TE Vfgh Erkenntnis 2019/12/4 E4256/2018

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.12.2019
beobachten
merken

Index

32/01 Finanzverfahren, allgemeines Abgabenrecht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall

Leitsatz

Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses im Anlassfall

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

1.       Der Beschwerdeführer war im Jahr 2005 als atypisch stiller Gesellschafter an einer Mitunternehmerschaft beteiligt, für die ein Feststellungsbescheid nach §188 Bundesabgabenordnung (BAO) für das Jahr 2005 (Grundlagenbescheid) am 9. November 2006 erlassen wurde. Unter Berücksichtigung dieses Grundlagenbescheides wurde die Einkommensteuer des Beschwerdeführers für das Jahr 2005 mit Bescheid vom 14. Dezember 2006 (abgeleiteter Bescheid) festgesetzt.

Nach einer Außenprüfung bei der Mitunternehmerschaft erging am 11. Oktober 2011 eine als neuer Grundlagenbescheid intendierte Enunziation, woraufhin gemäß §295 Abs1 BAO am 17. Oktober 2011 ein berichtigter Einkommensteuerbescheid 2005 erlassen wurde. Das gegen die als neuer Grundlagenbescheid intendierte Enunziation eingebrachte Rechtsmittel wurde mit Beschluss des Bundesfinanzgerichtes vom 23. April 2014 zurückgewiesen, da diese Erledigung des Finanzamtes auf Grund einer mangelhaften Adressierung als "Nichtbescheid" anzusehen sei. Daraufhin erließ das Finanzamt am 27. Oktober 2014 einen betragsmäßig gleichlautenden Grundlagenbescheid, gegen den Beschwerde erhoben wurde.

2.       Am 14. November 2014 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2005 vom 17. Oktober 2011 gemäß §295 Abs4 BAO, da dieser auf einem "Nichtbescheid" basiere.

Mit Bescheid vom 11. Juni 2018 wies das Finanzamt Graz-Stadt diesen Antrag zurück, da die Eingabe nicht fristgerecht erfolgt sei. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesfinanzgericht mit Erkenntnis vom 6. September 2018 als unbegründet ab. Die Beschwerde gegen den Grundlagenbescheid vom 27. Oktober 2014 war im Zeitpunkt der Fällung dieses Erkenntnisses des Bundesfinanzgerichtes noch vor dem Bundesfinanzgericht anhängig.

Unter Anwendung von §295 Abs4 BAO idF BGBl I 70/2013 iVm §304 BAO idF BGBl I 14/2013 führte das Bundesfinanzgericht begründend im Wesentlichen aus, dass die Verjährungsfrist der Einkommensteuer 2005 mit 31. Dezember 2005 zu laufen begonnen habe. Während der laufenden fünfjährigen Verjährungsfrist sei ein Einkommensteuerbescheid erlassen worden, weshalb sich die Verjährungsfrist um ein Jahr verlängert habe. Am 17. Oktober 2011 (somit im "Verlängerungsjahr") sei gemäß §295 Abs1 BAO ein berichtigter Einkommensteuerbescheid ergangen. Dagegen sei weder Berufung erhoben worden, noch seien seitens des Finanzamtes weitere nach außen erkennbare (verjährungsfristverlängernde) Amtshandlungen gesetzt worden. In Bezug auf die Einkommensteuer 2005 sei daher am 31. Dezember 2012 Verjährung eingetreten.

Der Antrag nach §295 Abs4 BAO sei am 14. November 2014, somit nach Eintritt der Verjährung, eingebracht worden. Die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrages sei daher als unbegründet abzuweisen.

3.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

4.       Das Finanzamt Graz-Stadt hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der es den in der Beschwerde erhobenen Bedenken entgegentritt.

5.       Das Bundesfinanzgericht hat die Gerichtsakten vorgelegt, eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.

6.       Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 Z1 litb B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Satzes "Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach §304 maßgeblichen Frist zu stellen." in §295 Abs4 BAO, BGBl 194/1961, idF BGBl I 70/2013 ein. Mit Erkenntnis vom 4. Dezember 2019, G159/2019 ua, hob der Verfassungsgerichtshof diese Bestimmung als verfassungswidrig auf.

7.       Die Beschwerde ist begründet.

8.       Das Bundesfinanzgericht hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde also durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt (zB VfSlg 10.404/1985).

9.       Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

10.      Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

11.      Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlassfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:E4256.2018

Zuletzt aktualisiert am

24.01.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten