, anstatt entsprechende Vorkehrungen zu treffen, um das wahre Datum der Zustellung der Entscheidung festzustellen. Durch Nachfrage bei der Post bzw - wie dies im vorliegenden Fall nachträglich auch geschehen ist – beim Bundesverwaltungsgericht selbst wäre es dem Beschwerdevertreter möglich gewesen, das für die Fristenberechnung korrekte Zustelldatum zu ermitteln, weshalb es sich nicht um einen minderen Grad des Versehens iSd Rechtsprechung handelt (VfSlg 12.863/1991, 14.157/1995; VfGH 12.12.2016, E2614/2016).

3.       Damit liegen aber die Voraussetzungen für die Bewilligung der

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor, weshalb der darauf gerichtete Antrag abzuweisen ist.

4.       Die Beschwerde wurde erst nach Ablauf der sechswöchigen Frist (§82 Abs1 VfGG) eingebracht und ist somit als verspätet zurückzuweisen.

5.       Der Antrag, die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten, ist abzuweisen, weil nach Art144 Abs3 B-VG (§87 Abs3 VfGG) eine solche Abtretung nur in den – hier nicht gegebenen – Fällen einer abweisenden Sachentscheidung oder einer Ablehnung der Behandlung einer Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof in Betracht kommt.

6.       Diese Beschlüsse konnten gemäß §149 Abs2 ZPO iVm §35 VfGG und §19 Abs3 Z2 litb VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

Schlagworte

VfGH / Wiedereinsetzung, VfGH / Fristen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:E3342.2019

Zuletzt aktualisiert am

25.02.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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