TE Vwgh Beschluss 2020/1/23 Ra 2019/21/0384

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Veröffentlicht am 23.01.2020
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E02100000
E3L E05100000
E3L E19100000
001 Verwaltungsrecht allgemein
20/02 Familienrecht
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §37
EheG §23
EURallg
FrPolG 2005 §66 Abs1
NAG 2005 §55 Abs3
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §27
VwRallg
32004L0038 Unionsbürger-RL Art35

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des I G in B, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen das am 2. Juli 2019 mündlich verkündete und mit 7. August 2019 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, L519 2216833-1/6E, betreffend Ausweisung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der im Februar 1981 geborene Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, heiratete am 5. August 2015 in seinem Heimatland eine im Oktober 1957 in Österreich geborene und hier lebende deutsche Staatsangehörige. Der Revisionswerber reiste sodann Anfang September 2015 in das Bundesgebiet ein. Ihm wurde über entsprechenden Antrag vom 5. September 2015 von der Niederlassungsbehörde eine bis 22. September 2020 gültige Aufenthaltskarte erteilt. Jedenfalls seit Jänner 2017 leben die Eheleute nicht mehr im gemeinsamen Haushalt und seit Februar 2018 ist ein nach der Aktenlage bisher noch nicht beendetes Scheidungsverfahren gerichtsanhängig. Seit etwa zweieinhalb Jahren führt der Revisionswerber eine Beziehung mit einer

österreichischen Staatsbürgerin.

2 Mit Schreiben vom 19. September 2017 teilte die Niederlassungsbehörde dem Revisionswerber und dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) unter Bezugnahme auf § 55 Abs. 3 NAG mit, dass dem Revisionswerber ihrer Ansicht nach wegen der Beendigung des gemeinsamen Familienlebens mit seiner Ehefrau das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht mehr zukomme. 3 Nachdem der Revisionswerber dazu im Rahmen des Parteiengehörs Stellungnahmen erstattet hatte, verfügte das BFA mit Bescheid vom 25. Februar 2019 gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG die Ausweisung des Revisionswerbers aus dem österreichischen Bundesgebiet.

4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen, in der mündlichen Verhandlung am 2. Juli 2019 verkündeten und mit 7. August 2019 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis als unbegründet ab. Es sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, das eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. 5 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer

außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

7 In dieser Hinsicht wird vom Revisionswerber - nach Abtretung der zunächst an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde, deren Behandlung mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Oktober 2019, E 3440/2019-5, abgelehnt worden war - in der dann fristgerecht ausgeführten außerordentlichen Revision vorrangig die Befangenheit der entscheidenden Richterin des BVwG geltend gemacht. Er verweist dazu auf das diese Richterin betreffende Erkenntnis VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0676, und meint, "die Befangenheitsmuster des dortigen Falles decken sich weitgehend mit den Unsäglichkeiten der angefochtenen Entscheidung". 8 Dieser Vorwurf ist nicht nachvollziehbar, finden sich doch im angefochtenen Erkenntnis keine vergleichbaren, im genannten Fall den äußeren Anschein der Befangenheit begründenden "gravierenden verbalen Entgleisungen". Es ist auch keine unsachliche Auseinandersetzung mit den Fakten des vorliegenden Falles erkennbar. Das gilt insbesondere auch für die Beweiswürdigung, worauf noch einzugehen sein wird. Dass die Richterin des BVwG - wie in der Revision behauptet wird - "offenkundig ein Türkei-Bild" vertrete, das es "eigentlich ausschließen müsste, dass sie über ‚Türkei-Fälle' entscheidet", lässt sich aus den im hier angefochtenen Erkenntnis gebrauchten Formulierungen nicht ableiten. Dafür bleibt die Revision auch eine nähere Konkretisierung schuldig. Der Befangenheitseinwand ist somit nicht stichhältig und führt daher nicht zur Zulässigkeit der Revision.

9 In der weiteren Zulassungsbegründung macht der Revisionswerber unter Berufung auf Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zusammengefasst geltend, dass ein aufrechtes Eheband "immer zu respektieren" und das Führen eines gemeinsamen Familienlebens keine Voraussetzung für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht von begünstigten Drittstaatsangehörigen sei. Der Revisionswerber dürfte daher unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, darstellte, was jedoch angesichts seiner strafgerichtlichen Unbescholtenheit nicht der Fall sei. 10 Richtig ist, dass der Gerichtshof der Europäischen Union in seiner Rechtsprechung zur Freizügigkeits-RL (Richtlinie 2004/38/EG; auch: Unionsbürger-RL) zum Ausdruck gebracht hat, dass der Ehegatte nicht notwendigerweise ständig bei dem Unionsbürger wohnen müsse, um Inhaber eines von ihm abgeleiteten Aufenthaltsrechts zu sein. Demzufolge sei die Tatsache, dass die Ehegatten nicht nur ihr Zusammenleben beendet, sondern auch zusammen mit anderen Partnern gelebt hätten, für den Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nach Art. 16 Abs. 2 der genannten Richtlinie durch den Ehegatten des Unionsbürgers unerheblich. Solange die Ehegatten verheiratet sind und sich in dem Mitgliedstaat, in dem der Unionsbürger von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch macht, aufhalten, verliere der Ehegatte nicht sein vom Unionsbürger nach Art. 7 Abs. 2 der genannten Richtlinie abgeleitetes Aufenthaltsrecht (vgl. EuGH 10.7.2014, Ogieriakhi, C-244/13, Rn. 37 bis 39; siehe daran anschließend auch EuGH (Große Kammer) 16.7.2015, K. Singh u.a., C-218/14, Rn. 54, wonach die Voraussetzung nach Art. 7 Abs. 2 der Freizügigkeits-RL, dass der Drittstaatsangehörige den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen muss, so zu verstehen sei, dass sie nicht auf die Verpflichtung der Eheleute abstellt, "unter demselben Dach" zusammen zu wohnen, sondern auf diejenige, dass beide in demselben Mitgliedstaat bleiben, in dem der Ehegatte, der Unionsbürger ist, von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch macht). 11 Daraus ist für den Revisionswerber aber letztlich nichts zu gewinnen. Das BVwG ging nämlich bei seiner Entscheidung in (auch) tragender Weise davon aus, bei der mit der deutschen Staatsangehörigen am 5. August 2015 geschlossenen Ehe habe es sich von Seiten des Revisionswerbers "um eine reine Scheinehe" gehandelt und es habe "letztlich von Anfang an kein tatsächliches Eheleben" vorgelegen. Das gründete das BVwG unter Verwertung des persönlichen Eindrucks auf näher dargestellte Angaben der Ehefrau des Revisionswerbers im Rahmen ihrer Aussage in der mündlichen Beschwerdeverhandlung. Diese schlüssige Beweiswürdigung vermag die Revision, in der auf die diesbezüglichen Erwägungen des BVwG nicht konkret eingegangen wird, nicht zu erschüttern. Die bloße Behauptung, es sei "absurd", im vorliegenden Fall von Scheinehe auszugehen, und die partielle Wiederholung von - vom BVwG nachvollziehbar als unglaubwürdig eingeschätzten - Angaben des Revisionswerbers genügen dafür nicht. Außerdem wird dabei feststellungsfremd unterstellt, auch von Seiten der Ehefrau habe es sich um eine Aufenthaltsehe gehandelt.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in VwGH 24.11.2009, 2007/21/0011, in Punkt 6.1. bis 6.3. der Entscheidungsgründe mit näherer Begründung klargestellt, dass die Erlassung einer Ausweisung wegen Vorliegens einer Scheinehe gegen einen drittstaatszugehörigen Angehörigen eines "freizügigkeitsberechtigte n" EWR-Bürgers jedenfalls zulässig sei. Darauf kann gemäß § 43 Abs. 2 und 9 VwGG verwiesen werden, wobei die diesbezüglichen Überlegungen sinngemäß auch für die aktuelle Rechtslage gelten (vgl. insoweit auch VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0349, Rn. 9, mwN). Der in § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG festgelegten Vorgangsweise in Form der Erlassung einer Ausweisung stehen auch unionsrechtliche Vorschriften nicht entgegen, zumal nach Art. 35 der Freizügigkeits-RL die Mitgliedstaaten (unter Einhaltung der in dieser Richtlinie vorgesehenen Verfahrensgarantien) jene Maßnahmen erlassen können, die notwendig sind, um die durch diese Richtlinie verliehenen Rechte im Falle von Rechtsmissbrauch oder Betrug - wie z. B. durch Eingehen von Scheinehen - zu verweigern, aufzuheben oder zu widerrufen (vgl. neuerlich VwGH 24.11.2009, 2007/21/0011, Punkt 6.3. der Entscheidungsgründe).

13 Für die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Berufens auf eine Scheinehe bzw. Aufenthaltsehe kommt es im vorliegenden Zusammenhang nur auf die diesbezügliche Absicht des Revisionswerbers und nicht auf jene seiner deutschen Ehefrau, die (zunächst) auf das Vorliegen einer echten Ehe vertraute, an (vgl. VwGH 25.1.2005, 2004/21/0135, und darauf Bezug nehmend VwGH 27.3.2007, 2006/21/0391, sowie daran anschließend VwGH 22.11.2007, 2004/21/0268; siehe zuletzt auch VwGH 9.8.2018, Ra 2018/22/0033, Rn. 11, mwN). Auch das wird - wie schon in Rn. 11 am Ende angemerkt - in der Revision außer Acht gelassen. Der Revisionswerber ist überdies nicht im Recht, wenn er meint, "niemand, außer das zuständige Familiengericht", dürfe eine Ehe "als Scheinehe deklarieren". Nach ständiger Rechtsprechung setzt nämlich die fremdenpolizeiliche Feststellung, eine Ehe sei nur zum Schein geschlossen worden, die Nichtigerklärung der Ehe gemäß § 23 EheG nicht voraus (vgl. etwa VwGH 13.9.2012, 2011/23/0544, mwN, und daran anschließend VwGH 26.6.2013, 2013/22/0111, sowie zuletzt VwGH 25.9.2017, Ra 2017/20/0293, Rn. 10). Genauso wenig bedarf es dafür einer Entscheidung durch das "zuständige Familiengericht" (offenbar gemeint) über die Scheidung der Ehe. Vielmehr dürfen die Verwaltungsbehörde bzw. das Verwaltungsgericht in Bezug auf das Vorliegen einer Scheinehe eine eigene Beurteilung vornehmen (vgl. neuerlich VwGH 25.9.2017, Ra 2017/20/0293, Rn. 10; siehe zum diesbezüglich nicht berechtigten Einwand, es liege insoweit ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung vor, ausführlich VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0349, Rn. 11 ff). 14 Ausgehend von dem vom BVwG festgestellten Rechtsmissbrauch durch den Revisionswerber hat er im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen die Trennung von seiner österreichischen Partnerin und deren Kind, mit denen er allerdings nicht im gemeinsamen Haushalt lebt, sowie den Verlust seines Arbeitsplatzes (zuletzt Tätigkeit als Security-Mitarbeiter) hinzunehmen. Gleiches gilt für die eingeschränkten Besuchsmöglichkeiten zu seinem in Deutschland lebenden Sohn aus erster Ehe (geboren 2002), die im Übrigen weder in der Beschwerde noch in der Verhandlung ins Treffen geführt worden waren. Die in diesem Sinn vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG (iVm § 66 Abs. 2 FPG) ist daher jedenfalls vertretbar, was der Zulässigkeit der Revision unter diesem Gesichtspunkt entgegensteht (vgl. zu einer Ausweisung etwa VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0180, Rn. 7, mwN).

15 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 23. Jänner 2020

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3Individuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtliche Beurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019210384.L00

Im RIS seit

04.03.2020

Zuletzt aktualisiert am

05.05.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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