TE Vfgh Erkenntnis 2020/1/21 E3875/2019 ua

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Veröffentlicht am 21.01.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VwGVG §29 Abs4, §29 Abs5
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter und Erlassung von Rückkehrentscheidungen betreffend eine Familie ägyptischer Staatsangehöriger mangels Begründung der - mündlich verkündeten - Entscheidung

Spruch

Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird stattgegeben.

II. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

    Das Erkenntnis wird aufgehoben.

III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 3.008,40 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Ägypten, bekennen sich zum islamischen Glauben und gehören der Volksgruppe der Araber an. Der Erstbeschwerdeführer ist der Ehegatte der Zweitbeschwerdeführerin. Beide sind die Eltern des minderjährigen Drittbeschwerdeführers.

2.       Am 3. Mai 2016 stellte der Erstbeschwerdeführer in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz und führte dazu aus, Mitglied der Ärztekammer in Ägypten gewesen zu sein und dass er bei einer Revolution im Jahr 2011 vielen verletzten Demonstranten geholfen habe. Im Jahr 2014 habe er bei einem Ärztestreik als Hauptsprecher mehrere Interviews geführt. Später habe er erfahren, dass er auf Grund seiner Teilnahme an Operationen gegen das Regime und die Regierung angeklagt und ihm außerdem eine Mitgliedschaft der Moslembruderschaft vorgeworfen worden sei. Er habe sofort das Land Richtung Somalia verlassen und im Jänner 2016 von seinem Anwalt erfahren, dass er zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden sei. Im März 2018 wurde er von seinem Anwalt darüber informiert, dass es eine weitere Klage gegen ihn gebe, in der ihm abermals vorgeworfen werde, einen Ärztestreik gegen die Regierung organisiert zu haben.

3.       Am 13. Jänner 2017 stellte die Zweitbeschwerdeführerin für sich und den minderjährigen Drittbeschwerdeführer in Österreich ebenfalls Anträge auf internationalen Schutz und führte dazu aus, dass ihr Ehegatte in Ägypten verfolgt werde und er in Österreich Asyl bekommen habe. Ihr Ehegatte werde weiterhin in Ägypten gesucht und es würde auch für Familienmitglieder eine Gefährdung bestehen. Da die Zustände in ägyptischen Gefängnissen schlecht seien, fürchte sie um ihr Leben und um das ihres Sohnes. Für den minderjährigen Drittbeschwerdeführer wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

4.       Mit Bescheiden jeweils vom 11. Juni 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurden die Anträge hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Ägypten abgewiesen. Weiters wurden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG Rückkehrentscheidungen nach §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Ägypten gemäß §46 FPG zulässig sei. Schließlich wurde eine zweiwöchige Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.

5.       Die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde wurde durch das Bundesverwaltungsgericht mit der nunmehr angefochtenen, am 26. September 2019 mündlich verkündeten Entscheidung abgewiesen.

6.       Am 1. Oktober 2019 beantragten die Beschwerdeführer die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.

7.       Mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2019 erhoben die Beschwerdeführer die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde gegen das mündlich verkündete Erkenntnis vom 26. September 2019, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sowie Verfahrenshilfe beantragt wird. Begründend wird im Wesentlichen vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht habe in der mündlich verkündeten Abweisung keinerlei Entscheidungsgründe dargelegt.

8.       Am 7. November 2019 erging die schriftliche Ausfertigung des angefochtenen Erkenntnisses, die eine vollständige Begründung enthält.

9.       Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II.      Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Gemäß §29 Abs1 VwGVG sind Erkenntnisse im Namen der Republik zu verkünden, auszufertigen und zu begründen. Nach Abs2 leg.cit. hat das Verwaltungsgericht in der Regel, sofern eine Verhandlung in Anwesenheit von Parteien stattgefunden hat, das Erkenntnis mit den wesentlichen Entscheidungsgründen sogleich zu verkünden. Gemäß Abs4 leg.cit. ist den Parteien eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zuzustellen.

2.2. Daraus ergibt sich, dass ein mündlich verkündetes Erkenntnis die tragenden Elemente der Begründung zu enthalten hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch im Rahmen seines mündlich verkündeten Erkenntnisses jegliche Begründung für seine Entscheidung unterlassen. Das Erkenntnis ist daher mit Willkür belastet.

2.3. Die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses erfolgte im Zuge des verfassungsgerichtlichen Vorverfahrens. Sie enthält zwar eine Begründung; dies kann aber den Mangel des Fehlens der wesentlichen Entscheidungsgründe in der mündlichen Verkündung des Erkenntnisses nicht beseitigen. Insgesamt widerspricht eine derartige Vorgangsweise den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen (vgl VfSlg 20.267/2018; VfGH 13.12.2019, E2855-2856/2019).

III.    Ergebnis

1.       Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2.       Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 327,– sowie Umsatzsteuer in der Höhe von € 501,40 enthalten. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch eine Rechtsanwältin vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen Streitgenossenzuschlag, zuzusprechen.

Schlagworte

Asylrecht, Verhandlung mündliche, Entscheidungsverkündung, Entscheidungsbegründung, Rechtsstaatsprinzip, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E3875.2019

Zuletzt aktualisiert am

25.02.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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