TE Vwgh Erkenntnis 1998/8/25 97/11/0049

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Veröffentlicht am 25.08.1998
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Index

90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

KFG 1967 §66 Abs2 litf idF 1994/654;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger, über die Beschwerde des M in Hunding, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 5. März 1997, Zl. VerkR-392.579/1-1997/Kof, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 74 Abs. 1 iVm § 73 Abs. 2 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen AL und B wegen Verkehrsunzuverlässigkeit für drei Monate (ab Zustellung des Mandatsbescheides der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 14. November 1996) vorübergehend entzogen. (Die weiteren Absprüche des angefochtenen Bescheides sind nicht Gegenstand der Beschwerde.)

In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend; er beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Anlaß für die bekämpfte Entziehungsmaßnahme war ein vom Beschwerdeführer am 29. September 1996 verschuldeter Verkehrsunfall. Nach den Sachverhaltsannahmen der belangten Behörde habe der Beschwerdeführer gegen 16.35 Uhr auf einer Freilandstraße seinen Pkw mit ca. 90 km/h gelenkt und hiebei beabsichtigt, zwei vor ihm fahrende Pkw's zu überholen. Bei diesem Überholmanöver sei er mit einem entgegenkommenden Pkw zusammengestoßen, dabei seien die Lenker beider Fahrzeuge und die übrigen Insassen des entgegenkommenden Fahrzeuges verletzt worden; an beiden Pkw's sei Totalschaden entstanden. Bei Einleitung des Überholvorganges sei der Gegenverkehr nur noch 236 m entfernt gewesen. Ein unbedenkliches Überholen hätte eine Entfernung von 630 m erfordert. Die belangte Behörde wertete dieses Verhalten im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f erster Fall KFG 1967 (idF der 17. KFG-Novelle) als Überholen unter "bei weitem nicht ausreichenden Sichtverhältnissen". Diese seien nicht nur bei Dunkelheit, starkem Regen, starkem Schneefall, unübersichtlichen Kurven und Fahrbahnkuppen gegeben, sondern auch dann, wenn die Gefahrensichtweite für den Überholvorgang bei weitem nicht ausreiche. Letzteres sei hier der Fall, weil bei einer für ein gefahrloses Überholen der beiden vor dem Beschwerdeführer fahrenden Pkw's erforderlichen Entfernung von 630 m und der tatsächlichen Entfernung des Gegenverkehrs bei Einleitung des Überholvorganges von nur 236 m die Gefahrensichtweite nur ca. 37,5 % der erforderlichen Sichtweite betragen habe.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Annahme der belangten Behörde, er habe beabsichtigt, beide vor ihm fahrenden Pkw's zu überholen; tatsächlich habe er nur einen davon überholen wollen.

Für die in Rede stehende Annahme fehlt im angefochtenen Bescheid eine stichhältige Begründung. Die belangte Behörde stützt sich insoweit allein auf die Zeugenaussagen des Lenkers des entgegenkommenden Fahrzeuges und dessen Beifahrerin. Diese gaben an, der Beschwerdeführer habe "zwei Pkw's überholt" bzw. "zwei Pkw's zu überholen beabsichtigt". Der Beschwerdeführer hält dem entgegen, der subjektive Eindruck dieser Zeugen sei kein taugliches Mittel für die angenommene Absicht, weil diese als ein in der subjektiven Sphäre des Beschwerdeführers gelegener Umstand einer Objektivierung durch Zeugenbeweis nicht zugänglich sei. Er ist damit insofern im Recht, als der subjektive Eindruck der Zeugen allein, ohne nähere Angaben über die Position seines Fahrzeuges in Bezug auf die beiden vor ihm fahrenden Pkw's keine taugliche Grundlage für die in Rede stehende Annahme bildet. Gegen sie spricht, wie er zutreffend bemerkt, die Ausführung im Gutachten eines verkehrstechnischen Amtssachverständigen (ohne Datum ), der Zusammenstoß müsse sich "im Bereich des erstüberholten Pkw's" ereignet haben, weil sich der Pkw des Beschwerdeführers quergestellt und beide Fahrstreifen blockiert habe.

Der Beschwerdeführer wendet sich weiters gegen die Annahme nicht ausreichender Sichtverhältnisse. Tatsächlich sei, wie er bereits im Verfahren vor der belangten Behörde von dieser unwidersprochen vorgebracht habe, Sicht auf eine Strecke von zumindest 1 km über die Unfallstelle hinaus gegeben gewesen. Von "bei weitem nicht ausreichenden Sichtverhältnissen" könne daher keine Rede sein.

Gemäß § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 (idF der 17. KFG-Novelle, BGBl. Nr. 654/1994) hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 zu gelten, wenn jemand als Lenker eines Kraftfahrzeuges durch Übertretung der maßgebenden Verkehrsvorschriften ein Verhalten setzt, das an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat; als Verhalten, das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, gelten insbesondere erhebliche Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit vor Schulen, Kindergärten und dergleichen, auf Schutzwegen oder das Übertreten von Überholverboten bei besonders schlechten oder bei weitem nicht ausreichenden Sichtverhältnissen. Zu den Gründen der mit dieser Novelle erfolgten Änderung des § 66 Abs. 2 lit. f heißt es in den Materialien (Erl. zur RV, 1655 Blg. NR 18. GP, 12), die "gefährlichen Verhältnisse" stellten aufgrund der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher ab auf eine objektiv gegebene Situation, unabhängig vom reinen Tathergang. Auf diese Weise könne gerade das gefährliche Verhalten der typischen "Verkehrsrowdys", die die in der Übertretung abstrakt implizierte Gefährlichkeit konkret bis zum Exzeß steigern, vom Begriff der Verkehrsunzuverlässigkeit nicht erfaßt werden. Diesem Umstand solle nunmehr Rechnung getragen werden. Daraus erhellt, daß nunmehr eine bestimmte Tatsache nach der besagten Gesetzesstelle auch dann vorliegt, wenn das Verhalten des Betreffenden zwar nicht "unter besonders gefährlichen Verhältnissen" erfolgt, wohl aber in seiner konkreten Ausprägung schon für sich allein als besonders gefährlicher, weil die Wahrscheinlichkeit eines Unfalles mit schwerwiegenden Folgen in besonderem Maße heraufbeschwörender Verstoß gegen eine Verkehrsvorschrift anzusehen ist.

Die belangte Behörde mißversteht offensichtlich die Bedeutung des Tatbestandsmerkmals "bei weitem nicht ausreichende Sichtverhältnisse", wenn sie darunter eine bei weitem nicht ausreichende "Gefahrensichtweite" (verstanden als Entfernung zu einem bereits sichtbaren entgegenkommenden Fahrzeug) versteht. Denn das besagte Tatbestandsmerkmal erfaßt ausschließlich Situationen mit (aus welchen Gründen immer) noch nicht sichtbarem Gegenverkehr. Im Gegensatz dazu geht es bei der Gefahrensichtweite in dem von der belangten Behörde gemeinten Sinn um bereits sichtbaren Gegenverkehr. Die belangte Behörde hat somit die Rechtslage in einem für die getroffene Entscheidung wesentlichen Punkt verkannt.

Offensichtlich deshalb und wegen ihrer (wie vorhin ausgeführt, unschlüssigen) Annahme betreffend die Absicht des Beschwerdeführers, beide vor ihm fahrenden Pkw's zu überholen, hat die belangte Behörde weitere Ausführungen zur Frage des Vorliegens einer bestimmten Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 unterlassen. Es kann daher derzeit nicht beurteilt werden, ob der erste Fall dieser Bestimmung vorliegt. Dazu bedürfte es näherer Feststellungen und Ausführungen über Breite und Beschaffenheit der Fahrbahn, Witterungs- und Sichtverhältnisse, Geschwindigkeit der beteiligten Fahrzeuge, späteste Möglichkeit des Abbruches des Überholvorganges, um einen Zusammenstoß zu vermeiden). Sinngemäß Gleiches gilt für die Frage, ob das Fahrverhalten des Beschwerdeführers unter den gegebenen Umständen allenfalls als besonders rücksichtslos (zweiter Fall des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967) anzusehen ist, also im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom 24. September 1991, Zl. 91/11/0037, mwN) durch ein - im Vergleich mit dem mit jedem verbotenen Überholen bei Gegenverkehr verbundenen Mangel an Rücksichtnahme auf den Gegenverkehr - besonderes Ausmaß an Rücksichtslosigkeit gekennzeichnet ist. Bemerkt wird, daß der Begründung des angefochtenen Bescheides auch nicht zu entnehmen ist, gegen welches (welche) der Überholverbote des § 16 StVO 1960 der Beschwerdeführer nach Ansicht der belangten Behörde verstoßen hat und aus welchen Erwägungen sie den betreffenden Verstoß als gegeben erachtet.

Aus dem vorhin genannten Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 25. August 1998

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997110049.X00

Im RIS seit

18.02.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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