TE Vwgh Beschluss 2020/1/28 Ra 2019/20/0322

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Veröffentlicht am 28.01.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §13 Abs2 Z3
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie den Hofrat Dr. Schwarz und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision des S S M in G, vertreten durch Dr. Thomas Neger, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Parkstraße 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Mai 2019, W144 2185727-1/27E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 23. August 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, dass sein Vater als Polizist gearbeitet habe. Dieser sei von Unbekannten damit bedroht worden, dass er und seine Söhne getötet würden, wenn er seine Tätigkeit als Polizist fortsetze.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies mit Bescheid vom 29. Dezember 2017 diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Der Revisionswerber wurde in Österreich straffällig. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 22. Juni 2018 wurde der Revisionswerber wegen Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren rechtskräftig verurteilt.

4 Das BFA sprach mit Bescheid vom 30. November 2018 aus, dass der Revisionswerber sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 17. November 2018 gemäß § 13 Abs. 2 Z 3 Asylgesetz 2005 verloren habe. Dem lag zugrunde, dass über den Revisionswerber am 17. November 2018 wegen des Verdachts u.a. der Begehung der Verbrechen der Vergewaltigung und des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen die Untersuchungshaft verhängt worden war.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen den Bescheid des BFA vom 29. Dezember 2017 erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab seiner Enthaftung betrage und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. 6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG). 7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist nach § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. Da der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nur im Rahmen der dafür in der Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat, ist er weder verpflichtet, solche anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen. Dementsprechend erfolgt nach der Rechtsprechung die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulassungsbegründung. In der gesonderten Zulassungsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. zum Ganzen VwGH 10.9.2019, Ra 2019/14/0258, mwN).

9 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst geltend gemacht, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Herat sowie Mazar-e Sharif angenommen habe. Das BVwG habe die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 außer Acht gelassen. Der unbegleitete und minderjährige Revisionswerber könne aufgrund der angespannten Versorgungslage, der unsicheren Sicherheitslage und des fehlenden sozialen und familiären Netzwerkes in den genannten Städten seine existentiellen Bedürfnisse nicht befriedigen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative wäre daher für ihn unter Beachtung seiner Minderjährigkeit nicht zumutbar. Der Revisionswerber verfüge weder in Herat noch in Mazar-e Sharif über ein Familienmitglied und auch nicht über einen geeigneten offiziellen Vormund. In Afghanistan bestünden auch keine geeigneten Aufnahmeeinrichtungen, die den minderjährigen Revisionswerber im Zielstaat übernehmen und versorgen könnten, weshalb eine aufenthaltsbeendende Maßnahme unzulässig sei. Das BVwG habe das Kindeswohl nicht berücksichtigt. Es habe sich auch nicht nachvollziehbar mit der sicheren Erreichbarkeit der beiden genannten Städten auseinandergesetzt und außer Acht gelassen, dass der Revisionswerber als vermeintlicher Straftäter eine zusätzlich exponiertere Stellung innehabe und Diskriminierungen und Ausgrenzungen ausgesetzt wäre.

10 Soweit die Revision vorbringt, das BVwG habe die Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 nicht herangezogen, macht die Revision einen Verfahrensmangel geltend. Es reicht jedoch nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der genannten Verfahrensmängel in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 13.11.2019, Ra 2019/01/0326, mwN). Eine solche Relevanz zeigt die vorliegende Revision nicht auf.

11 Dem Verwaltungsgerichtshof kommt im Revisionsmodell eine Leitfunktion zu. Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes ist es, im Rahmen der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (erstmals) die Grundsätze bzw. Leitlinien für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts festzulegen, welche von diesem zu beachten sind. Die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall kommt hingegen grundsätzlich dem Verwaltungsgericht zu, dem dabei in der Regel ein gewisser Anwendungsspielraum überlassen ist. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof ist nur dann unausweichlich, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. VwGH 5.7.2019, Ra 2019/01/0227 bis 0228, mwN). 12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich bei der Beurteilung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative, deren Inanspruchnahme auch zumutbar ist, zur Verfügung steht, letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, mwN).

13 Die Revision zeigt nicht auf, dass die Beurteilung des BVwG, dem Revisionswerber sei zwar eine Rückkehr in seine Heimatprovinz aufgrund der dortigen Sicherheitslage nicht möglich, ihm stehe aber in den Städten Mazar-e Sharif und Herat eine innerstaatliche Fluchtalternative offen, fallbezogen mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Rechtswidrigkeit belastet wäre. Das BVwG hat sich entgegen den Behauptungen in der Revision umfassend mit dem Vorliegen der Voraussetzungen einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Bezug auf Mazar-e Sharif und Herat auseinandergesetzt und in seinem Erkenntnis die für die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative relevanten Feststellungen getroffen. Das Verwaltungsgericht hat seine rechtliche Beurteilung, wonach für den Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif und Herat verfügbar sei, vor dem Hintergrund sowohl des Zumutbarkeitskalküles als auch im Hinblick auf die Gefährdung der Verletzung der Rechte von Art. 3 EMRK getroffen.

14 Es berücksichtigte bei seiner Beurteilung die persönlichen Umstände des Revisionswerbers, insbesondere auch dessen allfällige Minderjährigkeit und traf Feststellungen zur Lage von Minderjährigen in Afghanistan und deren spezifischen Gefährdungen. Allerdings legte das Verwaltungsgericht mit eingehender Begründung dar, warum der Revisionswerber ausgehend von den festgestellten persönlichen Umständen im Einzelfall auch ohne Anwesenheit seiner Eltern oder anderer Familienangehöriger vor Ort von diesen Gefahren nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit betroffen sei und ihm keine reale Gefahr ("real risk") der Verletzung des Art. 3 EMRK drohe (vgl. VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0372, mwN). Diesen Erwägungen des BVwG hält die Revision mit ihrem pauschalen Hinweis auf die Minderjährigkeit des Revisionswerbers nichts Stichhaltiges entgegen. Das BVwG kam mit nachvollziehbarer Begründung zum Schluss, warum nicht mit maßgebender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass bei einer Rückkehr des Revisionswerbers nach Afghanistan jemand von seinen in Österreich gesetzten strafrechtlich relevanten Verhalten erfahren würde und daher daraus keine besondere Gefährdung resultiere. Gegenteiliges vermag die Revision nicht aufzuzeigen. 15 Das BVwG legte seiner Beurteilung der Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative zu Grunde, dass es sich bei dem jedenfalls im 18. Lebensjahr befindlichen, nach seinen Angaben in Bulgarien sogar bereits mit Jänner 2018 volljährigen, Revisionswerber um einen jungen, gesunden Mann im erwerbsfähigen Alter handle, der über eine siebenjährige Schulausbildung und Berufserfahrung als Lehrling im Beruf des Schneiders verfüge, mit den Gewohnheiten seines Heimatlandes vertraut sei, den weit überwiegenden Teil seines Lebens in Afghanistan verbrachte habe und noch immer zahlreiche familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan besitze, Sprachkenntnisse in Dari und Paschtu aufweise, finanzielle Unterstützung von den nach wie vor in der Heimatprovinz lebenden Eltern, deren finanzielle Lage gut sei, erhalten werde und Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen könne. Vor dem Hintergrund dieser unbestritten gebliebenen Feststellungen vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass die vom BVwG im Einzelfall vorgenommene Beurteilung, dass dem Revisionswerber die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative auch zumutbar sei, unvertretbar wäre.

16 Die in der Zulassungsbegründung weiters angesprochene Frage nach der mangelnden Berücksichtigung des Kindeswohls bei der Rückkehrentscheidung und Beurteilung der Zulässigkeit der Abschiebung des Revisonswerbers (vgl. zur Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer Rückkehrentscheidung auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung VwGH 24.9.2019, Ra 2019/20/0274, mwN) versagt schon deshalb als Zulässigkeitsgrund, weil die Revision im Zusammenhang mit diesem Zulässigkeitsvorbringen nicht näher ausgeführt wird, sondern in den Revisionsgründen nur "um Wiederholungen zu vermeiden", "auf die obigen Ausführungen zur erheblichen Rechtsfrage" verwiesen wird (vgl. VwGH 28.3.2018, Ra 2018/07/0338; 21.3.2018, Ra 2018/18/0075; jeweils mwN). Die Revision ist insofern nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl. VwGH 24.8.2017, Ra 2017/01/0058, mwN), weshalb sie im Sinn des § 34 Abs. 1 VwGG nicht zur Behandlung geeignet ist. 17 In der Revision werden somit einerseits keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, andererseits erweist sie sich im Sinn des § 34 Abs. 1 VwGG als nicht zu ihrer Behandlung geeignet.

Wien, am 28. Jänner 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019200322.L00

Im RIS seit

27.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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