TE Vwgh Erkenntnis 1998/8/25 97/11/0339

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Veröffentlicht am 25.08.1998
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §52;
KDV 1967 §30 Abs1;
KFG 1967 §67 Abs2;
KFG 1967 §75 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger, über die Beschwerde des H in Untergrödel/Klausen-Leopoldsdorf, vertreten durch Dr. Rudolf Gimborn und Dr. Fritz Wintersberger, Rechtsanwälte in Mödling, Badstraße 14, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 10. Oktober 1997, Zl. RU6-St-St-972, betreffend Versagung einer Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 64 Abs. 2 KFG 1967 die Erteilung einer Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, C, E und G versagt. (Der übrige Abspruch des angefochtenen Bescheides ist nicht Gegenstand der Beschwerde.)

In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend; er beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Versagung der Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, C, E und G beruht auf der Annahme, der Beschwerdeführer besitze nicht die zum Lenken von Kraftfahrzeugen dieser Gruppen nötige geistige und körperliche Eignung. Nach dem Gutachten eines ärztlichen Amtssachverständigen bestehe bei ihm eine reduzierte Reaktionsfähigkeit (kognitiv und motorisch) auf einfache optische und akustische Signale. Von diesem Mangel sei auszugehen, weil der Beschwerdeführer entgegen seinem Vorbringen "gelegentlich am Wochenende mehr (3 Flaschen Bier)" trinke. Die von ihm vorgelegten psychiatrischen und medizinischen Befunde seien kein vollwertiger Nachweis für eine totale Alkoholabstinenz. Die Verneinung der nötigen geistigen und körperlichen Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Fahrzeugen der besagten Gruppen fußt auf dem Gutachten eines Amtsarztes der belangten Behörde vom 4. September 1997, das in der Beurteilung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers einem in der Psychiatrischen Universitätsklinik Wien erstellten Befund vom 18. Dezember 1996 folgt. Zusätzlich wird im Gutachten des Amtsarztes ausgeführt, der Beschwerdeführer beschreibe sich zwar als abstinent, gestehe andererseits aber zu, in bestimmten gesellschaftlichen Situationen weiterhin vermehrt Alkohol zu sich zu nehmen. Aus diesem Grund bestehe keine sichere Kompensation der reduzierten Reaktionsfähigkeit und könne eine Verschlechterung der Beziehung Alkohol und Fahren nicht ausgeschlossen werden. Der Beschwerdeführer sei daher zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B nur bedingt und zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A, C, E und G nicht geeignet.

Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides in Verbindung mit dem zugrundeliegenden Gutachten eines medizinischen Amtssachverständigen hat die belangte Behörde die geistige und körperliche Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen der besagten Gruppen (§ 64 Abs. 2 KFG 1967) wegen des Fehlens der dazu nötigen kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit im Sinne des § 30 Abs. 1 zweiter Satz KDV 1967 verneint. Eine eignungsausschließende Beeinträchtigung des Beschwerdeführers durch den Mißbrauch von Alkohol hat die belangte Behörde nicht angenommen. Ebensowenig hat sie die Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers verneint.

Damit geht das Beschwerdevorbringen, soweit es die Frage der Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers berührt, ins Leere. Was das von der belangten Behörde als wesentlich erachtete Fehlen "totaler Alkoholabstinenz" anlagt, hielt die belangte Behörde offensichtlich (arg.: "deshalb") den Alkoholkonsum des Beschwerdeführers für die Ursache seiner reduzierten Reaktionsfähigkeit. Damit entfernt sie sich allerdings vom Gutachten des Amtsarztes. Dort ist in diesem Zusammenhang nur davon die Rede, daß wegen des weiterhin gegebenen gelegentlichen Alkoholkonsums des Beschwerdeführers eine Kompensation seiner reduzierten Reaktionsfähigkeit nicht gesichert sei und eine allfällige Verschlechterung der "Beziehung Alkohol und Fahren" nicht ausgeschlossen werden könne. Auch der psychiatrische Befund vom 18. Dezember 1996 bietet keine Grundlage für die in Rede stehende Argumentation der belangten Behörde. Diese findet demnach in diesem Punkt keine Stütze in der Aktenlage.

Allerdings kommt es für die Beurteilung der geistigen und körperlichen Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A, C, E und G nicht auf die Ursache für das angenommene Fehlen der nötigen kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit, sondern allein darauf an, ob diese tatsächlich nicht in ausreichendem Ausmaß gegeben ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 24. Oktober 1989, Zl. 89/11/0107, und vom 30. April 1991, Zl. 90/11/0169). Für die Beurteilung dieser entscheidenden Frage bieten aber das von der belangten Behörde herangezogene Gutachten eines Amtssachverständigen und der diesem zugrundeliegende psychiatrische Befund keine taugliche Grundlage. In diesem Befund vom 18. Dezember 1996 findet sich hinsichtlich der festgestellten reduzierten Reaktionsfähigkeit des Beschwerdeführers, derentwegen die nötige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit verneint wird, lediglich die Aussage, die Reaktionsfähigkeit des Beschwerdeführers auf einfache optische und akustische Signale sei reduziert, wobei eine Verzögerung sowohl der kognitiven Reizverarbeitung als auch des motorischen Vollzuges auffalle. Dabei handelt es sich bereits um eine zusammenfassende Beurteilung dieser Komponente der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers. Nicht ersichtlich sind die Grundlagen für diese Beurteilung, also die insoweit angewendeten Tests, die erzielten Testergebnisse und die der besagten Beurteilung zugrundegelegten, nach dem Erkenntnisstand der Verkehrspsychologie maßgebenden Grenzwerte. Dazu kommt, daß die Aussage, die Reaktionsfähigkeit sei "reduziert", nicht erkennen läßt, ob die jeweils maßgebenden Grenzwerte erreicht oder verfehlt wurden (und in welchem Ausmaß). Damit ist die negative Beurteilung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers nicht nachvollziehbar. Dieser Mangel wurde auch durch das Gutachten des Amtsarztes nicht behoben. Der angefochtene Bescheid ist aus diesem Grund mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet. Er war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Bei diesem Ergebnis erübrigt sich gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG die Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 25. August 1998

Schlagworte

Gutachten Beweiswürdigung der Behörde widersprechende Privatgutachten Gutachten Ergänzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997110339.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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