TE OGH 2019/12/17 10Ob75/19f

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Veröffentlicht am 17.12.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder 1. A*****, geboren ***** 2006, und 2. B*****, geboren ***** 2007, beide wohnhaft bei der Mutter S*****, vertreten durch das Land Niederösterreich als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt St. Pölten, 3100 St. Pölten, Rathausplatz 1), wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der Kinder gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 5. September 2019, GZ 23 R 393/19t-14, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 22. Juli 2019, GZ 1 Pu 51/19g-7, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Text

Begründung:

Die 12- bzw 13-jährigen Kinder leben bei der Mutter und werden von ihr betreut. Der geldunterhaltspflichtige Vater war bisher aufgrund einer einstweiligen Verfügung vom 30. 4. 2019 (ON 2) zu einer vorläufigen monatlichen Unterhaltsleistung von 141,50 EUR je Kind verpflichtet. Außer Streit steht, dass er als unselbstständig Beschäftigter ein durchschnittliches Nettoeinkommen (inklusive anteiliger Sonderzahlungen) von rund 2.250 EUR monatlich bezieht. Er hat sonst keine Sorgepflichten. Die Mutter geht einer Teilzeitbeschäftigung nach.

Die Kinder begehren die Unterhaltsverpflichtung des Vaters ab 1. 2. 2019 mit monatlich 400 EUR festzusetzen. In die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen sei auch der halbe (durch das Jahressteuergesetz 2018, BGBl I 2018/62, neu eingeführte) „Familienbonus Plus“ in Höhe von monatlich 62,50 EUR.

Der Vater sprach sich gegen den Unterhaltserhöhungsantrag aus. Infolge hoher monatlicher Ausgaben für Kfz-Leasingraten, Kreditrückzahlungsraten und Betriebskosten für das Haus sei er nur in der Lage, monatlich 100 EUR je Kind an Unterhalt zu leisten. Den Familienbonus Plus habe er noch nicht beantragt.

Das Erstgericht verpflichtete den Vater, ab 1. 2. 2019 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 400 EUR je Kind zu leisten.

Rechtlich ging das Erstgericht zusammengefasst davon aus, der vom Unterhaltspflichtigen zu leistende Unterhaltsbeitrag sei ausgehend von der Unterhaltsbemessungsgrundlage von rund 2.250 EUR und einem Unterhaltsprozentsatz von 18 % je Kind (20 % vermindert um 2 % für die jeweilige weitere Sorgepflicht) mit monatlich 400 EUR zu bemessen. Rechtsausführungen zum Familienbonus Plus und dessen Auswirkungen auf die Unterhaltsbemessung enthält der erstgerichtliche Beschluss nicht. Eine „steuerliche Entlastung“ des Unterhaltsschuldners wurde nicht vorgenommen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters teilweise Folge und änderte den erstgerichtlichen Beschluss dahin ab, dass die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters für die beiden Kinder ab 1. 2. 2019 mit monatlich je 360 EUR festgesetzt und das Mehrbegehren von 40 EUR abgewiesen wurde.

Nach umfangreichen Rechtsausführungen zum Familienbonus Plus kam das Rekursgericht zusammengefasst zum Ergebnis, dass der Familienbonus Plus zu einer Erhöhung des Nettoeinkommens führe, die grundsätzlich bei der Ermittlung des Unterhaltsbeitrags zu berücksichtigen sei. Bei mehreren Kindern sei die Summe aller Familienboni zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall habe der unterhaltspflichtige Vater den Familienbonus allerdings nicht im Rahmen der monatlichen Lohnverrechnung durch Antrag beim Dienstgeber geltend gemacht, weswegen zum jetzigen Zeitpunkt seine Anspannung auf den Bezug des Familienbonus Plus (noch) nicht möglich sei. Erhalte der Unterhaltsschuldner tatsächlich den steuerlichen Vorteil erst im Nachhinein im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung, könne ihm nach dem „Zufluss-Abfluss-Prinzip“ nicht jetzt schon die damit verbundene höhere Unterhaltsverpflichtung auferlegt werden. Zudem handle es sich um eine erstmalige Unterhaltsfestsetzung, sodass der Vater nicht in der Lage wäre, seinem Dienstgeber den erforderlichen Nachweis des bisherigen Unterhaltstitels und dessen stabiler Erfüllung über mehrere Monate zu erbringen. Derzeit sei daher die steuerliche Entlastung ohne Berücksichtigung des Familienbonus Plus vorzunehmen, sodass sich ein Unterhaltsbeitrag von nur 360 EUR monatlich je Kind ergebe. Das Rekursvorbringen, das Erstgericht hätte tatsächlich erfolgte Zahlungen in Höhe der einstweiligen Verfügung berücksichtigen müssen, widerspreche dem Neuerungsverbot.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, dass zur Frage der Unterhaltsbemessung im Zusammenhang mit dem Familienbonus Plus noch keine gesicherte höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe. Darüber hinaus bestehe ein Widerspruch zwischen der Rechtsprechung zur Anrechnung von Zahlungen aufgrund einstweiliger Verfügungen auf den endgültigen Titel (RS0005795) und der Rechtsprechung zur Anrechnung aller Zahlungen auf den Titel (insb 1 Ob 44/17b).

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs beider Kinder mit dem Antrag, die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Der Vater beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zur Frage der Berücksichtigung des durch das Jahressteuergesetz 2018, BGBl I 2018/62, neu eingeführten „Familienbonus Plus“ bei der Bemessung des Unterhalts Minderjähriger erst jüngst in der Entscheidung 4 Ob 150/19s vom 11. 12. 2019 umfassend Stellung genommen hat und die (noch zuvor getroffene) Rekursentscheidung mit den in dieser Entscheidung entwickelten Grundsätzen nicht in Einklang steht. Der Revisionsrekurs ist im Sinn der Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung auch berechtigt.

I. Zur Berücksichtigung des „Familienbonus Plus“ im Rahmen der Unterhaltsbemessung

1. Mit 1. 1. 2019 hat der Gesetzgeber in § 33 Abs 3a EStG einen neuen Steuerabsetzbetrag eingeführt. Der sogenannte „Familienbonus Plus“ ersetzt den Kinderfreibetrag nach § 106a EStG aF sowie die Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten. Ausdrückliches Ziel war die finanzielle Entlastung von berufstätigen Eltern (ErläutRV 190 BlgNR 26. GP 1). Der Familienbonus Plus beträgt, sofern er voll ausschöpfbar ist, bis zum Ablauf des Monats, in dem das Kind das 18. Lebensjahr vollendet hat, für jeden Kalendermonat 125 EUR (§ 33 Abs 3a Z 1 lit a EStG), ab diesem Zeitpunkt für jeden Kalendermonat 41,68 EUR (§ 33 Abs 3a Z 1 lit b EStG).

2. Mit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 4 Ob 150/19s vom 11. 12. 2019 wurde im Hinblick auf die Einführung des Familienbonus Plus und die dadurch bewirkte steuerliche Entlastung die unterhaltsrechtliche Rechtsprechung neu ausgerichtet. Die Kernaussagen dieser – ausführlich begründeten – Entscheidung lassen sich dahin zusammenfassen, dass durch die neue steuergesetzliche Regelung des Familienbonus Plus bei Kindern bis zum Alter von 18 Jahren die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung des Geldunterhaltsschuldners erreicht wird; diese erfolgt nunmehr durch den Familienbonus Plus und den Unterhaltsabsetzbetrag. Der Familienbonus Plus ist nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen, sodass kein Anlass mehr besteht, die Unterhaltsleistung im Sinn der bisher in der Judikatur des Obersten Gerichtshofs gebräuchlichen formelhaften Berechnungsmethode zur steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen durch die Anrechnung von Transferleistungen zu kürzen.

3. Der Senat schließt sich der in der Entscheidung 4 Ob 150/19s zum Ausdruck kommenden Rechtsansicht an.

4. Für den vorliegenden Fall ergibt sich aus der Entscheidung 4 Ob 150/19s, dass der Familienbonus Plus und der Unterhaltsabsetzbetrag auf die Unterhaltsleistung ohne Auswirkung bleiben. Ob der unterhaltspflichtige Vater bisher den (halben) Familienbonus bei seinem Dienstgeber beantragt oder eine Antragstellung bisher unterlassen hat, ist für die Unterhaltsbemessung daher nicht maßgeblich, ebenso wenig die Frage, ob der Vater im Sinn des Anspannungsgrundsatzes dafür Sorge zu tragen hat, zum ehestmöglichen Zeitpunkt sein Einkommen durch Beantragung der Auszahlung des Familienbonus Plus zu erhöhen. Die bisher in der Judikatur des Obersten Gerichtshofs gebräuchliche Berechnungsmethode zur steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen durch die Anrechnung von Transferleistungen ist zumindest bei Kindern bis zum Alter von 18 Jahren nicht mehr vorzunehmen.

5. Demnach hat das Erstgericht zu Recht den Familienbonus Plus bei der Unterhaltsbemessung nicht berücksichtigt, weshalb seine Entscheidung wiederherzustellen ist.

II. Zur Anrechnung von aufgrund der einstweiligen Verfügung geleisteten Zahlungen

Die vom Rekursgericht weiters als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO erachtete Rechtsfrage zur Anrechnung von Zahlungen aufgrund einstweiliger Verfügungen auf den endgültigen Titel stellt sich nicht. Das Rekursgericht hat das Rekursvorbringen, die vom Rekurswerber in Höhe der einstweiligen Verfügung tatsächlich geleisteten Zahlungen hätte berücksichtigt werden müssen, als gegen das Neuerungsverbot verstoßend und daher als unbeachtlich angesehen. Auf die vom Rekursgericht dennoch dazu formulierte Zulassungsfrage, der hier nur theoretische Bedeutung zukommt, muss daher nicht eingegangen werden (vgl RS0043338). Die (selbstständige) Rechtsfrage der Anrechnung von aufgrund einer einstweiligen Verfügung geleisteten Zahlungen wird im Revisionsrekursverfahren auch gar nicht thematisiert.

Textnummer

E127165

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0100OB00075.19F.1217.000

Im RIS seit

30.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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