TE Vwgh Beschluss 2019/8/28 Ra 2019/14/0289

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Veröffentlicht am 28.08.2019
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §6 Abs1 Z4
AsylG 2005 §6 Abs2
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, in der Revisionssache des X Y, vertreten durch Brehm & Sahinol Rechtsanwälte OG in 1060 Wien, Linke Wienzeile 124/10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. April 2019, W182 1421381-2/14E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Mutter des aus der Russischen Föderation stammenden Revisionswerbers, stellte am 23. Juni 2011 für sich und ihre vier Kinder - darunter den damals achtjährigen Revisionswerber - Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Sie verwies darauf, dass sich ihr Ehemann bereits in Österreich aufhalte. Zu den Fluchtgründen der Kinder verwies sie auf ihre eigenen Angaben, in denen sie sich wiederum auf die Gründe des Ehemannes bezogen hatte.

2 Mit Bescheid des (damals zuständigen) Bundesasylamtes vom 7. September 2012 wurde dem Revisionswerber gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. In ihrer Begründung hielt die Behörde fest, dem Vater des Revisionswerbers sei mit Bescheid vom 7. September 2012 der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden. Daher sei dem Revisionswerber derselbe Schutz zu gewähren. 3 Mit Bescheid vom 19. Juli 2018 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten aberkannt, ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung sowie ein auf sieben Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen und festgestellt werde, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung des Revisionswerbers in die Russische Föderation für unzulässig erklärt werde. Weiters legte die Behörde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. Mit einem weiteren Spruchpunkt wies die Behörde schließlich den vom Revisionswerber gestellten Antrag auf Ausstellung eines Konventionsreisepasses ab.

4 In seiner Begründung nahm die Behörde betreffend die Aberkennung des Status als Asylberechtigter auf die Verurteilung des Revisionswerbers (insbesondere) wegen des Verbrechens des mehrfachen - zum Teil schweren - Raubes zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten, wovon ein Teil von 15 Monaten bedingt nachgesehen worden war, Bezug.

5 Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ging die Behörde - in einer in sich widersprüchlichen Entscheidungsbegründung - einerseits davon aus, es lägen keine Umstände vor, wonach im Sinn des Art. 3 EMRK ein Abschiebehindernis gegeben sei. Der Revisionswerber, der seine Muttersprache beherrsche, verfüge in seinem Heimatland über Verwandte und Freunde, die ihm zur Seite stehen würden. Er werde dort nicht in eine existenzbedrohende Notlage geraten. Es sei nicht das Ziel des Refoulementschutzes, "Menschen vor unangenehmen Lebenssituationen" zu schützen, "sondern einzig und allein Schutz vor exzeptionellen Lebenssituationen zu geben". Ohne nähere inhaltliche Erwägungen anzustellen und ohne sich mit dieser Einschätzung auseinanderzusetzen, führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl andererseits weiter aus, "(z)ufolge der Beweiswürdigung und den Feststellungen" werde die Abschiebung des Revisionswerbers in seinen Herkunftsstaat "ausschließlich und nur aufgrund (seiner) Minderjährigkeit eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für (ihn) als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen, sodass der Status des subsidiären Schutzstatus nicht schon mangels Erfüllung der Voraussetzungen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG (2005) nicht zuzuerkennen" gewesen sei. Gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 sei dem Revisionswerber aber dennoch aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung wegen eines Verbrechens der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen. Demgemäß sei nach § 8 Abs. 3a AsylG 2005 auszusprechen, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in sein Herkunftsland unzulässig sei. 6 Der Revisionswerber erhob Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, dem im Beschwerdeverfahren weitere Urkunden - insbesondere eine Stellungnahme der Bewährungshilfe sowie eine Ausfertigung eines weiteren am 14. Jänner 2019 gegen den Revisionswerber ergangenen Strafurteiles - vorgelegt wurden. Das Verwaltungsgericht führte im Beschwerdeverfahren eine Verhandlung durch.

7 Mit Erkenntnis vom 25. April 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde, soweit dem Revisionswerber mit dem Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Status des Asylberechtigen aberkannt, der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, ihm ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 nicht von Amts wegen erteilt und sein Antrag auf Ausstellung eines Konventionsreisepasses abgewiesen wurde, als unbegründet ab, wobei es den behördlichen Ausspruch über die Nichtzuerkennung von subsidiären Schutz insofern abänderte, als die Nichtzuerkennung dieses Status auf § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 gestützt wurde (Spruchpunkt A) I.). Die übrigen Spruchpunkte des Bescheides vom 19. Juli 2018 hob das Bundesverwaltungsgericht auf und es sprach aus, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) auf Dauer für unzulässig erklärt und dem Revisionswerber gemäß § 54 Abs. 1 Z 1, § 55 Abs. 1 und § 58 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten erteilt werde (Spruchpunkt A) II.). Weiters erklärte das Verwaltungsgericht die Erhebung einer Revision für nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

8 Das Bundesverwaltungsgericht führte - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - aus, der Revisionswerber sei im März 2018 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens des - zum Teil versuchten - Raubes nach § 142 Abs. 1 (z.T. iVm § 15) StGB, des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 2 erster Satz StGB, des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel gemäß § 241e Abs. 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten, wobei davon 15 Monate unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden seien, rechtskräftig verurteilt worden.

9 Am 25. Juni 2018 sei er aus dem unbedingt ausgesprochenen Teil der Freiheitsstrafe entlassen worden.

10 Im Jänner 2019 sei er - wegen bereits kurz nach seiner Haftentlassung am 7. August 2018 begangener Straftaten - mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien wegen des Vergehens des - zum Teil versuchten - betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauches nach §§ 148a Abs. 1 (z.T. iVm § 15) StGB und des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 1 erster Fall StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden. Mit Beschluss vom gleichen Tag habe das Strafgericht vom Widerruf des mit dem Urteil vom 22. März 2018 ausgesprochenen bedingt nachgesehenen Teils der Freiheitsstrafe abgesehen, aber die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

11 Das Bundesverwaltungsgericht stellte - wenn auch disloziert - die strafbaren Handlungen des Revisionswerbers im Einzelnen dar, wobei sich daraus (unter anderem) ergibt, dass er den Opfern der Raubüberfälle Faustschläge und Fußtritte versetzt sowie ein Opfer mit einer "Softgun" beschossen hatte. Das Verwaltungsgericht führte des Näheren auch die dieser Verurteilung zugrunde liegenden Tatumstände, die den Opfern zugefügten Verletzungen - Nasenbeinbruch, Abbrechen der Schneidezähne, "ausgeübte Gewalt in Form eines Kieferbruches" - sowie die vom Landesgericht für Strafsachen Wien bei der Strafbemessung als mildernd und als erschwerend gewerteten Umstände im Detail an. 12 Die Aberkennung des Status des Asylberechtigten begründete das Bundesverwaltungsgericht in seinen rechtlichen Erwägungen im Wesentlichen damit, dass im vorliegenden Fall neben dem Vorliegen der (näher genannten) Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 auch der Ausschlusstatbestand des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 erfüllt sei. Bei der Verübung eines schweren Raubes handle es sich - auch im Hinblick auf die Strafdrohung - um ein typischerweise schweres Verbrechen. Aber auch unter Berücksichtigung der konkreten Tatbegehungen würden sich die Straftaten des Revisionswerbers, insbesondere angesichts der besonderen Brutalität und der den Opfern teilweise zugefügten Verletzungen, keinesfalls nur abstrakt als schwer einzustufende Delikte erweisen. Da die Delikte aufgrund der erheblichen Gewaltanwendung auch wiederholt gegen die körperliche Unversehrtheit von Personen gerichtet gewesen seien und der Revisionswerber bereits weniger als zwei Monate nach seiner Haftentlassung neuerlich straffällig geworden sei, sei trotz seiner Minderjährigkeit von einer von ihm ausgehenden Gemeingefahr und einem "entsprechend" überwiegenden öffentlichen Interesse auszugehen. Dies gelte umso mehr, als die Zeit des Wohlverhaltens seit der letzten Verurteilung im Jänner 2019 jedenfalls zu kurz sei, um von einer positiven Zukunftsprognose ausgehen zu können. 13 Anders als zuvor die Behörde gelangte das Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf die Frage des subsidiären Schutzes zum Ergebnis, die Rückführung des Revisionswerbers in sein Heimatland werde nicht zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen. Er sei gesund und arbeitsfähig, habe in seinem Herkunftsstaat bis zu seinem achten Lebensjahr gelebt, sei dort sozialisiert worden, beherrsche die Landesprache und sei dort auch nicht alleine. Er "verfüge" dort über seine Großmutter sowie Onkel und Tanten. Sohin werde er dort keiner lebensbedrohenden Lage ausgesetzt sein. Daran ändere seine Minderjährigkeit nichts. Diese sei vielmehr bei der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung zu berücksichtigen.

14 Im Rahmen dieser Interessenabwägung verwies das Bundesverwaltungsgericht zunächst auf den seit Juni 2011 währenden und zudem seit Zuerkennung des Status des Asylberechtigten rechtmäßigen Aufenthalt des Revisionswerbers im Bundesgebiet. Den überwiegenden Teil seiner Schulbildung habe er in Österreich absolviert und er spreche "die deutsche Sprache auf Mittelschul-Niveau". Er habe in Österreich einen großen Freundes- und Bekanntenkreis. "Andererseits" beherrsche er die russische Sprache, habe im Herkunftsland bis zu seinem achten Lebensjahr gelebt und dort den Kindergarten und die Volksschule besucht. Zahlreiche Verwandte lebten noch in seiner Heimat. Besonders schwer wiege zu seinen Lasten die erhebliche und wiederholte Straffälligkeit. Es sei aber wiederum "deutlich zugunsten" des Revisionswerbers zu werten, dass er mit seinen Eltern und Geschwistern, die in Österreich asylberechtigt seien, weshalb es diesen nicht zugemutet werden könne, das Familienleben im Heimatland fortzuführen, im gleichen Haushalt lebe. Dem komme noch zusätzliches Gewicht zu, weil der Revisionswerber als 16-jähriger noch minderjährig und dem Kindeswohl nach der Rechtsprechung ein hoher Stellenwert beizumessen sei. Das habe "im Kern" auch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl berücksichtigt, weil es die Entscheidung über die Unzulässigkeit der Abschiebung "eben gerade mit dem Kindeswohl des Minderjährigen und humanitären Ermessensgründe aufgrund der Trennung von seinen Eltern begründet" habe. Somit sei davon auszugehen, dass im vorliegenden Fall "noch" die familiären Interessen des minderjährigen Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich die öffentlichen Interessen an der Vornahme einer Aufenthaltsbeendigung überwögen. Aktuell stelle sich die Erlassung einer Rückkehrentscheidung als unverhältnismäßig dar.

15 Die Erhebung einer Revision sei nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vorlägen. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich bei seinen Erwägungen auf die in seiner Entscheidung zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gestützt.

16 Gegen diese Entscheidung erhoben sowohl der Revisionswerber, der sich gegen die Aberkennung des Status des Asylberechtigten wendet, als auch - betreffend die Behebung der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbotes - das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Revision an den Verwaltungsgerichtshof. Über die von der Behörde erhobene Revision wird vom nach der Geschäftsverteilung des Verwaltungsgerichthofes zuständigen Senat entschieden werden.

17 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

18 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

19 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 20 In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit - auf das Wesentliche zusammengefasst - geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht sei davon ausgegangen, dass der schwere Raub "abstrakt und per se" ein schweres Verbrechen darstelle. Der Verwaltungsgerichtshof habe jedoch in seiner Rechtsprechung dargelegt, dass jeweils im konkreten Einzelfall zu prüfen sei, ob die Tat subjektiv und objektiv besonders schwerwiegend sei. Dies habe das Bundesverwaltungsgericht unterlassen. Auch verkenne das Gericht, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zwar ein bewaffneter Raub ein besonders schweres Verbrechen darstelle. Einen bewaffneten Raub habe der Revisionswerber aber nicht begangen. Objektive und subjektive besonders schwerwiegende Umstände seien nicht festgestellt worden. Weiters habe das Bundesverwaltungsgericht es unterlassen, eine dem Gesetz entsprechende Prognose vorzunehmen und dem Antrag, zwecks Beurteilung seiner Persönlichkeitsstruktur ein Gutachten eines medizinischen Sachverständigen einzuholen, nachzukommen. 21 Zudem habe das Bundesverwaltungsgericht veraltete Länderberichte herangezogen und verkannt, dass sich für eine Aberkennung die Verhältnisse betreffend die Verfolgungsgründe wesentlich verändert haben müssten, was hier nicht der Fall sei. Das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit der wesentlichen Veränderung der Verhältnisse auseinandergesetzt.

22 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müssen für die Anwendung des - zufolge § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 fallbezogen maßgeblichen - § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein. Er muss (erstens) ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür (zweitens) rechtskräftig verurteilt worden, (drittens) gemeingefährlich sein und (viertens) müssen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung seine Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen. Es genügt nicht, wenn ein abstrakt als "schwer" einzustufendes Delikt verübt worden ist. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen. In gravierenden Fällen schwerer Verbrechen ist bereits ohne umfassende Prüfung der einzelnen Tatumstände eine eindeutige Wertung als schweres Verbrechen mit negativer Zukunftsprognose zulässig.

23 Unter den Begriff des "besonders schweren Verbrechens" fallen nur Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen. Auf die Strafdrohung allein kommt es bei der Beurteilung, ob ein "besonders schweres Verbrechen" vorliegt, nicht an. Auch Taten, die sich gegen das Rechtsgut der sexuellen Integrität von Minderjährigen richten, sind grundsätzlich als "besonders schweres Verbrechen" im Sinn des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 anzusehen (vgl. zum Ganzen VwGH 5.4.2018, Ra 2017/19/0531, mwN; 25.10.2018, Ra 2018/20/0360). Bei der in der Rechtsprechung erfolgten Aufzählung handelt es sich nicht um eine abschließende Nennung von Delikten, was vom Verwaltungsgerichtshof schon mit dem Hinweis "und dergleichen" unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wurde (vgl. in diesem Sinn auch VwGH 18.10.2018, Ra 2017/19/0109). 24 Der Revisionswerber, dessen Taten durchwegs von Anwendung massiver Gewalt gegen andere Menschen, die auch eine schwere Verletzung eines Tatopfers zur Folge hatte, gekennzeichnet waren, vermag nicht aufzuzeigen, dass sich das Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung von den angeführten Leitlinien entfernt hätte und die von ihm vertretene Ansicht unvertretbar wäre. Das Vorbringen, der Revisionswerber habe seine Taten nicht unter Verwendung einer (Faustfeuer-)Waffe (im Sinn des Waffengesetzes 1996) verwendet, ist nicht geeignet, seine Taten in einem günstigeren Licht erscheinen zu lassen.

25 Entgegen dem Revisionsvorbringen hat es das Bundesverwaltungsgericht, das seiner Beurteilung die vom Revisionswerber konkret verübten strafbaren Handlungen zugrunde gelegt und im Besonderen darauf hingewiesen hat, dass der Revisionswerber bereits kurz nach seiner Haftentlassung wieder straffällig geworden sei, auch nicht unterlassen, eine dem Gesetz entsprechende Gefährdungsprognose vorzunehmen. Der Revisionswerber zeigt in diesem Zusammenhang nicht auf, zu welchen für ihn günstigeren Feststellungen das Bundesverwaltungsgericht hätte kommen können, wenn es dem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nachgekommen wäre, weshalb die Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers nicht dargetan wird. 26 Soweit in der Revision geltend gemacht wird, das Bundesverwaltungsgericht habe veraltete Länderberichte herangezogen und im Rahmen der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht geprüft, ob eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse eingetreten sei, macht sie Verfahrensmängel geltend. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung deren Relevanz, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden (vgl. VwGH 28.3.2018, Ra 2018/14/0380, mwN). Eine solche Relevanzdarstellung lässt die Revision jedoch vermissen. Das Vorbringen geht aber schon deswegen am Thema vorbei, weil es sich beim hier zur Anwendung gebrachten Grund für die Aberkennung um einen Asylausschlussgrund handelt, bei dessen Vorliegen eine Prüfung in Bezug auf einen sonst (allfällig) bestehenden Anspruch auf Zuerkennung - oder wie hier: Beibehaltung - des Status des Asylberechtigten nicht stattzufinden hat (§ 6 Abs. 2 AsylG 2005, hier: iVm § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005).

27 Auf die allein in den Revisionsgründen angesprochenen Themen war zufolge § 34 Abs. 1a und § 28 Abs. 3 VwGG im Rahmen der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht weiter einzugehen. 28 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 3 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen. 29 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 28. August 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019140289.L00

Im RIS seit

05.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

05.02.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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