TE Vwgh Beschluss 2020/1/16 Ra 2019/20/0606

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Veröffentlicht am 16.01.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §19 Abs1
AVG §45 Abs2
BFA-VG 2014 §9
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Dr. Schwarz und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, in der Rechtssache der Revision des M N A in W, vertreten durch Dr. Tassilo Wallentin, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Gonzagagasse 14/10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. November 2019, W176 2199241-1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 28. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass sein Vater, der für eine ausländische Organisation als Fahrer gearbeitet habe, im Jahr 2013 von den Taliban mitgenommen und getötet worden sei. 2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies mit Bescheid vom 17. Mai 2018 diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis - nach Durchführung einer Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 7 Wenn eingangs der Zulassungsbegründung der Revision, "um Wiederholungen zu vermeiden", auf "obige Zusammenfassung" (gemeint offenbar die Sachverhaltsdarstellung) verwiesen wird, ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof wiederholt festgehalten hat, dass ein Verweis (in der gesonderten Darstellung der Revisionszulässigkeit) auf die sonstigen Ausführungen der Revision nicht genügt, weil damit nicht konkret für die vorliegende Revisionssache aufgezeigt wird, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung über die Revision zu lösen hätte (vgl. etwa VwGH 2.8.2016, Ra 2016/20/0054 und 0055, mwN). Allfällige rechtliche Ausführungen in der Sachverhaltsdarstellung waren daher bei Prüfung der Zulässigkeit der Revision nicht zu berücksichtigen.

8 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht ab. Das BVwG habe nicht begründet, weshalb es die Angaben des Revisionswerbers zu den Gründen seiner Flucht als unglaubwürdig einschätze. Ferner habe das Gericht in Abweichung von der Rechtsprechung bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit in unzulässiger Weise auf Widersprüche zwischen der Erstbefragung und der Einvernahme abgestellt. Weiters behauptet die Revision in diesem Zusammenhang auch eine Aktenwidrigkeit.

9 Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 20.11.2019, Ra 2019/20/0286, mwN). Eine solche Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung vermag die Revision nicht aufzuzeigen. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich nach Durchführung einer Verhandlung mit dem Vorbringen des Revisionswerbers zu den Gründen seiner Flucht ausführlich auseinandergesetzt und dieses mit einer nicht als unschlüssig zu bezeichnenden Begründung als unglaubwürdig eingestuft. Dass die diesbezüglichen Erwägungen unvertretbar wären, wird nicht aufgezeigt.

10 Richtig ist zwar, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben hat, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Gleichwohl hat der Verwaltungsgerichtshof aber betont, dass es nicht generell unzulässig ist, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. etwa VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0546, mwN). Im vorliegenden Fall stützte sich das Bundesverwaltungsgericht in seiner Beweiswürdigung aber nicht bloß auf Widersprüche zwischen der Erstbefragung und der Einvernahme des Revisionswerbers, sondern darüber hinaus auf zusätzliche, für sich tragende Erwägungen, denen die Revision nicht konkret entgegentritt. Die Beweiswürdigung begegnet damit auch aus diesem Blickwinkel keinen Bedenken im Sinne der dargestellten Rechtsprechung. 11 Soweit der Revisionswerber eine Aktenwidrigkeit geltend macht, weil das BVwG ihm jede Glaubwürdigkeit mit der Begründung abspreche, dass "er Details seines Fluchtvorbringens erst im Laufe des Verfahrens geschildert haben soll" und seine Angaben "teils widersprüchlich bzw. in dieser Form nicht bei der Erstbefragung bzw. Befragung durch die belangte(n) Behörde erwähnt worden sein sollen", ist er darauf hinzuweisen, dass eine Aktenwidrigkeit nur dann vorläge, wenn der Akteninhalt unrichtig wiedergegeben worden wäre bzw. wenn sich das Verwaltungsgericht bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch gesetzt hätte (vgl. VwGH 28.6.2018, Ra 2018/18/0358, mwN). Der Revision, die der Sache nach mit ihrem Vorbringen zur Aktenwidrigkeit vielmehr die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts zu bekämpfen sucht, gelingt es nicht, Derartiges aufzuzeigen.

12 Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit der Revision weiters geltend, dass sich selbst aus den getroffenen Feststellungen die Zugehörigkeit des Revisionswerbers zu einer sozialen Gruppe ergebe und ihm daher Verfolgung durch die Taliban drohe. Dieses Vorbringen führt schon deswegen nicht zur Zulässigkeit der Revision, weil der Revisionswerber nicht näher darlegt, um welche soziale Gruppe es sich handelt, und weil das BVwG dem Vorbringen des Revisionswerbers zu der behaupteten Verfolgung aufgrund der Tätigkeit seines Vaters und seiner eigenen Tätigkeit für ausländische Organisationen die Glaubwürdigkeit abgesprochen hat. Das BVwG hat sich zudem in seiner rechtlichen Beurteilung auch mit der Frage einer drohenden Verfolgung des Revisionswerbers aufgrund dessen Zugehörigkeit zur ethnischen Minderheit der Hazara auseinandergesetzt. Dass es sich hierbei von den Leitlinien der Judikatur entfernt habe, zeigt die Revision nicht auf.

13 Soweit sich die Revision gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung wendet, ist darauf hinzuweisen, dass eine solche nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. etwa VwGH 20.11.2019, Ra 2019/14/0526, mwN). Es entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 18.9.2019, Ra 2019/18/0246, mwN). Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 21.5.2019, Ra 2019/19/0136 und 0137, mwN).

14 Das BVwG hat im Rahmen der Interessenabwägung die in der Revision näher genannten Integrationsbemühungen des Revisionswerbers (Teilnahme an ehrenamtlichen Tätigkeiten und diversen Kursen, Absolvierung eines Deutschkurses auf Niveau B1 sowie Nachholung des Pflichtschulabschlusses) ohnehin berücksichtigt. Die Revision legt nicht dar, dass diese Interessenabwägung fallbezogen unvertretbar wäre oder die Gewichtung dieser Umstände durch das BVwG nicht mit den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien in Einklang stünde. 15 Wenn die Revision schließlich vermeint, das BVwG habe veraltete Länderberichte aus 2008 eingeholt, macht sie Verfahrensmängel geltend. Es reicht jedoch nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen (vgl. VwGH 15.11.2019, Ra 2019/14/0374, mwN). Mit dem pauschalen Hinweis auf näher bezeichnete Quellen legt die Revision nicht dar, zu welchem anderen Ergebnis das BVwG bei Berücksichtigung dieser Beweismittel kommen hätte müssen, zumal die im angefochtenen Erkenntnis festgestellten Berichte zur allgemeinen Lage in Afghanistan aktuelleren Datums (2018 bzw. 2019) sind. 16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 16. Jänner 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019200606.L00

Im RIS seit

04.03.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.03.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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