TE Vwgh Beschluss 2019/11/28 Ra 2019/19/0359

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Veröffentlicht am 28.11.2019
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht
82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §34 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §34 Abs5
BFA-VG 2014 §16 Abs3
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs6 Z1
FrPolG 2005 §52
MRK Art8
SMG 1997
VwGG §34 Abs1
VwRallg

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2019/19/0360

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, in den Revisionssachen 1. des H A und 2. des A A, beide vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. März 2019, W254 2132902-1/43E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Erstrevisionswerber ist der Vater des im Jahr 2013 geborenen Zweitrevisionswerbers. Sie sind Staatsangehörige Somalias und stellten am 2. April 2015 gemeinsam mit der Mutter des Zweitrevisionswerbers und Lebensgefährtin des Erstrevisionswerbers MA, einer weiteren Staatsangehörigen Somalias, am 23. Oktober 2014 Anträge auf internationalen Schutz. 2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies die Anträge auf internationalen Schutz mit Bescheiden vom 28. Juli 2016 ab, erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass die Abschiebung der Revisionswerber und der MA nach Somalia zulässig sei und setzte eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise. 3 Mit Erkenntnissen vom 25. März 2019 gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) den gegen diese Bescheide gerichteten Beschwerden des Zweitrevisionswerbers und seiner Mutter MA Folge, erkannte ihnen den Status von Asylberechtigten zu und stellte fest, dass ihnen damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

4 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde des Erstrevisionswerbers gegen den Bescheid vom 28. Juli 2016 - mit einer Maßgabe - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. 5 Das BVwG führte zusammengefasst begründend aus, das Fluchtvorbringen des Erstrevisionswerbers sei nicht glaubhaft. In Mogadischu hielten sich Verwandte des Erstrevisionswerbers auf, mit deren Unterstützung er bei einer Rückkehr rechnen könne, sodass seine grundlegenden Bedürfnisse gesichert seien. Der Erstrevisionswerber sei dreimal rechtskräftig wegen Verbrechen bzw. Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz (SMG) verurteilt worden. Er sei am 13. Oktober 2017 in Haft genommen worden und verbüße eine dreijährige unbedingte Freiheitsstrafe. In der Haft habe er sich einer Therapie seiner Suchterkrankung unterzogen. Der Erstrevisionswerber habe vor seiner Inhaftierung gemeinsam mit dem Zweitrevisionswerber und der MA gewohnt. Er habe gelegentlich gemeinnützige Tätigkeiten in dem Asylheim, in dem er untergebracht gewesen sei, erbracht, sei aber keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen.

6 Die Voraussetzungen der Zuerkennung internationalen Schutzes seien beim Erstrevisionswerber nicht gegeben. Eine Rückkehr nach Mogadischu verletze auch nicht seine Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK. Unter Beachtung, dass der Erstrevisionswerber im Sinn des § 2 Abs. 3 AsylG 2005 straffällig geworden sei, könne er die Zuerkennung des Status des Asylwerbers gemäß § 34 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005 auch nicht vom Zweitrevisionswerber ableiten. 7 Hinsichtlich der Rückkehrentscheidung sei zu berücksichtigen, dass der Erstrevisionswerber sich seit viereinhalb Jahren im Bundesgebiet aufhalte, wobei er jedoch infolge der ersten rechtskräftigen Verurteilung ab dem 2. Juni 2017 sein Aufenthaltsrecht verloren habe. Er habe unter Beachtung seiner Beziehungen zum Zweitrevisionswerber und dessen Mutter MA, seiner Lebensgefährtin, ein erhebliches privates Interesse am Verbleib im Inland. Dabei sei auch das Kindeswohl des Zweitrevisionswerbers zu berücksichtigen. Die mit der Aufenthaltsbeendigung verbundene Trennung stelle auch unter diesem Gesichtspunkt einen erheblichen Eingriff dar, auch wenn das gemeinsame Familienleben bereits durch die Inhaftierung des Erstrevisionswerbers mit 13. Oktober 2017 beendet worden sei. Es entspreche jedoch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass wiederholtes strafbares Fehlverhalten stärker wiege als selbst ausgeprägte private Beziehung bzw. familiäre Interessen des Fremden. Eine besondere Gefährlichkeit des Erstrevisionswerbers ergebe sich aus seiner Suchtgiftkriminalität bzw. den mehrmaligen Verurteilungen. Das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes des Erstrevisionswerbers überwiege daher die privaten Interessen am Verbleib im Bundesgebiet.

8 Mit Beschluss vom 11. Juni 2019, E 1698-1699/2019-10, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG ab und trat die Beschwerde mit Beschluss vom 11. Juli 2019, E 1698- 1699/2019-12, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 12 Die Revision wendet sich unter dem Gesichtspunkt ihrer Zulässigkeit gegen die Rückkehrentscheidung und bringt dazu vor, das BVwG habe außer Acht gelassen, dass bei der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung Aspekte des Kindeswohls zu berücksichtigen seien. Die Rückkehrentscheidung führe zu einer Trennung des zum Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG fünf Jahre alten Zweitrevisionswerbers vom Erstrevisionswerber. Die Interessen des Erstrevisionswerbers und des Zweitrevisionswerbers, einen persönlichen Kontakt, der bei einem Kleinkind auch nicht durch moderne Kommunikationsmittel ersetzt werden könne, und damit eine Beziehung zwischen Vater und Sohn aufrecht zu erhalten, überwiege das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung. Es fehle aber Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu, in welchen Fallkonstellationen unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls von einem Überwiegen der öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung durch die privaten Interessen an einem Verbleib im Inland auszugehen sei.

Zur Revision des Zweitrevisionswerbers:

13 Zur Legitimation der Erhebung einer Revision durch den Zweitrevisionswerber wird vorgebracht, durch die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegenüber seinem Vater, dem Erstrevisionswerber, werde auch in das Recht des Zweitrevisionswerbers auf Achtung seines Familienlebens eingegriffen.

14 Nach § 34 Abs. 1 AsylG 2005 gilt jeder Antrag eines Familienangehörigen ex lege als "Antrag auf Gewährung desselben Schutzes". Die Behörde hat bei einem Antrag eines Familienangehörigen somit in jedem Fall die Bestimmungen des Familienverfahrens anzuwenden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 jeder Antrag eines Familienangehörigen gesondert zu prüfen und über jeden mit gesondertem Bescheid abzusprechen ist (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0059; 24.3.2015, Ra 2014/19/0063). Für das Verfahren beim BVwG gilt dies gemäß § 34 Abs. 5 AsylG 2005 sinngemäß. 15 Auch wenn die Verfahren der Familienangehörigen daher im Sinn des § 34 Abs. 4 und 5 AsylG 2005 unter einem geführt werden (vgl. zu den Voraussetzungen der gemeinsamen Führung der Verfahren VwGH 15.11.2018, Ro 2018/19/0004; 13.12.2018, Ra 2018/18/0252), ist Adressat eines aufgrund einer Beschwerde eines Familienangehörigen (vgl. § 16 Abs. 3 BFA-VG) für jeden Familienangehörigen (gesondert) ergangenen Erkenntnisses des BVwG jeweils der Familienangehörige, über dessen Antrag auf internationalen Schutz abgesprochen wird. Nichts anderes gilt auch im vorliegenden Fall.

16 Da nur der Adressat der angefochtenen Entscheidung eine mögliche Rechtsverletzung mit Revision geltend machen kann, war die Revision des Zweitrevisionswerbers somit schon mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen (vgl. VwGH 26.3.2019, Ra 2018/06/0307, mwN).

Zur Revision des Erstrevisionswerbers:

17 Eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 29.8.2019, Ra 2019/19/0187, mwN).

18 Es trifft zu, dass es notwendig ist, sich bei der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl auseinanderzusetzen (vgl. etwa VwGH 24.9.2019, Ra 2019/20/0420; 20.9.2017, Ra 2017/19/0163; jeweils mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Judikatur eine Trennung von Familienangehörigen, mit denen ein gemeinsames Familienleben im Herkunftsland nicht zumutbar ist, im Ergebnis nur dann für gerechtfertigt erachtet, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie dies insbesondere bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug der Fall ist (vgl. VwGH 24.9.2019, Ra 2019/20/0274; 20.8.2019, Ra 2019/18/0046; jeweils mwN). Insbesondere schwerwiegende kriminelle Handlungen - etwa nach dem SMG -, aus denen sich eine vom Fremden ausgehende Gefährdung ergibt, können die Erlassung einer Rückkehrentscheidung daher auch dann tragen, wenn diese zu einer Trennung von Familienangehörigen führt (vgl. VwGH 5.10.2017, Ra 2017/21/0174; 26.6.2019, Ra 2019/21/0034; jeweils mit weiteren Hinweisen).

19 Im vorliegenden Fall hatte das BVwG bei seiner Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass der Erstrevisionswerber zwischen der Erlassung des Bescheides des BFA vom 28. Juli 2016 und des angefochtenen Erkenntnisses dreimal nach dem SMG zu Freiheitsstrafen verurteilt worden ist; zuletzt am 8. Jänner 2018 nach § 28a Abs. 1 und 3 1. Fall SMG. Er befindet sich nach den Feststellungen seit 13. Oktober 2017 in Haft und verbüßt eine dreijährige unbedingte Freiheitsstrafe. 20 Davon ausgehend erscheint die Beurteilung des BVwG, dass im vorliegenden Fall in Hinblick auf das kriminelle Verhalten bzw. die vom Erstrevisionswerber ausgehende Gefährdung das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen des Erstrevisionswerbers (auch unter Berücksichtigung des Kindeswohles des Zweitrevisionswerbers) überwiegt, nicht unvertretbar. Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz bereits wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (vgl. etwa VwGH 23.2.2016, Ra 2015/01/0249, mwN). 21 Der in der Revision erhobene Vorwurf, das BVwG habe sich im Zuge der Interessenabwägung mit der Frage des Kindeswohls nicht auseinandergesetzt, trifft nicht zu. Dass der Revisionswerber die Ansicht des BVwG nicht teilt, führt nicht dazu, dass dem Gericht ein Begründungsmangel anzulasten wäre (vgl. idS nochmals VwGH 24.9.2019, Ra 2019/20/0420).

22 In der Revision des Erstrevisionswerbers werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 28. November 2019

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019190359.L00

Im RIS seit

31.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

31.01.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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