TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/18 W167 2110685-1

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Veröffentlicht am 18.11.2019
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Entscheidungsdatum

18.11.2019

Norm

ASVG §113 Abs1
ASVG §113 Abs2
B-VG Art. 133 Abs4
Koordinierung Soziale Sicherheit Art. 11
Koordinierung Soziale Sicherheit Art. 12

Spruch

W167 2110685-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daria MACA-DAASE als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Absatz 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die belangte Behörde schrieb der Beschwerdeführerin gemäß § 410 Abs. 1 Z 5 nach § 113 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG einen Beitragszuschlag in der Höhe von € 2.800,00 vor. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde. In der Folge erließ die belangte Behörde eine Beschwerdevorentscheidung mit der sie die Beschwerde als unbegründet abwies. Die Beschwerdeführerin stellte fristgerecht einen Vorlageantrag.

2. Mit Erkenntnis vom XXXX wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

3. Mit Erkenntnis vom XXXX behob der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Am XXXX wurden im Zuge einer näher bezeichneten Baustellenkontrolle vier namentlich genannte Personen durch Organe der Abgabenbehörden des Bundes bei Arbeiten für die GmbH angetroffen. Für diesen Zeitpunkt liegen für diese Personen aufrechte und echte A1-Bescheinigungen eines anderen Mitgliedsstaates vor.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich unstrittig aus dem Verwaltungsakt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Im Beschwerdefalls kommt die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zur Anwendung.

Diese bestimmt in Artikel 11 Absatz 1, dass Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedsstaats unterliegen; gemäß Absatz 3 lit. a gilt vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 Folgendes: Eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedsstaates.

Artikel 12 der Verordnung enthält folgende Sonderregelung: (1) Eine Person, die in einem Mitgliedstaat für Rechnung eines Arbeitgebers, der gewöhnlich dort tätig ist, eine Beschäftigung ausübt und die von diesem Arbeitgeber in einen anderen Mitgliedstaat entsandt wird, um dort eine Arbeit für dessen Rechnung auszuführen, unterliegt weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit 24 Monate nicht überschreitet und diese Person nicht eine andere entsandte Person ablöst. (2) Eine Person, die gewöhnlich in einem Mitgliedstaat eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt und die eine ähnliche Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausübt, unterliegt weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Tätigkeit vierundzwanzig Monate nicht überschreitet.

Darüber ist auch die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zu beachten. Diese regelt in den Artikeln 5, 14 Absatz 3 und 4 und 19 die Bescheinigung, das Vorgehen bei Zweifeln an der Gültigkeit eines Dokuments oder der Richtigkeit des Sachverhalts, die Definition zu "eine Person, die gewöhnlich in einem Mitgliedstaat eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt" und die Vorschriften über die Unterrichtung der betreffenden Personen und der Arbeitgeber.

3.2. Der Entscheidung wird die Rechtsanschauung des VwGH 10.10.2018, Ra 2016/08/0176, zugrunde gelegt:

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat im Urteil vom 6.9.2018, C-527/16, in Beantwortung eines Vorabentscheidungsersuchens des Verwaltungsgerichtshofes klargestellt, dass eine vom zuständigen Träger eines Mitgliedstaats aufgrund von Art. 12 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ausgestellte A1-Bescheinigung nicht nur für die Träger des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird, sondern auch für die Gerichte dieses Mitgliedstaats verbindlich ist. (Rz 9)

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 6.2.2018, C-359/16, zwar - noch zu E 101-Bescheinigungen nach der Verordnung (EG) Nr. 1408/71 - auch ausgeführt, dass sich Rechtsunterworfene nicht in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise auf diese Bindungswirkung berufen können, wobei sich ein Betrug in Bezug auf die Ausstellung der Bescheinigungen in objektiver Hinsicht aus der Nichterfüllung der rechtlichen Voraussetzungen und in subjektiver Hinsicht aus der Absicht, diese Voraussetzungen zu umgehen, ergibt. Demnach kann sich die betrügerische Erwirkung einer Bescheinigung in einer willentlichen Handlung - wie der unzutreffenden Darstellung der tatsächlichen Situation des entsandten Arbeitnehmers oder des entsendenden Unternehmens - oder einer willentlichen Unterlassung - wie dem Verschweigen einer relevanten Information - bestehen, die in Umgehungsabsicht erfolgt (vgl. Rn. 53 des Urteils). Aber nur dann, wenn der ausstellende Träger nach Vorlage entsprechender Beweise nicht innerhalb angemessener Frist eine erneute Überprüfung vornimmt, kann ein nationales Gericht des Beschäftigungsstaates die betreffenden Bescheinigungen - nach Durchführung eines Verfahrens gegen die Person, die verdächtigt wird, entsandte Arbeitnehmer unter Verwendung von betrügerisch erlangten Bescheinigungen eingesetzt zu haben - außer Acht lassen (vgl. Rn. 54 bis 56 und sowie 60 und 61 des Urteils). Diese Rechtsprechung ist auf die A1- Bescheinigungen nach der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zu übertragen (vgl. den Hinweis im Urteil des EuGH 6.9.2018, C- 527/16, Rn. 46, auf das Urteil C-359/16). (Rz 10)

Im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass A1-Bescheinigungen für die betreffenden Dienstnehmer vorgelegt worden seien, dass es sich bei dem entsendenden Unternehmen aber um ein Scheinunternehmen gehandelt habe. Damit würden die rechtlichen Voraussetzungen für eine Pflichtversicherung in der Slowakei gemäß Art. 12 Abs. 1 der VO 883/2004 mangels dort entfalteter Tätigkeit des Dienstgebers und damit auch die Voraussetzungen für die Ausstellung einer A1- Bescheinigung nicht vorliegen. Das Bundesverwaltungsgericht hat aber nicht festgestellt - und es gibt dafür nach der Aktenlage auch keine Anhaltspunkte -, dass der slowakische Träger mit diesem Sachverhalt konfrontiert und um die Überprüfung der Bescheinigungen ersucht worden wäre oder sie etwa von sich aus zurückgezogen hätte. Bei dieser Ausgangslage war weiterhin von der Bindungswirkung der A1-Bescheinigungen auszugehen, deren Echtheit im bisherigen Verfahren nicht in Frage gestellt wurde. Sie standen daher dem Eintritt einer Pflichtversicherung der betreffenden Dienstnehmer in Österreich und damit auch der Annahme einer Meldepflichtverletzung durch die Dienstgeberin entgegen. (Rz 11)

Da das Bundesverwaltungsgericht dies verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. (Rz 12)

3.3. Für den Beschwerdefall bedeutet das:

Die Bindungswirkung der A1-Bescheinigungen für österreichische Behörde und Gerichte stand daher dem Eintritt einer Pflichtversicherung der betreffenden Personen in Österreich und damit auch der Annahme einer Meldepflichtverletzung durch die Beschwerdeführerin entgegen.

Da somit keine Zuständigkeit der belangten Behörde gegeben war, war der Beschwerde stattzugeben und der Bescheid ersatzlos zu beheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofs im bezughabenden Erkenntnis wurde Rechnung getragen.

Schlagworte

Beitragszuschlag, Bindungswirkung, Mitgliedstaat,
Pflichtversicherung, Rechtsanschauung des VwGH, Unzuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W167.2110685.1.00

Zuletzt aktualisiert am

13.02.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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