TE Vwgh Beschluss 2020/1/23 Ra 2019/21/0387

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.01.2020
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §55
B-VG Art133 Abs4
MRK Art9
VwGG §34 Abs1
VwGG §63 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des N A in W, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11. September 2019, G313 2144474- 1/20E, betreffend Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 und Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der im Dezember 1982 geborene Revisionswerber, ein kosovarischer Staatsangehöriger, kam im April 2009 als Student nach Österreich. Er verfügte in der Folge über entsprechende Aufenthaltsbewilligungen, zuletzt gültig bis 25. Februar 2015. 2 Unter Berufung auf die am 16. Februar 2015 mit einer in Österreich selbständig erwerbstätigen rumänischen Staatsangehörigen geschlossene Ehe beantragte der Revisionswerber am 19. Februar 2015 als Ehemann einer unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgerin gemäß § 54 Abs. 1 NAG die Erteilung einer Aufenthaltskarte. Der Revisionswerber und seine Ehefrau wurden allerdings mit Urteil des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 1. Oktober 2015, bestätigt durch das Berufungsurteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 14. März 2016, wegen Eingehens einer Aufenthaltsehe nach § 117 Abs. 1 FPG jeweils zu einer Geldstrafe rechtskräftig verurteilt. Die Ehe wurde mit 31. Mai 2016 (im Einvernehmen) geschieden und der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltskarte am 26. Juli 2016 zurückgezogen.

3 Hierauf stellte der Revisionswerber am 12. September 2016 den Antrag, ihm gemäß § 55 AsylG 2005 einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK (zur Aufrechterhaltung des in Österreich geführten Privat- und Familienlebens) zu erteilen.

4 Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 19. Dezember 2016 ab. Unter einem erließ es gegen den Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers in den Kosovo fest. Gemäß § 55 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von vierzehn Tagen gewährt. 5 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 7. Dezember 2018 statt und es stellte gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG fest, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei. Demzufolge wurde des Weiteren ausgesprochen, dass dem Revisionswerber gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 eine "Aufenthaltsberechtigung" erteilt werde.

6 Infolge der dagegen vom BFA eingebrachten Amtsrevision hob der Verwaltungsgerichtshof diese Entscheidung mit dem Erkenntnis VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0016, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.

7 Der Verwaltungsgerichtshof bemängelte - soweit für das gegenständliche Verfahren noch relevant - vor allem, das BVwG habe die Bestimmung des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG (Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren) in seine Überlegungen nicht einbezogen. In diesem Zusammenhang wäre aber zu berücksichtigen gewesen, dass dem Revisionswerber von Anfang an habe bewusst sein müssen, dass ihm die erteilten Aufenthaltsbewilligungen nur ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht vermitteln konnten. Das notwendige Bewusstsein eines unsicheren Aufenthalts habe aber umso mehr für die Zeit danach gegeben sein müssen, also während des auf eine bloße Aufenthaltsehe gestützten Verfahrens über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltskarte, in dem ihm nicht das behauptete unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zugekommen sei, und während des Verfahrens über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 55 AsylG 2005, der gemäß § 58 Abs. 13 erster Satz AsylG 2005 kein Aufenthalts- oder Bleiberecht begründet habe. Das relativiere die in diesem Zeitraum erlangte soziale Integration - eine nennenswerte berufliche Verankerung liege gegenständlich nicht vor - entscheidend; ebenso aber auch die Dauer des Aufenthalts, der seit Ablauf des 25. Februar 2015 nicht mehr rechtmäßig gewesen sei. Darüber hinaus habe das BVwG - so begründete der Verwaltungsgerichtshof dieses Erkenntnis weiter - dem fremdenrechtlich besonders relevanten missbräuchlichen Verhalten des Revisionswerbers, mittels einer Aufenthaltsehe zu versuchen, die - mangels ausreichenden Studienerfolges sonst nicht mögliche - Verlängerung des rechtmäßigen Aufenthalts zu erreichen, nicht die gebotene Bedeutung beigemessen. Der Umstand, dass der Revisionswerber durch sein rechtsmissbräuchliches Verhalten den eigentlich zu beendenden Aufenthalt habe verlängern wollen, mindere dessen Gesamtdauer bis zur Erlassung des bekämpften Erkenntnisses des BVwG von etwa neuneinhalb Jahren und die während dessen erlangte Integration zusätzlich maßgeblich. Dazu komme noch, dass der Revisionswerber nicht im Sinne der Z 6 des § 9 Abs. 2 BFA-VG als strafgerichtlich unbescholten anzusehen sei. Vor diesem Hintergrund müsse unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht akzeptiert werden, dass der Revisionswerber mit seinem Verhalten letztlich versuche, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen. Die Auffassung des BVwG, das der Sache nach vom Vorliegen derart außergewöhnlicher Umstände ausging, die zu einem gegenteiligen Ergebnis zu führen hätte, sei somit insgesamt nicht vertretbar gewesen.

8 Unter Bezugnahme auf diese Begründung wies das BVwG die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 19. Dezember 2016 im zweiten Rechtsgang mit dem vorliegend angefochtenen Erkenntnis vom 11. September 2019 als unbegründet ab. Unter einem sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

9 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

11 In dieser Hinsicht wird vom Revisionswerber - nach Abtretung der zunächst an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde, deren Behandlung mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Oktober 2019, E 3635/2019-5, abgelehnt worden war - in der dann fristgerecht ausgeführten außerordentlichen Revision vor allem die Unterlassung der in der Beschwerde beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung gerügt. Das BVwG habe es verabsäumt, näher zu prüfen, "inwieweit" sich die "soziale Integration" des Revisionswerbers seit Erlassung des Erkenntnisses vom 7. Dezember 2018 zu seinen Gunsten "entsprechend gebessert" habe. Schon deshalb wäre eine mündliche Verhandlung anzuberaumen gewesen, um dem Revisionswerber die Möglichkeit einzuräumen, "sämtliche Gründe" darzulegen, die seine "maßgebliche soziale Integration" in Österreich dokumentierten. 12 Nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes in seinem aufhebenden Erkenntnis vom 26. Juni 2019, an die das BVwG gemäß § 63 Abs. 1 VwGG im fortzusetzenden Verfahren gebunden war, musste für den Revisionswerber klar ersichtlich sein, dass ihm auf Basis des für den Verwaltungsgerichtshof maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts der Erlassung des Erkenntnisses des BVwG vom 7. Dezember 2018 kein Anspruch auf Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zukam. Demzufolge lag es an ihm, mittlerweile eingetretene maßgebliche Sachverhaltsänderungen, die allenfalls zu einer davon abweichenden Beurteilung hätten führen können, von sich aus dem BVwG zur Kenntnis zu bringen (vgl. ähnlich VwGH 4.4.2019, Ra 2018/21/0169, Rn. 13). Das hat der Revisionswerber im Übrigen auch erkannt, indem er am 5. September 2019 ein vom 11. Juli 2019 datierendes "Zeugnis zur Integrationsprüfung" mit dem Nachweis von Deutschkenntnissen auf dem Niveau B1 vorlegte, was vom BVwG auch berücksichtigt wurde. Welche sonst relevanten Umstände in einer mündlichen Verhandlung noch hätten dargelegt werden können, wird aber auch in der Revision nicht näher konkretisiert, wo es diesbezüglich nur ganz allgemein heißt, die soziale Integration des Revisionswerbers habe sich "weiterhin zu seinen Gunsten intensiviert". Dass der um nunmehr etwa neun Monate verlängerten Aufenthaltsdauer fallbezogen keine entscheidungswesentliche Bedeutung zukommt, ergibt sich aber schon aus den Entscheidungsgründen des Verwaltungsgerichtshofes im aufhebenden Erkenntnis vom 26. Juni 2019. Die Unterlassung einer mündlichen Verhandlung begründet daher entgegen der Meinung in der Revision auf Basis des dort erstatteten Vorbringens keinen relevanten Verfahrensmangel.

13 Wenn die Revision noch an mehreren Stellen kritisiert, das BVwG habe nunmehr eine "im völligen Widerspruch" zum Erkenntnis vom 7. Dezember 2018 stehende Entscheidung getroffen, so wird dabei außer Acht gelassen, dass das BVwG - wie bereits erwähnt - gemäß § 63 Abs. 1 VwGG an die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes im ersten Rechtsgang gebunden war. Es war daher nicht rechtswidrig, dass sich das BVwG bei seiner Interessenabwägung auf die in Rn. 7 wiedergegebenen Entscheidungsgründe im Erkenntnis vom 26. Juni 2019 bezog und ihnen folgte (vgl. zu einem ähnlichen Einwand VwGH 16.5.2019, Ra 2019/21/0110, Rn. 11 und 12). Die Behauptung in der Revision, das BVwG habe "in Wahrheit überhaupt keine Interessenabwägung vorgenommen" und dazu auch keine "relevanten Feststellungen" getroffen, ist im Übrigen aktenwidrig.

14 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 23. Jänner 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019210387.L00

Im RIS seit

04.03.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.03.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten