TE Vwgh Erkenntnis 2020/1/30 Ra 2017/16/0082

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Veröffentlicht am 30.01.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
22/03 Außerstreitverfahren
27/03 Gerichtsgebühren Justizverwaltungsgebühren
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

ABGB §270
AußStrG §2 Abs1
AußStrG §2 Abs2
AVG §11
GGG 1984 TP12 liti idF 2009/I/137
GGG 1984 §28
GGG 1984 §28 Z10 idF 2009/I/137
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Thoma und Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des Bundes, vertreten durch das Bundesamt für Fremdwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. April 2017, Zl. W208 2133102- 1/6E, betreffend Gerichtsgebühren (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Präsidentin des Landesgerichts Wiener Neustadt), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag des Bundes auf Zuspruch von Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

1 Mit Schreiben vom 25. Mai 2012 ersuchte das Bundesasylamt (BAA; nun: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, BFA) das Bezirksgericht um Bestellung eines Abwesenheitskurators gemäß § 11 AVG zur Durchführung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG.

2 Mit Beschluss vom 29. Juli 2015 bestellte das Bezirksgericht eine namentlich genannte Rechtsanwältin zur Abwesenheitskuratorin gemäß § 11 AVG iVm § 270 ABGB. In der Begründung führte das Bezirksgericht aus, die Asylbehörde habe die Bestellung eines Abwesenheitskurators nach § 11 AVG zur Wahrung der Rechte eines vermeintlich Abwesenden angeregt. Eine solche Kuratorbestellung entspreche der in § 270 erster Fall ABGB vorgesehenen Konstellation der Bestellung eines Kurators für Abwesende zur Vermeidung einer Gefährdung ihrer Rechte. Da der Abwesende seine Rechte im Aberkennungsverfahren nicht ohne Kurator wahrnehmen könne, sei für ihn ein solcher zu bestellen.

3 Mit Bescheid vom 11. Juli 2016 schrieb die Präsidentin des Landesgerichts dem Bund eine Pauschalgebühr gemäß TP 12 lit. i GGG iHv 244 EUR sowie eine Einhebungsgebühr gemäß § 6a Abs. 1 GEG iHv 8 EUR vor. Gemäß § 2 Z 1 lit. h GGG entstehe der Anspruch des Bundes auf die Pauschalgebühr für die in TP 12 lit. i leg. cit. angeführten außerstreitigen Verfahren mit der Überreichung der ersten Eingabe. Gemäß § 28 Z 10 GGG sei der Antragsteller zahlungspflichtig. Eine Gebührenbefreiung gemäß § 10 Abs. 3 GGG bestehe nicht.

4 In der dagegen erhobenen Beschwerde vom 3. August 2016 brachte der Bund, vertreten durch das BFA vor, es werde zwar nicht bezweifelt, dass keine Gebührenbefreiung nach § 10 Abs. 3 GGG bestehe. Eine solche sei aber auch nicht notwendig, weil von vornherein keine Gebührenpflicht vorliege. Eine solche treffe nach § 28 Z 10 GGG nur den "Antragsteller". Die Asylbehörde habe aber keinen Antrag gestellt, sondern lediglich nach § 11 AVG die Bestellung eines Abwesenheitskurators gemäß § 270 erster Fall ABGB "angeregt", da durch ein Aberkennungsverfahren von internationalem Schutz die Rechte der abwesenden Person gefährdet sein könnten. Die Asylbehörde sei nicht Partei iSd AußStrG; ihr komme kein Erledigungsrecht zu. Eine Gebührenpflicht scheide mangels Antragstellung aus.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Bundes ab und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6 In der Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, für die in TP 12 lit. i GGG angeführten außerstreitigen Verfahren entstehe der Gebührenanspruch gemäß § 2 Z 1 lit. h GGG mit der Überreichung der ersten Eingabe. Das Gesetz unterscheide nicht zwischen "Antrag" und "Anregung". "Antragsteller" iSd GGG sei diejenige Person, die eine Eingabe mache und damit die Tätigkeit des Gerichts in Anspruch nehme, unabhängig davon, ob ihr im folgenden Verfahren Parteirechte zukämen und ihre Eingabe - allenfalls mangels Antragslegitimation - zurückzuweisen wäre. Selbst der OGH spreche im Zusammenhang mit der Bestellung eines Abwesenheitskurators zur Wahrung gefährdeter Rechte des Abwesenden von einer "Antragslegitimation" im Sinne einer "Anregungslegitimation" (Hinweis auf OGH 15.9.2009, 5 Ob 149/09m). 7 Da die Gerichtsgebührenpflicht an formale äußere Tatbestände anknüpfe, um eine möglichst einfache Handhabung zu gewährleisten, und es bei einem eindeutigen Inhalt nicht auf die Bezeichnung des Schriftsatzes ankomme, sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber auch "Anregungen zur Bestellung eines Abwesenheitskurators" als Eingabe bzw. Antrag, und damit als die Zahlungspflicht nach TP 12 lit. i GGG auslösend, betrachte, zumal das Bezirksgericht auch im Sinne der Anregung tätig geworden sei.

8 Auch die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. April 2016, Ro 2016/16/0006, deute in diese Richtung, hätte der Verwaltungsgerichtshof doch das Vorliegen einer Gebührenbefreiung nach § 10 Abs. 3 GGG nicht prüfen müssen, wenn von vornherein keine Gebührenpflicht entstanden wäre.

9 Aus § 28 Z 10 iVm § 1 Abs. 1 GGG folge, dass in allen übrigen Fällen des außerstreitigen Verfahrens der "Antragsteller", somit derjenige, der das außerstreitige Verfahren des Gerichts durch Überreichung der ersten Eingabe (§ 2 Z 1 lit. h GGG) in Gang setze (Hinweis auf VwGH 14.10.1999, 98/16/0050), zur Zahlung verpflichtet sei.

10 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Bundes, in der zur Zulässigkeit vorgebracht wird, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob eine Behörde, die die Bestellung eines Abwesenheitskurators nach § 11 AVG anrege, "Antragsteller" iSd § 28 Z 10 GGG sei und damit zu Recht zur Zahlung der Pauschalgebühr nach TP 12 lit. i leg. cit. herangezogen werde.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Revision gemäß § 36 VwGG das Vorverfahren eingeleitet, in dessen Rahmen der Bundesminister für Verfassung, Reform, Deregulierung und Justiz eine Revisionsbeantwortung erstattete.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

12 Die Revision ist zulässig und begründet.

13 Soll von Amts wegen gegen eine Person, deren Aufenthalt

unbekannt ist, eine Amtshandlung vorgenommen werden, so kann nach § 11 zweiter Fall AVG die Behörde, wenn die Wichtigkeit der Sache es erfordert, die Bestellung eines Kurators beim zuständigen Gericht (§ 109 JN) "veranlassen".

14 Die Bestellung eines Abwesenheitskurators erfolgt im Rahmen eines Außerstreitverfahrens.

15 Nach § 2 Abs. 1 AußStrG sind Parteien des Außerstreitverfahrens der Antragsteller (Z 1), der vom Antragsteller als Antragsgegner oder sonst als Partei Bezeichnete (Z 2), jede Person, soweit ihre rechtlich geschützte Stellung durch die begehrte oder vom Gericht in Aussicht genommene Entscheidung oder durch eine sonstige gerichtliche Tätigkeit unmittelbar beeinflusst würde (Z 3), sowie jede Person oder Stelle, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften in das Verfahren einzubeziehen ist (Z 4).

16 Nach § 2 Abs. 2 AußStrG ist nicht Partei, wer eine Tätigkeit des Gerichts offensichtlich nur anregt.

17 Eine Kuratorbestellung nach § 11 zweiter Fall AVG zur Wahrung der Rechte eines vermeintlich Abwesenden entspricht der in § 270 erster Fall ABGB (idF vor BGBl. I Nr. 59/2017) vorgesehenen Konstellation der Bestellung eines Kurators für Abwesende zur Vermeidung einer Gefährdung ihrer Rechte. Der Behörde kommt ein bloßes Anregungsrecht zu, welches dieser keinen Erledigungsanspruch und keine Rechtsmittellegitimation vermittelt.

§ 11 zweiter Fall AVG räumt der Behörde nicht die Rechtsstellung einer Amtspartei ein (vgl. etwa OGH 15.9.2009, 5 Ob 149/09m; OGH 29.9.2009, 8 Ob 92/09a; Kodek in Gitschthaler/Höllerwerth, AußStrG I2, § 2 Rz 38 ff, 90 f).

18 Das BFA ist daher, wenn es nach § 11 AVG die Bestellung eines Abwesenheitskurators zur Wahrung der Rechte des Abwesenden anregt, nicht "Antragsteller" iSd § 2 Abs. 1 AußStrG und damit nicht Partei des Außerstreitverfahrens. Vielmehr bestimmt § 2 Abs. 2 AußStrG ausdrücklich, dass derjenige, der die Tätigkeit des Gerichts offensichtlich nur anregt, nicht Partei ist. Auch wenn das Gericht erst durch die Anregung der Asylbehörde Kenntnis von der Notwendigkeit der Bestellung eines Abwesenheitskurators erlangt, so handelt es sich bei der Bestellung eines Abwesenheitskurators nach § 11 AVG iVm § 270 erster Fall ABGB doch um ein amtswegiges Verfahren.

19 Im Revisionsfall ist unstrittig, dass die Asylbehörde mit ihrem Schreiben vom 25. Mai 2012 die Bestellung eines Abwesenheitskurators nach § 11 iVm § 270 erster Fall ABGB lediglich "angeregt", aber keinen entsprechenden "Antrag" gestellt hat.

20 Damit scheidet aber auch die Vorschreibung einer Pauschalgebühr nach TP 12 lit. i GGG in der im Revisionsfall noch maßgebenden Fassung des Kinderbeistand-Gesetzes, BGBl. I Nr. 137/2009, an die Asylbehörde für die Kuratorbestellung aus.

21 Nach TP 12 lit. i GGG unterlagen nur "sonstige Anträge in außerstreitigen Verfahren", ausgenommen hier nicht näher interessierender Ausnahmen, der Pauschalgebühr iHv 244 EUR. 22 § 28 GGG normiert, wer für "sonstige Geschäfte des außerstreitigen Verfahrens" zahlungspflichtig ist. Nach § 28 Z 10 GGG idF BGBl. I Nr. 137/2009 waren "in den übrigen Fällen" außerstreitiger Verfahren, somit in jenen, für die das GGG keine ausdrückliche Regelung enthält, nur "die Antragsteller" zahlungspflichtig. Das BFA, das die Bestellung eines Abwesenheitskurators nach § 11 AVG zur Wahrung der Rechte des Abwesenden anregt, ist aber im Verfahren betreffend die Kuratorbestellung nicht "Antragsteller" iSd § 2 Abs. 1 AußStrG und auch nicht "Antragsteller" iSd § 28 Z 10 GGG.

23 Durch das Privatstiftungsgesetz, BGBl. Nr. 694/1993, wurde in § 28 GGG eine Z 6a eingefügt, wonach "bei Verfahren nach dem Privatstiftungsgesetz der Antragsteller, bei amtswegig eingeleiteten Verfahren derjenige, der die Amtshandlung veranlasst hat oder in dessen Interesse sie stattfindet" zahlungspflichtig ist. Aus den Materialien zum Privatstiftungsgesetz (RV 1132 BlgNR 18. GP 36 f) ergibt sich, dass diese Bestimmung § 7 Abs. 1 Z 4 GGG nachgebildet ist, wonach - soweit keine besonderen Bestimmungen für einzelne Verfahrensarten bestehen - "bei anderen Amtshandlungen derjenige, der die Amtshandlung veranlasst hat oder in dessen Interesse sie stattfindet", zahlungspflichtig ist.

§ 28 GGG hat in der Folge weitere Novellierungen erfahren und ist im gegenständlichen Fall in der Fassung des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 137/2009, anzuwenden, in der die Z 10, wie § 7 Abs. 1 Z 1 GGG, eine Zahlungspflicht nur für den "Antragsteller" normiert. Dass dem Begriff des "Antragstellers" in § 28 Z 10 GGG idF BGBl. I Nr. 137/2009 ein weiteres Verständnis beizumessen wäre als jenem in der die Verfahren nach dem Privatstiftungsgesetz betreffenden Regelung (Z 7; vormals, wie erwähnt: Z 6a) ist nicht erkennbar. Vielmehr spricht der systematische Zusammenhang dafür, dass der Begriff des "Antragstellers" in § 28 Z 7 und 10 GGG im besagten Sinn gleich auszulegen ist. § 28 Z 10 GGG enthält aber keine Zahlungspflicht für denjenigen, der bei amtswegigen Verfahren "die Amtshandlung veranlasst hat oder in dessen Interesse sie stattfindet".

24 Aus dem Zurückweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. April 2016, Ro 2016/16/0006, ergibt sich - entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts - nichts anderes. Auch bei einer ordentlichen Revision hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung andere als die vom Verwaltungsgericht als grundsätzlich erachteten Rechtsfragen nur zu prüfen, wenn diese in der Revision gesondert dargelegt werden. Im konkreten Fall war ausschließlich das Vorliegen einer Gebührenbefreiung nach § 10 Abs. 3 GGG strittig, sodass der Verwaltungsgerichtshof auch nur das Bestehen einer solchen zu prüfen hatte. Dagegen zog die Amtsrevision das Bestehen eines Antrags iSd § 28 Z 10 GGG nicht in Zweifel.

25 Soweit das Bundesverwaltungsgericht die Ansicht vertritt, dass derjenige als Antragsteller anzusehen sei, der durch die Überreichung der ersten Eingabe (§ 2 Z 1 lit. h GGG) das Verfahren in Gang setze, ist darauf hinzuweisen, dass die Bestellung des Abwesenheitskurators durch das Gericht ein amtswegiges Verfahren ist.

26 Auch aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 14. Oktober 1999, 98/16/0050, lässt sich für den revisionsgegenständlichen Fall nichts gewinnen, betraf dieses doch die Vorschreibung von Pauschalgebühren an den Vermieter als Partei des Außerstreitverfahrens und lag dieser Vorschreibung ein "Antrag" des Vermieters auf Tätigwerden des Gerichts nach § 40 MRG und nicht lediglich eine "Anregung" zugrunde, die zu einem amtswegigen Tätigwerden des Gerichts geführt hätte. 27 Da die Vorschreibung von Pauschalgebühren an den Revisionswerber daher nicht zu Recht erfolgt ist, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

28 Ein Zuspruch von Kostenersatz kommt aufgrund der Identität des Rechtsträgers (hier: der Bund), dem der Kostenersatz aufzuerlegen wäre, mit jenem Rechtsträger, dem er zuzusprechen wäre, nicht in Betracht (vgl. etwa VwGH 27.4.2016, Ra 2015/05/0069, VwSlg 19.361/A, mwN).

Wien, am 30. Jänner 2020

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2017160082.L00

Im RIS seit

16.04.2020

Zuletzt aktualisiert am

16.04.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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