TE Vfgh Erkenntnis 2019/11/28 E3283/2019

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Veröffentlicht am 28.11.2019
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz eines afghanischen Staatsangehörigen; keine Berücksichtigung der Tätigkeit des Beschwerdeführers bei einem UN-Programm und seiner Familiensituation

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.        Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1.        Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger aus der Provinz Maidan Wardak, Paschtune, sunnitischer Muslim und Vater von fünf minderjährigen Kindern, stellte nach Einreise ins Bundesgebiet am 19. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Mit Bescheid vom 19. Oktober 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehr-entscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß §46 FPG zulässig sei. Gleichzeitig wurde gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.

3.       Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 4. Oktober 2018 wurde der Bescheid in Erledigung der gegen diesen eingebrachten Beschwerde behoben und die Angelegenheit gemäß §28 Abs3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Begründend wurde dazu ausgeführt, die Behörde habe wesentliche Ermittlungsschritte an das Gericht zu delegieren versucht.

4.       Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11. März 2019 wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ebenso wie der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abermals abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß §46 FPG zulässig sei. Gleichzeitig wurde gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.

5.       Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7. August 2019 wurde die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, einen Fluchtgrund darzutun, und dass selbst bei Wahrunterstellung seines Vorbringens ein solcher nicht vorliege. Die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde vom Bundesverwaltungsgericht dahin begründet, dem Beschwerdeführer sei "aufgrund seiner individuellen Umstände als gesunder Mann ohne maßgebliche Vulnerabilitätsaspekte, der über Schulbildung, Berufserfahrung und Möglichkeiten zur Unterstützung durch ein familiäres Netz" verfüge, ein "wirtschaftliches Überleben unter würdigen Bedingungen in den urbanen Zentren, insbesondere in Mazar-e Sharif" möglich. Die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art8 EMRK gemäß §55 AsylG 2005 stützte das Bundesverwaltungsgericht insbesondere darauf, dass die Integration des Beschwerdeführers in Österreich trotz "nicht in Abrede gestellter Integrationsbemühungen nicht im hohen Grad ausgeprägt" sei und eine "tiefgreifende Aufenthaltsverfestigung" nicht erkannt werden habe können.

6.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungs-gesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass keine mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt, dass keine einzelfallbezogenen Länderinformationen beschafft, ergänzende, vom Bundesamt nicht herangezogene Länderinformationen verwertet, das Recht auf Parteiengehör allem Anschein nach wissentlich verletzt, notwendige Ermittlungsschritte nicht gesetzt und falsche Wahrunterstellungen vorgenommen worden seien.

7.       Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vor-gelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber unter Verweis auf die Be-gründung der angefochtenen Entscheidung Abstand genommen.

II.      Erwägungen

1.       Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3.       Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1.    Die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene sogenannte Wahrunterstellung erweist sich als nicht tragfähig. Das Bundesverwaltungsgericht führt aus, dass dem Beschwerdeführer, der von 2004 bis 2013 für das UN World Food Programme zunächst als Sicherheitsmitarbeiter, dann als Dolmetscher in Afghanistan tätig war, selbst dann, wenn die ihm aus diesem Grund widerfahrenen Drohungen der Taliban in den Jahren 2013 und 2015 für wahr gehalten würden, jedenfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative in der mehr als 500 Kilometer von seinem Heimatort entfernten Stadt Mazar-e Sharif offen stünde, weil nicht anzunehmen sei, dass die Taliban ihn dort suchen bzw finden würden.

3.1.1.  Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ist eine Wahrunterstellung nur dann statthaft, wenn sie vollständig vom Vorbringen des Beschwerdeführers ausgeht, oder die Entscheidung offenlegt, von welchen als hypothetisch richtig angenommenen Sachverhaltsannahmen bei der rechtlichen Beurteilung konkret ausgegangen wird, um sowohl den Verfahrensparteien als auch den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts die Überprüfung zu ermöglichen, ob einerseits die derart erfolgte rechtliche Beurteilung – und daher auch die Annahme, keine (allenfalls: ergänzenden) Feststellungen zum Vorbringen treffen zu müssen – dem Gesetz entspricht (vgl etwa VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0177; 25.3.2015, Ra 2014/18/0168; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069; 21.10.2014, Ro 2014/03/0076).

3.1.2.  Der Beschwerdeführer bringt vor, als ehemaliger und langjähriger Mitarbeiter eines UN-Programmes zu einer Gruppe mit Risikoprofil zu gehören, die ausweislich der Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018, S 49-50, im ganzen Land von regierungsfeindlichen Kräften verfolgt werde, nämlich zu jener der "Mitarbeiter humanitärer Hilfs- und Entwicklungsorganisationen", hinsichtlich derer Angriffe nicht nur auf hochrangige oder exponierte Mitarbeiter, wie das Bundesverwaltungsgericht vermeine, sondern etwa auch auf Bauarbeiter und LKW-Fahrer registriert seien. Das Bundesverwaltungsgericht hat selbst festgestellt, dass "NGO-Personal und Mitarbeiter von internationalen Menschenrechtsorganisationen […] in der Regel Ziele aufständischer Gruppierungen [sind]" (angefochtenes Erkenntnis, S 68). Ungeachtet der vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommenen Wahrunterstellung ist die Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten für den Verfassungsgerichtshof daher nicht nachvollziehbar.

3.2.    Auch die Refoulementprüfung ist mit Willkür belastet. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass dem Beschwerdeführer als gesundem, arbeitsfähigen Mann mit Berufserfahrung und nach wie vor in Afghanistan aufhältigen volljährigen Angehörigen (Mutter und drei Geschwister) eine Ansiedlung in Mazar-e Sharif möglich sei, auch ohne dass ihm an diesem Ort ein familiäres Netzwerk zur Verfügung stünde. Dabei übersieht das Bundesverwaltungsgericht, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um einen Vater von fünf minderjährigen Kindern handelt. Der Beschwerdeführer fällt daher nicht in jene Personengruppe, der nach den UNHCR-Richtlinien und den entsprechenden Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes (angefochtenes Erkenntnis, S 97) grundsätzlich eine innerstaatliche Fluchtalternative auch ohne soziales Netzwerk offensteht, jene der alleinstehenden jungen Männer oder der Ehepaare ohne Kinder im erwerbsfähigen Alter (vgl VfGH 11.6.2019, E2887/2018). In diesem Lichte ist für den Verfassungsgerichtshof ebenfalls nicht nachvollziehbar, wie der Beschwerdeführer oder seine Mutter und drei Geschwister, deren Geschlecht und Familienstand nicht festgestellt wurden, für die insgesamt siebenköpfige Familie des Beschwerdeführers sorgen könnten, zumal dieser nach Mazar-e Sharif gewiesen wird, seine Familie sich aber in Maidan Wardak befindet, wohin er nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes aber wegen der schlechten Sicherheitslage nicht zurückkehren kann (vgl VfGH 12.3.2019, E2314/2018). Die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist daher unter Außerachtlassung des konkreten Sachverhaltes erfolgt.

3.3.    Die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes zur Nichterteilung des Aufenthaltstitels aus Gründen des Art8 EMRK gemäß §55 AsylG entbehren jeglichen Begründungswertes (vgl VfGH 26.2.2019, E4675/2019; 9.6.2017, E3235/2016; 21.9.2017, E786/2017; 11.6.2018, E836/2018). Es ist für den Verfassungsgerichtshof mit Blick auf das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK nicht ersichtlich, wie das Bundesverwaltungsgericht trotz der beträchtlichen urkundlichen Nachweise der Bemühungen des Beschwerdeführers um Integration zu dem Ergebnis kommt, diese sei "nicht im hohen Grad ausgeprägt". Hierfür wäre eine eingehende Auseinandersetzung mit den angebotenen Beweismitteln erforderlich gewesen, die nicht erfolgt ist.

3.4.    Vor diesem Hintergrund lagen auch die Voraussetzungen für das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung nicht vor, weil nach dem bisher Gesagten der maßgebliche Sachverhalt noch nicht geklärt ist (vgl zB VfGH 11.6.2018, E1815/2018).

III.    Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

2.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Kinder, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:E3283.2019

Zuletzt aktualisiert am

21.02.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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