TE Lvwg Beschluss 2020/1/30 LVwG-AV-913/001-2018

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.01.2020
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Entscheidungsdatum

30.01.2020

Norm

ÄrzteG 1998 §140
ÄrzteG 1998 §160
ÄrzteG 1998 §162
ÄrzteG 1998 §167d

Text

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich fasst durch seinen Richter Dr. Marvin Novak, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn A, vertreten durch Rechtsanwalt B, ***, ***, gegen die auf 4. Mai 2018 datierte und als Erkenntnis des Disziplinarrates der österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Niederösterreich, bezeichnete schriftliche Erledigung, zugestellt durch Ausfolgung am 6. Juni 2018, Zl. ***, den

BESCHLUSS:

1.   Die Beschwerde gegen die genannte Erledigung wird mangels Vorliegens eines tauglichen Anfechtungsobjektes als unzulässig zurückgewiesen.

2.   Gegen diesen Beschluss ist eine ordentliche Revision zulässig.

Rechtsgrundlagen:

ad 1.:    § 28 Abs. 1 iVm § 31 Abs. 1 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG)

ad 2.:    § 25a des Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG)

         Art. 133 Abs. 4 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG)

Begründung:

1.   Maßgeblicher Verfahrensgang:

1.1. Der nunmehrige Beschwerdeführer, Herr A, ein Arzt für Allgemeinmedizin, wurde mit auf 4. Mai 2018 datierter und als Erkenntnis des Disziplinarrates der österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Niederösterreich, bezeichneter schriftlicher Erledigung, wegen Verstoßes gegen die ärztliche Fortbildungspflicht bestraft. Es wurde über ihn eine Geldstrafe in Höhe von
4.000,-- Euro verhängt und es wurden Verfahrenskosten in Höhe von 1.000,-- Euro vorgeschrieben.

1.2. Der Beschwerdeführer brachte dazu – binnen vier Wochen nach Zustellung durch Ausfolgung am 6. Juni 2018 – durch seinen Rechtsanwalt eine Beschwerde ein, in der im Wesentlichen Folgendes ausgeführt wurde:

Der Nichterwerb eines Fortbildungsdiplomes stelle keine Berufspflichtverletzung dar und es sei rechtlich nur die Glaubhaftmachung von Fortbildungspunkten verlangt, was aber nicht entsprechend angelastet worden sei. Ein allfälliger Verstoß gegen die Fortbildungsverpflichtung könne auch gar nicht als Berufspflichtverletzung qualifiziert werden. Darüber hinaus seien jedenfalls die Grundsätze der Strafbemessung gröblich verletzt worden: Bei Orientierung am Monatseinkommen hätten höchstens 3.000,-- Euro verhängt werden dürfen und es würden durch eine solche Orientierung alle Disziplinarbeschuldigten unzulässigerweise über einen Kamm geschoren. Die Unbescholtenheit und das Ausmaß der erfolgten Fortbildung hätten berücksichtigt werden müssen, nicht jedoch inwieweit während des noch offenen nächsten Zeitraumes einer allfälligen Fortbildungsverpflichtung nachgekommen werde. Die behauptete Angemessenheit sei nicht bergründet worden und es hätte eine viel geringere Strafe ausgereicht. Auch die Kosten seien zu hoch festgesetzt worden, zumal ein einfacher Fall mit geringem Verfahrensaufwand vorgelegen sei.

1.3. Der Disziplinaranwalt gab mit Schreiben vom 3. Juli 2018 eine Stellungnahme ab. Beantragt wurde, der Beschwerde keine Folge zu geben.

 

1.4. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich ersuchte nach erfolgter Aktenvorlage den Disziplinarrat bzw. die Disziplinarkommission um Stellungnahme, ob die angefochtene Entscheidung (schriftliche Ausfertigung zum am 5. April 2018 verkündeten Erkenntnis) von der Kollegialbehörde „Disziplinarkommission“ beschlossen worden sei. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass im Verwaltungsakt lediglich ein Beratungsprotokoll betreffend die Erkenntnisverkündung enthalten sei, nicht aber ein Nachweis, dass sowohl Spruch als auch Begründung der ausgefertigten Entscheidung auf einer Beschlussfassung der Kollegialbehörde beruhten. Auf den hg. Beschluss zur Zl. LVwG-AV-570/001-2018 wurde verwiesen und es wurde um Bekanntgabe ersucht, sollte die Durchführung einer Verhandlung begehrt werden.

1.5. Mit Schreiben vom 25. November 2019 wurde seitens der Disziplinarkommission ausgeführt, dass die Disziplinarerkenntnisse in der Verhandlung zwingend zu verkünden seien. Unmittelbar zuvor finde die Beratung der Kommission statt. Eine Abänderung der Entscheidung nach der Verkündung sei nicht zulässig. Die Ausformulierung der Entscheidung erfolge durch den Vorsitzenden in den Wochen nach der Verhandlung. Die Ausfertigung des Erkenntnisses gebe im Wesentlichen die bereits gefasste Entscheidung samt Begründung wieder. Eine nochmalige Beratung vor der Abfertigung der schriftlichen Ausfertigung werde nicht durchgeführt, weil die in der Verhandlung erfolgte Entscheidung ja nicht mehr abgeändert werden könne. Selbst wenn die vom Vorsitzenden formulierte Begründung von jener der Verhandlung und Beratung abweichen sollte, würde dies auf das Erkenntnis keinen Einfluss haben. Auch das Verwaltungsgericht würde eine Entscheidung weder abändern noch aufheben, nur weil ein richtiges Ergebnis falsch begründet worden sei. Diese Vorgehensweise werde nicht nur in jedem gerichtlichen Verfahren nach der ZPO und StPO, sondern auch im Disziplinarverfahren der Rechtsberufe (Richter und Staatsanwälte) sowie bei allen anderen Disziplinarkommissionen nach dem ÄrzteG so eingehalten.

1.6. Dem Beschwerdeführer und dem Disziplinaranwalt wurde die Mitteilung der Behörde zur Kenntnis und allfälligen Abgabe einer Stellungnahme übermittelt, wobei seitens des Disziplinaranwaltes keine Stellungnahme abgegeben wurde.

Der Beschwerdeführer gab mit Schreiben vom 13. Dezember 2019 im Wesentlichen an, dass die angefochtene schriftliche Erledigung nach dem behördlichen Zugeständnis keine kollegiale Beschlussdeckung im Sinne der höchstgerichtlichen Judikatur aufweise. Dazu wurde auf den hg. Beschluss zur Zl. LVwG-AV-570/001-2018 verwiesen. Da die Erledigung alle äußeren Anzeichen eines anfechtbaren Bescheides aufweise und Mängel der Willensbildung von der Partei anhand der Ausfertigung nicht beurteilt werden könnten, werde die Aufhebung des Bescheides wegen wesentlicher Verfahrensmängel beantragt. Ausdrücklich nur für den Fall einer inhaltlichen Behandlung der Beschwerde wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

2.   Feststellungen und Beweiswürdigung:

2.1. Feststellungen:

Der Vorsitzende der Disziplinarkommission für Niederösterreich verkündete gegenüber dem Beschwerdeführer, einem Arzt für Allgemeinmedizin, in der Disziplinarverhandlung am 5. April 2018 ein Disziplinarerkenntnis mit folgendem Inhalt:

„A ist schuldig.

Er hat im Zeitraum 01.09.2013 bis 31.08.2016 nicht 150 DFP-Punkte nachgewiesen und damit seine Berufspflicht gemäß § 49 Abs 2c ÄrzteG in Verbindung mit der Verordnung über die ärztliche Fortbildung verletzt.

Er hat dadurch das Disziplinarvergehen gemäß § 136 Abs 1 Z 2 ÄrzteG begangen und wird hierfür gemäß § 139 Abs 1 Z 2 ÄrzteG zu einer Geldstrafe von

Euro 4000,00

verurteilt.

Gemäß § 163 Abs 1 ÄrzteG hat der Disziplinarbeschuldigte die mit Euro 1000,00 bestimmten Kosten des Verfahrens zu ersetzen.“

Das verkündete Erkenntnis – das nur den wiedergegebenen Spruch, aber keine Begründung (Feststellungen, Beweiswürdigung, rechtliche Beurteilung) enthält – beruht auf einer kollegialen Beschlussfassung der Disziplinarkommission in ihrer der Verkündung vorangegangenen Sitzung vom 5. April 2018.

Ein darüber hinausgehender Beschluss wurde nicht getroffen, insbesondere wurde eine Begründung nicht einmal in den Grundzügen einer Beschlussfassung unterzogen.

Mit auf 4. Mai 2018 („04.05.2018“) datierter schriftlicher Erledigung, bezeichnet als Erkenntnis des Disziplinarrates der österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Niederösterreich, wurde der Beschwerdeführer für schuldig befunden, „im Zeitraum von 1.9.2013 bis 31.8.2016 keine 150 DFP Punkte auf seinem Fortbildungskonto und auch kein am 1.9.2016 gültiges Fortbildungsdiplom erworben und damit seine Berufspflicht gemäß § 49 Abs. 2c ÄrzteG in Verbindung mit § 28 Abs. 3 der Verordnung über ärztliche Fortbildung idF der 1. Novelle vom 1.7.2013 verletzt“ zu haben. Es wurde deshalb über ihn eine Geldstrafe in Höhe von 4.000,-- Euro verhängt und es wurden Verfahrenskosten in Höhe von 1.000,-- Euro vorgeschrieben. Die Erledigung enthält dabei neben dem Spruch auch eine ausführliche Begründung bestehend aus Feststellungen, Beweiswürdigung und rechtlicher Beurteilung. Wörtlich lautet die Erledigung wie folgt:

„Der Disziplinarbeschuldigte ist schuldig.

Er hat im Zeitraum von 1.9.2013 bis 31.8.2016 keine 150 DFP Punkte auf seinem Fortbildungskonto und auch kein am 1.9.2016 gültiges Fortbildungsdiplom erworben und damit seine Berufspflicht gemäß § 49 Abs 2c ÄrzteG in Verbindung mit § 28 Abs 3 der Verordnung über ärztliche Fortbildung idF der 1. Novelle vom 1.7. 2013 verletzt.

Er hat dadurch das Disziplinarvergehen gemäß § 136 Abs 1 Z 2 ÄrzteG begangen und wird hiefür gemäß § 139 Abs 1 Z 2 ÄrzteG zu einer

Geldstrafe von € 4.000,-

verurteilt.

Gemäß § 163 Abs 1 ÄrzteG hat er die mit € 1.000,- bestimmten Verfahrenskosten zu ersetzen.

Begründung:

Der Disziplinarbeschuldigte hat der Führung eines individuellen Fortbildungsskontos nicht widersprochen. Demgemäß wurde von der Österreichischen Akademie der Ärzte für den Disziplinarbeschuldigten ein Fortbildungskonto eingerichtet. Im Zeitraum von 1.9.2013 bis 31.8.2016 wurden auf diesem Fortbildungsskonto nur 122 Fortbildungspunkte (DFP Punkte) aufgebucht.

Am 15. 7. 2015 und am 17.2.2016 wurden alle niederösterreichischen Ärzte, die kein Fortbildungsdiplom besitzen, somit auch der Disziplinarbeschuldigte, mit einem persönlichen Schreiben von der gesetzlichen Verpflichtung, am 1. September 2016 die Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung nachzuweisen, informiert. Im September, Oktober, November 2014, im Mai 2015 und im Oktober 2016 erschienen ausführliche Artikel in der Zeitschrift Consilium, die alle niederösterreichischen Ärzte, somit auch der Disziplinarbeschuldigte erhalten. In diesen Artikeln wurde die gesetzliche Verpflichtung, am 1. September 2016 die Erfüllung der FortbiIdungsverpflichtung nachzuweisen, dargestellt. Es wurde in diesen Artikeln auch das Fortbildungskonto erklärt und auf welche Art und Weise DFP Punkte erworben und im Fortbildungskonto erfasst werden.

Im Mai 2015, im September 2015 und im April 2016 wurden alle Ärzte, die kein gültiges Fortbildungsdiplom besitzen, somit auch der Disziplinarbeschuldigte, von der Österreichischen Akademie der Ärzte über die Verpflichtung informiert, am 1.9.2016 die absolvierten Fortbildungen nachzuweisen. Darin wurde auch auf das Fortbildungskonto hingewiesen.

Im September 2016 wurden alle Ärzte, deren Fortbildungskonten keine 150 Punkte aufwiesen und die kein gültiges Fortbildungsdiplom besaßen, somit auch der Disziplinarbeschuldigte mit einem Schreiben der Österreichischen Akademie der Ärzte nochmals an die Nachweispflicht zum 1. September 2016 erinnert und aufgefordert, diese Nachweise beim Fortbildungsreferat der zuständigen Landesärztekammer oder bei der Österreichischen Akademie der Ärzte nachzureichen.

Schließlich wurden im Anschluss alle Ärzte, die die Erfüllung ihrer Fortbildungsverpflichtung zum 1.9.2016 auch bis 1. Dezember 2016 nicht nachgewiesen haben, somit auch der DiszipIinarbeschuldigte, mit Mahnschreiben aufgefordert, den Fortbildungsnachweis unverzüglich nachzureichen.

Dennoch weist das Fortbildungskonto des Disziplinarbeschuldigten nach wie vor nur die eingangs festgestellten Fortbildungspunkte auf.

Im Zeitraum von 1.9.2016 bis heute hat der Disziplinarbeschuldigte 55 DFP Punkte erworben.

Der Disziplinarbeschuldigte ist am *** geboren, niedergelassener Arzt für Allgemeinmedizin mit der Kassenordination in ***, ***, und hat ein monatliches Nettodurchschnittseinkommen von 3-4000,--. Er ist ledig, hat keine Sorgepflichten und besitzt 2 Eigentumswohnungen, in der einen befindet sich die Ordination, die andere wird bewohnt. Der Wert beider Wohnungen ist insgesamt ungefähr 300 000,-- Euro. Dafür haftet noch ein Kredit mit ungefähr 75 000,-- Euro aus.

Diese Feststellungen beruhen auf folgender

Beweiswürdigung:

Die auf dem Fortbildungskonto aufgebuchten DFP Punkte folgen aus der Auswertung der Österreichischen Akademie der Ärzte, die im Akt einliegt. Die Informationen der Ärzte und des Disziplinarbeschuldigten über ihre Fortbildungspflicht ergeben sich aus dem diesbezüglichen Urkundenkonvolut, das ebenfalls im Akt liegt.

Der aktuelle Stand des Fortbildungskontos folgt aus dem Ausdruck, der anlässlich der Disziplinarverhandlung vom Disziplinarbeschuldigten vorgelegt wurde.

Die übrigen Feststellungen beruhen auf der Verantwortung des Disziplinarbeschuldigten.

Rechtlich folgt daraus:

Gemäß § 49 Abs 2c ÄrzteG haben Ärzte, die zur selbständigen Berufsausübung berechtigt sind, ihre absolvierte Fortbildung zumindest alle drei Jahre gegenüber der Österreichischen Ärztekammer glaubhaft zu machen. Ärzte haben diese Meldungen spätestens bis zum Ablauf von drei Monaten nach dem jeweiligen Fortbildungszeitraum (Sammelzeitraum) zu erstatten.

Die Österreichische Ärztekammer hat gemäß § 117b Abs 2 Z 9 Iit a ÄrzteG die Verordnung über ärztliche Fortbildung erlassen. In der hier anzuwendenden Fassung (1. Novelle vom 1.7.2013) ist in § 28 Abs. 2 angeordnet, dass zum Zwecke der Glaubhaftmachung der Fortbildung von der Österreichischen Akademie der Ärzte für jeden in die Ärzteliste eingetragenen Arzt ein Fortbildungskonto zu führen ist. Gemäß § 28 Abs 3 der Verordnung kommt der Arzt seiner Verpflichtung zur Glaubhaftmachung gemäß § 49 Abs 2c ÄrzteG nach, wenn er der Führung eines individuellen Fortbildungskontos nicht widerspricht und in den letzten drei Jahren vor dem Stichtag des Sammelzeitraums zumindest 150 DFP Punkte auf dem Fortbildungskonto aufgebucht sind, oder zu dem Stichtag ein gültiges DFP Diplom vorliegt.

Der Disziplinarbeschuldigte hat bis heute nur 122 DFP Punkte im Sammelzeitraum erworben und auch kein DFP Diplom. Damit hat er seine Berufspflicht, die Erfüllung seiner Fortbildungsverpflichtung gemäß § 49 Abs 2c ÄrzteG nachzuweisen, verletzt.

Somit hat er das Disziplinarvergehen des § 136 Abs 1 Z 2 ÄrzteG begangen.

Deshalb ist über ihn gemäß § 139 Abs 1 Z 2 ÄrzteG die tat-und schuldangemessene Geldstrafe von

€ 4.000,-

zu verhängen.

Dabei war auf die besondere Bedeutung der ärztlichen Fortbildung Bedacht zu nehmen.

Um eine faire Behandlung aller Beschuldigten zu gewährleisten und gleich gelagerte Taten gleich zu bestrafen, wird als Strafmaß in Fällen, in denen § 49 Abs 2c ÄrzteG mit Stichtag 1.9.2016 (somit erstmals) verletzt wurde, von einem Monatseinkommen ausgegangen.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Disziplinarbeschuldigte keinen nachvollziehbaren Grund für seine Pflichtverletzung angeben konnte und auch nunmehr seiner Fortbildungsverpflichtung nur unzureichend nachkommt.

Mildernd war in diesem Zusammenhang die disziplinäre Unbescholtenheit und das reumütige Geständnis zu berücksichtigen.

Der Ausspruch über den Ersatz der Verfahrenskosten beruht auf der angeführten Gesetzesstelle.“

Diese Erledigung wurde keiner Beschlussfassung durch den Disziplinarrat bzw. der Disziplinarkommission unterzogen. Die Formulierung der Erledigung erfolgte durch den Vorsitzenden. Auch die Unterfertigung der Erledigung erfolgte ausschließlich durch den Vorsitzenden.

2.2. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen gründen sich – ebenso wie der dargelegte maßgebliche Verfahrensgang – auf dem vorgelegten Disziplinarakt sowie auf dem hg. Gerichtsakt. Konkret ist Folgendes auszuführen:

Die Feststellungen zum am 5. April 2018 verkündeten Disziplinarerkenntnis beruhen auf dem vom Vorsitzenden unterfertigten Verhandlungsprotokoll. Aus dem Verhandlungsprotokoll ergibt sich, dass (nur) der wiedergegebene Spruch, aber keine Begründung, verkündet wurde. Dass das Verkündete auf einer kollegialen Beschlussfassung beruht, ergibt sich aus dem vom Vorsitzenden unterfertigten Beratungsprotokoll zum Verhandlungsprotokoll. Ein darüber hinausgehender Beschluss ist im Beratungsprotokoll – das ausschließlich die Beschlussfassung des Verkündeten bestätigt – nicht dokumentiert. Es liegen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, das eine Begründung wenigstens in den Grundzügen einer Beschlussfassung unterzogen worden wäre. Zur auf 4. Mai 2018 datierten schriftlichen Erledigung ist auf den Disziplinarakt zu verweisen und darauf, dass keine Anhaltspunkte vorliegen, es wäre diese Erledigung einer behördlichen Beschlussfassung unterzogen worden. Vielmehr ergibt sich aus dem Behördenschreiben vom 25. November 2019 eindeutig, dass diesbezüglich keine Beschlussfassung („Eine nochmalige Beratung vor der Abfertigung der schriftlichen Ausfertigung wird nicht durchgeführt …“) und dass die Formulierung der Erledigung durch den Vorsitzenden erfolgte („Die Ausformulierung dieser Entscheidung erfolgt durch den Vorsitzenden …“; „Selbst wenn die vom Vorsitzenden formulierte Begründung …“).

Festzuhalten ist zur Frage der (kollegialen) Beschlussfassung, dass dem Inhalt eines Beratungsprotokolls große Bedeutung zuzusprechen ist, zumal ein solches Protokoll auch der Kontrolle des Stimmverhaltens der einzelnen Mitglieder dient (vgl. etwa VwGH 17.6.1993, 92/09/0391).

Darauf hinzuweisen ist zudem, dass der Disziplinarkommission im Beschwerdeverfahren die Möglichkeit zur Stellungnahme gewährt wurde, ob die angefochtene Entscheidung von der Kollegialbehörde Disziplinarkommission beschlossen wurde. Dabei wurde hg. darauf hingewiesen, dass im Akt lediglich ein Beratungsprotokoll betreffend die Verkündung enthalten sei, nicht aber ein Nachweis, dass sowohl Spruch als auch Begründung der ausgefertigten Entscheidung einer Beschlussfassung unterzogen worden wären. Auf den hg. Beschluss zur Zl. LVwG-AV-570/001-2018 wurde verwiesen (mit diesem Beschluss wurde eine Erledigung derselben Behörde mangels erforderlicher kollegialer Willensbildung als Nichtbescheid qualifiziert). Die Disziplinarkommission hat die eingeräumte Möglichkeit zur Stellungnahme mit Schreiben vom 25. November 2019 zwar genützt, aber eine entsprechende Beschlussfassung weder behauptet noch nachvollziehbar aufgezeigt. Es besteht daher kein Zweifel, dass eine entsprechende Beschlussfassung nicht vorgenommen wurde (vgl. dazu etwa VwGH 12.6.1991, 90/13/0028, Punkt III.2. letzter Satz).

Es waren daher – zumal sich auch aus den Ausführungen der übrigen Verfahrensparteien nichts anderes ergibt – die unter Punkt 2.1. ersichtlichen Feststellungen zu treffen.

3.   Maßgebliche Rechtslage:

Die für den vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (Ärztegesetz 1998 – ÄrzteG 1998), BGBl. I Nr. 169/1998 idgF, lauten:

„Disziplinarrat und Disziplinaranwalt

§ 140. (1) Über Disziplinarvergehen erkennt der Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer.

(2) Im Rahmen des Disziplinarrates ist zur Durchführung der Disziplinarverfahren für den Bereich eines jeden Oberlandesgerichtssprengels zumindest eine Disziplinarkommission einzurichten. Die Bestellung mehrerer Disziplinarkommissionen mit örtlich verschiedenem Wirkungsbereich ist zulässig. Überdies sind jeder Disziplinarkommission mehrere vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu bestellende rechtskundige Untersuchungsführer beizugeben, die in einer vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu führenden Liste zu erfassen sind.

(3) Jede Disziplinarkommission besteht aus dem Vorsitzenden, der rechtskundig sein muss und auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen bestellt wird, sowie aus zwei ärztlichen Beisitzern, die vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer bestellt werden. Für den Vorsitzenden sind gleichzeitig zwei Stellvertreter, die rechtskundig sein müssen, auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen und für die ärztlichen Beisitzer gleichzeitig vier Stellvertreter vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu bestellen. Der Bundesminister für Gesundheit und Frauen hat bei der Bestellung eines Richters zum Vorsitzenden oder zum Stellvertreter des Vorsitzenden das Einvernehmen mit dem Bundesminister für Justiz herzustellen. Mitglieder des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer dürfen einer Disziplinarkommission nicht angehören.

[…]“

„§ 160. (1) Die Beratungen und Abstimmungen der Disziplinarkommission erfolgen in geheimer Sitzung. Bei der Beratung und Abstimmung dürfen der Disziplinaranwalt, der Beschuldigte, sein Verteidiger und die Vertrauenspersonen nicht anwesend sein.

(2) Die Disziplinarkommission hat bei Fällung ihres Erkenntnisses nur auf das Rücksicht zu nehmen, was in der mündlichen Verhandlung vorgekommen ist; sie entscheidet nach ihrer freien, aus der gewissenhaften Prüfung aller Beweismittel gewonnenen Überzeugung.

(3) Die Entscheidungen der Disziplinarkommission (Erkenntnisse, Beschlüsse) werden mit einfacher Stimmenmehrheit gefaßt. Stimmenthaltung ist nicht zulässig. Die Reihenfolge der Abstimmung bestimmt sich, beginnend bei dem an Lebensjahren ältesten Mitglied, nach dem Lebensalter der Mitglieder des Disziplinarrates. Der Vorsitzende stimmt zuletzt ab.“

„§ 162. Das Erkenntnis ist samt dessen wesentlichen Gründen sogleich zu verkünden; je eine Ausfertigung samt Entscheidungsgründen sowie je eine Abschrift des Verhandlungsprotokolls sind ehestens dem Beschuldigten, dem Disziplinaranwalt, der für den Disziplinarbeschuldigten zuständigen Ärztekammer und der Österreichischen Ärztekammer zuzustellen.“

„Sinngemäße Anwendung von anderen gesetzlichen Bestimmungen

§ 167d. (1) Für die Berechnung von Fristen, die Beratung und Abstimmung sowie die Wiederaufnahme des Verfahrens gelten sinngemäß die Bestimmungen der Strafprozessordnung, soweit sich aus den Bestimmungen des dritten Hauptstückes dieses Bundesgesetz nicht anderes ergibt.

[…]

(3) Im Übrigen sind die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 2 bis 4, 12, 42 Abs. 1 und 2, 51, 57, 63 Abs. 1 und 5 erster und zweiter Satz zweiter Halbsatz, 64 Abs. 2, 64a, 68 Abs. 2 und 3 und 75 bis 80, sowie die Bestimmungen des Zustellgesetzes, BGBl. Nr. 200/1982, insoweit sinngemäß anzuwenden, als sich aus den Bestimmungen des dritten Hauptstückes dieses Bundesgesetzes nichts anderes ergibt.“

4.   Erwägungen des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich:

4.1. Zur Beschwerdezurückweisung:

Wie aus der wiedergegebenen maßgeblichen Rechtslage ersichtlich, handelt es sich beim Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer bzw. der Disziplinarkommission für Niederösterreich um eine Kollegialbehörde.

Eine Kollegialbehörde kann ihren Willen nur durch Beschluss bilden, der durch Abgabe der Stimmen der Mitglieder zustande kommt (vgl. VfSlg. 12.951/1991). Im Allgemeinen erfolgt die Willensbildung einer Kollegialbehörde durch den Gesamtakt einer sich an die gemeinsame Erörterung der zu entscheidenden Angelegenheiten anschließenden Abstimmung (VfSlg. Nr. 3086/1956).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes umfasst die Willensbildung durch eine Kollegialbehörde nicht nur den Spruch, sondern auch den Inhalt und damit die wesentliche Begründung einer Erledigung (vgl. für viele etwa: VwGH 21.6.2005, 2004/06/0203; 13.12.2016, Ra 2016/05/0076; insb. auch VwGH 27.4.2015, 2012/11/0082). Wird nicht sowohl Spruch als auch Begründung (zumindest in den Grundsätzen) der Beschlussfassung unterzogen, ist eine Erledigung, die eine (eingehende) Begründung enthält, durch den Beschluss des Kollegialorgans nicht gedeckt (vgl. etwa VwGH 25.10.2017, Ra 2017/12/0097, mwN).

Die angefochtene schriftliche Erledigung weist – wie sich aus den getroffenen Feststellungen ergibt – keine kollegiale Beschlussdeckung in diesem Sinne auf:

Das mündlich verkündete Disziplinarerkenntnis – das nur den wiedergegebenen Spruch, aber keine Begründung (Feststellungen, Beweiswürdigung, rechtliche Beurteilung) enthält – beruht auf einer kollegialen Beschlussfassung der Disziplinarkommission in ihrer Sitzung vom 5. April 2018. Ein darüber hinausgehender Beschluss wurde aber nicht getroffen, insbesondere wurde eine Begründung nicht einmal in den Grundzügen einer Beschlussfassung unterzogen.

Die angefochtene schriftliche Erledigung vom 4. Mai 2018 enthält hingegen neben dem Spruch auch eine ausführliche Begründung bestehend aus Feststellungen (insb. hinsichtlich der Führung eines individuellen Fortbildungskontos, Informationen zur Fortbildungsverpflichtung und zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers), Beweiswürdigung (insb. hinsichtlich eines Verweises auf eine Auswertung der Österreichischen Akademie der Ärzte, auf aktenkundige Unterlagen und auf die offenbar als glaubhaft gewertete Verantwortung des Beschwerdeführers) und einer rechtlichen Beurteilung (insb. hinsichtlich der Verpflichtung zur Glaubhaftmachung und der Strafbemessung). Diese Erledigung wurde keiner Beschlussfassung durch den Disziplinarrat bzw. der Disziplinarkommission unterzogen. Die Formulierung der Erledigung erfolgte durch den Vorsitzenden.

Davon abgesehen weicht auch schon der Spruch der angefochtenen Erledigung vom verkündeten Disziplinarerkenntnis ab (die schriftliche Erledigung enthält insbesondere die nicht verkündete Wortfolge „auch kein am 1.9.2016 gültiges Fortbildungsdiplom erworben“).

Zu den Ausführungen im Behördenschreiben vom 25. November 2019, wonach die erfolgte Vorgehensweise auch in Verfahren nach der ZPO und StPO und in anderen Disziplinarverfahren so eingehalten werde, ist festzuhalten, dass es auch im Bereich der ZPO auf den Entscheidungswillen der dazu Berufenen ankommt (vgl. etwa OGH 25.10.2016, 8 Ob 99/16s) und dass auch bei der Ausfertigung eines Urteiles im Bereich der StPO der ausfertigende Vorsitzende inhaltlich an das gebunden ist, was vom Gericht beschlossen wurde (vgl. Danek in WK?StPO § 270 Rz 21, Stand Oktober 2009).

Darauf hinzuweisen ist zudem, dass die Unterfertigung einer Ausfertigung durch den Vorsitzenden nicht den erforderlichen kollegialen Beschluss ersetzt (vgl. auch Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten4 [2010], S 432). Dementsprechend kann die Prüfung der Beschlussdeckung auch nicht durch den bloßen Hinweis auf die die ordnungsgemäße Fertigung einer Entscheidung unterbleiben (vgl. VwGH 5.11.2015, 2013/06/0086).

Auch aus § 167d ÄrzteG 1998 und den darin enthaltenen Verweisungen ergibt sich schließlich keine andere Beurteilung (Gegenteiliges wurde auch nicht vorgebracht).

Die angefochtene Erledigung ist somit nicht von der erforderlichen kollegialen Willensbildung der dazu berufenen Kollegialbehörde getragen. Sie ist damit – der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Kollegialbehörde „Verwaltungsausschuss des Wohlfahrtsfonds“ nach dem ÄrzteG 1998 folgend – als Nichtbescheid zu qualifizieren (s. insb. wiederum VwGH 27.4.2015, 2012/11/0082, Punkt 2.3.3.3. und Punkt 2.3.3.4.; vgl. weiters auch VwGH 19.8.2015, 2012/11/0232; 1.12.2015, Ra 2015/11/0096; 3.11.2017, Ra 2017/11/0246).

Die Beschwerde gegen die genannte Erledigung ist daher mangels Vorliegens eines tauglichen Anfechtungsobjektes als unzulässig zurückzuweisen.

Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen. Davon abgesehen ist auch – zumal betreffend die Frage der kollegialen Willensbildung von niemandem eine Verhandlung begehrt wurde und den Parteien und insbesondere der Behörde ausreichend Möglichkeit zur Stellungnahme bzw. Erstattung von Vorbringen zur Verfügung stand – nicht zu erkennen, dass eine mündliche Erörterung fallbezogen eine weitere Klärung der Rechtssache erwarten ließe und es stehen einem Entfall der Verhandlung auch weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegen (vgl. auch etwa EGMR 18.7.2013, Fall Schädler-Eberle, Appl. 56.422/09).

4.2. Zur Zulässigkeit der ordentlichen Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen. Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die Revision gegen ein Erkenntnis – und zufolge Art. 133 Abs. 9 B-VG grundsätzlich auch gegen einen Beschluss – eines Verwaltungsgerichtes zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat im vorliegenden Fall eine einzelfallbezogene Beurteilung (s. insb. Punkt 2.2.) vorgenommen und es folgen die Erwägungen der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (s. insb. Punkt 4.1.).

Dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erscheint allerdings die Rechtsfrage, ob die im vorliegenden Fall angefochtene Erledigung tatsächlich als Nichtbescheid zu qualifizieren ist, im Hinblick auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur bloßen Vernichtbarkeit von Erledigungen (Bescheiden), welche nach ihrem Erscheinungsbild intendieren einem Kollegialorgan zugerechnet zu werden ohne dass ihnen ein entsprechender Beschluss dieses Organs zu Grunde liegt (s. etwa VwGH 12.6.1991, 90/13/0028; 20.10.1992, 92/04/0188; 12.7.2012, 2011/06/0099; 5.11.2015, 2013/06/0086; vgl. auch etwa Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht11 [2019] Rz 661, mwH), nicht abschließend geklärt. Die gegebene Rechtslage erscheint diesbezüglich auch nicht derart eindeutig, dass eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung von vorneherein ausscheiden würde (vgl. zur diesfalls gegebenen Unzulässigkeit etwa VwGH 29.7.2015, Ra 2015/07/0095).

Schlagworte

Freie Berufe; Ärzte; Verfahrensrecht; Kollegialorgan; Beschlussdeckung; Nichtbescheid;

Anmerkung

VwGH 12.10.2020, Ro 2020/09/0009-5, Aufhebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2020:LVwG.AV.913.001.2018

Zuletzt aktualisiert am

22.10.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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